Die vier Farben des Districts - Teil 2

Autor: Riefie
veröffentlicht am: 17.05.2012


„HABEN WIR DOCH RICHTIG GEHÖRT, DASS IHR BEIDEN SCHON DA SEID!“
Ich hob meinen Kopf, genau wie die anderen und entdeckte ganz oben am Geländer stehen, vier Gestalten. Ein schwarzhaariger Junge lehnte mit seinen Armen auf der Brüstung und grinste hinunter.
Moment mal, schwarze Haare? Gutaussehend? Emma, du bist ein Vollpfosten. Ich sah zu Martha. Natürlich, das musste Dave sein.
„HEY JUNGS. WAS MACHT IHR DENN SCHON HIER?“ Leo winkte viel zu übertrieben hoch. Demnach mussten die anderen Jason, Finn und dieser ominöse Nik sein. Mal sehen, was das so für Typen sind.
„WIR MÜSSEN NOCH TRAINIEREN, FÜR DIE MEISTERSCHAFT. WARTE, WIR GEHEN NOCH KURZ INS ZIMMER UND KOMMEN DANN ZU EUCH RÜBER.“
„ALLES KLAR, ABER WIR ZEIGEN DEN BEIDEN HIER NOCH DEN REST. HALBE STUNDE?“
„JO!“
Die vier Gestalten zogen sich zurück. Ich sah Leo und Martha an.
„Es ist mir ein Rätsel, wie die noch nicht merken konnten, dass ihr total in die verschossen seid.“
„Was? Wieso?“ Ach du heilige Kanonenschachtel. Die merken ja schon garnichts mehr.
„Leute, ihr himmelt die ja praktisch an.“ Ich stellte mich an die Brüstung, schaute hoch und winkte übertrieben, so wie Martha es getan hatte.
„Ach ist doch garnicht wahr.“
„Doch, Emma hat Recht.“ Pia und ich grinsten uns an. Wir liefen die Treppen hinunter, den langen Gang entlang und ins Foyer.
„Also hier gibt es folgende Regeln. Wir haben Freiheiten, was unser Freizeitleben betrifft. Wir dürfen unter der Woche bis Mitternacht raus, am Wochenende bis 3 Uhr morgens. Wir dürfen sowohl in die Stadt, in den Wald, zum Schwimmbad und zum Strand.“ Wie? Was ist’n das für ein Internat? So lange raus? Ich bin hier irgendwie im falschen Film.
„Die einzige Bedingung ist, dass ihr euch hier an der Tafel an- und abmeldet. Das geht so.“ Ein großer Touchscreen hing an der Wand und Leonie tippte darauf.
Erst auf die Etage, dann das Zimmer und dann den eigenen Namen. Die Optionen draußen, drinnen, krank und ausgecheckt standen zur Verfügung.
„Hier tippt ihr dann halt jeweils an, was ihr braucht. Krank solltet ihr dann anwenden, wenn ihr halt nicht zum Unterricht erscheinen könnt. Im Allgemeinen gibt es hier keine Fehlzeiten oder Entschuldigungen. Aber Sophie wird nach mehrmaligen Fehlen natürlich mal nach euch schauen. Wir haben hier auch keinen normalen Schulunterricht. Also zumindest dieses Jahr nicht mehr. Aber letztes Jahr hat man uns nur gesagt, dass wir es beim kommenden Schuljahr erfahren würden.“
„Wie keine normalen Schulzeiten?“
„Wie gesagt, wir wissen es auch nicht.“ Leo zuckte nur mit den Schultern und deutete nun auf den Gang, aus dem heute Morgen Sophie gekommen war.
„Also wir gehen jetzt den Weg entlang. Der führt in den anderen, größeren Trakt des Gebäudes.“
Wir gingen an den verschiedensten Türen vorbei, die mit Krankenstation, Sekretariat, Vertrauenslehrer und eine große Tür, die mit den Worten Innenhof gezeichnet waren. Ich ging als erste durch die große Tür und fand mich auf einem großen Hof wieder. In der Mitte stand ein Brunnen umrandet mit lauter Holzbänken. Ein sandiger Weg lief rechts zu einer großen Halle, ein anderer ging links zu einem anderen Gebäude und hinter dem Brunnen konnte sie ein ebenes Gebäude erkennen, welches die Aufschrift „Kantine“ zierte. Martha hatte sich vor uns gestellt und zeigte nun auf einen der beiden Wege.
„Der rechts geht zu unserer Sporthalle, aber wenn es schönes Wetter ist, trainieren wir draußen. Der große Sportplatz liegt hinter der Halle. Das ist unser Schulgebäude. Es sieht zwar sehr klein aus, ist aber relativ lang gezogen.“ Sie zeigte auf das Gebäude links von uns. Die Kantine verstand sich ja von selbst. Wir gingen zurück zu unserem Zimmer.
Ich bin mir noch nicht wirklich sicher, wie ich das hier alles finden soll. Erst dieser komische Brief, der sich angehört hat, wie ein komischer Abklatsch von den Hogwartsbriefen und nun auch noch dieser komische Unterrichtsstil der mich erwarten sollte. Ist das hier irgendwie ein schlechter Scherz?
Wir hatten unser Zimmer erreicht und ich schloss die Tür hinter mir, als ich auch schon eine tiefe, männliche Stimme vernahm.
„Ach da seid ihr ja. Wir haben es uns schon mal gemütlich gemacht.“ Martha und Leo gingen auf die Jungs zu, die sich auf unsere große blaue Eckcouch gesetzt hatten und umarmten sich gegenseitig. Meine Güte, entweder waren die Jungs echt zu bescheuert oder noch bescheuerter. Das die das nicht merkten. Pia stand neben mir und sah mich unschlüssig an. Ich zuckte nur mit den Schultern, als ich auch schon einen mir garnicht passenden Spruch hörte.
„Hui, wer sind denn diese heiße Schnitten? Eure neuen Zimmergenossinnen?“ Dave, so vermutete ich anhand seiner schwarzen Haare und Marthas schmachtenden Blick, blickte erst Pia von oben bis unten an und blieb dann an mir hängen. „Da ist ja eine heißer als die andere.“ Testosteron gesteuerter Mistkerl. Ich bin hier keine Ausstellfigur und auch nicht taub, was bildetete der sich eigentlich ein? Na warte, ich war nicht geblendet von seinem ach so unwiderstehlichen Charme.
„Dann pass mal auf, dass du dich nicht gänzlich verbrennst.“
Ich sah einen blonden Jungen lachen und ordnete ihn als Jason ein. Seine blauen Augen musterten mich amüsiert.
„Oh Dave. Da hast du wohl endlich mal eine, die dich in deine Schranken weist.“
„Haha, Jason, du scheinst echt deinen humorvollen Tag zu haben.“ Dave schien nicht gerade begeistert über meinen Konter. Zufrieden setzte ich mich auf einen der weißen Sessel und betrachtete die Jungs. Dave schien wirklich ein Aufreißer Typ zu sein, aber irgendwie war er garnicht so unsymphatisch. Jason war wohl der witzige Typ, der Kumpeltyp, wie ihn Leo beschrieben hat. Er sah nicht schlecht aus, aber irgendwie auch nicht ihr Typ.
„Tja Dave, ich schätze mal, bei ihr wirst du keine Chance haben.“ Aus irgendeinem, mir schier unerklärlichen Grund jagte mir diese Stimme eine Gänsehaut über den Rücken. Ich sah mir den Übeltäter genau an. Seine hellbraunen Haare fielen ihm in die Stirn, die er mit einem leichten Kopfschütteln zur Seite machte. Sichtbar wurden die geilsten Augen, die ich je gesehen habe. Sein Blick ruhte unaufhörlich auf mir und es jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Das musste Nik sein. Was war denn nun los? Emma Watson, krieg dich gefälligst wieder ein. Das wird ja noch peinlich mit dir. Ja, er sieht gut aus und hatte was Verbotenes an sich, na und?! Er ist nur ein Mann. Ja, und ich eine Frau…er sieht verdammt heiß aus. Sag mal geht’s noch. Ich rast gleich aus. Reiß dich zusammen. Ich hatte mich selbst vor Augen, wie ich einen Engel auf der einen und einen Teufel auf der anderen Seite stehen hatte, die über meinen Kopf hinweg diskutierten.
Ich zwang mich, meinen Blick abzuwenden und sah mir Finn genauer an. Leos Finn, wie ich ihn jetzt insgeheim nennen werde. Ihn hatte man mir nicht beschrieben. Er schien ein ziemlich lustiger Typ zu sein. Er hatte kurzrasierte blonde Haare und grau-grüne Augen.
„Sag mal, hab ich irgendwas im Gesicht oder warum schaust du mich so an?“ Huch, das war wohl etwas rauer rübergekommen, als ich es wollte. Aber ich hasste es, wenn mich Leute die ganze Zeit ansahen. Nik hatte ja wohl genug andere Punkte, die er anglotzen konnte. Er hob beschwichtigend seine Hände und wandte den Blick ab. Ohne eine Antwort! Ach so einer war er. Fühlte sich zu cool, eine Antwort zu geben. Na Klasse.
„Gewöhn dich dran. Nik beobachtet mehr, als das er was tut.“ Dave grinste mich an. Der schien ja echt von sich überzeugt zu sein.
„Ganz im Gegenteil zu dir was? Lieber einen Handgriff mehr, als etwas zu verpassen. Die Hand könnte einschlafen.“ Oh ja, schlagfertig war ich ja.
„So, da gefällt dir also einer von uns besser als der andere?“
„Ach spielen wir jetzt darauf an? Naja, wenn’s darum geht, mach dir keine Sorgen. Wenn es so wäre, wärst du der letzte dem ich das sagen würde. Nicht das du noch an gekänktem Stolz stirbst.“
Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich das verdatterte Gesicht von Dave sah. Auch die anderen schienen es amüsant zu finden.
„Also ich mag sie jetzt schon. Ich bin Finn.“ Er lächelte ihn schief an.
„Emma.“
„Freut mich. Den vorlauten Kerl, den du ja so gut in die Schranken gewiesen hast, ist Dave. Das ist Jason und das ist Nik.“ Hatte ich also richtig vermutet. Er nickte mir nur kurz zu und sah dann wieder weg. Was war denn nur mit dem Kerl kaputt? Naja, lieber nicht drüber aufregen.
„Ey, was haltet ihr davon, wenn wir raus gehen und ein bisschen Fußball spielen?“
Die Jungs sahen Finn an und nickten. Dann kam’s. Ich konnte fast garnicht mehr vor Lachen, als Martha fragte, ob sie mitspielen darf und Leo direkt aufgesprungen war und zustimmte. Oh Gott, peinlicher ging’s ja garnicht mehr.
„Kommt ihr mit?“
„Naja, solange ihr mich nicht ins Tor stellt, geht das klar.“ Pia stand auf und ging in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Ich folgte ihr mit dem Blick und stellte fest, dass alle verbliebenen 6 Augenpaare mich erwartungsvoll ansahen.
„Jaja, ich komm ja schon mit. Will nur noch ne Jogginghose anziehen. Muss ja nicht unbedingt in einer Röhrenjeans spielen.“
„Wir gehen dann schon mal vor.“
Leo folgte mir ins Zimmer und schloss die Tür.
„Und wie findest du sie?“
„Nicht schlecht. Aber dieser Nik geht mir echt aufn Keks.“
„Nik? Ich dachte du hättest was gegen Dave.“
„Achwas nein. Der ist ganz amüsant. Aber Nik. Erst glotzt der mich so an und dann sieht der mich mit dem Arsch nicht mehr an.“
„Du hast ihm doch selbst gesagt, dass dich das praktisch nervt.“
„Ja, schon… ach keine Ahnung.“ Es kotzte mich jetzt schon an. Der Kerl machte meine ganze Verteidigung zu Nichte.
Ich zog mir meine dunkelgraue Jogginghose an, ein blaues Top und ein schwarzes Langarmshirt darüber. Meine Stiefel stellte ich ins Regal und nahm mir meine Sneaker heraus.
Als wir den Innenhof überquerten und Richtung Sporthalle liefen, konnte man von weitem schon die Stimmen der Jungs hören, die sich regelrecht anbrüllten. War ja klar, bei so viel überschüssigem Testosteron. Wow, so oft wie am heutigen Tage, hatte ich dieses Wort noch nicht in meinem Kopf gehabt. Die Jungs sahen uns schon von weitem und unschlüssig standen wir uns gegenüber.
„Nik und ich müssen jeweils ein Team wählen.“ Führte sich Dave jetzt als Bestimmer auf? Willkommen zurück im Kindergarten.
„Wieso, wenn ich fragen darf?“
„Weil er und ich besser sind, als die anderen und in einem Team zu spielen, wäre etwas unfair.“
„Achso.“ Naja, wenn das so ist. Als Dave noch Finn zu sich holte, waren die Gruppen ja sowieso klar. Leo und Martha spielten mit den beiden und Pia und ich gingen zu Nik und Jason.
„Wir spielen mit fliegendem Torwart.“ Alle nickten ihm zu. Nik sah Jason an und stumm stellte sich Jason realtiv weit nach hinten. Pia stellte sich daneben und mir blieb nichts anderes übrig als mit Nik anzustoßen. Was ein Glück, dass ich eine der besten aus unserer Fußballmannschaft war. Dann würde sie die anderen Mal überraschen.

Ich schoss den Ball gekonnt mit dem Innenriss zu Jason zurück, als ich auch schon Dave und Finn an mir vorbeirennen sah. Oh sehr gut. Die machen es mir ja noch leichter. Ich spürte schon wieder den Blick von Nik auf mir und sah ihm direkt in die Augen. Es war, als könnte ich seine Gedanken lesen, denn sein Blick schien mich fragen zu wollen, ob ich es konnte. Ich legte den Kopf schief und grinste. Er grinste zurück und lief los. Ich sah nach oben und sah, dass Jason den Ball weit nach vorne geschlagen hatte. Ich rannte auf der rechten Seite so schnell ich konnte, schaute dabei unentwegt Nik an, der gekonnt den Ball an Finn vorbei spielte.
„Hallo Puppe.“ Puppe? PUPPE?! Der hatte sie ja wohl nicht mehr alle. Der konnte jetzt aber was erleben. Ich war rüber in die Mitte gelaufen und stellte mich schön provokativ in die Mitte und wie ich es geahnt hatte, Dave direkt vor mich.
Ich sah Nik in die Augen und mit einem Kopfnicken zeigte ich ihm, wo ich hinlaufen würde, er nickte und schoss eine gekonnte Flanke zu mir. Ich rannte hinter Dave hervor und knallte den Ball ins Tor. Ich wollte schon jubeln, als mich irgendwas von hinten am Knöchel traf und ich auf den Boden knallte.
Dieser Vollidiot namens Dave! Scheiße tat mein Knöchel weh. Ich rieb mir die schmerzende Stelle und sah Dave an. Na dem werde ich’s zeigen.
„Sag mal has…“
„Ey Dave, was soll der scheiß? Der Ball war schon lange weg.“ Wie was wo? Das war doch Nik. Eben genannter stampfte an mir vorbei und gab Dave ne Schelle auf den Hinterkopf. Dann drehte er sich zu mir um und bückte sich.
„Ist alles in Ordnung?“
„Klar, ist ja nicht das erste Mal.“ Ich lächelte ihn schief an und sah ihm dabei in die Augen. Wie, warte. Ich lächelte? UND SAH IHM IN DIE AUGEN? Ich glaub jetzt schlägts 13. Emma, das ist nur ein Junge!
„Kannst du aufstehen?“
„Ja, das wird schon gehen.“ Nein, Emma, es geht nicht. Wie ich mir schon gedacht hatte, war ich noch nicht mal halb oben, als mich dermaßen der Schmerz durchzuckte.
„Huch!“
„Ich hab dich.“ Nik sah mich an und hielt mich wirklich fest.
„Ich bring sie zum Krankenflügel.“ Wie Krankenflügel? Das war doch nun wirklich nicht so schlimm. Was macht der denn jetzt für ein riesen TammTamm da draus? Doch als würde mein Körper, ja gar mein Gehirn mir nicht mehr gehorchen, nickte ich und ließ mich allen Ernstes von dem zurück ins Gebäude geleiten.
„Du brauchst nicht so einen Wind darum zu machen.“
„Kannst du nun laufen oder nicht?“ Hui, der hatte aber schlechte Laune, aber zickig konnte ich auch sein.
„Ja, ich kann laufen.“ Er ließ mich los und ich lief tapfer weiter, bis mein neues, bescheuertes, ach ich schalt mein Gehirn wegen Nik ab und verwandle mich in ein Engelchen Ich sich einfach weigerte und ich über meine eigenen Füße stolperte. Super!
„Das sehe ich.“ Er half mir wieder hoch und kurze Zeit später standen wir vor der Tür mit einem großen roten Kreuz. Nik klopfte sachte an und trat mit mir im Arm ein. Eine ältere Dame mit grauen Augen sah von einem Buch auf und begrüßte Nik.
„Na, was haben wir denn angestellt?“ Ich öffnete den Mund und… bekam das Reden wieder abgenommen.
„Sie ist beim Fußballspielen umgesebelt worden.“
Sie deutete auf einen Stuhl und ich ließ mich darauf nieder. Mr.-ich-muss-nur-noch-kurz-die-arme-kleine-Emma-retten drehte sich um und öffnete die Tür, bevor er sie allerdings wieder hinter sich schloss warf er mir noch einen von seinen intensiven Blicken zu und verschwand.
Wie ich schon geahnt hatte, war es nichts Schlimmes. Mein Knöchel wurde noch nicht einmal dick. Als ich wieder einigermaßen laufen konnte, ging ich zurück zum Platz, wo die Mannschaften neu gemischt worden waren und als hätte ich ihn direkt gesucht, wurde mir bewusst, dass Nik nicht mehr da war. Irgendwie schien es mich traurig zu machen, auch wenn ich mir darauf keinen Reim machen konnte.
„Heeeey! Emma, wie geht’s dir?“
Die drei Mädels rannten auf mich zu und umarmten mich eine nach der anderen.
„Ja, halb so schlimm. Aber ich denke ich werde erstmal hochgehen.“ Sie nickten mir zu und ich humpelte so halb zurück zum Treppenhaus.

Als ich den ersten Abschnitt überwunden hatte und mich den Mädchensälen zuwandte, überlegte ich es mir anders und ging hoch zu den Jungenschlafsälen. Oben angekommen ging ich zum Zimmer der Jungs, welches ja an derselben Stelle hier war, wie das von uns bei den Mädchen.
Mein Herz pochte, so laut, wie das Klopfen meiner Finger an der Tür.
„Herein!“ Langsam öffnete ich die Tür und sah Nik auf einem der Sessel sitzen. Sichtlich überrascht sah er mich an.
„Was machst du hier?“
„Ich… darf ich reinkommen?“ Gott, stellte ich mich blöd an. Er nickte und ich schloss die Tür hinter mir. Er zeigte auf den Sessel ihm gegenüber und ich nahm Platz.
„Ich wollte mich nur bei dir bedanken und entschuldigen. Normalerweise schnauze ich nicht gleich jeden so an.“
„Soll ich das jetzt als Kompliment nehmen oder mir Sorgen machen?“ Wie hä? Achso.
„Nein, so meinte ich das nicht. Ich öffne mich nur nicht gleich jedem und deshalb kommen dann immer so pampige Antworten.“ Er lächelte sanft. Gott, sah dieser Typ gut aus. Ich lächelte zurück.
„Wie geht’s deinem Fuß?“
„Ganz okay. Ist Dave immer so drauf?“
„Naja, schon.“ Nik grinste. „Und er ist blind.“ Das lies mich aufhorchen.
„Wieso blind?“
„Naja, das Martha was von ihm will, merkt man doch oder nicht?“
„Danke, noch einer der es gemerkt hat. Das ist doch offensichtlich. Genauso wie Leo bei Finn.“ Niks Grinsen wurde breiter.
„Ich dachte schon, ich bin paranoid.“ Ich grinste zurück. Ja, eigentlich grinste ich die ganze Zeit. Das musste ja total bescheuert aussehen.
„Wie ist diese Pia eigentlich?“ Ah, daher wehte der Wind. Er fand also Pia gut.
„Sie ist ruhiger als die anderen beiden, aber schwer in Ordnung.“ Warum störte mich das gerade, das er so nach Pia fragte. Mein Gott, ich kannte diesen Typen gerade mal ein paar Stunden und benahm mich wahrscheinlich jetzt schon wie alle anderen Mädchen, die ihn wahrscheinlich total anschmachteten.
„Du bist…“ Knall!
„Ey Nik, wo steckst du denn? Oh! Du hast ja Besuch.“ Dave stand im Zimmer und sah uns mit einem allwissenden Blick an. Boah, kotz mich nicht an, Dave. Ich konnte nur die Augen verdrehen, stand schnell auf und ging zu Tür.
„Bin schon weg.“ Ich trat auf den Flur, kam aber nicht drum herum, Daves Frage zu hören, die er Nik stellte.
„Du hast ein Auge auf sie geworfen.“ Niks Lachen drang auf den Flur.
„Wie kommst du darauf?“
„Weil du sonst auch nicht mit einem Mädel hier oben sitzt, während wir unten Fußball spielen.“
„Mag schon sein…“
Sag mal, irrte ich mich oder spielte mein Herz gerade Jumpstyle? Und verdammt noch mal Emma, verkneif dir dein blödes Grinsen. Auf dem Weg nach unten traf ich die anderen beiden Jungs, die mir noch zuriefen, dass ich sie gleich beim Essen sehen würde.

Im Zimmer angekommen, saßen die Mädels schon da und unterhielten sich. Als ich meinen Namen aufschnappte, wurde ich hellhörig.
„Was ist mit mir?“ Ich ließ mich seufzend auf den letzten freien Sessel fallen und sah die anderen erwartungsvoll an.
„Naja, ich hab dir doch erzählt, das Nik eigentlich sonst keinen besonderen Wert auf Mädels legt? Er ist nicht unhöflich, aber er hat auch eben nichts mit denen zu tun.“ Ich nickte. Was kam denn jetzt?
„Und irgendwie, war es komisch, dass er dich unbedingt zum Krankenflügel bringen wollte.“
„Ach Quatsch! Der war nur hilfsbereit, sonst nichts.“ Was die sich wieder einbildeten. Leo zuckte nur mit den Schultern, als ihr anscheinend wieder etwas einfiel.
„Wo warst du eigentlich? Ich dachte du wolltest hierher gehen.“
„Ja, wollte ich auch. Aber ich hab mich noch schnell bei Nik bedankt.“ Leo grinste.
„Ich hab’s doch gesagt. Irgendwie scheint da was zwischen euch zu laufen.“
„Boah Leo, ehrlich jetzt mal. Ich kenn den Typen wie lange? 3 Stunden? Nur weil er einmal nett war, heißt das ja nicht gleich, dass er was von mir will.“
„Jaja, wir werden sehen.“ Nacheinander gingen wir duschen und ich zog wieder meine heißgeliebte Röhrenjeans an, welche an manchen Stellen gerissen war. Dazu ein weißes Top und eine Strickjacke. Es wurde schon langsam dunkel und ich beschloss meine Mutter anzurufen.
„Hey Schatz.“
„Hi Mom.“
„Wie ist es? Hast du dich eingelebt? Wie sind deine Zimmernachbarn?“
„Es ist ganz in Ordnung. Die 3 Mädels sind ziemlich taff und wir kommen alle super miteinander klar. Dabei sind wir total verschieden.“
„Wie verschieden?“
„Naja, meine Zimmerpartnerin heißt Leo, hat orangene Haar und hat total die grünen Augen. Sie sagt immer was sie denkt und so. Dann gibt es noch Martha, etwas dunkelhäutig, braune Haare mit braunen Augen und ist ein wenig ruhiger als Leo und ich. Und dann noch Pia. Sie ist neu, genauso wie ich. Ist klein, blonde Haare, grüne Augen und ist auch ziemlich nett.“
„Na da ist ja von jedem etwas dabei. Ich wünsche dir ganz viel Spaß.“
„Danke Mom. Hab dich lieb.
„Ich dich auch. Tschüss.“
„Tschüssi.“

Ich zog mir gerade meine Chucks an, als Leo aus unserem Ankleidezimmer kam.
„Wollen wir los?“ Ich nickte und wir gingen mit den anderen beiden zur Kantine. In der Kantine war nicht so viel los. An vereinselten Tischen saßen Leute und unterhielten sich. Augenblicklich suchten meine Augen Nik, den ich auch fand. In Gesellschaft von einer Blondine mit langen Beinen, pinken Pumps und einer rosanen Weste die über und über mit Fell besetzt war. Sein Blick fand meinen und wirkte was flehend. Ich verstand, ließ mich etwas zurück fallen und ging dann Richtung Nik. Die Blondine drehte mir den Rücken zu, als ich mich bückte, einen kurzen Schrei los ließ und mir theatralisch an den Fuß fasste.
„Nik, würdest du mir mal helfen?“ Die Blondine drehte mir ihren Kopf zu und sah mich derart böse an, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Nik nahm die Situation dankend an und stützte mich, weil mein Fuß ja ach so wehtat.
„Danke, ich wäre sonst gestorben“, flüsterte er mir ins Ohr und als ich seinen Atem auf meiner Haut spürte, schien mein Kopf nicht mehr das zu tun, was ich wollte. Ich sah ihn von der Seite an und lächelte.
„Würde ich bei der allerdings auch.“ Er fing an zu lachen und wir setzten uns, bei den anderen angekommen, gegenüber. Leo zwickte mich in die Seite und sah mich besserwisserisch an. Jaja, sollte sie doch denken was sie wollte. Ich wusste es besser.
Ich sah unauffällig zu Nik, der meinen Blick aber sofort zu bemerken schien und mir so dermaßen intensiv in die Augen schaute, dass ich mich nicht traute, den Blick abzuwenden. Erst als mich irgendjemand anstumpte, hob ich den Blick und sah Pia, die mir deutete, dass sie sich jetzt alle was zu essen holen wollten.
„Kommst du mit?“
„Klar, ich hab einen riesen hunger.“ Ich ging hinter den anderen her. Ich spürte Niks Blick in meinem Rücken, traute mich aber nicht, mich umzudrehen. Ich nahm mir ein Tablett und stellte mich hinter den anderen an. Wie durch Zufall streifte Niks Hand meine, als er sein Tablett ebenfalls auf die Schiene stellte. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie er seine Hand schnell wegzog, als hätte er sich verbrannt. Bin ich irgendwie ekelerregend oder habe ich Säure auf meinen Händen? Während ich über seine Reaktion nachdachte, kribbelte die Stelle an meiner Hand wohlig nach.
Bildete ich mir das nur ein, oder trafen sich unsere Blicke verhältnismäßig oft an diesem Abend? Ich versuchte, mir nichts dabei zu denken, doch innerlich schien die Pflanze der Hoffnung ein wenig zu wachsen.

Abends fiel ich todmüde ins Bett, doch so schnell ließ mich Leo nicht in Ruhe.
„Jetzt sag schon. Was läuft da zwischen euch beiden?“
„Nichts läuft da.“
„Natürlich. Hallo, ihr habt euch heute Abend 56 Mal angeguckt.“
„Hast du mit gezählt oder was?“
„Natürlich.“
Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Ich beschloss ihr die Wahrheit zu sagen, mit weniger würde sie sich ja sowieso nicht zufrieden geben.
„Ich weiß nicht, was da zwischen uns läuft. Er sieht gut aus…“
„Oh ja, und du bist die erste, der er so viel Aufmerksamkeit schenkt.“
„So, bin ich das?“ Ich stützte mich auf meinen Arm und sah Leo an.
„Ja, eigentlich schon.“
„Eigentlich?“ Aha, doch ein Haken.
„Naja, ich kann ja nicht in ihn reingucken. Aber immer wenn ein Mädchen was von ihm wollte, hat er sie abblitzen lassen. Er hat Martha und mich niemals mehr angeguckt, als unbedingt nötig. Bis du kamst. Erst geht er mit dir zum Krankenflügel und dann das vorhin in der Kantine.“
„Hmm… ich weiß nicht. Vorhin als sich unsere Hände ausversehen beim Essen holen berührt haben, hat er seine Hand weggezogen, als wäre ich irgendwie ekelerregend.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen…“
„War aber so.“
„Lass uns mal in Zukunft schauen.“
„Ja, mal sehen. Ist ja auch erst mein erster Tag hier. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Ich löschte das Licht meiner Nachttischlampe und drehte mich zum Fenster. Der Mond schien herein und meine Gedanken schwirrten nur um Nik. Ich mein, er sieht doch auch verdammt gut aus. Er hat irgendwas geheimnisvolles an sich. Seine Augen sind der Hammer, zum dahinschmelzen. Ich will mir garnicht vorstellen, wie sein Körper aussieht. Doch eigentlich will ich das irgendwie schon. Ich will ihn sehen, fühlen. Gott, was war nur mit mir los?
Ich wälzte mich noch lange hin und her, eher ich doch meine Augen für ein paar Stunden Schlaf schloss.
Als ich meine Augen öffnete, hatte sich gerade erst das Morgengrau über den Himmel ausgebreitet, doch ich war schon hellwach. Ich beschloss mich anzuziehen und einen kleinen Spaziergang zu machen. Ich zog mir meine Boyfriendjeans, ein Top und darüber einen Sweatshirtpulli an, schnappte mir meinen kleinen iPod Nano und schlich mich hinaus. Unten im Foyer angekommen, tippte ich mich auf außerhalb und ging in den Innenhof. Die kühle morgendliche Luft half mir, irgendwie meine verwirrten Gedanken zu ordnen. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Ich war nie eines der Mädchen gewesen, die sich unsterblich in jemanden verliebt hatte. Um ehrlich zu sein, war ich für die meisten eher der Kumpeltyp. Was war denn so schlecht an mir? Ja okay, die meisten Jungs scheinen mit meiner großen Klappe nicht klar zu kommen. Aber liegt es vielleicht doch an meinem Aussehen? Ich mein, ich war zwar groß, aber die 1,73m konnten es ja nun wirklich nicht sein. Ich bin schlank und sportlich. Ja wahrscheinlich bin ich einfach nicht… weiblich genug. Obwohl meine Oberweite ganz und garnicht dafür sprach. Im Gegenteil, die meisten Mädchen, ja sogar meine beste Freundin beneideten mich darum.
Ach, Emma, lass die trüben Gedanken. Sing lieber. Ich beschloss, meinen iPod rauszuholen und einfach wieder zu singen, so wie ich es immer tat, wenn mich irgendwas beschäftigte.

Ein Beat, ein Blick
und es fängt an zu vibrieren.
Die Nacht, das Licht
jetzt kann alles passieren.

In meinem Kopf blitzten Niks Augen auf. Diese stahlblauen Augen, die mich immer so intensiv ansahen.

Ich kann schon sehn,
ich kann schon spürn.
Ich lass mich ganz und gar verführen.
Ich lös mich auf
vergesse mich selbst und lass mich einfach fallen.

Ich ging einen langen Weg entlang. Die Bäume über mir schienen wie beschützende Arme den kalten Wind fern zu halten. Ein Gefühl keimte in mir auf, ich konnte mir seine Blicke nicht eingebildet haben. Ich beschloss, meinen Stolz einmal beiseite zu tun und mich voll und ganz darauf einzulassen.

Ich tanz solang die Welt sich um mich dreht.
Ich weiß heut kann alles passieren,
Diese weiße Nacht die nie vergeht.
Es tut so gut sich zu verlieren.

Meine gute Laune war echt zum kotzen. Ich drehte mich um meine eigene Achse, sang die Strophen des Liedes mit und lachte, als wäre ich auf irgendeiner Droge. Ich schloss meine Augen und ging die letzten Meter in den Innenhof zurück, als es auch schon passierte. Mit einem lauten „Aua“ fasste ich mir an meinem Kopf. Gott, tat mein Schädel wäre. Ist da ein Auto drüber gefahren oder was? Ich öffnete die Augen und sah in die leicht amüsierten Augen von Nik. Na wie sollte es auch anders sein?






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