Die vier Farben des Districts - Teil 6

Autor: Riefie
veröffentlicht am: 27.05.2012


Hey, sorry das der Teil jetzt erst kommt. Hatte zwar schon relativ viel vorgeschrieben, aber irgendwie hat mir die Zeit gefehlt, den hier einzustellen. Also, hier nun das nächste Exemplar & vielen Dank an alle, für die tollen Kommentare. Ich hab den Teil heute als Entschuldigung etwas länger gemacht :)


Sein Kopf schnellte herum und sah mich entgeistert an. In seinen Augen sah ich den Schmerz, den allein die Vorstellung in ihm hervorrief. Ich sah wie er nach Worten rang, die er auch schließlich fand.
„Hast du… das wirklich geglaubt, dass ich das tun würde? Oder warum warst du bei Sophie?“
Ich schüttelte vehement den Kopf.
„Nein, ich habe das nicht geglaubt. Es war der Satz, den Jonathan gesagt hat, bevor ich aufgewacht bin. Bevor er… auch dich tötete.“ Nik schien sich langsam zu fangen und sah mir unverwandt in die Augen. Als er nichts sagte fuhr ich fort.
„Nik du bist so blöd. Ich wusste schon immer, dass du der dümmere von uns beiden bist, aber dass du die Zeichen nicht deuten konntest. Du machst es mir so einfach gemacht… Nik, hättest du sie am Leben gelassen, hättest du sie beschützt, dann wäre das alles nicht passiert. Nun, werde ich gewinnen. Und dann rammte er dir einen gelbleuchtenden Dolch ins Herz.“ Mir stiegen die Tränen in die Augen und Nik nahm mich in den Arm.
„Ich hatte so Angst, dich zu verlieren… ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn er dich töten würde.“
„Du hast darüber nachgedacht, was du tun würdest wenn er mich umbringt, obwohl ich dich zuerst getötet habe?!“ Ich nickte sachte.
„Du bist so vollkommen verrückt.“ Er nahm mich wieder in den Arm. „Was hat Sophie gesagt?“
„Sie meinte, dass sie uns nicht die ganze Prophezeiung erzählt hätte. Der letzte Teil heißt: Wenn der Feind den Thron besteigt, sich seines Sieges sicher ist und zum finalen Schlag ausholt – dann werden die vier Farben des Lawson brennen. Jede Einzelne wird sich erst entzünden, wenn sie ihre wahre Liebe gefunden hat. Doch eine der Flammen wird erlöschen, wenn sich ihre Herzen nicht für immer vereinen und die Liebe über die Rache siegt. Wenn dies nicht geschieht, wird der Feind alles an sich reißen und die gelbe Flamme wird im Schein der Rache zerbersten und erlöschen.“
Er überlegte kurz und sah mich dann an.
„Ich habe Angst, dir weh zu tun, Emma. Ich will dich nicht sterben sehen, schon garnicht wenn ich es tue.“
„Wir werden das schon schaffen. Vielleicht werde ich es irgendwann schaffen…deine Liebe zu besitzen.“ Ich senkte den Blick. Es war dieses eine Thema, was ich immer rausgezögert hatte. Ich wusste nicht ob er mich liebte und hatte auch noch nie die drei Worte aus seinem Mund gehört. Er kniete sich vor mich und sah mir direkt in die Augen.
„Emma… wir werden das schon schaffen. Glaub mir, ich werde diesen Hass nicht gewinnen lassen, egal wie groß er ist. Meine Gefühle für dich sind stärker.“
Auch wenn das wundervoll war, was er sagte, machte es mich traurig. Es war eben noch keine Liebe, die er für mich fühlte. Ich wusste auch nicht, ob er sie jemals empfinden würde.
„Ja, es wird schon klappen. Ich lass dich jetzt schlafen. Auch ohne diese Liebe, die wahrscheinlich noch nicht da ist, werden wir das schaffen.“ Ich stand langsam auf und ging zur Tür.
„Aber du besitzt doch meine Liebe schon längst, Emma. Wieso glaubst du mir das nicht?“ Mein Herz setzte aus und ich sah ihn an. Die Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen und ich konnte es nicht glauben. Wieder einmal konnte ich nicht glauben, dass ich es wirklich war, die seine Liebe besaß. Die er liebte, die er beschützen wollte. Er öffnete seine Arme und ich lief zu ihm. Er hob mich hoch und hielt mich einfach nur fest. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und vergrub mein, mittlerweile tränennasses Gesicht an seinem Hals.
Langsam hob ich den Kopf und sah in seine strahlend blauen Augen.
„Wann fängst du endlich an, mir zu glauben?“ Ich lachte kurz auf. Mein Herz machte Luftsprünge und er wirbelte mich herum.
„Was muss ich tun, damit du mir glaubst, dass ich dich niemals verlassen werde?“ Ich sah ihm tief in die Augen und musste nicht lange überlegen.
„Küss mich!“ Er setzte mich auf dem Boden ab, umfasste mein Gesicht mit seinen Händen und küsste mich leidenschaftlich, dass mir meine Beine den Dienst versagen wollten. Der Kuss dauerte lange und war so innig, dass ich mich am liebsten niemals von ihm gelöst hätte. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit, die aber doch zu kurz war, sah er mich derart liebevoll an.
„Und nun?“ Ich grinste ihn an.
„Schon besser.“
„Besser? Ich geb dir gleich besser.“
Er schmiss mich aufs Bett und fing an mich durch zu kitzeln. Verdammt, das war meine Schwachstelle! Nach nur wenigen Sekunden gab ich auf.
„Okay, ich gebe auf. Ich kann nicht mehr. Hör auf.“ Er ließ von mir ab und stützte sich mit seinen Händen neben meinem Kopf ab.
„Und was ist mit dir?“ Er sah mich leicht verunsichert an. Wollte er mir wirklich gerade weismachen, dass er sich über meine Gefühle Sorgen machte?
„Du hast sie schon von Anfang an besessen.“
Wir küssten uns noch eine ganze Weile, bis wir endlich erschöpft einschliefen.

Die Sonne strahlte gerade erst über den Horizont, als ich langsam meine Augen öffnete. Als ich mich aufrichtete, merkte ich etwas Schweres um meine Taille. Leicht hob ich meinen Kopf und sah einen Arm, der dazugehörige Mensch lag hinter mir. Nik! Ein Lächeln huschte über meine Lippen und ich drehte mich ganz langsam um. Ich sah ihn noch einmal liebevoll an, gab ihm einen leichten Kuss auf den Kopf und ging.
In unserem Zimmer angekommen, sah ich Leo, die nur mit einem Handtuch gekleidet aus dem Bad kam.
„Gott, hast du mich erschreckt. Ich dachte schon du wärst Finn oder so.“
Ich grinste. Ja, Finn… da war ja was.
„Wie lief es eigentlich gestern. Du und Pia seid ja mit denen im Nebenzimmer verschwunden.“
Ich folgte ihr in unser Zimmer und setzte mich auf die Bank im Kleiderschrank.
„Sophie wollte, dass wir über unsere Gefühle reden und ey, du wirst es nicht glauben. Finn hatte schon Gefühle bevor ich überhaupt darüber nachgedacht hatte. Er meinte, dass er sich direkt in meine Haare und in meine vorlaute Art verliebt hätte und nach einer Zeit wurde es immer schlimmer, aber er wollte die Freundschaft nicht riskieren.“ Ich grinste. Das war ja mal eine Neuigkeit.
„Also seit ihr jetzt zusammen?“ Sie nickte und ihr Grinsen war echt nicht zu übersehen.
„Und was ist mit Pia?“
„Die beiden sollten sich erstmal kennenlernen, also alles über den anderen wissen und dann hat Sophie sie so Aufgaben machen lassen, wo sie einander blind vertrauen mussten und einmal ist Pia fast von so einem Balken runtergefallen und Jason hat sie aufgefangen. UND dann haben die sich geküsst. Voll süß!“
„Na, dann haben wir jetzt wohl alle unseren Traumprinzen gefunden.“ Sie nickte und ihre Augen strahlten. Wir umarmten uns und grinsten um die Wette. So viel Liebe und gute Laune war echt dermaßen toll. Ich freute mich für die Mädels. Ich kannte sie erst seit einer Woche, aber sie waren mir so ans Herz gewachsen. Ich hatte mein altes Leben schon fast vergessen. Es kam mir vor, als wäre es nicht meines gewesen, sondern das eines anderen, welches ich nur miterlebt hatte, weil mein eigenes Leben jetzt erst begann. Und es war um einige Längen besser, als vorher.
„Meinst du, du kannst heute wieder mittrainieren?“
„Klar, mir geht’s wieder gut. Ich hab einfach nur zu wenig gegessen. Das mit Nik… hat mir einfach so zugesetzt.“ Ich zog mich um, ging ins Bad um mich ein wenig frisch zu machen und ging wieder zurück zu Leo. Sie saß auf ihrem Bett und telefonierte.
„Ja Mama, mach ich. Viel Spaß euch noch. Bye!“ Sie verdrehte spielerisch die Augen.
“Immer diese Eltern die immer alles wissen müssen.“ Wir grinsten uns an. Ja, das kannte ich nur zu gut.
„Komm, wir gehen Frühstücken.“ Wir nickten uns zu und gingen mit Martha und Pia zur Kantine. Enttäuscht musste ich feststellen, dass Nik wohl noch nicht wach war, zumindest war niemand außer ihnen da.
„Die anderen sind alle noch garnicht wach. Es ist ja auch erst kurz nach halb 6.“ Ich sah irritiert auf die Uhr.
„Oh! Ich hatte garnicht gemerkt, dass es erst so früh ist. Es wurde ja schon hell.“
Verwirrt stellte ich mich hinter den Mädels an und holte mir was zu essen. Ich war mal wieder die Letzte, weil ich mich nicht entscheiden konnte, was genau ich jetzt essen wollte. Ich ging zurück zum Tisch und hätte beinahe mein Tablett fallen gelassen, als sich zwei Arme um mich legten. Schnell stellte ich es ab und drehte mich um, nur um in die strahlenden blauen Augen von Nik zu sehen. Seine braunen Haaren hingen ihm noch nass in die Stirn und er duftete nach seinem Aftershave. Zum anbeißen!
„Du warst einfach weg, als ich aufgewacht bin.“ Er machte einen Schmollmund und ich musste grinsen.
„Du hast so süß geschlafen, ich wollte dich nicht wecken.“ Nik gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze und ging dann mit den Jungs, die sich kaum von den anderen losreißen konnten, zur Theke. Ich nahm mein Tablett und setzte mich zu den nicht weniger grinsenden Mädels.
„Maaaaan, ihr seit so ein dermaßen süßes Paar.“ Pia klatschte freudig in die Hände und irgendwie kam es mir fast schon so vor, als wären wir alle viel zu glücklich. Man sagt doch immer, Hochmut kommt vor dem Fall! Martha sah mich nachdenklich an. Auch sie schien sich darüber Gedanken zu machen. Sie wandte sich an die anderen und sprach das Thema an, was mir gerade im Kopf rumspukte.
„Mädels, glaubt ihr nicht auch, dass wir irgendwie viel zu glücklich sind?“ Pia und Leo schienen so verknallt zu sein, dass sie garnichts mehr kapierten.
„Naja, ich mein ja nur. Immerhin wollen wir demnächst diesen Jonathan um die Ecke bringen und es hat uns keiner gesagt, dass wir das alle überleben werden.“
„Mir kommt es irgendwie auch ein wenig unheimlich vor. Wir hegen alle Gefühle für einen bestimmten Jungen, die durch Zufall denselben Auftrag haben, wie wir und dann bekommt auch noch jede von uns ihren Traumtypen.“ Auch Pia schien mittlerweile darüber nachzudenken, denn ihr Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden und sie sah uns nachdenklich an. Nur Leo macht mit einer abwerfenden Handbewegung alles zunichte.
„Leute, selbst wenn es so wäre und welche von uns nicht mehr da sein sollten… dafür trainieren wir doch oder? Und ich hab ehrlich gesagt keine Lust, Trübsal zu blasen wenn ich Finn nur noch ein paar Wochen oder Monate habe. Also Schluss jetzt damit!“ Irgendwie hatte Leo ja Recht. Ich machte mir wieder viel zu viele Gedanken, welche aber einen Abflug machten, als meine Augen Nik erblickten, der sich neben mich setzte. Er nahm meine Hand in seine und drückte sie leicht.
„Bist du wieder fit genug?“ Ich nickte und grinste. Als wir fertig waren mit Frühstücken ging ich mit Nik Hand in Hand zurück ins Hauptgebäude, wo unser Training in einem der großen, unbeschrifteten Räume stattfinden würde. Ein blondes Mädchen, umringt von ihrer nicht weniger schlampig aussehenden Freundinnen lief an uns vorbei und blieb mit großen Augen stehen, als sie Nik und mich sah.
„Nik!“ Ihre piepsige Stimme klang durch den Raum und sie schmiss sich Nik um den Hals. Boah, diese dumme Ziege von letztens schleimte sich schon wieder an den ran. Wenn ich nur ansatzweise so lange Fingernägel hätte, würd ich ihr damit das Gesicht verkratzen. In mir stieg die Wut hoch und ich spürte diese Hitze in meinen Händen. Niemand sollte mir Nik wegnehmen. Er schien zu merken, wie es in mir brodelte und drückte sie bestimmend weg.
„Emma das ist Melanie, Melanie das ist Emma, meine Freundin.“ Er nahm bestimmend meine Hand in seine und sah Melanie in die Augen.
„Seit wann hast du denn eine Freundin?“ Sie ließ ihren arroganten Blick an mir hoch und runterwandern und ja, gottverdammt, es verunsicherte mich. Ich mein, dieser blonde, superheiße Feger hatte mir um einige Längen was voraus. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, ihre dermaßen langen Beine steckten in einer hautengen Jeans und ihre Oberweite wurde durch ein noch enganliegenderes Oberteil betont. Man war das frustrierend. Mir wurde wieder schlagartig bewusst, wie unwirklich es war, dass ich gerade diejenige war, die Niks Hand hielt, während er so eine mit Leichtigkeit haben könnte.
„Seit kurzem. Du weißt ja, die anderen waren mir hier irgendwie alle zu arrogant.“ Knall, ihre Wangen waren feuerrot und sie nahm ihren Kopf so hoch, dass ich wahrscheinlich in ihr leeres Gehirn hätte schauen können.
„Na, dann bin ich ja froh das du so eine wie… SIE gefunden hast.“ Sie sah mich noch einmal abwertend an und stolzierte dann davon. Meine Glieder waren immer noch steif und innerlich war ich so frustriert, dass ich garnichts mehr tun wollte. Nik stellte sich vor mich und sah mich an.
„Emma, was ist los?“ Ach, konnte er sich das nicht denken?!
„Hast du dir die mal angeguckt?! Wie die sich dir an den Hals geworfen hat, ekelhaft! Und dann sieht die mich noch so abwertend an, als ob ich das hässlichste Wesen auf der Welt wäre. Ich mein… ich weiß ja dass sie mir einiges voraus hat, aber trotzdem ist sie ne dumme Schnepfe.“ Sein Grinsen, dass er anfangs hatte, veflüchtigte sich und er sah mich an. Sein Blick wurde ernst und er schien sogar ein wenig sauer zu sein.
„Emma, seit wann hegst du solche Zweifel an dir?“
„Seitdem ich gesehen habe, wen du sonst noch haben könntest.“ Mit einem Nicken in die Richtung, in der diese Melanie verschwunden war, zeigte ich ihm, was ich meinte.
„Ach komm. Was hab ich dir am ersten Tag gesagt, als wir draußen am Brunnen saßen?“
Ich zuckte mit den Schultern und er legte seinen Kopf schief.
„Das mich das Aussehen jetzt nicht so dermaßen interessiert. Was nützt mir so jemand wie Melanie, die vielleicht gut aussieht, aber eben sonst nichts in der Birne hat. Ich mein, ich kann mich nicht mit ihr unterhalten, wir mit dir. Wenn ich etwas über Maniküre, Pediküre und den neuesten Klatsch und Tratsch wissen wollte, wäre sie wohl der Richtige Ansprechpartner, aber sonst?“ Er grinste mich an und hob mein Kinn, damit ich ihm in die Augen schauen musste.
„Außerdem bist du um Einiges schöner als sie.“
„Klar, hast du dir mal ihre Oberweite angesehen und ihre langen Beine?“ Nik verdrehte die Augen.
„Emma, du bist genauso groß und hast genauso lange Beine, die mir im Übrigen viel mehr gefallen als ihre. Bei ihr hab ich das Gefühl, dass wenn ich nur ein wenig dranstoße, sie sich was bricht und Mensch Emma, hast du mal deine Oberweite gesehen?!“ Er deutete darauf und ich gab ihm einen Klapps auf den Hinterkopf.
„Ich bin auch nur ein Mann und glaub mir, für mich bist du die Schönste.“ Auch wenn ich ihm noch nicht zu 100% glaubte, nickte ich und ließ mir einen kurzen Kuss auf die Lippen geben, bevor wir den Trainingsraum betraten. Mike und Sophie nickten uns zu und wir setzten uns an den großen Tisch, der am Rande der Halle aufgestellt war.
„Guten Morgen, wie ich sehe ist Emma auch wieder wohl auf. Dann können wir ja mit dem richtigen Training anfangen.“ Er nahm einen Karton und stellte ihn auf den Tisch. Sophie sah uns alle an und lächelte.
„Das sind eure Anzüge, die die ihr auch während eines Kampfes tragen solltet. Sie sind bequem, elastisch und schränken euch in keinsterweise ein.“ Sie gab jedem ein kleines Paket. „Ihr Jungs geht mit Mike in den Nebenraum, ich werde hier erstmal mit den Mädchen alleine trainieren.“ Enttäuscht, Nik heute nicht den ganzen Tag bei mir zu haben, sah ich ihn an. Er lächelte nur, legte seinen Kopf schief und ging dann mit den Jungs in den anderen Raum.
Sophie stand uns gegenüber und sah uns auffordernd an.
„Nun seht euch schon eure Klamotten an.“
Ich öffnete das Paket und das erste was ich sah, waren die Farben Schwarz und Gelb. Als ich mich umsah, bestätigte sich der Verdacht, dass jede von uns ihre jeweilige Farbe hatte.
„Wir ihr seht, besteht euer Anzug aus einem schlichten Schwarz und eurer jeweiligen Han-Farbe. Ihr habt sowohl eine lange, als auch eine kurze Hose. Ich würde euch aber raten, zu allererst die längere zu nehmen.“ Ich legte jedes Kleidungsstück nebeneinander und pickte die schwarze Hose heraus. Sie war aus einem mir unbekannten Stoff, aber fühlte sich ziemlich gemütlich an.
„Zieht sie an.“ Gesagt, getan. Sie passte wirklich perfekt und als ich ein wenig meine Beine breitete und in die Hocke ging, merkte ich, dass sie mich wirklich nicht einschränkte.
„Dann habt ihr noch ein Langarmshirt, T-Shirt und eine vollfunktionstüchtige Jacke. Es liegt auch eine Art BH darin, den solltet ihr während des Trainings und auch möglichst während eines Kampfes tragen. Er bietet euch mehr Schutz und keine Panik, eure Oberweite wird keineswegs zu kurz kommen.“ Sie grinste und sah uns an, als wir den schwarzen BH herausnahmen. Er hatte, wie auch die Oberteile und die Jacke, gelbe Streifen am Rand. Nur die Hose war schwarz. Er bestand aus demselben Stoff, wie die Hose und die Oberteile. Die Jacke war wie eine normale Regenjacke, aber ziemlich dünn und auch enganliegend.
„Ich habe die Größe des BHs nur geschätzt, aber wir können sie noch ändern lassen.“ Da wir alle unter Frauen waren, zogen wir uns ohne größere Probleme schnell um. Der BH saß wie angegossen und fühlte sich wie eine zweite Haut an. Ich entschloss mich, das Langarmshirt anzuziehen und musste feststellen, dass es mir hervorragend stand.
„Sophie, was ist mit der Jacke? Ich mein, wenn es kalt wird, wird sie uns wohl kaum Schutz bieten.“ Sie grinste.
„Doch! Wie ihr sicherlich gemerkt habt, sieht sie aus, wie eine gewöhnliche Regenjacke. Aber sie besteht aus einem besonderen Stoff, der sich Diamat nennt. Er ist zwar dünn, speichert aber eure Körperwärme und erzeugt damit selbst welche. Auch eure Oberteile schützen euch vor der Kälte und was das Beste ist, glaubt mir, ist das ihr keinerlei Probleme mit Schweißflecken während des Kampfes habt.“ Wir grinsten uns alle an und stellten uns vor die große Spiegelfront. Wir sahen alle wirklich irgendwie wie… Kämpferinnen aus. Pia und Leo hatten das T-Shirt an, während Martha es mir gleichgetan hatte und sich das Langarmshirt angezogen hatte. Es war nicht zu warm und nicht zu kalt und das, was mich am meisten wunderte, wir sahen alle drei dermaßen heiß aus. Wir hatten was Bedrohliches an uns.
Sophie stellte sich neben uns und sah uns durch die Spiegel hinweg an.
„Wir werden in den nächsten Tagen, ja eigentlich Wochen, eure Körper und euren Geist trainieren. Erst wenn diese zwei Dinge ausgereift sind, könnt ihr euer Han vollkommen beherrschen. Gerade du Emma, wirst dich anstrengen müssen. Da dein Han das stärkste ist und sehr viel, auf Gefühle zurückzuführen ist, wirst sehr viel Kraft brauchen. Aber du hast ja Nik.“ Sie lächelte, während mein Kopf mal wieder nur die Töne einer Dampflock nachmachte. Ja, ich verstand wieder einmal nur Bahnhof.
„Nun, es ist so. Das, was Mike vor zwei Tagen mit euch gemacht hat, dass ihr den Jungs eure Gefühle gestehen solltet, war nicht umsonst oder um euch zu ärgern. Ich habe gestern schon mit Emma geredet und habe auch von Nik die Erlaubnis, euch folgendes zu erzählen.“ Wir setzten uns im Kreis hin und die anderen sahen mich irritiert an.
„Jonathan, der Anführer der Silvers, ist Niks Bruder.“ Ich hörte wie Martha nach Luft schnappte, Leo die Kinnlade runterfiel und Pia einen leisen Piepsound von sich gab.
„Aber wie… ist das denn möglich?“ Martha verdrehte die Augen und sah Leo an.
„Naja, wie wird man denn wohl Bruder und Bruder?“ Leo streckte ihr die Zunge raus und erwiderte:
„Ja, das ist mir schon klar, aber ich mein. Wie kann Nik einen solchen Bruder haben? Das ist mir total schleierhaft.“ Sie sah mich an und ich zuckte nur mit den Schultern und wandte mich wieder an Sophie.
„Jonathan war vor Nik an dieser Schule und wurde hier ausgebildet. Damals bedrohte uns ein Mann Namens James Morrisson. Die Waffe, um die es heute geht, war damals in der Planung und er war hinter den Plänen her. Er hatte sie mitentwickelt und behauptete, dass der District sie nur haben wollte, um seine Macht ausspielen zu können, dabei war er selbst hinter der Waffe her. Jonathan war damals derjenige, der darauf ausgebildet wurde, ihn zu vernichten. Er schaffte es auch und dann… wurde er arrogant und war mit seinem Ehrenorden und dem Geld, das er bekam, nicht zufrieden. Im Gegenteil, er wollte immer mehr und zog viele auf seine Seite. Den Rest kennt ihr ja…“
Den Teil kannte ich ja schon, aber das davor, war mir noch nicht bekannt. Aber es sollte auch keine große Rolle spielen, immerhin war dies Vergangenheit. Aber welch eine Ironie. Jonathan besiegte den Mann, der sich alles unter den Nagel reißen wollte, nur um an seine Stelle zu treten. Als die anderen den Schock verdaut hatten, erzählte Sophie weiter.
„Nun, zurück zu euch. Nun seit ihr es, die Jonathan besiegen müsst. Seine Stärken sind vielseitig, weil er das ein oder andere Han schon besitzt. Er ist schnell, teilweise so schnell, dass ihr ihn mit euren jetzigen Kräften nicht sehen könnt. Später, wenn sie ausgeprägter sind, wird es euch leichter fallen. Er kann Gegenstände teleportieren, sie beherrschen und glaubt mir, sie können tödlich sein. Seine Schwachstelle ist aber seine Arroganz. Er ist sich seiner Sache so sicher, dass er Fehler macht.“
„Aber wie können wir ihn besiegen? Ich mein, unsere Kräfte sind ja wohl nicht stark genug.“
„Wenn ihr sie einzeln einsetzt nicht, da hast du Recht Martha. Aber Emma besitzt die Gabe der Fusion. Wenn es an der Zeit ist, müsst ihr einander so sehr vertrauen und euer Han zusammensetzen. Wir wissen noch nicht, wer von euch stark genug sein wird, es letztendlich auch zu beherrschen, aber deswegen trainieren wir euch auch. Das wichtigste, was ihr aber wissen müsst, ist das die Jungs eine wichtige Rolle spielen. Die Liebe, die sie euch entgegenbringen, entfachen die wahre Stärke eures Hans.“
„Ui, ist das romantisch.“ Gott, Leo mit ihrem ständigen Romantikkram.
„Naja, Leo, das mag für euch jetzt so sein. Aber… ich denke jeder von euch weiß, wie schnell eine Liebe zerbrechen kann, deswegen ist es wichtig, dass ihr diese eine Sache nicht aus den Augen verliert. Ich habe gestern Emma schon gesagt, wie die Prophezeiung weiter geht, nun werde ich es auch euch sagen.“ Sie wiederholte sie, und ich konnte sie in Gedanken schon mitsprechen. Ja, ich hatte sie mir so sehr eingebrannt, dass sie Allgegenwärtig war.
„Heißt das, das Nik sich an seinem Bruder rächen will und wenn er das tut, dass egal wie groß unsere Kräfte sind, wir Jonathan nicht besiegen können?“ Sophie nickte, was für allgemeine Verwirrung bei den anderen sorgte. Sophie sah mich an und deutete mir, das zu sagen, was ich schon längst wusste.
„Er…wird mich im Rausch seines Hasses umbringen. Somit kann ich unser Han nicht vereinen und Jonathan wird sowohl ihn, als auch euch töten.“
Pia war die Erste die bei mir war, mich in den Arm nahm und tröstend drückte.
„Oh Gott, Emma. Wieso hast du nichts gesagt? Das ist ja schrecklich. Hast du mit ihm darüber geredet?“ Ich nickte und lächelte sie an.
„Er wird höllisch aufpassen und er will nur, dass sein Bruder die gerechte Strafe bekommt. Ob nun durch unsere Hand oder durch seine ist ihm egal. Und er weiß, dass nur wir das können, somit wird er seinen Hass zügeln.“
„Außerdem will er dich ja nicht verletzen oder?“
„Ja, darüber war er am meisten geschockt.“
Wir schwiegen alle einen Moment, um das gerade gesagte zu verdauen. Sophie stand auf und sah und auffordernd an.
„Nun, ihr wisst jetzt worum es geht und nun… werde ich euch quälen.“
Sie grinste und wir gingen mit ihr zum Sportplatz.

Zwei Wochen vergingen, in der Muskelkater, Zerrungen und lauter blaue Flecken an der Tagesordnung waren. Wir sahen die Jungs tagsüber kein einziges Mal. Sophie und Mike schienen darauf aus zu sein, uns voneinander fernzuhalten. Aber wir wurden stärker. Unsere Laufstrecken wurden länger, unsere Kondition größer und unser Selbstbewusstsein gesteigert. Wir rannten bestimmte Strecken gegeneinander, mussten über Hindernisse springen und Krafttraining machen. Es war eigentlich ziemlich witzig und wir lachten viel, aber auch die Tränen flossen in Strömen. Es war nicht einfach, jeden Tag bis an seine Grenzen zu gehen, aber es stärkte uns.
Einmal flog ich derart hin, dass ich mir meine ganze Wade aufkratzte. Ich war wieder ein wenig mit meinen Gedanken bei Nik gewesen und hatten den Dornenzweig nicht gesehen, der sich wie von Geisterhand natürlich genau vor mir ausbreiten musste und wie es so war, tappte Miss-Ich-bin-unverwundbar-und-aua-hatte-ich-was-anderes-gesagt mit einem riesen Knall und Fall rein und plumpste auf ihren allerwärtesten. Während die anderen sich kaputt lachten, war ich nur froh, das Nik mich so nicht sehen konnte.
Wir waren gerade auf dem Weg mit Sophie zum Sportplatz, als wir die Jungs von weitem sahen, die mit Mike Fußballspielten.
„So, dürfen wir die Jungs heute mal bei ihrem ach so anstrengenden Training beobachten?“ Sophie grinste uns an und sagte mit verschwörerischen Ton.
„Mike will, dass sie sich konzentrieren, auch wenn ihr daneben eine gute Figur macht. Deshalb habt ihr ja auch alle nur ein kurzes Top an.“ Irgendwie gefiel mir der Plan, auch Nik einmal aus der Fassung zu bringen. Wir Mädels hatten zwar vorher schon eine gute Figur gemacht, doch nun sah man das Training, wie es sich auszahlte. Sie sahen uns von weitem schon kommen, doch Mike rief sie direkt wieder zur Ordnung. Wir stellten uns auf den Laufweg, der ringsherum um das Spielfeld verlief.
„Ich möchte, dass ihr jetzt wieder gegeneinander lauft. Zum Aufwärmen machen wir die 100m und Martha, fängst du bitte mit Leo an.“
Ui, das würde interessant werden. Pia und ich lagen ungefähr auf demselben Level und man sah schon heraus, dass wir wohl die stärksten untereinander waren. Sophie hatte uns bis jetzt noch nicht gegeneinander antreten lassen. Wir grinsten uns an, als Leo und Martha sich in Startposition begaben. Ihre Hände berührten den Boden und auf Sophies Zeichen hin, rannten sie los. Martha gewann, aber nur knapp. Ich sah wie die Jungs sich immer wieder umdrehten und wie Nik mir ein liebevolles Lächeln zuwarf. Wir hatten uns gestern Mittag das letzte Mal gesehen und es war dermaßen anstrengend, sich heute auf das Training zu konzentrieren.
Pia und ich gingen an die Startlinie und in die Hocke. Wir grinsten uns noch kurz an, als auch schon das Signal kam. Ich rannte los und sah Pia, die genau neben mir lief. Wir rannten zur selben Zeit über die Linie und klatschten uns in die Hände.
„JUNGS! ICH WEIß JA DAS DIE MÄDELS EINE GUTE FIGUR MACHEN, ABER KÖNNT IHR EUCH JETZT MAL KONZENTRIEREN. DIE SILVERS WERDEN EUCH AUCH NICHT VERSCHONEN, NUR WEIL IHR MIT EUREN FREUNDINNEN BESCHÄFTIGT SEID!“ Hui, der war aber sauer. Wir Mädels grinsten uns an und gingen zu Sophie zurück, die nun endlich mal etwas Neues für uns hatte.
„Sehr gut. Nun, wir werden jetzt eure Talente was eure Waffen betrifft angehen.“ Ich konnte mich zwar immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, Pfeil und Bogen in der Hand zu haben, aber mal sehen. Wir gingen ein Stück in den Wald hinein, wo eine Halle stand, die mir vorher noch nicht aufgefallen war. Sophie schloss die Tür auf und wir gingen hinein. Es war ein kleiner Raum, in dem allerlei Waffen standen. Ich sah mehrere Pistolen, Messer, Speere und in einer Ecke standen Pfeil und Bogen, in allen möglichen Ausführungen.
„Martha und Emma, ihr wisst, was eure Waffen sind. Emma such die einen Bogen aus, er muss zu dir passen. Du musst das Gefühl haben, ihm immer vertrauen zu können, dass er sein Ziel trifft. Martha, die Messer die du wählst, müssen wie eine Verlängerung deines Arms sein.“
Ich ging in die Ecke und sah mir die Bogen an. Es gab welche aus Holz, aus Metall und wiederrum welche, deren Bestandteile ich nicht kannte. Mir fiel einer ins Auge. Er schien aus Glas zu sein. Als ich ihn ergriff, spürte ich jedoch, dass es nur so aussah. Er war biegsam, aber stabil. Die Sehne war weiß und spannte sich zum zerreißen. Ich nahm den danebenliegenden Köcher, deren Pfeile aus demselben Material zu sein schienen. Sie hatten am Ende gelbe Federn und ich fand ihn irgendwie passend. Ich drehte mich um und sah, dass Martha sich silberne Dolche herausgesucht hatte, die in einer Gürtel steckten. Ihre Griffe waren mit grünen Smaragden bestückt und sahen wunderschön aus. Wunderschön, aber gefährlich. Als ich mich umsah, sah ich Pia, die sich gerade eine der Pistolen nahm. Sie war mattschwarz.
„Eine Barretta M9. Nicht schlecht.“ Sophie grinste und gab ihr die dazugehörigen Patronen. Sie waren blau. So langsam verstand ich, dass auch unsere Waffen die Farben in sich trugen. Leo hatte sich mehrere Speere gegriffen und sah unschlüssig einen nach dem anderen an. Schlussendlich nahm sie einen weißen, mit feuerroter Spitze und legte die anderen wieder zurück. Sophie ging mit uns in einen anderen Raum. Es war eine fensterlose Halle, die aber durch die vielen LED-Leuchten genügend beleuchtet wurde. Ich kam mir vor, wie in einem High-Tech Trainingsraum des Militärs.
An der gegenüberliegenden Wand war ein riesen Bildschirm aufgehängt, der nach und nach unsere Gesichter zeigte. Irritiert blickte ich zu Sophie.
„Was ist das?“
„Nun, es ist so eine Art Computer. Es analysiert euren aktuellen Trainingsstand, wie weit eure Kräfte sich gesteigert haben und vergibt praktisch Punkte, für eure Stärke.“ Sie ging zu einem Pult, was in der Nähe stand und drückte auf ein paar Knöpfen herum. Eine Tabelle bildete sich. Unsere Gesichter blickten uns jeweils am Anfang jeder Zeile entgegen. Als erstes stand da mein Gesicht. Ich hatte die höchste Punktzahl, aber nur wenig Abstand zu Pia. Auch Martha und Leo sahen nicht schlecht aus und belegten beide Platz 3.
„Ist das nicht irgendwie dann wie ein Wettbewerb?“
„Nein, so soll das nicht sein. Es soll euch und uns eine Hilfe sein, zu sehen wo wir euch noch ein wenig trainieren müssen. Zum Beispiel bei Martha, da ist die Körperbeherrschung noch nicht ganz ausgeprägt.“ Sie deutete auf einen Wert, der wirklich deutlich niedriger war, als die anderen.
„Emma muss noch sehr an ihrer Konzentrationsfähigkeit arbeiten. Sie scheint zu oft in Gedanken bei Nik zu sein.“ Sie grinste und auch die anderen lachten, als sich meine Wangen leicht rot färbten. Bei Leo war die Kondition noch nicht so ausgeprägt und bei Pia war es dasselbe wie bei mir.
Ich sah mich weiter um. Die Halle war bestimmt 100m lang. Ich sah in der einen Ecke mehrere Platten, die wie Menschen aussahen, die Zielscheiben auf dem Körper hatten. Sie waren auf langen Schienen angebracht, die sich knapp hintereinander zu reihen schienen. Ein großer, heller Tisch, auf dem mehrere Symbole waren; ein Netz das hoch über ihren Köpfen angebracht war; eine Kampfpuppe und mehrere verschiedene Stationen. Ich sah eine Zielscheibe, am anderen Ende des Raumes, mit mehreren aufgemalten Zielscheiben, sowohl am Kopf, am Oberkörper und um die Beine herum. Hinter uns knallte die Tür zu und ich sah, wie die Jungs einer nach dem anderen reinkamen.
Als ich Nik sah, war ich alle Hemmungen über Bord und warf mich in seine Arme. Er hob mich hoch, drehte sich mit mir im Kreis und hielt mich einfach nur fest.
„Du hast mir so gefehlt.“ Ich spürte, wie er anfing zu lächeln und mich noch ein wenig fester an sich drückte. „Du mir auch.“
„Genug gekuschelt. Jetzt geht’s ans Training.“ Mike… dieser unromantische Klotz. Nur weil der keine Freundin hatte… Tss! Als er mich schief angrinste wurde mir peinlich bewusst, dass er meine Gedanken lesen konnte und auch Dave schien rot zu werden, als er Martha im Arm hielt. Gott weiß was der schon wieder gedacht hat. Bestimmt nicht jugendfrei…
„Ich möchte, dass ihr euch jetzt hintereinander anstellt und dann an dem Seil,“ er deutete nach oben, „zu anderen Seite rüber klettert und bitte… versucht euch nicht gleich wieder zu verletzen.“
Wir stellten uns der Reihe nach an. Dave war der Erste und er schien das garnicht mal so schlecht zu meistern. Ich war die Vorletzte, nur Pia war noch hinter mir. Nik wäre als drittes dran. Als ich auf den großen Bildschirm sah, bemerkte ich dass auch die Jungs mittlerweile in der Tabelle vermerkt waren. Ich schmunzelte, als ich sah, warum Nik nur Platz Zwei belegte. Konzentrationsfähigkeit. Ob es an mir lag? Ich hoffte es, denn dann würde ich mir wenigstens nicht mehr so bescheuert vorkommen. Als ich zurückblickte, sah ich wie Nik schon bei der Hälfte des Netzes war. Seine Armmuskeln waren angespannt und er schien voll konzentriert zu sein. Es faszinierte mich, wie jeder seine Muskeln sich nach und nach anspannte, wenn er die ein oder andere Bewegung machte.
Gekonnt sprang er am Ende hinunter und lächelte mich an. Er wusste ganz genau, was er für eine Wirkung auf mich hatte. Als ich dran war, hoffte ich einfach nur drüben anzukommen, wie alle anderen vor mir auch. Als ich Boden der Plattform spürte, atmete ich auf und sah Nik, der grinsend zu mir hoch sah. Ich grinste zurück und sprang hinunter. Pia machte eine ziemlich gute Figur. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf gebunden und schaffte es mit Leichtigkeit auf die andere Seite.
„Na, wenigstens hat sich keiner von euch blamiert.“ Auch Sophie verdrehte bei den Worten Mikes die Augen und wandte sich zu uns.
„Wir werden, wie gesagt, die nächsten Wochen euren Umgang mit den Waffen verbessern und sehen, wer sich wie macht. Die Tabelle soll kein Wettbewerb werden, ich weiß dass ihr Jungs es trotzdem darauf ankommen lasst, das ist okay. Solange es nicht zu Neid und Verachtung führt, klar?!“
Die Jungs nickten und ich sah, wie Nik eine Pistole in der Hand hatte. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie machte ihn das heiß.
„Emma, ich trainier mit dir. Das mit dem Bogen ist nicht so ganz leicht.“ Ich nickte Sophie dankbar zu und zwang mich, konzentriert an die Arbeit zu gehen. Ein Klicken und schnelles rattern ließ uns zur Tabelle aufschauen. Da Martha gerade ihren Ersten Wurf mit dem Messer gewagt hatte, würde nun auch diese Disziplin angezeigt werden.
Ich sah wieder auf die Markierung am Boden, stellte mich genau an die Linie und sah Sophie fragend an.
„Wir werden jetzt erstmal nur ein paar Trockenübungen machen. Zieh das an.“ Es war eine Art Schutz für meine Finger, damit ich mich nicht an der gespannten Sehne verletzen konnte. Ich zog die Sehne bis zu meiner Nasenspitze an und ließ sie dann los. Ein leiser Aufschrei ließ alle auf mich starren und ich hielt mir den inneren Arm.
Die Sehne war an meinem Arm entlang gesaust und hatte eine Schürfwunde hinterlassen, die brannte wie sau.
„Aus dem Grund, wirst du nun auch so etwas tragen. Das ziehst du dir genau an diese Stelle hoch. Das kannst du immer tragen, da du nie wissen wirst, wann ein Angriff droht.“ Es sah aus, wie eine Bandage, wie eine Kapitänsbinde beim Fußball und kaum hatte ich es an, spürte ich es auch garnicht mehr.
Mein erster Pfeil traf noch nicht einmal die Scheibe, sondern schlug ein paar Meter hinter der Zielscheibe in die Wand ein.
„Deine Kraft ist gut, nur mit dem Zielen ist es noch nicht so ganz perfekt.“ Untertrieben war in dem Fall auch untertrieben. Die nächsten Wochen verbesserte sich meine Technik und ich traf immer öfter einen der inneren Kreise. Es waren 3 weitere Wochen vergangen, in denen wir weiter unseren Körper trainierten und die Fähigkeit, unsere Waffen zu beherrschen ausprägten. 3 Wochen die weitere blaue Flecken, Muskelkater und Verzweiflung beinhaltete. Ich sah Nik teilweise über Tage hin weg nicht, weil er mit den Jungs unterwegs im Wald war.

Wieder einmal wachte ich schweißgebadet in der Nacht auf. Immer und immer wieder verfolgte mich dieser Traum mit Jonathan und Nik. Ich war am Rande angekommen und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich konnte nicht mehr. Dieser ganze Druck, alles richtig zu machen, war verdammt schwer und manchmal glaubte ich, er würde mich in die Knie zwingen. Ich schloss die Augen, nur um Nik vor mir zu sehen. Es war beruhigend zu wissen, dass jemand dieselbe Angst teilte, wie ich. Angst, einander zu verlieren und dass die Liebe, die wir beide fühlten zu schwach war. Dabei fühlte sie sich doch so stark an, als könnte nicht mal mehr ein Blatt zwischen uns kommen. Doch ein Mensch konnte es – Jonathan konnte es.
Niks Bild war vor meinen inneren Augen und ich erinnerte mich an jedes Detail an ihm. Seine braunen Haare, die ihm immer in die Stirn fielen – seine so dermaßen atemberaubenden blauen Augen, die immer bis in meine Seele zu sehen schienen. Er war fast einen Kopf größer als ich und die Schmetterlinge in meinen Bauch flogen Loopings, wenn er seine Finger unter mein Kinn legte und mich zwang ihn anzusehen. Diese dermaßen heißen Bauchmuskeln, die ich bis jetzt zwar nur fühlen konnte, aber ich wüsste auch nicht, was mit mir passieren würde, würde ich ihn Oberkörperfrei sehen.
Schnell öffnete ich die Augen, schüttelte meinen Kopf und stand langsam auf. Ich schnappte mir meine frische Wäsche und ging ins Bad. Im Wohnzimmer war noch keiner zu sehen, es war auch noch ziemlich dunkel. Ein Blick auf meinen iPod, den ich vorsichtshalber mit ins Bad genommen hatte, zeigte mir dass es gerade mal halb 6 war. Bald würde die Sonne wieder ihre wärmenden Strahlen über den Horizont schicken und damit den nächsten Trainingstag einläuten. Mittlerweile waren schon über 6 Wochen vergangen und ich fühlte mich, als ob ich so eine Frau wäre, die totale Muskelpakete hatte.
Ich stand unter der Dusche, ließ das warme Wasser auf mich hinabregnen und dachte über Jonathan nach. Es machte mir Angst, dass ich so wenig über ihn wusste. Er war Nik so unglaublich ähnlich und doch so verschieden. Sein Charakter… wie konnte er so schlecht sein, während Nik ein so toller, hilfsbereiter Mensch war? Etwas Shampoo, das mir in die Augen lief, riss mich aus meiner Nostalgie und ich ging aus der großen Dusche raus. Ich schnappte mir das bereitgelegte Handtuch, trocknete mich ab und zog meine Unterwäsche an. Zum Glück zeigte mir der Spiegel, dass ich nicht aussah wie ein Bodybuilder – im Gegenteil. Ich hatte zwar ein wenig abgenommen, ein paar Bauchmuskeln ließen sich auch erahnen, aber eher hatte ich eine top Figur bekommen. Die kleinen Pölsterchen waren verschwunden, was mich eigentlich freuen sollte oder? Aber irgendwie fühlte ich mich fremd. Ich kam an dieses Internat um meine Schule zu beenden, um meinen Eltern einen Gefallen zu tun.
Ich könnte mich selbst ohrfeigen, wenn ich daran dachte, dass ich mein Leben immer irgendwie langweilig gefunden hatte. Nun war ich in einen Kampf verwickelt, den ich weder begonnen hatte, noch verursacht hatte aber irgendwie beenden sollte, in dem ich den Bruder meines Freundes umbrachte. Ja, selbst ob Nik wirklich mein Freund war wusste ich nicht.
Ich sah mein Spiegelbild an.
„Weißt du überhaupt was, Emma? Du bist doch sonst so allwissend und hast zu allem was zu sagen.“
Ein Kichern hinter mir ließ mich zusammen zucken. Pia stand, im Schlafanzug und sah mich grinsend an.
„Du bist ganz schön durcheinander oder?“ Ich nickte langsam. Pia schien von allen am besten zu verstehen, wie es mir ging.
„Ich weiß auch nicht… Es ist so, als ob ich mich selbst nicht mehr wiedererkenne.“ Pia setzte sich auf die Insel und ich mich auf das Sideboard und wir sahen uns an.
„Was genau meinst du?“
„Alles! Erst komm ich hierher und verknall mich Hals über Kopf in einen hammergeilen Typen, der mich dann auch noch zu mögen scheint – ja mir sogar seine Liebe gesteht, trotzdem weiß ich nicht, ob wir jetzt zusammen sind oder nicht. Dann werden wir alle in einen Krieg hineingezogen, den wir alle nicht angefangen haben aber beenden sollen und… ich komm mir selbst so fremd vor.“
Pia stand auf, stellte sich vor mich und nahm meine Hände in ihre.
„Ich selbst bin auch durcheinander. Aber Süße, sieh mal, wenn du und Nik kein Paar seid, dann weiß ich auch nicht mehr. Ihr könnt doch garnicht mehr ohneeinander. Aber wenn du dir nicht sicher bist, wie es mit euch weitergehen soll, dann frag ihn doch.“
„Ach Pia, was soll ich denn sagen? Du Nik, du hast mir zwar deine Liebe gestanden und eigentlich tun wir auch alles, was ein Paar tut, aber… sind wir eigentlich zusammen? Ich mein, was soll er denken? Nachher ist das für ihn garnichts ernstes…“
„nichts ernstes? Emma Watson, jetzt hör mir mal gut zu. Wenn das zwischen euch nichts Ernstes ist, dann fress‘ ich nen Besen.“ Ich lachte und sah sie dankbar an. Sie legte ihren Kopf schief und lächelte.
„Na siehst du.“
„Ja, aber was soll ich ihm denn sagen?“
„Emma, sag ihn einfach, wie du dich fühlst. Er wird es verstehen. Und den Rest“, sie sah mich lächelnd an, „schaffen wir alle gemeinsam.“ Ich umarmte sie und war dankbar, dass sie mir wieder Hoffnung gab.
Wenig später, als ich angezogen war und mich ein wenig geschminkt hatte, lief ich die Treppen ins Foyer hinunter. Die anderen, normalen Schüler schliefen noch und es war alles ruhig. Langsam ging ich die Stufen zu den Jungs hoch, als ich Nik am Geländer stehen sah. Ich schlich mich die letzten Stufen nach oben und stellte mich hinter ihn. Meine Hände umschlossen seinen Bauch und ich legte meinen Kopf auf seinen Rücken.
„Hey meine Süße.“
„Hey.“ Ich spürte seine warme Hand auf meiner und wie sein Daumen sanft darüber strich.
„Wie geht’s dir?“ Seine Stimme war tief, es war irgendwie beruhigend ihn zu hören.
„Ganz okay und dir?“
„Jetzt, gut.“ Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich schmiegte mich noch enger an ihn.
Sein Duft stieg mir in die Nase. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Wie fragt man jemanden, ob man nach Wochen des Zusammenseins wirklich ein Paar war? Was, wenn ich damit nur alles kaputt machte?
Langsam drehte er sich in meinen Armen um und sah mich nachdenklich an. Ich spürte seine Augen auf mir, schnell wandte ich den Blick ab. Es war einfach zu peinlich. Lieber beließ man es so dabei, als die Wahrheit ins Gesicht geschlagen zu bekommen.
„Emma, was ist mit dir?“ Ich schüttelte nur den Kopf und versuchte ein kleines Lächeln hervorzubringen.
„Nichts, alles in Ordnung.“ Er sah mich noch einmal prüfend an und sagte zu meiner Überraschung:
„Hmm, wenn du meinst.“ Irgendwie hatte ich erwartet, dass er weiter darauf rumreitet. Dass er so lange darauf beharrt, bis ich ihm sagen würde, was mit mir los ist. Irritiert sah ich ihn an.
„Du fragst garnicht weiter?“
„Nein, wieso sollte ich? Wenn du mir sagst, dass alles in Ordnung ist.“
„Aber…“
„Nichts aber, Emma. Ich weiß, dass dich etwas bedrückt. Aber wenn du noch nicht bereit bist, mit mir darüber zu reden, dann ist das in Ordnung.“ Tränen stiegen mir in die Augen und ich wusste nicht wieso. In mir drin braute sich ein Hass gegen mich selbst zusammen und ich ballte meine Hände zu Fäusten.
„Aber es liegt doch garnicht an dir. Ich… es ist nur so…ach man! Ich bin in letzter Zeit nonstop eine Heulsuse. Ich erkenne mich garnicht wieder. Das Training macht mich fertig. Ich wache jeden Tag mit neuem Muskelkater, neuen blauen Flecken und jeden Nacht plagt mich dieser blöde Albtraum von dir und Jonathan. Ich drehe noch durch.“ Ich hatte meine Hände vor meine Augen gelegt. Ich fühlte mich elend und konnte garnicht in Niks Augen sehen, aus Angst er würde mich für total verrückt halten, dabei hatte ich ihm noch garnicht gesagt, was mich am meisten beschäftigte.
Ich spürte eine Berührung an meinen Händen und realisierte, dass es Niks Hände waren, die meine langsam hinunterzogen. Er sah mich mit seinen blauen Augen an und wartete darauf, dass ich weiterredete.
„Nik, die Gefühle zu dir machen mir Angst. Ich komm hierher und das erste was ich sehe, sind deine stahlblauen Augen. Dann bringst du mich fast um den Verstand mit deinem Aussehen und deiner Art. Dann küsst du mich so atemberaubend, dass meine wackligen Knie schon fast komplett den Dienst versagen und in den letzten Wochen bringst du mich immer mehr um den Verstand. Aber ich weiß garnicht, wie es mit uns weitergehen soll. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob du … also ob wir zusammen sind und ob du mein Freund bist, sozusagen.“ Mein Kopf war mittlerweile feuerrot und ich traute mich garnicht ihm in die Augen zu schauen. Gott, war das peinlich.
„Das ist es? Das ist, was dir die ganze Zeit durch deinen Kopf geht? Ob wir zusammen sind?“ Ich sah ihm in die Augen und nickte leicht.






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