Die vier Farben des Districts - Teil 3

Autor: Riefie
veröffentlicht am: 18.05.2012


„Hey, renn mich nicht um.“
„Sorry, ich hatte nicht damit gerechnet, dass so früh schon jemand wach ist.“ Ich versuchte mir ein Lächeln abzuringen, aber verdammt tat mein Kopf weh.
„Tut es sehr weh?“ Ich sah seine Hand, wie er sie hob und dann wieder senkte. Was war denn nun los? „Komm, wir setzen uns auf die Bank.“ Ich folgte ihm zu einer der Bänke und setzte mich neben ihn. Das Pochen in meinem Kopf ließ langsam nach. Und ich ließ die Hand sinken.
„Autsch, dass sieht ja schmerzhaft aus.“ Er sah mich an und deutete auf meine Stirn. Verwirrt blickte ich ihn an. Er nahm sein Handy heraus und stellte es auf Frontkamera, damit ich die rote Stelle an meiner Stirn bewundern konnte.
„oh. Naja, solange es nicht mehr weh tut.“ Er lächelte und ohne dass ich es wollte, lächelte ich zurück.
„Was machst du so früh hier?“ Er sah mich an und schien kurz zu überlegen.
„Ich bin ein Frühaufsteher und als ich gesehen habe, das du dich im Computer auf ‚draußen‘ gestellt hattest, dachte ich, ich such dich mal.“
„Wieso mich suchen? Denkst du ich finde mich hier nicht zurück?“ Er grinste.
„Hätte ja sein können.“ Oh ja, das konnte nur zu gut sein. Ich war dermaßen untalentiert, wenn es darum ging, sich irgendwo zu Recht zu finden.
„Bei meinem Navigationssystem im Kopf, wäre das wirklich durchaus möglich.“
„So schlimm?“
„Hmm.. sagen wir es mal so. Unser Haus ist 200m² groß und ich habe 4 Wochen gebraucht, bis ich die Besenkammer nicht mehr mit dem Badezimmer verwechselt habe.“ Nik lachte und auch ich musste grinsen. Irgendwie fühlte ich mich wohl in seiner Nähe. Ich hatte das dringende Bedürfnis, jede Sekunde mit ihm zu genießen, als würde es bald nicht mehr so sein.
„Du wirkst nachdenklich?“
„Die kleine Emma geht gerne mal in ihre kleine Welt.“ Er hatte seine Ellenbogen auf seine Knie gestützt und sah geradeaus.
„Das kenn ich. Wieso bist du eigentlich hierhergekommen?“
„Meine Eltern sind Anwälte und kurz vor den Sommerferien haben sie einen mortz wichtigen Fall für einen Steuerkonzern bekommen. Sie wollten nicht, dass ich alleine bin.“ Er nickte, doch sein Blick war weiter in die Ferne gerichtet.
„Und du?“ Als hätte ich ihn gefragt, ob die Erde zwei Monde hat, starrte er mich an. Dann senkte er den Blick und sah wieder geradeaus. Was war denn bitte dahinten so spannendes?
„Ungefähr genauso.“ Sehr informativ. Naja, wenn er nicht wollte.
„Meinst du, diese Pia hat einen Freund?“ Schon wieder Pia? Warum konnte er nicht nach mir fragen?
„Nein, so viel ich weiß nicht. Wieso?“ Nik wandte sich mir wieder zu und grinste verschwörerisch.
„Weil Jason ein Auge auf sie geworfen hat.“ Ui, achso. Na wenn das so war.
„Lust auf drei Verkupplungsaktionen?“ Ich grinste und nickte. „Darf ich dich was fragen?“
Er legte seinen Kopf schief und lächelte. „Klar, fragen kann man immer. Ob man eine Antwort bekommt, ist eine andere Sache.“ Ich nickte und atmete einmal tief durch.
„Wieso hast du eigentlich niemand?“ Er sah mich leicht irritiert an und grinste dann.
„Wer sagt, dass da niemand ist?“
„Naja…also.“ Klar, Emma, nur weil Leo und Martha das behaupten, heißt das nicht, dass es auch so ist. Guck ihn dir doch mal an, der sieht dermaßen gut aus. Als ob der nicht irgendeine am Start hatte.
Ein wenig geknickt war ich jetzt diejenige, die den Blick abwandte.
„Klar, natürlich hast du wahrscheinlich eine. Leo und Martha meinten nur, du wärst der Einzige der noch keine Freundin hier gehabt hat.“
„Ganz so stimmt das nicht. Jason hatte auch noch keine.“
„Oh, okay. Naja, ich wollte auch nicht neugierig sein. Ich hatte mich nur gewundert.“
„Da war noch niemand, weil ich nicht auf der Suche war. Ich mein, es brauch schon mehr als eine große Oberweite, einen tollen Körper und Ansehen um mich zu überzeugen. Was nützt mir denn allen Ernstes die heißeste Frau, wenn ich mich mit ihr über garnichts unterhalten kann?“
Baff! Ja, das war ich. Baff! So eine Antwort hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Der sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch noch was im Köpfchen. Wenn der jetzt noch… nein das würde er eh nicht.
„Stimmt schon. Aber du hast so viel Auswahl. Da wird es doch sicherlich eine geben, die dir gefällt und mit der man auch reden kann.“
„Um ehrlich zu sein, nein. Entweder hatten die alle schon was mit Dave oder sie sind nur wegen meines Aussehens hinter mir her. Keine macht sich auch nur die Mühe, meinen Charakter kennen zu lernen. Aber genug von mir, was ist mit dir? Gibt’s jemanden in deinem Leben?“ Aaah, falsches Thema. Könntest du bitte das Thema wechseln? Bitte? Bitte?!
„Nein, da gibt es niemanden. Irgendwie schein ich nicht der Typ Mädchen zu sein, auf den die Jungs stehen.“ Na Madame Emma, das war jetzt aber mal ehrlich. Übertreiben muss man es ja nicht.
„Warum?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Wenn ich das wüsste, wäre ich wahrscheinlich allwissend. Irgendwie scheinen die mich alle nur als Kumpel zu sehen.“
„Aber du bist doch hübsch?“ Eine leichte Hitze in meinen Wangen zeigte mir, dass ich ein wenig rot geworden war.
„Wie du schon gesagt hast. Hübsch sein ist nicht alles. Irgendwie scheint ihr Jungs mehr auf gebrechliche, süße Mädchen zu stehen, die dahinschmelzen, wenn ihr sie anseht. Die meisten mögen es wahrscheinlich nicht, wenn ich so schlagfertig bin.“
„Dann müssen die Jungs, denen du bisher begegnet bist, entweder blind oder bescheuert gewesen sein. Oder beides.“ Er lächelte mich an, stand auf und hielt mir seine Hand hin. „Komm, ich zeig dir meinen Lieblingsplatz.“ Ich nahm seine Hand und vermutete, dass er mir nur half, aufzustehen, doch er hielt sie fest und zog mich sachte hinter sich her. Wir gingen an der Sporthalle, dem Sportplatz vorbei und liefen in den Wald hinein. Schon bald hörte ich das Rauschen des Meeres und war gespannt, wie ein Flitzebogen. Die Bäume lichteten sich und wir kamen an eine freie Stelle, mit ein paar Felsbrocken, die einen Hang hinaufführten. Er ging vor und half mir, wenn es etwas steiler wurde. Nik war schon oben angekommen, als er mir die Hand entgegenstreckte und mich hochzog.
Die kalte Meeresluft drang in meine Nasse und verwuschelten meine Haare. Das weite Meer lag vor uns und ich sah die Wellen weit unten auf den Strand spülen.
In der Sekunde, wo mein Kopf realisierte, dass er gerade die Wörter weit oben ausgespuckt hatte, war es vorbei. Ich stolperte einen Schritt zurück und riss die Augen auf.
„Emma, was ist los?“ Ich schüttelte nur den Kopf und zeigte auf den Abgrund. Hach du Schande. Meine Höhenangst. Ich hatte meine verflickste Höhenangst vergessen. Das hast du davon Emma Watson! Anstatt deinen ach so tollen Nik anzuschmachten, hättest du lieber mal realisieren sollen, das ihr „geklettert“ seid.
„Du hast Höhenangst?“ Ich nickte zaghaft und merkte, wie meine Knie anfingen zu zittern. Ich musste aussehen, wie ein Huhn, das die Axt der Köchin sah.
„Okay, keine Angst. Setz dich hin.“ Ich spürte die warmen Hände Niks, die meine umschlossen und ließ mich von ihm auf den glatten Felsboden führen. Als ich mich hingesetzt hatte, setzte er sich hinter mich.
„Besser?“ Nein, es war ganz und garnicht besser. Konnte er sie nicht irgendwie einfach festhalten? Einfach in den Arm nehmen und mir zeigen, dass ich irgendwo hier oben angebunden war? Und als hätte ich es laut ausgesprochen, schlang er die Arme um mich und ich spürte seinen Herzschlag durch seine Jacke.
„Jetzt?“ Ich nickte zaghaft und als hätte mein neues Ich-bin-jetzt-super-mutig-und-schmeiß-alle-Vorurteile-über-Bord-Dasein sich wieder durchgesetzt, lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Nach und nach spürte ich, wie mein Herzschlag langsamer wurde und sich meine Glieder wieder entspannten.
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages griffen am Horizont den Himmel an. Es kitzelte auf der Haut, doch die wohlige Wärme ließ den kühlen morgen keine Chance. Man konnte fast sagen, die Sonne gab dem Mond gerade ihre tägliche Abfuhr. Ich war mir nicht sicher, wie lange wir hier saßen. Minuten oder gar Stunden? Die Sonne ging im Morgen relativ schnell auf, was mir nicht gerade bei der Orientierung half. Langsam richtete ich mich auf und blickte über die Schulter.
Niks Lächeln war einfach umwerfend. In seinen Augen spiegelte sich die Sonne und schien sein blau, genau wie das Meer, sanft zu wecken. Ich weiß nicht, seit wann ich so einen Kitsch dachte, aber um ehrlich zu sein, gefiel es mir. Mir gefiel gerade alles. Ich saß mit dem wirklich atemberaubensten Typen, den ich jemals gesehen habe, auf einem Felsen und beobachtete wie die Sonne über dem Meer aufging.
„Ich denke, wir sollten langsam zurückgehen.“ Puff! Da war die romantische Stimmung auch schon geplatzt. Er stand auf und streckte sich, während ich versuchte mir keine Sorgen um den Abstieg zu machen. Er hielt mir wieder seine Hand hin, diesmal aber nur, um mir hoch zu helfen.
Meine Knie fingen sofort wieder an zu zittern und ich kam mir vor, wie ein Fohlen was gerade auf die Welt gekommen war.
„Ich werde langsam runter gehen und dir helfen. Hab keine Angst, Emma.“ Na, wenn er das sagte. Und tatsächlich in Null Komma Nix waren wir unten angekommen und liefen schweigend den Weg zurück zum Treppenhaus. Als die Zeit gekommen war, sich für die nächsten Stunden zu verabschieden, schien es mir, als würde ich innerlich den Tag schon zu den „Toll-Angefangen-Scheiße-Geendet-Tagen“ abheften. Ich sollte mich wirklich noch bei ihm bedanken. Ich sollte mich bei bedanken. Bedanken.
„Wir sehen uns dann später beim Frühstück.“ Ich nickte nur mechanisch und stieg rechts die Treppen zum Mädchensaal hinaus. Toll, Emma, klasse! Anstatt bedanken zu denken, solltest du mal aufhören zu denken und was s a g e n. Ich hatte die Aktion getan, bevor ich sie überhaupt zu Ende gedacht hatte. Ich drehte mich um, lief die letzten Stufen wieder runter und die anderen wieder hoch.
„Nik!“ Er blieb am oberen Treppenansatz stehen und sah mich verblüfft an. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und lächelte.
„Ich habe wieder vergessen, mich bei dir zu bedanken.“ Er lächelte zurück und wandte sich vollends mir zu.
„Kein Problem. Ich fand es sehr schön, endlich mal in Gesellschaft einer Frau zu sein, die nicht andauernd versucht mich anzuflirten.“ Gut, okay. Dann schien ich ja in der Hinsicht alles richtig gemacht zu haben.
All mein Mut verließ mich und während ich mich schon zum Gehen wandte, sagte ich noch: „Danke für den tollen Morgen. Wir sehen uns dann später.“ Und schon war ich weg. Ich rannte die Treppen nach oben, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Was hatte das denn eben zu bedeuten? Also war ich nur sowas wie… ja wie der Kumpeltyp? Alle anfänglichen Hoffnungen schienen auf einmal zu zerbrechen. Die kleine Pflanze in mir, hatte wohl jemand vergessen zu gießen. Niedergeschlagen ging ich in unseren Saal wo Pia in unserer Küchenecke stand und eine Tasse in der Hand hielt.
„Guten Morgen, Kaffee?“ Ja, das dunkle koffeinhaltige Getränk brauch ich jetzt nun wirklich. Elender Kaffeejunkie!
„Guten Morgen, ja bitte.“ Sie drückte auf den Knopf unserer High-End Kaffeemaschine und ich hielt schon kurz darauf, einen warmen Cappuccino in meinen Händen.
„Zucker?“ Sie reichte mir den Zuckerstreuer und lehnte sich wieder an den Tresen.
„Wo warst du denn schon so früh?“
„Ich war ein wenig spazieren, konnte irgendwie nicht mehr schlafen.“ Sie nickte und sah mich weiterhin an. Wusste sie es etwa?
„Ich bin ein wenig durch die Flure gegangen und habe unten beim Bildschirm gesehen, dass du und Nik außerhalb seid. Habt ihr euch getroffen?“
Schnell nahm ich noch einen Schluck meines leckeren Cappuccinos, ehe ich zum Fensterblickend sagte: „Naja, erst bin ich voll mit ihm zusammengerasselt und dann weiß ich auch nicht mehr, was ich von den nachfolgenden Situationen halten soll.“ Pia sah mich immer noch an und deutete mir, sich mit auf die blaue Couch zu setzen.
Kurzerhand fegte ich meine Stiefel von meinen Füßen und machte es mir im Schneidersitz bequem.
„Was ist denn noch genau passiert?“
„Also es war so, ich hab so vor mich hingesungen und kam grad auf den Innenhof zurück, als ich mit voller Wucht gegen Nik geknallt bin.“ Ich deutete auf die Stelle, die vorhin noch rot war. Pia nickte.
„Und dann?“
„Ja, dann haben wir uns an den Brunnen gesetzt und geredet. So über dies und jenes, warum er hier ist usw. Auf jeden Fall stand er auf einmal auf, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her um mir seinen Lieblingsplatz hier zu zeigen. Ich dachte echt, mich tritt’n Pferd.“ Pia fing an zu grinsen und setzte sich aufrecht hin. Ich schlurfte kurz an meinem Cappuccino, zupfte an meiner Hose rum und sah sie dann wieder an.
„Wir sind dann halt auf so einen Felsen geklettert und ich hab totale Höhenangst und richtig Panik bekommen. Dann haben wir uns auf den Boden gesetzt und er hat mich von hinten umarmt. Keine Ahnung wie lange wir da so saßen, bis er dann auf einmal es eilig hatte, ins Haus zurück zu kommen.“ Geknickt sah ich dem Milchschaum zu, wie er sich langsam zu verflüchtigen schien. Ja, ich hatte mir Hoffnungen gemacht. Wieso auch nicht? Ich mein, er hat mich immer so oft angesehen, dann als er heute Morgen meine Hand nicht mehr los ließ. Ich verstand garnichts mehr. Ich sah Pia an, die schwer zu überlegen schien.
„Weißt du, irgendwie finde ich das schon komisch und ein Wink des Schicksals.“ Hä? Wie, was war’n jetzt los?
„Wie meinst du das denn jetzt?“
„Na sieh mal. Leo will was von Finn, Martha ist dermaßen in Phil verschossen und du scheinst ja auch einen Narren an Nik gefressen zu haben. Und ich…“
„Jason?“ Sie nickte zaghaft.
„Gestern, beim Fußball spielen, als du in den Krankenflügel gegangen bist, haben alle auf Dave eingeredet, wie scheiße das doch war. Ich kenne ihn ja nicht so gut, deshalb wollt ich nicht gleich wie die letzte Zicke dastehen und hab mich halt im Hintergrund gehalten und naja, Jason kam zu mir und irgendwie… hat da was geknistert. Kann aber auch pure Einbildung sein.“
Ich überlegte, immerhin wusste ich von Nik das Jason ein Auge auf sie geworfen hat.
„Das hast du dir nicht eingebildet.“ Ihre Augen wurden groß und ich hatte schon Angst, dass sie jetzt gleich durchs ganze Zimmer rennen und Luftsprünge machen würde. Doch sie blieb einfach stillsitzen und sah mich neugierig an. Okay, dann rede ich halt weiter.
„Nik hatte sowas erwähnt. Er quetscht mich schon seit gestern über dich aus, angeblich wegen Jason. Aber wenn ich es mir so recht überlege, irgendwie hast du Recht. Das ist wie in einem schlechten Kitschroman. 4 Jungs, 4 Mädchen – alle auf einmal ineinander verschossen. Die Jungs checkens nicht und wir sitzen hier rum und machen uns trübe Gedanken.“ Pia nickte und unsere Blicke wanderten zur Schlafzimmertür. Martha kam gerade in ihrem Schlafanzug, der aus einer langen karierten Hose und einem Top bestand, heraus.
„Guten Morgen!“ Pia und ich musste uns angrinsen, da wir es gleichzeitig gesagt hatten. Martha winkte uns nur zu und ging zur Kaffeemaschine. Als sie den ersten Schluck aus ihrer Tasse genommen hatte, setzte sie sich zu uns und sah uns entschuldigend an.
„Guten Morgen. Sorry, aber bevor ich nicht einen Schluck Kaffee getrunken hab, bin ich nicht ansprechbar.“
„Noch ein Kaffeejunkie.“ Ich wusste jetzt schon, dass der Kaffeekonsum in dieser echt außergewöhnlichen Gruppe enorm sein würde. Auch Leo steckte jetzt ihren orangefarbenen Lockenkopf durch die Tür und grinste uns müde an.
„Gibt’s Kaffee?“ Die Blicke die Pia, Martha und ich uns zuwarfen sprachen Bände. 4 Kaffeesüchtige in einem Zimmer, das konnte ja nur was werden. Irritiert über unseren Lachanfall sah Leo uns an, ehe sie die drei Kaffeetassen in unseren Händen sah und einstimmte.
Wir saßen alle zusammen auf der blauen Eckcouch und sahen ein wenig fern, als es an der Tür klopfte. Nach einem allgemeinen „Herein“ steckte Sophie den Kopf durch die Tür und sah uns an.
„Oh gut, ihr seid schon wach. Guten Morgen.“
„Guten Morgen Sophie. Was machst du denn schon so früh hier?“ Wie spät war es eigentlich? Ich schaute auf die große, silberne Uhr die über dem Fernseher an der Wand hing. Es war gerade halb 9 durch. Sie setzte sich zu uns, lehnte aber einen Kaffee dankend ab.
„Es geht um folgendes. Nun es ist etwas kompliziert.“ Wir alle saßen gespannt da und hörten Sophie zu. Doch bei ihrem weiteren Gespräch, stellten sich mir die Nackenhaare auf. Kann mich mal jemand aufwecken?
„Ihr hattet letztes Jahr gesagt bekommen, dass euer Unterricht dieses Jahr komplett anders sein wird. Nun hier ist der Grund. Dies ist kein normales Internat. Wir sind nicht darauf aus, verzogene arrogante Kinder wieder in die richten Bahnen zu bringen oder Leuten wie euch,“ sie sah eine nach der anderen an, „deren Eltern vielbeschäftigt sind, einen Unterschlupf zu bieten. Es geht hierbei eher um eine Art… nun ja, Kampfakademie.“ Ich sag ja, ich bin im falschen Film. Was denn für eine Kampfakademie? Sollten sie sich jetzt hier gegenseitig die Köpfe einschlagen oder wie?
„Naja es geht darum, ihr alle habt bestimmte Fähigkeiten, die in euch sind. Der ein oder andere hat vielleicht schon mal was davon gemerkt, der andere wiederum nicht. Diese Fähigkeit ist in euch und wir hier bilden sie aus.“
„Ja, wie jetzt? Wir haben alle eine bestimmte Fähigkeit? Und wozu soll die gut sein? Ich mein, wir werden wohl kaum in den Iran geschickt werden? Was ist hier wirklich los?“ Hui, Leo hatte es ganz schön in sich. Naja, irgendeiner musste hier ja mal das Wort ergreifen und wir anderen, schienen ein wenig zu überrumpelt. Martha hatte vorsichtshalber ihre Tasse auf den Tisch gestellt und auch Pia griff ihre Tasse fester, als ob gleich irgendwas zu Bruch gehen würde.
„Genau, jede von euch hat eine bestimmte Gabe. Welche genau, werdet ihr von euren Trainern erfahren. Natürlich werdet ihr nicht in den Iran geschickt. Nein, wir kommen zum heikleren Thema.“ Wie noch heikler? Hallo, du versuchst uns hier gerade zu verklickern, dass wir in einer Welt leben, in der es sowas wie Zauberei gäbe. Da kann doch nichts heikler sein.
„Also, es geht genau genommen darum. Es gibt in unserer Welt eine Regierung namens District. Das District ist eine Organisation von Kämpfern, in allen möglichen Kategorien. Es gibt sowohl welche, die mit Waffen kämpfen, andere mit besonderen Fähigkeiten und wiederrum andere die sich auf alte Waffen spezialisiert haben, wie Pfeil und Bogen.“
„Wie, du willst uns hier weis machen, dass wir in einer Welt Leben, in der es eine Geheimorganisation gibt, die Menschen wie uns zu Kämpfern ausbilden? Bringen die Menschen um oder wie?“
Sophie sah mich eindringlich an. Die Tante meint es wirklich ernst.
„Nein, ihr bringt in dem Sinne keine Menschen um. Zumindest nicht vorsätzlich. Ich will euch das jetzt mal genau erklären, hört mir bitte zu.“ Wir nickten, wenn auch widerwillig.
„Man könnte District als eine Art Geheimorganisation bezeichnen, die sich allem entgegen stellt, was versucht sich die Weltherrschaft unter den Nagel zu reißen.“
„So wie Terroristen?“ Martha schien das alles ziemlich gefasst aufzunehmen, ja gar neugierig zu sein.
„Ja genau. Nur geht es hier um viel schwerwiegendere Menschen, als nur Terroristen. Nicht nur ihr besitzt solche Gaben, es gibt durchaus welche, die sind Stärker und leider gehören diese Leute nicht gerade zu unseren Freunden. Im Gegenteil, sie bedrohen die Menschen und sind skrupellos.“
Sie fuhr sich durch ihre kurzen roten Haare und sah uns über die Brille hinweg an.
„Wir nennen sie die Silvers. Man nennt sie aber auch die Abtrünnigen. Einst war die Organisation wie eine große Familie. Mein Vater war auch einer von ihnen, bevor er von einem der Silvers getötet wurde.“
„Oh!“
„Ja, die Organisation hat eine Waffe hergestellt, der es möglich ist, die Fähigkeit oder wie es eigentlich genannt wird, das Han eines anderen an sich zu nehmen. Je mehr man von diesen Fähigkeiten besitzt…“
„…desto mächtiger ist man?“ Pia schien so langsam heller zu werden, auch die anderen schienen allmäßig alles begreifen zu können. Nur ich, ich kam mir vor, wie aus irgendeinem Buch entsprungen. Ja, wie bei Tintenherz, auf einmal in einer völlig anderen Welt mit bösen Menschen und Geheimorganisationen und ach, wie müssen noch die Welt retten. Puh!
„Genau. Die Silvers versuchen diese Waffe schon seit Jahren an sich zu reißen und … vor kurzem ist es ihnen gelungen.“
„WAS?“
„Ja, leider. Die Silvers werden angeführt von einem Jungen namens Jonathan. Er ist nicht wesentlich älter als ihr. Er ist gerade mal 22 und war, als er hier auf das Internat kam, einer der mächtigsten Treys die ich je gesehen habe. Wir bildeten ihn aus und er wollte mehr und mehr macht. Die Organisation fand ihn irgendwann für zu gefährlich und wollte ihm sein Han entziehen. Daraufhin verschwand er spurlos und nahm einige mit sich.“
„Und was haben wir damit zu tun? Ich mein, keiner von uns hat jetzt besondere Fähigkeiten, zumindest weiß keiner was von ihnen.“
„Doch, eine von euch hat schon früh angefangen sie zu entwickeln.“ Sie warf mir einen Blick zu und als ich alle Augen auf mir spürte, platzte mir doch glatt der Kragen. Ich sprang auf.
„Was willst du mir denn hier eigentlich erzählen Sophie?! Das wir hier alle super toll zaubern können? Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass die Geschichte meiner Eltern über meine „Stopp-Szenarien“ wahr sind? Ich glaub es hackt. Und ihr glaubt den ganzen Schwachsinn auch noch?“
Die anderen nickten sachte, als Sophie aufstand und sich mir gegenüber stellte.
„So, du nennst also das was ich dir erzähle Schwachsinn?“
„Ja, genau das tu ich! So ein Quatsch. Das ist doch alles nur Humbug.“
„Also nennst du meinen Vater einen Schwachmaten und mich eine Lügnerin?“
„Ja, genau das tu ich.“
„Achja? Und den Tod meines Vaters habe ich mir auch eben mal nur so ausgedacht? Emma Watson, es ist mir scheiß egal ob du eine der Vieren bist, aber so redest du nicht mit mir. Ich werde dir zeigen, was Manieren sind, zieh dich warm an.“ Was war denn jetzt kaputt gegangen? Sie hob ihre Hände und irgendein Schleier schien um sie zu schweben. Ja, die Luft neben ihr vibrierte und das bildete ich mir nicht ein. Solangsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Na dann wollten wir mal meine Fähigkeiten testen. Ich hob meine Hände und spürte kurz darauf eine Hitze in ihnen.
„STOPP!“ Als hätte sich eine unsichtbare Wand sich zwischen Sophie und mir aufgebaut, blieb sie abrupt stehen. Sie ließ ihre Hände sinken und grinste.
„Ich habe es dir doch gesagt.“ Ich stand immer noch mit ausgestreckten Händen da und spürte verwirrt diese Hitze, die immer unerträglicher wurde.
„Du kannst mich nun ruhig frei lassen.“
„Was? Wie?“
„Senk deine Arme.“ Als hätte ich mich verbrannt zuckten meine Hände zurück und sah mir meine Handflächen an. Sie waren leicht gerötet und hatten an der ein oder anderen Stelle kleine Bläschen.
„Das passiert nur, weil du deine Fähigkeit noch nicht richtig im Griff hast.“
Ich setzte mich wieder zu den anderen, die mich ungläubig anstarrten. Auch Sophie setzte sich zu uns und sah mich entschuldigend an.
„Glaubst du mir nun?“
„Ja, tu ich ja nun auch. Aber… es ist einfach so unrealistisch.“
„Ich weiß.“
„Naja, aber was haben wir vier denn jetzt damit zu tun?“ Leo schien ihre Stimme wiedergefunden zu haben.
„So wie es in Geschichten immer Vorhersagen gibt, so gibt es die hier auch. Kennt ihr den Film The Wanted?“ Wir nickten alle.
„Nun, so wie da die Opfer auserwählt werden, so macht das bei uns ein altes Buch. Es war schon lange die Rede davon, dass es einmal 4 Farben geben wird. 4 Farben eines Hans, geteilt in 4 Menschen. Eines Tages, wenn der Abtrünnige seine Krieger um sich schart, werden die 8 Tribute sich erheben und ihn bezwingen.“
„Vier Farben? Das sind wir?“
„Genau, ihr vier seit die Farben und 4 der 8 Tribute.“
„Der Abtrünnige ist dann wohl dieser Jonathan.“ Sophie nickte mir zu. Hui, das war ja ganz schön viel auf einmal.
„Aber wer sind die anderen vier Tribute?“ Na lass mich mal raten.
„Nik, Dave, Jason und Finn.“ Bingo! Während sich die anderen darüber freuten, graute mir unheimliches. Was war das denn nun? Wir vier, die vier zusammen gegen das Böse?
„Sophie, was sind das denn nun für Fähigkeiten?“
„Naja, dann werde ich es euch sagen. Pia hat die Gabe des Wassers. Sie kann Wasser dort entstehen lassen, wo es keine gibt. Sie kann es beherrschen und ihm jegliche Form geben.“
„Also ich kann zum Beispiel einen Strudel entstehen lassen oder eine große Kugel in der ich einen Silver einsperre?“
„Genau. Leo hat die Stärke des Feuers auf ihrer Seite.“ Na das passte ja.
„Hui, ich kann also einfach mal so einen dieser…Silver anfackeln?“
„Ja, das könntest du.“
Sie wandte sich Martha zu und sah ihr tief in die Augen.
„Du hast wohl eine der interessanten Gaben. Du bist praktisch das Gehirn. Du hast für alles eine Antwort, kennst dich in Sekundenschnelle überall aus und hast ein navigatisches Gedächtnis.“
„Na, das ist ja nicht so spannend, obwohl es zu mir passt. Ich hatte nie Probleme, mich irgendwo zurecht zu finden oder etwas neues zu lernen.“
„Naja, das ist nicht alles. Du kannst unter anderem sehr gut mit Messern umgehen. Damit meine ich nicht in der Küche, sondern du beherrschst die Kunst des Messerwurfes.“
„Achso okay. Hab ich bis jetzt noch garnichts gemerkt.“
„Das kommt schon noch, wenn ihr eure Sachen trainiert. Nun zu dir, Emma. Du hast die wohl stärkste und bedeutsamste Gabe.“
„Was, das ich Stopp rufen kann?“
„Nein, du beherrschst nicht nur das. Du bist die wahrscheinlich größte Bogenschützin, die ich je gesehen habe und dazu, kannst du jetweges Geschoss, egal ob Kugel, Pfeil oder Messer in der Luft drehen und umlenken.“
„Wissen es die Jungs schon?“
„Ja, ich war vorhin bei Ihnen und ich kann euch sagen, bei ihnen war es wesentlich leichter, sie zu überzeugen.“
Mit diesen Worten stand sie auf und ging zur Tür, ehe sie sich nochmal umwandte.
„Macht euch darüber Gedanken. Ihr wisst wo ihr mich findet, wenn ihr fragen habt. Und…ihr müsst das nicht tun. Es steht euch frei, diese Herausforderung anzunehmen oder euer Han abzugeben.“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz