Lieben ohne Worte - Teil 6

Autor: Noa
veröffentlicht am: 02.09.2011


Kapitel 6

Die Wangen feucht und die Haut gereizt, saß ich immer noch am Auto und legte meinen Kopf auf meine angewinkelten Knie. Ich merkte wie sich mir jemand näherte und schaute hinauf. Durch das Laternenlicht konnte ich nur Umrisse erkennen, es waren aber deutlich ein Mädchen zu sehen. Sie blickte mich besorgt an und kniete sich zu mir herunter. War das Page? Verdutzt sah ich ihr in die Augen und sie setzte mich zu mir auf den Asphalt.
„Ich habe dich auf der Toilette gesehen und bemerkt dass du geweint hattest. Als ich dann mit meiner Freundin Liam und Chantal entdeckt hatte, wie sie ihn küsste, da ging es mir genauso wie dir.“
Na super. Eine Konkurrentin. Trotzdem war ich irgendwie froh sie bei mir zu haben. Immerhin wusste sie genau wie dreckig ich mich fühlte. Wir teilten einen gemeinsamen Schmerz.
Mit einen sehr deutlichen Handbewegung fasste ich an meinen Hals, um ihr zu verdeutlichen, dass ich nicht sprechen konnte. Zuerst blickte sie mich verdutzt an und dachte ich würde keine Luft mehr bekommen, aber als sie FUD sah, den ich aus meiner Tasche herausholte, da verstand sie.
Ich schrieb: „Erzähl mir etwas über Chantal? Wie findet du sie?“
„Chantal ist meine allergrößte Erzfeindin. Ich hasse sie. Auch wenn ich manchmal neben ihr stehe und es so aussah als würden wir uns mögen, ist das falsch. Chantal hat nicht mal richtige Freunde, da sie jeden und alles ausnutzt. Ich kann sie bis auf den Tod nicht ausstehen.“, fauchte sie und schlug mit der Faust auf den Asphalt.
„Warum bist du mir gefolgt? Wo ist deine Freundin?“, schrieb ich auf FUD nieder.
Ihr stieg eine kleine Scharmröte ins Gesicht und sie machte sich mir gegenüber klein.
„Irgendwie hatte ich das Gefühl, das ich mit jemandem reden musste, der mich verstand. Du hattest solche Tränen in den Augen das es nur zu deutlich war, dass du in Liam verliebt bist und verletzt wurdest, da Chantal ihn küsste. Liam war mein ehemaliger Klassenkamerad und seit ich ihn kenne, schlägt mein Herz für ihn.“
Sie lächelte verträumt und zog ihre Beine an sich, um darauf gemütlich ihr Kinn niederzustrecken.
Ich musste kurz kichern und kam mir wie im Kummerkasten vor. Wenn sie auch in Liam verliebt war, dann würde ich sie doch genauso verletzen wie Chantal gerade eben. Dabei war sie so ein nettes Mädchen.
„Auch wenn ich noch in Liam verknallt bin, weiß ich doch schon längst, dass ich bei ihm keine Chance habe. Wer träumt nicht von einem Mann mit Muskeln, braungebranntem Körper mit wunderschönen Augen. Wieso müssen wirklich so viele Mädchen hinter ihm her sein?“
„Ich denke aber alle anderen Mädchen betrachten ihn auch genauso wie er ist. Arrogant, hinterhältig, eingebildet und holt sich jede beliebige Mädchen das er kriegen kann.“, notierte ich.
„Du hast Recht.“, lächelte sie und erhob sich vom harten Boden. Sie klopfte ihren Hintern ab und half mir auf.
„Es war wirklich schön dich kennen zu lernen,…ähm…“
„Emma.“, hielt ich FUD hoch.
Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und blickte kurz zum Eingang, der nun völlig leer stand.
„Kopf hoch.“
Noch mit einem erhaschten Blick betrat sie erneut die Disco und verschwand hinter der Treppe. Seufzend lehnte ich mich ans Auto und kam mit dem Gedanken nicht klar, das Liam Chantal lieber mochte. An Pages Worten war gar nicht mal so viel falsch. Die Blodine war einfach die Traumfrau jedes Mannes. Reich, hübsch und schlank. Es tat so weh, nicht wie sie zu sein. Mein Vater und ich wohnten immer noch in der alten Bruchbude und auch wenn er nun mehr Geld verdiente, würde er bestimmt nicht umziehen. Er liebte die Gegend, die Nachbarn, sogar den toten Garten hinter dem Haus.
„Emma!“, rief eine vertraute Stimme und riss mich aus meinen Gedanken. Als ich neben mich schaute, sah ich von weitem Liam angelaufen kommen und ich wusch mir alle Tränen aus den Augen. Trotzig drehte ich meinen Rücken zu ihm und versuchte so gelassen wie möglich zu bleiben. Jedoch war ich sauer, stocksauer.
„Emma, ich kann es dir erklären.“, keuchte er.
Erklären? Was wollte er mir denn sagen? Dass er Chantal absolut attraktiv findet und seine Sicherungen durchgebrannt sind? Diese Antwort wäre die lächerlichste Ausrede überhaupt. Eigentlich war ich nicht mit Liam zusammen und wusste nicht was das Gerede sollte, zwischen zwei Menschen bei dem der eine komplett verknallt war. Bei Liams Gefühlen hatte ich keinen Durchblick und konnte nicht erahnen was er in dem Moment dachte.
„Chantal ist mir nicht von der Pelle gerückt und als ich dich suchte, wich sie nicht von meiner Seite. Als ich dann mich auf dem Sofa ausruhen wollte, rückte sie immer näher heran und irgendwann küsste sie mich einfach.“
Ich hielt FUD ihm entgegen und hob eine Augenbraue hoch.
„Hat aber nicht so ausgesehen, als wäre es ein Versehen gewesen. War bestimmt ein wunderschöner Moment für dich. Das sollte unser Abend werden, Liam und du hast ihn zu einem Albtraum gemacht. Herzlichen Dank auch.“
„Das wollte ich nicht, wirklich. Mir sind die Sicherungen durchgebrannt. Bitte, glaub mir!“, flehte er und doch erkannte ich eine dicke Lüge in seinen Augen. Er wollte es so und auch mit seinem süßesten Blick könnte mich nicht weich kriegen. In solchen Dingen bin ich abgehärtet und ziemlich eisern.
Als er zu mir kommen wollte und nach meiner Hand schnappte, wich ich zurück und schubste ihn wütend weg. Ohne es zu merken, glitten weitere Tränen über meine Wange und tropften auf den trockenen Asphalt. Liam blieb wie angewurzelt stehen. Nun wusste er was ich fühlte, er erkannte die Trauer und den Schmerz in meinen Augen. Ich hob FUD hoch und schmiss es mit voller Kraft auf den Boden, er zersplitterte. Liam starrte mich erschrocken an und näherte sich mir vorsichtig, als wäre ich irgendeine psychiatrische kranke Person. Aber noch bevor er nach meiner Hand greifen konnte, lief ich davon. Nach einander zog ich im Laufen meine Schuhe aus und hielt sie fest in der Hand. Es war stockdunkel und doch ignorierte ich die Angst und verlief mich in den Straßen. Ich wagte es nicht einmal nach hinten zu blicken, ob Liam mir folgte. Der Boden war rau und steinig, sodass ich manchmal die Zähne zusammenbeißen musste, wenn ich auf etwas Spitzes trat. Bestimmt würden morgen blutige Wunden unter meinen Fuß zu erkennen sein. Dann wäre ich nicht nur stumm, sondern noch Gehbehindert. Liam war mir unverständlich. Er half den Menschen denen es schlechter als ihm ging, feierte aber mächtig Partys und knutschte mit jeder beliebigen Tusse rum. Es waren einfach zwei Seite, wovon ich die eine mächtig hasste.
Nach wenigen Minuten blieb ich stehen, verschnaufte und blickte hinter mich. Kein Liam. Wieso sollte er mir auch folgen? Immerhin war ich ihm ja nicht gerade sehr wichtig. Bestimmt dachte er ich finde den Weg allein zurück. Auf einer Mauer ließ ich mich nieder und spürte dann einen brennenden Schmerz unter meinen Füßen. Natürlich waren sie wundgelaufen und von den Steinen aufgerissen. Ich krümmte mich vor Schmerz, als ich einen Versuch wagte, gerade auf dem Pflaster zu stehen. Ich sackte zu Boden und schmiss wütend die Schuhe auf die Straße, als ein Auto sich näherte. Oh Nein! Wie dumm von mir, die Schuhe gehörten Selena und ich ließ sie gerade ihrem Schicksal. Auf Knien kroch ich auf dem Asphalt und drohte mir auch noch die Knie wund zu schürfen. In letzter Sekunde griff ich nach den Schuhen und presste mich gegen das Auto, damit der Autofahrer mich im Laternenlicht nicht sah. Ich zog mich erneut zur Mauer und setzte mich seufzend. Was nun? Bis zu mir nach Hause kann es Kilometer weit sein und außerdem kenne ich mich in der Gegend nicht aus. Wie naiv es doch war wegzulaufen. Jetzt kam ich mir völlig kindisch vor. Vielleicht hatte ich Glück und Liam stand noch auf dem Parkplatz, damit er mich nach Hause fahren konnte. Dann hatte ich auch noch FUD zerstört! Wütend schlug ich mir selbst gegen den Kopf und bemerkte meine Dummheit. FUD war das einzige Gerät mit dem ich mich verständigen konnte und jetzt war ich so hilflos wie ein Tier. Was hatte ich eigentlich getan?
Als ich durch die stillen Straßen ging und sogar mein trippeln zu hören war, entdeckte ich Liam mitten auf der Straße an einer Ecke. Er schaute suchend umher und ich war so froh ihn zu sehen. Aber ich konnte ihm ja nicht zurufen, geschweige denn überhaupt einen Laut von mir geben und lief deshalb im Eiltempo. Da ich jedoch gute Ohren hatte, drang ein Motorgeräusch in mein Trommelfell. Es musste sich ziemlich schnell nähern. Als ich hinter Liam stand, nur wenige Schritte entfernt von ihm, zog Licht an mir vorbei. Das waren Scheinwerfer eines schnellen Autos. Der Fahrer ignorierte die beschränkte Geschwindigkeit und anstatt dreißig fuhr er sechzig. Liam hatte nur wenige Sekunden um auszuweichen. Immerhin setzte der Fahrer einen Blinker und wollte eine scharfe Kurve in die Straße einbiegen. Liam bemerkte das Auto nicht einmal und ich stand hilflos daneben. Meine Andern pulsierten und mein Herz pochte so laut, als wolle es mit seinem Klopfen Liam ein Warnsignal geben. Durch den Schweiß in meinen Händen, rutschten meine Schuhe aus der Hand und fielen auf den Boden. Der Aufprall war der Startschuss, denn Liam bemerkte das Geräusch und wollte sich gleich umdrehen, als er das Licht entdeckte. Etwas muss getan werden! Panisch setzte ich einen Fuß vor den anderen und sprang vom Boden ab. Aber das war nicht das Unglaublichste. Die Angst und Panik löste etwas in mir aus, was von dem Moment an alles verändern würde. Ich spürte einen schmerzendes Kratzen im Hals und alle Gedanken und Gefühle drehten sich um diesen Augenblick. Hitze stieg mir in den Kopf und ein Todesbild, wie Liam auf der Straße liegen könnte ohne meine Rettungsaktion. Es löste ein Beben in mir aus und ich wollte nur das Liam gerettet wird. Mein Leben war mir völlig egal. Es war schon verkorkst genug und eine unglückliche Vergangenheit quälte mich. Es gab nichts an das ich mich gern zurückerinnerte. Es gab nicht einmal Menschen die mich liebten. Bis auf Selena und seit kurzem meinen Dad. Selbst Liam musste mich für Nervig und Uninteressant empfinden. Was sollte es da einen Unterschied machen sein Leben aufs Spiel zu setzen? Wenn ich etwas einzig Gutes tat, dann das ich in diesem Moment Liam vor dem Tod bewahrte. Er wusste nicht ganz genau was ablief und nur als ich wie aus dem Nichts seinen Namen mit solcher Energie und Entschlossenheit aus mir herausschrie, wurde er wach. Aber woher kam meine Stimme plötzlich? Sie klang so traurig und panisch. Hatte ich Halluzinationen oder war es tatsächlich meine eigene Stimme. Gerade im letzten Moment stieß ich ihn weg und fiel auf ihn. Das Auto fuhr weiter und ignorierte den Vorfall. Zuerst dröhnte mein Kopf und er lag auf Liams Brust. Sie war so wunderbar warm und weich wie ein Kissen. Wir lagen beide bewusstlos auf dem Boden und in den nächsten Minuten rührte sich keiner von uns. Erst als Liams Brustmuskeln sich anspannten, wurde ich ein wenig wachgerüttelt. In meinen Ohren schallerte immer wieder meine Stimme durch den Kopf, aber ich traute mich nicht wieder meine Stimmbänder zu benutzen. Die Enttäuschung wäre zu groß, nun doch stumm zu bleiben. Panisch hob Liam meinen Kopf und legte ihn sanft auf seinen Schoß. Als sich kein Körperteil von mir regte, setzte er mich zwischen seine Beine und lehnte sich gegen die Mauer. Mein Kopf lag auf seiner Brust und er setzte das Kinn auf meine Haare. Zart streichelte er meinen Arm und dachte scharf nach. Er spürte dass ich wach war, wusste jedoch, dass ich noch ein wenig benommen von dem Sturz war. Ich schüttelte meinen Kopf und fasste mir klagend an die Stirn. Er brummte so sehr, das mir schlecht wurde. Völlig verwirrt versuchte ich mich zu orientieren. Ich erinnerte mich an die letzten Moment zurück, bis zu dem Punkt als ich losschrie. Ob ich wohl immer noch sprechen konnte?
Liam schlang seine Arme um mich und beruhigte mich mit sanften Zischlauten.
„Ich habe deine Stimme gehört, Emma. Sag mir bitte, dass du tatsächlich meinen Namen gerufen hast. Du hast mir soeben das Leben gerettet. Ohne den Schrei wäre ich tot gewesen, denn erst dann realisierte ich die Gefahr.“, flüsterte er zart in mein Ohr. Wackelnd stand ich auf und setzte mich auf die ein Meter hohe Mauer. Noch immer drehte sich alles und Geräusche nahm ich noch nicht ganz wahr.
„Mit dir ist doch alles in Ordnung, oder?“, fragte er.
Ich nickte leicht und versuchte die Übelkeit zu vertreiben.
„Emma, ich muss es wissen, sprichst du wieder? Ist deine Stimme wieder da? Bitte sag etwas.“, drängte er mich und hielt meine Hände fest. Erst jetzt wurde ich wach und blickte ihm ernst in die Augen. Aber meine Angst hielt mich davon ab, es zu versuchen, da ich nicht enttäuscht werden wollte. Es machte mir Mut, dass er meine Hände hielt und doch zitterten sie. Nachdem ich tief einatmete, meinen ganzen Mut zusammennahm und etwas sagen wollte, trat ein unausweichlicher Schmerz in meinen Rücken und ich klagte. Liam hob mein Top hoch und dort war über den ganzen Rücken gezogen ein violetter, blauer Fleck. Das musste eine schwere Prellung sein und vorsichtig hob er mich von der Mauer. Die Erschütterung war viel zu groß und deshalb schwand wiederum mein Licht vor Augen und Liams Worte waren das letzte was ich hörte.






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