Lieben ohne Worte - Teil 2

Autor: Noa
veröffentlicht am: 04.08.2011


Kapitel 2

Ich schaute neben mich und da saß er. Seine dunklen Augen funkelten mich an und ich musste kurz lächeln.
„Siehst du, du kannst doch lachen. Hatte schon gedacht es wäre etwas passiert, so wie du geguckt hast.“, grinste er und seine Stimme war so unglaublich aufheiternd. Für einen Mo-ment vergaß ich meine Behinderung und wollte etwas sagen, aber es kam kein Ton heraus. Schämend drehte ich meinen Kopf zur Seite und wurde rot. Mit meiner Behinderung würde ich mich nie abfinden. Sie war so nervig und ich hasste mich einfach dafür.
„Ich verstehe.“, murmelte er nur und am liebsten hätte ich laut losgeschrien, weil er wahrscheinlich gleich gehen würde. Wer würde schon mit einem stummen Mädchen abhängen? Sie kann ja nicht einmal mitreden. Genau so dachten alle hier an meiner Schule. Aber er stand nur auf um sich die Schuhe neu zu binden und setzte sich dann wieder neben mich. Für einen Moment war ich sprachlos.
„Weißt du was ich mir immer sage.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es ist besser mit Menschen zu kommunizieren, die anders sind, so wie du oder die anderen hier. Ich lerne mehr im Le-ben, sehe Stärken und Schwächen der anderen, das hat mir damals sehr auf die Beine geholfen.“, erklärte er mir und mir gefiel es wie er über solche Dinge sprach. Es machte ihm an-scheinend Spaß hier zu arbeiten.
„Du fragst dich bestimmt, was ich hier mache, oder?“
Ich nickte eifrig.
„Ich möchte wahrscheinlich hier Sozialarbeiter werden. Ich liebe es mit Menschen Kontakt aufzunehmen.“
Ich lächelte und zog aus meiner Jackentaschen ein kleines Gerät heraus, worauf ich schreiben konnte. Ich schrieb mit einem Touchpen eine Frage auf und drückte es ihm in die Hand.
„Du fragst, wie lange ich noch hier sein werde? Willst du mich loswerden?“, lachte er zum Schluss. Ich schüttelte grinsend den Kopf. „Also im Moment mache ich hier eine Ausbildung und du wirst mich wohl noch ganze drei Jahre sehen.“
Ich nahm wieder das Gerät an mich und schrieb eine weitere Frage auf.
„Wie alt bist du? Woher kommst du? Wie ist überhaupt dein Name?“, las er vor.
„Ich bin achtzehn, komme aus Frankfurt und ich heiße Liam.“
Ich nahm wieder das Gerät an mich und schrieb meinen Na-men auf.
„Emma, ein schöner Name.“
Ich wurde rot und grinste verlegen.
„Ich quatsch dich bestimmt zu, oder? Vielleicht sollte ich nach den Jungs schauen gehen.“
Ich wollte eigentlich nicht dass er geht und es ihm sagen, aber er verabschiedete sich schnell und verschwand dann in die Umkleide. Ein netter und hübscher Junge, dachte ich mir nur.
„Emma, komm, der Unterricht beginnt!“, rief Selena und wank mir zu. Ich sprang von der Bank auf und lief zu ihr. Im Unterricht hatte ich ganz andere Gedanken. Anstatt das ich mich konzentrierte, was ich sonst immer tat, dachte ich nur an Liam. Es war fast noch extremer, als ich mitbekommen hatte, endlich in den Europapark fahren zu dürfen. Den ganzen Tag fragte ich mich, was ich wohl dort machen würde, wie das Wetter aussähe und wer überhaupt alles mitkäme, denn es war eine Klassenfahrt. Aber bei Liam war es fast wie ein unausweichlicher Gedanke. Selbst wenn ich ihn aus meinem Gedächtnis verdrängen wollte, tauchte vor meinem geistigen Auge immer wieder sein Lächeln auf.
„Emma? Alles ok? Du wirkst do verträumt?“, fragte mich Selena, die neben mir saß und mich mit dem Ellenbogen antippte.
Ich wachte aus meiner Zerstreuung auf und nahm die Hand von meinem Kinn, mit der ich die ganze Zeit meinen Kopf stützte. Sogar meine Lehrerin beobachtete meine Trance und wurde immer extra laut, wenn ich wieder in Gedanken fiel.
Nach dem Unterricht war ich so sehr konzentriert, vielleicht Liam auf dem Flur anzutreffen, das ich völlig meine Tasche vergessen hatte. Gerade als ich die Schule verließ, fiel es mir auf einen Schlag ein. Im Sprint lief ich zurück zur Tür, aber sie war längst abgeschlossen. Wütend trat und schlug ich gegen sie. Dort war mein Schlüssel drinnen und mein Vater war arbeiten. Mit Leo musste ich auch noch spazieren gehen und das sobald wie möglich. Wie sollte das Essen auch fertig sein, wenn mein Vater von der Arbeit kam? Er würde wieder ausrasten und mich für die nächste Zeit ignorieren.
Ich lief ins Sekretariat, aber das war seltsamerweise ebenfalls abgeschlossen. Am liebsten wäre ich selbst noch gegen diese Tür getreten, aber dadurch ginge sie auch nicht auf. Verzweifelt glitt ich an der Wand hinunter und seufzte laut. Die angewinkelten Beine umschlang ich und legte meinen Kopf darauf.
„Also ich habe das Gefühl, das du immer traurig bist, sobald du allein gelassen wirst, oder?“, schallte eine bekannte Stimme durch den Flur.
Grinsend schüttelte ich den Kopf und er reichte mir seine Hand, die ich mir Freuden annahm. Mit einem Ruck stand ich wieder auf meinen Beinen und wollte ihm sagen was los war. Erst als ich ihm es erneut erklären musste, was geschehen war, bemerkte ich meine Stummheit. Mein Sprach-/Schreibgerät legte ich auch in meine Tasche. So konnte ich ihm nichts sagen. Aufgeregt lief ich hin und her und nahm ihn schließlich bei der Hand. Mich durchfuhr eine angenehme Gänsehaut, als ich ihn berührte und zog ihn bis zur Tür. Laut klopfte ich dagegen, um ihm klar zu machen, dass sie geöffnet werden musste.
„Ich verstehe.“, rief er und kramte in seiner Hosentasche herum. Er zog einen Schlüsselbund heraus und suchte den Schlüssel. Dann sperrte er sie auf und deutete mir den offenen Eingang mit der Hand.
„Bitte, Madame.“
Ich musste lachen und schnappte mir schnell meine Tasche. Auf dem Gerät schrieb ich in Großbuchstaben DANKE und verabschiedete mich von ihm.
Zuerst lief alles wie immer. Leo musste aus dem Haus, ich kochte das Essen und mein Vater kam um Punkt zwei Uhr nach Hause. Er grüßte mich mürrisch und setzte sich mit dem vollgeprallten Teller vor den Fernseher. Ich lief zum Stecker hin und zog ihn heraus. Aufbrausend schmiss er den Teller neben sich auf das Tischchen und stand wütend auf.
„Was soll das, Emma? Ich glaube du spinnst!“, brüllte er laut.
Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und tippte mit einem Fuß rhythmisch auf den Boden. Dabei zog ich eine Augenbraue hoch und blickte ihn ernst an.
„Steck den Stecker sofort wieder hinein.“, warnte er mich, aber ich rührte mich keinen Schritt. Als er es selber machen wollte, ließ ich ihn nicht an mir vorbei.
„Fräulein, noch immer bin ich der Herr im Haus und du tust gefälligst das, was ich dir sage, klar?“
Ich verzog spöttisch die Mundwinkel und musste kurz aufla-chen.
„Nur weil du meinst du kannst dir alles erlauben, weil du nicht sprechen kannst und einfach die Glotze ausmachst, dann hast du dich geschnitten.“, flippte er völlig aus. Aber solche Worte kamen noch nie über seinen Lippen. Mein Lachen verging, weil es mir gegenüber ziemlich verletzend war. „Was kann ich dafür dass du stumm bist? Du hast einfach Pech in deinem Leben gehabt, so sieht es nämlich aus und jetzt verschwinde.“
Mir schossen Tränen in die Augen, weil er einfach nicht ver-stand wie schlimm es ist, stumm zu sein. Eine Träne kullerte mir die Wange herunter, ich schnappte schnell meine Tasche und verschwand weinend mit Leo aus dem Haus.
Christopher saß sich wieder in den Sessel, als er seinen Fern-seher wieder anschloss und ging seine eigenen Wörter wieder im Kopf durch. Aus seiner wütenden Mimik, wurde Trauer und er bereute es zu tiefst was er da sagte. Es war immer hin seine einzige Tochter und sie sah Sarina furchtbar ähnlich. Er stieg mit einem besorgten Gesicht vom Sofa und drehte sich suchend um.
„Emma?“, murmelte er.
Er schaltete den Fernseher aus und begab sich nach oben in die Zimmer. Ihre Schultasche lag dort noch und Leo meldete sich auch nicht mehr. Verzweifelt und unter schlechtem Ge-wissen ließ er sich aufs Bett seiner Tochter fallen und schloss die Augen. Die Worte taten ihm selber weh. Er war nur so sauer gewesen und musste irgendwo seine Wut herauslassen, dabei wollte er keinesfalls seine Tochter verletzen. Er wusste selbst, dass eine Behinderung furchtbar war und er selbst drei Jahre mit einer leben musste. Bei einem Basketballspiel, stürzte er folgenschwer und konnte drei Jahre lang seine Beine nicht bewegen. Erst nach einer hart gesparten Operation, konnte er wieder gehen. Seine Tochter jedoch litt schon seit ihrer Geburt darunter. Obwohl ihre Stimmbänder und Nervensystem alle völlig in Ordnung waren, fehlte ihr jeder Klang. Wie gerne er einmal das wunderschöne Lachen seiner Tochter gehört hatte. So wie sie sich immer mühsam um ihn kümmerte, dankte er ihr mit verletzenden Worten. Das war unverzeihlich. Er nahm das Foto in die Hand, wo er und seine Tochter glücklich auf einem Bild zusammen standen. Sie hatten es an ihrem neun-ten Geburtstag geschossen. Damals war Emma noch sehr glücklich, trotz ihrer Behinderung. Christopher hielt das Bild an seinen Kopf und begann selbst zu weinen an. Er musste sich unbedingt bei ihr entschuldigen. Deswegen setzte er sich wieder in seinen Sessel und starrte auf einen leeren Bildschirm.
Leo sprang zu mir neben die Holzbank und legte anschließend seinen Kopf auf meine Oberschenkel. Der Ort, an dem ich saß, war für mich immer eine Zuflucht gewesen. Ich grübelte meistens hier sehr oft nach und spulte Erinnerungen zurück und spielte vergangene Träume ab. Es war an einer abgelegenen Waldhütte, die genau vor einen kleinen Bach gebaut wurde. Im Sommer, so wie im Moment, war es traumhaft ruhig. Ich hörte keine Autos, sondern nur die rasselnden Blätter in den Bäumen, den plätschernden Fluss, den ruhigen Wind, der sanft an meinen Ohren vorbeiglitt. Wenn ein blauer Himmel zu sehen war, schien mir die Sonne ins Gesicht und ich konnte mich einfach gehen lassen. Ich zog meine Ballerinas aus und vergrub meine Füße in der weichen und feuchten Wiese. Die Halme kitzelten mich, aber ich genoss es. Leo schloss auch die Augen und für einen Moment vergaß ich sogar warum ich überhaupt weinte. Wieso konnte es zu Hause nicht so angenehm sein wie hier. Dann wäre ich wenigstens einmal glücklich. Jedoch hatte mein Vater wirklich übertrieben. Nie hätte ich gedacht, dass er so beleidigende Worte verwenden würde. Vielleicht lag es auch daran, dass er wegen Mom und mir so verbittert wurde. Er verlor meine Mutter und bekam ein Kind ohne Stimme. Das musste wirkliches Pech sein. Trotzdem merkte er einfach nicht, dass er andere damit genauso verletzte. Durch seine Frust und das verbitterte Leben wurde er zu einem Säufer und Raucher. Mom hätte bestimmt nicht ge-wollt, das es später so enden würde. Ständig versuchte ich ihn auch wieder auf die Beine zu bringen, aber es half nichts. Er ließ sich immer wieder gehen und machte sich nichts aus meinen Worten. So langsam waren selbst meine Nerven am Ende.
Nach wenigen Minuten lief ich ein wenig im Wald herum und trat gegen irgendwelche Äste. Ich hüpfte auf Baumstümpfen, Stämmen und Steinen herum, bis ich irgendwann ausrutschte und in einen Graben fiel, wo ein Stamm meinen Fuß einklemmte. Ich biss auf meine Zähne vor Schmerz und versuchte mich zu befreien, aber nichts half. Vergeblich versuchte ich nach Hilfe zu rufen, in der Hoffnung, dass wenigstens ein Piepsen oder ein Ächzen zu hören war, aber der Wald blieb stumm.






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