Irdisches und Überirdisches - Teil 4

Autor: Judy
veröffentlicht am: 25.02.2011


„Lou! Lou!!“, weit entfernt hallte ihr Name in Lous Kopf wieder. Mühsam öffnete die Augen. Sie konnte nur verschwommen einen Kopf wahrnehmen, der in einiger Entfernung über ihrem war. Sie versuchte einen Arm zu heben, doch sie war so erschöpft, dass sie die Augen wieder schloss und zurück in tiefen Schlaf fiel.
Als sie die Augen viel später wieder öffnete, saß sie immer noch am Rücken des Engels am Strand.
„Bist du wieder wach?“, fragte der Engel. Lou wunderte sich nicht, woher er das wusste, noch hatte sie bis auf ihre Augen nichts bewegt.
„Ja“, sagte sie deshalb nur. „Was war das?“
„Was?“ Der Engel richtete sich auf und auch Lou stand, wenn auch etwas unsicher auf ihren Beinen.
„Jemand hat nach mir gerufen. Ich habe seinen Kopf gesehen, nur ganz verschwommen. Die Umgebung war weiß. Und so hell. Und es roch... Ich weiß nicht, streng sauber.“
„Du hast sicher geträumt“, wieß der Engel ab. „Komm, es wird bald hell aber dort hinten ist eine Höhle. Dort können wir hingehen, dort bleibe ich ich während des Tages.“
„Und was tun wir dann?“
„Du hast doch einen Wunsch, Lou?“
„Ja.. Ich will Ray zurückholen. Aber wie soll ich das schaffen?“
Kurze Zeit später saßen die Beiden in der Höhle. Während draußen die Sonne höher stieg war es hier kalt und dunkel und Lou war froh, dass der Engel Licht und Wärme spendete.
„Erinnerst du dich an meine Worte?“
„Ja. Aber ich habe dir doch schon gesagt. Es gibt niemanden, den ich mehr liebe als Ray.“
„Ich wünschte, es wäre so“, antwortete der Engel nur. Er klang traurig. Lou stutzte. Konnte es sein... Nein, das war unmöglich. Sie verwarf diesen absurden Gedanken schnell wieder. Sie dachte an die Menschen, die sie kannte. Ob sie sie vermissen würden? Ob sie schon nach ihr suchen würden? Lou wusste ja nichteinmal selbst, wo sie war.
Der Strand füllte sich mit Leben. Stimmen, deren Sprache Lou nicht verstand wurden vom Wind zu ihnen geweht.
Lous beste Freundin Marie. Sie war Rays Exfreundin. Wie würde sie es verkraften, ihn verloren zu haben? Und sie selbst dazu war verschwunden.
Lous verstorbene Mutter. Nachdem Lou nach Magnus\' Verschwinden ihr Leben endlich in den Griff bekommen hatte, hatte sie sich das Leben genommen. Magnus war immer ihr Lieblingskind gewesen. Lou dagen war die Außenseiterin. Ob der Engel sie meinte? Konnte man eine tote Person mehr lieben als eine Lebendige?
„Kann man eine tote Person mehr lieben als eine Lebendige?“
„Was?“, fragte der Engel. „Ich denke, du liebst Ray.“
„Es geht mir nicht um Ray... Naja, doch schon, natürlich“, räumte Lou ein. „Aber ich habe wenigstens eine kleine Hoffnung, ihn zurückzuholen. Ich habe über meine Mutter nachgedacht.“
„Willst du sie wiederhaben?“, fragte der Engel jetzt. Lou dachte nach. „Vielleicht bin ich eine schlechte Tochter“, meinte sie schließlich. Aber wenn ich wählen könnte, zwischen ihr und Ray...“
Der Engel nickte.
„Genau. Wie viel würdest du dafür geben, sie wie in euren glücklichsten Zeiten wiederzuhaben, und wie viel für ihn?“ Lou schwieg. Sie erbrachte wirklich nicht genug Respekt gegenüber ihrer Mutter. Aber hätte sie ihren Respekt verdient? Anstatt ihr Leben in den Griff zu bekommen, einfach alles Fallen zu lassen, nachdem sie ihren Lieblingssohn verloren hatte? Magnus war ja nicht aus der Welt. Wie sehr er noch in ihrem Leben war, hatte Lou ja erst vor kurzem gemerkt.
Wusste er von ihrem Tod?
Irgendwie hatte Lou sich ja gefreut, Magnus wieder zu sehen. Einmal in seine Augen, die ihre waren, zu blicken. Einmal schauten sie seine Augen wieder aus seinem Gesicht und nicht aus ihrem Spiegel an. Und dann lies er es zu, dass sie getötet wurde.
„Ich muss hier raus“, sagte sie zu dem Engel. „Ich muss einmal wieder unter Leute kommen.“





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz