Lieben ohne Worte - Teil 7

Autor: Noa
veröffentlicht am: 09.09.2011


Kapitel 7

„Eigentlich hatte ich gehofft Sie nicht so bald wieder zu sehen, Frau Braun.“, seufzte der Arzt und umklammerte seine Akte in der Hand.
Ich senkte den Kopf und fuhr mir über den Rücken, der nun mit Verband und massiger Salbe bedeckt war. Der Arzt meinte ich hätte nur eine Gehirnerschütterung und eine schwere Prelle am Rücken. Aber meine Stimme musste ich mir eingebildet haben, denn sprechen konnte ich trotzdem nicht. Das war die schlimmste Nachricht von allen. Liam legte einen Arm um meine Schulter und schmiegte seine Hand an meinen Oberarm.
„Passen Sie bitte weiterhin auf sich auf.“, schmunzelte er und legte eine Hand auf meine Schulter. „Sagen Sie ihrem Vater einen schönen Gruß von mir.“
Er reckte sich und lief weiter den Flur entlang, als eine Krankenschwester ihm den nächsten Fall erklärte.
„Du kannst einem wirklich Sorgen bereiten.“, murmelte er seufzend, aber trotz der Aktion war ich immer noch sauer auf ihn. Der Kuss verschwand nicht so schnell aus meinem Gedächtnis. Ich löste mich vom seinem Arm und lief Richtung Ausgang. Mein Vater war völlig besorgt wegen gestern und die Nacht konnte ich kein einziges Auge zudrücken. Allein schon weil ich wieder in der Klinik lag und ich über meine Stimme nachdachte.
Das Krankenhaus war nicht weit weg von meinem Haus, gute zwanzig Minuten zu Fuß. Ohne auf Liam zu warten machte ich mich auf den Weg und ignorierte seine Rufe. Als er mich endlich erreichte, musste er ab und zu laufen, um neben mir her gehen zu können.
„Du bist bestimmt noch sauer wegen gestern, oder?“, fragte er. Ich gab keine Reaktion von mir und drehte meinen Kopf von ihm weg.
„Emma, bitte, du musst mir glauben! Es war nur ein Versehen. Ich mag dich wirklich.“, bettelte er und dann blieb ich stehen. Verdutzt betrachtete ich ihn. Er mochte mich? Das war alles? Genau diese Wörter hatte ich erwartet. Liam liebte mich gar nicht, sondern hielt mich wahrscheinlich für nur eine Freundin. Wahrscheinlich dachte er nicht einmal daran, dass ich ihn liebte und es kümmerte ihn nur sehr wenig. Aber warum diese ständigen Belästigungen? Schließlich war ich fast zu Hause und sein Auto stand vor dem Krankenhaus. Er müsste wieder den kompletten Weg zurück laufen, um Heim fahren zu können.
Ich schüttelte wütend den Kopf und ging weiter. Schweigend lief er neben mir her und egal wie schnell ich lief, er blieb immer an meiner Seite.
Zu Hause begrüßte mich mein Vater und wollte Liam ebenfalls hinein lassen, als ich mich vor ihn stellte. Verflucht dreist schmiss ich die Tür zu und ließ ihn schmollend draußen stehen. Sein Hundeblick funktionierte bei mir nicht.
„Was ist geschehen?“, fragte er entgeistert und wechselte immer die Blicke zwischen der Tür und mir. Ich zuckte mit den Schultern und lief aufbrausend in mein Zimmer. Dort lag Leo auf meinen Bett und quietschte mich an.
Mit einem aufgemunterten Lächeln legte ich mich zu ihm. Kraulte seinen Kopf und er leckte meine Hand ab. Grübelnd starrte ich zur Decke. Meine Gedanken schweiften von gestern nach heute. Noch immer war der Kuss wie ein Tumor in meinem Kopf. Ständig dachte ich an ihn, der den Schmerz hinaufbeschwor und mich noch schlecht gelaunter ließ. Wieso tat ausgerechnet Liam mir das an? Ich liebte ihn doch. Es tat so weh, dass ich für ihn nur eine Freundin war. Zum ersten Mal war ich richtig verliebt, hatte Gefühle die ich noch nie im Leben spürte, lachte wie noch nie und wollte zum ersten Mal bei einem Menschen in seiner Nähe sein. Schon allein sein Äußeres machte mich so schwach, dass mir manchmal die Knie weich wurden, sobald er auf mich zukam. Sein Duft den er immer auf sich trug, wahrscheinlich ein HUGO BOSS Parfum. Mir wurde schon nur bei dem Gedanken warm und Leo schaute mich fraglich an. Trotzdem log ich. Ich belog mich seit gestern selber. Machte mir falsche Vorstellungen, nur damit auch gut hinüber kam. Sie alle dachten immer noch dasselbe.
„Ich kann es nicht, Leo. Ich kann es nicht. Die ganze Nacht lag ich wach und starrte an die Decke. Grübelte nach, lief alle Situationen, Momente und Vorgehensweisen durch. Jedoch kam ich immer zum selben Entschluss: Meine Stimme musste geheim bleiben.“, murmelte ich und genoss den Klang meiner sanften und weichen Stimme. Ich hörte mich manchmal wie meine Mutter an. Zwar konnte ich das schlecht bezeugen, aber auf Videos hatte sie dasselbe wunderschöne Lachen wie ich. Sie durfte es nicht wissen. Auf keinen Fall! Leo war der einzige mit dem ich mich unterhalten konnte, auch wenn es sich so anhörte als würde ich mit mir selbst reden. Nicht einmal Selena durfte die Wahrheit kennen. Es könnte sich so viel ändern, wozu ich einfach noch nicht bereit wäre. Vielleicht hätte auch Liam kein Interesse mehr an mir, weil ich dann nichts mehr “Besonderes“ wäre. Er sähe eine völlig veränderte Person vor sich. Vielleicht würde er mich sogar genauso abstempeln, wie Page. Die arme war Hals über Kopf verliebt in ihn, genau wie ich. Auch sie durfte nichts erfahren. Niemand! Obwohl ich meinen Vater über alles liebe, konnte ich es nicht übers Herz bringen. Er würde meine Situation nicht verstehen. Das Risiko wäre es nicht wert. Also schwieg ich weiterhin. Blieb die stumme Emma die ich schon immer gewesen war und vielleicht gab ich auch eines Tages mein Geheimnis preis. Es wäre auch nicht passend so voreilig hinunter zu rennen und zu schreien, das ich wieder sprechen konnte. Aber von nun an musste ich auf der Hut sein zu schweigen. Ich durfte mir keine Fehler erlauben.
Leo stand auf und schüttelte sich. Einige seiner Haare fielen auf meine Bett und schon passierte der erste, jedoch harmlose Fehler: „Ach, Leo! Hör auf!“, motzte ich und hielt mir dann sofort meine Hand vor den Mund. Ich schüttelte meinen Kopf heftig und vergrub meine Hände darin. Prüfend wandte ich mir zur Tür, aber mein Vater schien glücklicherweise nicht auf dem Flur zu stehen.
„Konzentriere dich!“, flüsterte ich mir leise zu.
Leo verschwand aus meinem Zimmer und mein Vater rief mich zum Essen. Unten musste ich mich irgendwie verdreht hinsetzen, damit meine Prellung nicht allzu schmerzte. Für die nächsten paar Tage war Bettruhe angesagt.

„Wie geht´s dir mittlerweile?“, fragte Liam, der sich ohne meine Erlaubnis neben mich setzte. Er gab nicht auf. Selena erblickte mich von weitem, wie ich mit ihm auf der Bank saß und schlug eine andere Richtung ein. Verräterin, schnaubte ich in Gedanken.
„Bitte, ich möchte dass du wieder mit mir sprichst!“, bettelte er weiterhin und ich blickte ihn empört an. Sprechen? Wie gern ich das tun würde, aber nicht darf. Trotzdem musste ich es als Beleidigung auffassen und so tun, als wäre meine Stimme tatsächlich immer noch weg.
„Oh, nein, bitte, Emma, das hast du jetzt falsch verstanden.“, fiel es ihm auf und schlug die Hände über den Kopf. Ich lachte in mich hinein und stand auf. Kopfschüttelnd lief ich davon und hörte nur seine Flüche hinter meinen Rücken. Im Unterricht fiel es tatsächlich schwer, mich immer noch so stumm zu verhalten. Am liebsten hätte ich manchmal die Antworten laut in die Klasse gerufen. Jedoch Selena war meistens bei mir und lenkte mich immer mit ihren neusten Themen ab.

Zu Hause wartete wieder mein Vater auf mich und das Essen duftete im ganzen Haus. Mein Magen grummelte und schrie nach Futter.
„Heute gibt es dein Lieblingsessen! Heringe mit Pellkartoffeln.“, rief er und in meinem Mund lief mir der Speichel zusammen.
Hungrig setzte ich mich an den Tisch und bevor der Teller vor meiner Nase stand, warf mein Vater einen prüfenden Blick auf meine Prellung die allmählich verschwand. Der Verband war schon seit einer Woche ab und bald würde auch der Schmerz ganz verschwinden. Wie ein Raubtier stürzte ich mich auf das dargelegte Essen und genoss die Gemeinsamkeit mit meinem Vater.
„Deine Mutter hatte dieses Gericht auch geliebt und stürzte sich gerne mal auf das Essen wie du.“, kicherte er und mochte es mir beim Essen zuzuschauen. „Ich würde dir ja gerne etwas erzählen, aber FUD liegt oben in deinem Zimmer, nehme ich an, deswegen hebe ich mir das Thema für später auf, damit du nicht extra hoch laufen musst.“ Ich nickte nur abgelenkt den Kopf und aß weiter.
Aber dann wollte ich wissen, ob es etwas Wichtiges war. Misstrauisch ließ ich ihn auf mich einwirken. Nein, es konnte nicht wichtig sein. Dazu war viel zu gelassen und ruhig. Bestimmt eine Frage über meine Schule oder meinen Alltag.
Am Abend legte ich mich in meine Bett und wollte gerade das Licht ausmachen, als mein Vater mich noch besuchte. Er setzte sich seufzend neben mich und legte seine Hand auf meine Beine. Neugierig starrte ich ihn an.
„Deine Schuldirektorin hatte mich gestern angerufen.“, kam er gleich zum Thema. Hatte ich etwas angestellt? Ängstlich drückte ich mich gegen die Wand und dachte jetzt würde es ernst werden.
„Keine Sorge, es ist nichts schlimmes.“
Mein Herz rutschte in meine Hose und erleichtert fuhr ich auf. Mein Puls war jedoch immer noch zu spüren. „Sie hatte mich auf die Klassefahrt angesprochen. Wieso hast du mir nichts davon erzählt? Es heißt alle in deiner Klasse würden mitfahren und die Direktorin bräuchte noch mein Einverständnis. Ich hatte ihr sofort zugesagt und das Geld noch heute überwiesen. Und nun fährst du offiziell mit.“
Völlig schockiert vergaß ich zu atmen und hustete nach wenigen Sekunden los. Den Zettel hatte ich absichtlich weggeschmissen, weil ich nichts damit zu tun haben wollte. Denn Liam würde mitfahren und Selena wäre nicht bei mir. Der Typ würde mir doch ständig auf die Nerven gehen. Die Fahrt sollte außerdem nach Südfrankreich gehen und ich konnte mich nicht einmal verständigen. Wir hatten zwar Französisch gelernt, aber nur um es zu verstehen.
„Du freust dich nicht?“, fragte er traurig. Aber ich lächelte nur kurz auf, weil ich ihm nicht böse sein konnte. Immerhin wollte er auch mal dass ich auch den Strand entdeckte und Spaß hatte. Doch dann grinste er wieder und schlug begreifend auf mein Bein.
„Du bist wohl so begeistert, das dir da der Atem wegbeleibt und ich dachte schon, du seist sauer.“, lächelte er vergnügt, das Richtige getan zu haben.
Er stand auf und lief zur Tür. Noch bevor er sich zu seinem Schlafzimmer wandte, wünschte er mir eine Gute Nacht. Liam und ich. In drei Tagen. Am Freitag. Gemeinsam, in einem Bus? Ich tauchte verzweifelt unter meine Decke und schlief später nach langem Grübeln ein.






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