Lieben ohne Worte

Autor: Noa
veröffentlicht am: 01.08.2011


„Werte sinken!“, schrie eine junge dunkelhäutige Frau, als sie den Wagen mit zwei anderen Helfern den Gang hinunter schob.
„Wir müssen zuerst die Werte schnell stabilisieren, um das Baby aus dem Bauch zu holen.“, rief ein Arzt, der hinterher rannte.
Eine junge Frau mit grauen Augen starrte zur Decke. Ihr war nicht gut. Es war, als würde sie sich jeden Moment übergeben müssen und die Schmerzen wurden auch nicht weniger. Was hatte sie schon getan? Sie hatte wahrscheinlich schon zu viel Glück in ihrem Leben gehabt, sodass nun der Tag kam, in dem alles zu Grunde ging. Sie besaß eine Villa an einem Strand, hatte einen wunderbaren Ehemann, viel Geld und erwartete eine kleine Tochter. Es wäre ihr erstes Kind gewesen. Seit Monaten hatte sie auf die kleine Emma gewartet. Aber wenn sie sie nun ihr wegnehmen und das noch einen ganzen Monat zu früh, würde ihr trotzdem nichts geschehen? Würde sie überhaupt zusehen können, wie die Kleine aufwächst? Sarina fühlte an ihren Hals, aber eine Schwester hinderte sie daran. Er tat unglaublich weh. Sie wollte doch nur in einem Geschäft für ihr Baby Kleidung kaufen gehen. Mehr wollte sie nicht. Vielleicht eine Hose oder ein Röckchen. Jedoch kamen zwei Männer rein mit schwarzen Masken und dunklen Kleidern. Sie hatten eine Pistole in der Hand mit der sie auf den Verkäufer zielten. Der erste Schuss fiel und sie sah nur Blut hinter der Theke. Durch die Angst die sie verspürte, glaubte sie ihr Kind erschreckt zu haben. Emma durfte nichts passieren. Schützend legte sie die Hände um ihren welligen Bauch und versteckte sich hinter einer der Regale. Aber spätestens als die Männer das Geschäft durchsuchten, fanden sie Sarina und zerrten sie hinter dem Regal heraus. Sie weinte, aber nicht um ihr Leben, sondern wegen Emma. Sie hatte so Angst ihre kleine Tochter zu verlieren, dass sie es wagte den Mann anzuflehen ihr nichts zu tun. Jedoch lachte er nur spöttisch und zielte mit der Waffe auf den Bauch. Schon als sie voraussah, wie er abdrücken würde, hörte sie einen Schuss und spürte wie ihr etwas am Hals herunterfloss. Der Mann schmiss sie zu Boden und Sarina bekam fast keine Luft mehr. Sie sah nur wie schnelle Beine aus dem Geschäft sprinteten und eine beruhigende Sirene zu hören war. Es musste die Polizei und der Krankenwagen sein. Doch dann verlor sie das Bewusstsein und wachte erst wieder auf, als sie schon auf der Trage lag. Es verging keine Sekunde an der sie nicht an ihr Kind dachte. Bald schob sie jemand in einen Raum, wo es hell und voll wurde. Um sie herum standen Ärzte und Krankenschwester, die Mundschutz und Kittel trugen. Eine Nadel durchfuhr ihre Haut und nach wenigen Sekunden, verlor sie ihr Bewusstsein.
Per Kaiserschnitt entnahmen sie das Kind der Mutter und kümmerten sich anschließend sofort um die Frau. Als nach zehn Minuten der Herzstillstand eintrat.
„Defibrillator aktiveren!“, schrie eine Krankenschwester und nahm die Paddels in die Hand. Sie wartete auf das Zeichen und drückte sie auf die Brust von Sarina. Nichts passierte. Sie erhöhten die Spannung und versuchten es ein zweites Mal, aber nichts geschah. Es ging ganze zehn Minuten so und keine Reanimationsversuche funktionierten wirklich. Es vergingen schließlich zwölf Minuten und ein Arzt erklärte Sarina für tot. Gerade traf ihr Mann ein, Christopher Braun. Es sah durchs Fenster, schaute in die Gesichter der Ärzte und wusste, dass es vorbei war. Seine einzige Geliebte war für immer von ihm gegangen. Mit tränengefüllten Augen betrat er den Raum, ignorierte die Worte und Warnungen der Ärzte und beugte sich über sie. Seine Tränen flossen auf ihre Wange und er nahm sie ein letztes Mal in den Arm.
„Herr Braun, wir bitten Sie den Raum sofort zu verlassen.“, drohte ihm eine Schwester. Als die Ärzte ihn von Sarina weg-rissen, begriff er, dass es sinnlos war, länger bei ihr zu sein. Wie konnte das bloß passieren? Er liebte sie so sehr. Damals mochte er es, wenn Sarina von ihren Träumen und Wünschen erzählte. Gemeinsam wollten sie Emma groß ziehen und alt werden. Sie wollte unbedingt Enkelkinder haben und friedlich sterben. Wieso musste Gott seine Frau fort nehmen? Als er in Flur stand und eine Schwester neben ihm stand, um ihm tröstende Worte einzureden, fiel er auf seine Knie und weinte laut. Ihm war es egal wie die Menschen ihn nun anschauten. Er hatte alles verloren, was ihm jemals bedeutet hatte.
„Doktor! Es gibt ein Problem mit dem Baby.“, rief eine Schwester und er eilte ihr nach auf die Babystation. Die Schwester legte es ihm in den Arm und da merkte er es sofort. Es schrie nicht. Wieso fiel ihm es nicht gleich auf? Als er sogar das Kind aus dem Bauch nahm, schwieg es. Das war kein gutes Zeichen.
Nach wenigen Untersuchungen wusste der Arzt nicht wieso das Kind schwieg. Es stimmte alles. Die Stimmbänder waren in Ordnung. Eigentlich hatte er ein gesundes Kind im Arm. Christopher erfuhr von dem merkwürdigen Problem und der Arzt wollte es selbst nach wenigen Tagen noch behalten.
Die Tests ergaben jedoch immer wieder dasselbe. Emma war stumm und könnte wahrscheinlich nie in ihrem Leben spre-chen. Sie könnte nicht einmal eine normale Schule besuchen. Ihr Vater jedoch war so mit den Nerven am Ende, das er beschloss, das Haus zu verkaufen und weit weg zu ziehen. Selbst nach siebzehn Jahren, konnte er die Schmerzen nie vergessen. Noch immer lag in seinem damaligen Aktenkoffer ein Foto seiner Frau.
Siebzehn Jahre später:
„Würdest du denn das Angebot annehmen?“, fragte Selena mich. Ich nickte. Seit all den Jahren hatte ich kein einziges Wort gesprochen. Ich konnte einfach nicht. Immer wenn ich versuchte etwas zu sagen, kam nur heiße Luft heraus und obwohl mein Vater mir einmal sagte, dass es möglich wäre, das ich irgendwann sprechen könnte. Das gab mir Hoffnung, aber nach so langer Zeit glaubte ich daran nicht mehr und musste damit klar kommen, stumm zu sein. Meine Mutter starb damals und gerne hätte ich sie kennen gelernt. Als ich Bilder fand von damals, sah ich meinen Vater so lebendig und glücklich, aber seit ihrem Tod, verbringt er den Rest des Tages in der Werkstatt und arbeitet sich die Knochen kaputt oder saß faul auf der Couch. Sein Leben war wie eine alte Ruine, faul, kaputt und verbittert. Das kleine Haus das wir uns gekauft hatten, war schon jetzt völlig verdreckt und ich war immer die einzige die sauber machen musste. Er nahm sich lieber eine Flasche Bier, schaltete den Fernseher an und legte sich lässig in den Sessel. Letztes Jahr kaufte ich ihm einen Hund, einen Border Collie, den er zuerst keinen Namen geben wollte. Als er anfing ihn ständig Hund zu nennen, taufte ich ihn auf Leo. Jedoch bezweckte es nur eines, dass ich mit ihm rausgehen durfte. Mein Vater meinte nur dazu, dass der Hund ins Haus machen könnte, aber er würde auf keinen Fall mit ihm spazieren gehen. Mein Plan schlug fehl.
Gedanken versunken, wedelte Selena mit ihrer Hand vor meinen Augen herum und ich wachte wieder auf. Ich grinste verlegen und konzentrierte mich wieder auf das Thema.
„Also, was meinst du? Soll ich?“
Selena wollte unbedingt an meiner Schuld, die für Behinderte war, ein Praktikum machen. Sie interessierte sich für Soziales und liebte es Menschen um sich zu haben. Natürlich fand ich das eine super Idee, denn dann wäre ich nicht mehr so allein. Mir wurde in alle den Jahren Gebärdensprache beigebracht, aber ich verwendete es nur, wenn vor mir ein genauso stummer Mensch stand. Selbst an meiner Schule liefen nur Behinderte herum, aber keiner wollte etwas mit mir zu tun haben. Sie bemerkten mich nicht einmal. Teilweise war das gut so, da ich mich sowieso mit niemanden unterhalten konnte. Es war auch mein letztes Schuljahr und danach, musste ich mir einen Job suchen. Natürlich waren die Möglichkeiten weit eingeschränkt, selbst mit Abitur. Das einzige Problem war eben meine Stimme, zum Beispiel konnte ich nie Immobilienmaklerin werden, obwohl ich gerne Menschen überzeugte.
Ich nickte zufrieden.
„Sehr gut. Dann würde ich sagen, sehen wir uns morgen und soll ich dich dann abholen kommen. Wir können ja gemeinsam zur Schule gehen. Ich frag nach dem Praktikum und dann kann ich dir noch ein wenig im Unterricht zusehen.“, lächelte sie, umarmte mich und verschwand aus dem Zimmer.
Als ich mir sicher war, allein zu sein, stellte ich mich vor den Spiegel und betrachtete mich. Frau Läufer meinte es würde das Selbstbewusstsein stärken, wenn ich versuchen würde zu sprechen und mich dabei betrachte. Irgendwann würde ich mich so akzeptieren wie ich bin. Selena meinte einmal, das sie gerne mein Lachen gehört hätte, jedoch wünschte ich mir das schon mein ganzes Leben lang. Vielleicht hatte ich eine dunkle Stimme und hörte mich wie ein Mann an, dann wäre ich auch lieber stumm geblieben. Sie könnte aber auch sanft und nett sein, vielleicht hätte ich sogar mehr Freunde.
Am nächsten Morgen ging ich schnell mit Leo spazieren und machte mich dann fertig für die Schule. Selena stand schon verfrüht vor der Haustür und wartete noch im Wohnzimmer. Mein Vater schlief, denn er musste erst um zehn Uhr arbeiten gehen. Ich legte meine schwarz-weiße Umhängetasche um meine Schultern und zog unten meine flachen Stoffschuhe an. An meinem Style konnte es nicht liegen, das mich die anderen nicht mochten, vielleicht eher an meiner Schüchternheit und das ich auch nicht sprechen konnte.
Aufgeregt lief ich mit Selena aus der Tür und es war nicht weit bis zur Schule. Ich musste Selena der Klasse vorstellen, wo auch einige Stumme und Taube darunter waren. Die Klassen waren immer so eingeteilt, das man fast das Gleiche lernen musste. Selena setzte sich neben mich und später würden wir zur Direktorin gehen, um ihr einen Praktikumsplatz zu verschaffen.
Nach der Stunde standen wir beide vor dem Büro der Direktorin und wurden nach dem Anklopfen hinein gebeten. Ich begrüßte sie durch Gebärdensprache und setzten uns auf die beiden Stühle hin. Ich erklärte der Direktorin, das Selena einen Praktikumsplatz haben möchte und dann unterhielten sich die beiden. Das Gespräch lief wie geplant und sie bekam den Platz.
In der Pause schauten wir den Basketballspielerin zu, die im Rollstuhl saßen. Einige von ihnen sind schon mit gelähmten Beinen zur Welt gekommen, andere hatten einen Unfall erlitten. Aber zwischen all den Spielern, fiel mir jemand ganz besonderes auf. War er neu? Aus Neugier konnte ich nicht die Augen von ihm lassen und dazu sah er noch ziemlich gut aus. Er war auf muskulös gebaut und hatte bis zum Ohr hin lange stufige Haare. Nach dem Spiel fuhren alle Rollstuhlfahrer in die Umkleidekabinen hinein, weil sie davor Sport hatten und zogen sich um, bis auf eine Person. Als die Direktorin etwas mit ihm besprechen wollte, stieg er gemütlich aus dem Rollstuhl. Ich öffnete verblüfft den Mund und hatte die ganze Zeit gedacht, er sei neu hier. Dabei war er auch ein normaler Mensch, sowie die anderen Angestellten hier. Wahrscheinlich war es ihr neuer Trainer oder jemand anderes. Seufzend setzte ich mich auf die Bank und Selena wurde von der Direktorin gerufen.
„Warum so ein langes Gesicht?“, fragte eine nette Stimme, als ich merkte, das sich jemand neben mich setzte.






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