Winternachtstraum - Teil 9

Autor: Addielein
veröffentlicht am: 06.06.2011


Ich bin im Gegensatz zu Tom nicht der Meinung, dass das Kuscheln nach dem Sex überbewertet wird. Für mich gehört dies genauso dazu, wie das Vorspiel oder der Sex an sich. Dabei ist auch egal, ob ich die Person, die neben mir liegt, liebe oder nicht. Und da kann mich Tom noch so viel auslachen, wie er will. Ich beharre auf meinem Standpunkt!
„Ist der Kerl auf dem Foto dein Freund?“ fragt Ramon nach einer Zeit des Schweigens.
Wir liegen noch im Bett; er auf dem Rücken, ich auf dem Bauch, den Kopf auf seiner Brust gebettet. Er hat den Arm um mich gelegt und seine mokkafarbene Haut stellt einen starken Kontrast zu meiner Kalkwand-Blässe dar.
Ich stützte mich auf, um ihn anschauen zu können und ziehe skeptisch die Brauen nach oben: „Das fragst du aber früh“ bemerke ich sarkastisch und er verzieht sein hübsches Gesicht zu einer Grimasse und richtet sich ebenfalls auf. „Ist er’s?“
Ich seufze; ich bin noch nicht bereit, ihm die Antwort zu geben, die er hören will. Vielleicht später, aber nicht jetzt. „Und wenn er’s ist, was würde das ändern? Mit mir geschlafen hast du ja schon“
„Darum geht es mir gar nicht. Selbst wenn er dein Freund ist, dann hat es bestimmt seine Gründe, warum du ihn betrügst. Und dabei ist es egal, wer dein Seitensprung ist“ sagt er so leichthin, als würde ich mit jedem Typen ins Bett springen, wenn ich meinen Freund betrügen wollte. Doch ich beherrsche mich, seinen Kommentar nicht persönlich zu nehmen. Stattdessen sage ich leise: „Er war mein Freund“
Sein Blick verändert sich und seine dunklen Augen weiten sich: „Dein Ex-Freund?“
„Ja, bist du nun zufrieden? Hat dir diese Antwort so viel bedeutet?!“
„Ja… Nein… ach, keine Ahnung“ meint er ungeduldig. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen das Kopfende des Bettes und ich angle mir sein Hemd vom Boden und ziehe es an, bevor ich mich neben ihn setze. „Wir haben uns gestern getrennt“
Sofort schaut er mich an. Auch, wenn ich ihn nicht ansehe, so spüre ich doch seinen geschockten Blick auf mir. Aber er sagt nichts; er schweigt einfach nur.
Also erzähle ich weiter: „Der Ausdruck „Wir haben uns getrennt“ ist eigentlich falsch ausgedrückt. Er hat mich verlassen“
„Addie…“ setzt Ramon an, doch er bricht ab. Nur wenig später legt er seinen Arm um meine Schulter und zieht mich zu sich ran. „Er ist ein Idiot, eine wie dich gehen zu lassen“
„Ich weiß“ antworte ich kokett und küsse ihn auf die Wange. Doch dann werde ich wieder ernst: „Er hat mich betrogen – mit meiner besten Freundin“
„Autsch!“ ist Ramons Reaktion. „Ich dachte, so was passiert nur in diesen schwachsinnigen Seifenopern“
„Hey! Ich mag Seifenopern“ protestiere ich. „Anscheinend sind die doch relativ nah am Leben dran“
„Relativ“
„Du bist pessimistisch, kann das sein?“
„Realistisch“
Ich lache leise, dann schweigen wir beide, bis er das Schweigen bricht. „Hast du mit mir geschlafen, weil du dich an deinem Ex-Freund rächen wolltest?“
Seine Frage überrascht mich; und zugleich verärgert sie mich auch. Warum stellt er eine solche Frage? Philipp ist Kilometerweit weg. Er wird von meinem kleinen Techtelmechtel mit Ramon nie etwas mitbekommen. Warum also, sollte ich deswegen mit ihm geschlafen haben?! Doch warum habe ich dann mit dem ihm geschlafen? Aus Trost? Nein, das war es auch nicht. Vielleicht mag ich ihn ja wirklich…
„Was für eine bescheuerte Frage!“ beschwere ich mich. „Da geht es doch nur um dein Ego“ Ich befreie mich aus seiner Umarmung und stehe auf.
Auch er steht aus, bückt sich und zieht sich seine schwarze Boxershorts an. „Natürlich geht es da um mein Ego! Welcher Mann wird schon gerne nur zum Trost oder zur Rache benutzt?!“
„Welche Frau ist schon gerne ein einfaches One Night Stand?!“ schnauze ich ihn an. „Du solltest deine… Tabea wirklich anrufen!“
„Misch’ dich nicht in meine Angelegenheiten an!“
Dann liefern wir uns einen Kampf, der auf non-verbaler Ebene stattfindet. Seine dunklen Augen ruhen auf mir und er schien mit seinem Blick bis in mein Inneres sehen zu können.
Schließlich gebe ich auf. Ich senke den Blick und seufze: „Ich mag dich, okay? Deswegen habe ich mit dir geschlafen. Weil du… irgendwie lieb und gleichzeitig so arrogant sein kannst“
Sein Blick wird überrascht. Ich nehme an, dass er nicht mit einer solchen Antwort gerechnet hat. Dann lächelt er: „Ich mag dich auch, Addie“

Nur eine viertel Stunde später tappe ich aus Ramons Zimmer, durch den Flur, bis ins Bad; immer noch ausschließlich mit seinem Hemd bekleidet.
Ich höre wie jemand die Tür aufschließt und sie dann äußerst unsanft zuknallt.
„Es hat aufgehört zu schneien!“ ruft Lennard und knallt wahrscheinlich gerade seine Schuhe auf den Boden. Lennard ist zwar nett, aber nicht gerade feinmotorisch begabt.
Ich will gerade schnell im Bad verschwinden, doch anscheinend bin ich zu langsam.
Lennard kommt um die Ecke des L-Flurs und bleibt dann wie angewurzelt stehen. Er läuft rot an und schaut sofort beschämt zu Boden. „Oh, ähm…“ Er bricht ab und fährt sich unruhig mit der Hand durch die Haare, als Ramon aus seinem Zimmer kommt. „Ist Mel bei dir?“ fragt er Lennard und bleibt so dermaßen cool, als wäre diese Situation kein bisschen peinlich.
„Nein, leider nicht“ antwortet Lennard und ich stehe immer noch hilflos im Flur vorm Badezimmer rum. „Ähm, ich gehe duschen“ bemerke ich schließlich, und Ramon wendet sich von Lennard ab und schaut mich an. Kurz gleitet sein Blick über meine nackten Beine, dann nickt er: „Handtücher sind im Schrank ganz unten“
„Danke“ Schnell gehe ich ins Bad und schließe die Tür hinter mir. Mir entweicht ein lautloser Seufzer. Gott, war das peinlich!
Die heiße Dusche tut gut. Der Wasserstrahl prasselt auf mich herab und weißer Dampf steigt auf und fliegt über die Milchglasduschtüren. Der große Spiegel, der über dem weißen Waschbecken hängt beschlägt.
Kurz habe ich das Gefühl, als würde ich alle Sorgen von mir abwaschen. Vielleicht täusche ich mich aber auch und ich bilde mir dieses Gefühl nur ein.
Trotzdem fühle ich mich besser, als noch vor einem Tag. Der Tag, als ich nach Hérémence aufbrach. Mittlerweile sind schon fast zwei Tage verstrichen. Die Sonne ist untergegangen und es hat aufgehört zu schneien. Wenn er weiterhin Schneesturmfrei bleibt kommen Nina und Tom sicher morgen früh an; und ich fahre wieder zurück – zurück nach Hause, nach Magdeburg.
Dort, wo ich Phillip und Annika wieder begegnen kann. Dort, wo ich mit dem konfrontiert werde, vor dem ich eigentlich geflohen bin.
Ich drehe das Wasser ab und schnappe mir das Handtuch, das ich mir schon bereit gelegt habe.
Schnell rubbel’ ich meinen Körper und meine Haare halbwegs trocken, bevor ich in frische Klamotten schlüpfe; eine schwarze Trainingshose von Adidas und ein graues Sweatshirt von H&M.
Ich schließe die Badtür wieder auf, werfe noch schnell das Handtuch in den Wäschekorb, denn ich nehme an, dass ich es nicht noch einmal brauchen werde und packe meine restlichen Sachen in meine Tasche, welche immer noch im Flur steht.
Ramon und Lennard sitzen im Wohnzimmer. Schweigend lasse ich mich neben Ramon nieder und greife zu dem dritten Weinglas, das auf dem Glascouchtisch steht.
„Was hältst du von Pizza?“ fragt Lennard und hält den Flyer von irgendeinem Pizzaservice nach oben.
Skeptisch ziehe ich die Brauen nach oben: „Bei dem Wetter liefern die?“
„Ach, shit“ flucht Lennard und Ramon grinst triumphierend: „Ich hab’s dir ja gesagt“
„Gut, sagt mir was ihr haben wollt. Ich lauf’ zu Fuß hin und hol’ den Fastfood-Kram ab“ bietet Lennard an und wieder muss ich sagen, dass er der freundlichste Mann ist, den ich kenne.
Ich will nur einen kleinen Salat; mehr würde ich im Moment nicht runter bekommen.
Sobald Lennard die Haustür hinter sich geschlossen hat, schenkt Ramon mir Wein nach und fragt mich dann: „Wie geht’s dir eigentlich? Mit geht’s nach Trennungen nicht besonders gut“
Ich will schon sofort antworten, doch dann halte ich inne. Normalerweise würde ich jetzt einfach so daher reden und sagen, es geht mir gut. Doch dieses Mal muss ich gestehen, dass es mir wirklich gut geht. Es geht mir tatsächlich gut.
Ich beginne zu lachen und schüttele mit dem Kopf: „Es geht mir gut“
Er schaut mich skeptisch und zugleich prüfend an: „Bist du schon betrunken?“
„Um Gottes Willen, nein!“ rufe ich aus und höre auf zu lachen. „Nein, es geht mir wirklich gut. Die meisten verkriechen sich nach einer Trennung immer in ihren Betten und weinen und denken zuviel nach und lassen es zu, dass sie traurig sein dürfen. Das hab ich früher auch gemacht. Nur dieses Mal nicht!“
Ramons Blick wird verständnislos und verwirrt, was ich vollkommen verstehen kann. Ich meine, ich kann mir ja noch nicht einmal selbst ganz folgen. „Versteh’ mich nicht falsch, aber seit meiner Trennung mit Phillip ist soviel passiert! Ich bin durch halb Deutschland gefahren, ich hatte einen Autounfall, ich war im Krankenhaus, mein Auto wurde zerschrottet, mein Handy ist kaputt, ich habe gelernt, wie man Ski fährt – und ich habe jemanden kennen gelernt, der mich Phillip ganz gut vergessen lässt“ Ich grinse Ramon an und schüttele wieder mit dem Kopf.
Sein Blick ist immer noch verständnislos, doch dann beginnt er herzhaft zu lachen. „Ja, vielleicht hast du Recht. Das ist wirklich ziemlich viel für noch nicht einmal zwei Tage“






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