Winternachtstraum - Teil 7

Autor: Addielein
veröffentlicht am: 01.06.2011


Ramon schließt mit dem Schlüssel, den er von Florian bekommen hat, die Tür zu dem Häuschen auf, in dem die Bedienungsknöpfe für den Sessellift sind.
„Woher hat dieser Florian eigentlich den Schlüssel?“ frage ich neugieriger als ich eigentlich sein will und folge Ramon unsicher. Mir ist ganz und gar nicht wohl bei dieser Sache.
„Sein Vater betreibt dieses Ding hier“ ist seine Antwort. Ich nehme es einfach nur nickend zur Kenntnis.
Er schaut kurz über die ganzen Knöpfe und Schalter und drückt dann einen – und so wie es aussieht, ist er nicht wahllos gewählt. „Machst du so was öfters?“ Misstrauisch ziehe ich die Brauen zusammen.
Er lächelt geheimnisvoll: „Wer weiß“
Der Sessellift setzt sich knatternd und ächzend in Bewegung. Irgendwie empfinge ich gegenüber diesem Ding eine tiefe Abneigung. Ich wate aus dem Häuschen heraus und die Skischuhe drücken jetzt schon fürchterlich. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?!
Ich nehme die rosa Ski an mich, welche ich gegen die Hauswand gelehnt habe und versuche irgendwie mit dieser Konstruktion klar zu kommen.
„Klappt’s?“ Ramon schließt die Tür hinter sich und ist schneller in seinen Skiern, als ich bis drei zählen kann.
„Nicht so wirklich“ Doch dann macht es Klack und mein Fuß steckt auch im zweiten Ski. Sofort beginne leicht auf dem Boden zu rutschen. Nur wenige Millimeter bewege ich mich nach vorne, doch das reicht schon, um mich in Panik zu versetzen. „Um Gottes Willen, Ramon! Ich bewege mich. Ich bewege mich“ Verzweifelt greife ich nach seinem Arm und komme zum Stehen, als ich mich an ihn klammere.
„Stell’ dich nicht so an“ sagt er nüchtern zu mir und zieht mich mehr oder weniger mit zum Sessellift.
Als mich der Sitz am Po streift und ich sitze, entfährt mir ein spitzer Schrei und ich wage es nicht unter mich zu sehen.
„Was passiert eigentlich, wenn wir hierbei erwischt werden?“ frage ich und richte meinen Blick auf den Himmel.
Ramon zuckt mit den Schultern: „Keine Ahnung“
„Mein Gott, wir sind doch keine sechzehn mehr!“ rufe ich aus.
Daraufhin schweigt er nur und lächelt. Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen und drehe dann langsam den Kopf und schaue ihn an: „Was ist?“
„Wer war der Typ auf dem Bild?“
Sofort durchzuckt mich ein furchtbarer Schmerz. Meine Augen suchen einen Punkt an dem sie sich festhalten können, doch mein Blick flattert nervös hin und her. Warum musste mich Ramon gerade jetzt an Phillip erinnern?
„Wolltest du nicht Tabea anrufen?“ zische ich und wechsele somit das Thema von mir auf ihn.
Jetzt ist er es, der versucht auszuweichen. „Mach’ dich zum aussteigen bereit“
Die Sicherheitsstange vor uns schwingt nach oben und ich spüre wieder festen Boden unter den Skiern. Ramon ergreift meine Hand und zieht mich mehr oder weniger sanft auf die Beinen und dann stehe ich auf dem Schnee, während der Sessellift hinter uns weiter seine Runden dreht.
Ich bleibe eine Weile regungslos stehen und schaue mich um. Die schneeweißen Berge haben schon etwas Schönes, doch dann sehe ich den Hang, den ich jetzt anscheinend runterfahren muss. An sich ist er nicht steil, trotzdem habe ich furchtbare Angst.
„Also, wer ist der Typ?“
Er hat es also nicht vergessen!
Ich ignoriere ihn gekonnt und bewege mich völlig unbeholfen auf den Hang zu. Ich spüre die Steigung, da ich mich jetzt auch ohne mein zutun bewege.
„Was hast du denn vor?“ Ramon zieht mich grob an der Jacke wieder zurück.
„Ich will da runter“
„Du bist verrückt!“
„Nein, diesen Part übernimmst du von uns beiden“ kontere ich und drehe mich zu ihm um. Einige Schneeflocken hängen ihn in den Wimpern und sein dunkles Haar ist beinahe weiß. Und erst jetzt fällt mir auf, dass er Augen hat, die die Farbe von flüssigem Honig haben.
Wir schauen uns eine Weile nur an; schweigend. Fast meine ich, dass er irgendetwas in meinen Augen versucht zu lesen. Doch er scheint nichts zu finden. Zumindest nicht das, was er wissen will.
Schließlich bin ich es, die sich aus dieser Starre löst. „Willst du mir nun beibringen, wie man Ski fährt oder willst du mit mir über Tabea reden?“
Er lacht leise: „Tabea war ein einfaches One Night Stand. Mehr nicht. Da gibt es nichts zu bereden“
„Na, dann können wir da ja jetzt runter fahren“ Ich lächle ihn an und drehe mich wieder um, doch wieder greift er nach meiner Jacke und zieht mich zurück: „Ski fahren kann gefährlich sein, wenn man es nicht kann“
Ich drehe mich über die Schulter zu ihm um und bin der Meinung so etwas wie Besorgnis in seinen Augen sehen zu können. „Dann bring’ es mir bei“ erwidere ich.
Doch er reagiert gar nicht auf meine Frage, sondern fragt mich: „Wie alt bist du eigentlich?“
Kurz zögere ich. Mit dieser Frage habe ich überhaupt nicht gerechnet. „22“ antworte ich schließlich, die Brauen misstrauisch nach oben gezogen.
„Du siehst jünger aus“ meint er und lächelt.
„Du siehst sicherlich auch jünger aus, als du bist!“
„Wie alt sehe ich denn aus?“
Führe ich eine solche Diskussion gerade tatsächlich?
Ich drucke eine Weile herum und antworte dann: „26?“
„Und sieh’ mal an: Zufälligerweise werde ich in zwei Wochen 26.“
Ich lache, überrascht über meinen eigenen Schätzerfolg. Normalerweise bin ich in Schätzfragen jeglicher Art grottenschlecht.
Wieder sehen wir uns eine Weile nur an, dann greife ich schüchtern nach seiner Hand: „Bringst mir Ski fahren nun bei?“

Ich fahre Kurven wie ein Weltmeister!
Nein, Scherz. Ich fahre wie eine alte Oma; meine Skier verkanten sich dauernd und schieben sich übereinander, sodass ich das Gleichgewicht verliere.
Ramon versucht immer hinter mir zu fahren, doch meistens überholt er mich, weil ich zu langsam bin.
Es schneit unentwegt und der frische Pulverschnee spritzt zu den Seiten weg, verfängt sich in meinen Haaren und nervt nach einiger Zeit nur noch.
Ich versuche Kurven zu fahren, verkante mich wieder und falle schließlich hin.
Ramon, der hinter mir fährt, hält an und lacht. Ich höre sein Lachen sogar im lauten Getöse des Schneesturms, der immer noch wütet und so schnell auch nicht abklingen wird.
„Das war die dümmste Idee, auf die ich mich jemals eingelassen habe!“ fluche ich und lasse mir von ihm aufhelfen.
Er lacht weiterhin nur und streicht mir kurz den Schnee aus den Haaren. Ich werde verlegen, weiche so gut es geht von ihm zurück und entziehe mich somit seinem Griff. Auf meine Reaktion hin, grinst er nur und setzt sich wieder in Bewegung. Er wirft noch einen Blick über die Schulter zurück und fragt mich: „Schaffst du’s bis runter?“
„Ja, ja. Na klar. Das ist ja ein Katzensprung“ Meine Stimme trieft nur so vor Ironie.
„Na dann“ Er zuckt mit den Schultern und fährt vorweg; viel zu schnell, als dass ich irgendwie hinterher kommen könnte. Und ich weiß, dass er das mit Absicht macht. Na ja, er hat ja auch nie behauptet, dass er ein Engel ist und sich immer richtig verhält.
„Du kannst ruhig warten!“ schreie ich ihm hinterher und versuche ebenfalls unfallfrei den Berg – oder eher Hügel – herunter zu fahren.
Ramon ist schon unten angekommen, während ich immer noch fahren – ohne zu fallen. Ich glaube, das war die längste Strecke am Stück, die ich gefahren bin, ohne auf die Schnauze zu fallen.
Fast bin ich unten angekommen, Ramon wartet mit diesem typischen Grinsen auf den Lippen unten, als mir einfällt, dass ich gar nicht weiß, wie man bremst. „Ramon!“ brülle ich nach unten. „Wie bremse ich?“
Kurz schaut er mich verständnislos an; anscheinend hat er mich nicht verstanden. Ich bin immer noch in Bewegung und spiele mit dem Gedanken mich einfach auf meinen Hinter plumpsen zu lassen, doch da war es schon zu spät.
Ich pralle gegen Ramon, reiße uns beide zu Boden und wir fallen in den pulvrigen Schnee, welcher sofort weiß aufnebelt und wie ein sanfter Sprühregen wieder auf uns hinabrieselt.
Ich liege über Ramon und wir schauen uns gegenseitig geschockt in die Augen, dann beginne ich zu lachen. Und während ich so hemmungslos lache, frage ich ihn mit vom Lachen erstickter Stimme: „Hast du dir wehgetan?“
Er antwortet mir nicht, sondern beugt sich nur zu mir hoch und küsst mich. Zuerst bin ich überrascht und will ihn von mir schubsen. Doch eine kleine, leise Stimme in meinem Inneren sagt mir, dass ich insgeheim doch eigentlich nur wollte, dass er das tut.
Mit entweicht ein Seufzen und ich lege meine Arme um seinen Nacken und gehe auf seinen Kuss ein.
Und auf einmal ist der Schmerz um Phillip vergessen.






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