Winternachtstraum - Teil 3

Autor: Addielein
veröffentlicht am: 24.03.2011


Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war. Es schien aber nicht allzu lange gewesen sein.
Ich öffne langsam die Augen und stöhne. Mein Kopf dröhnt wie noch nie zuvor. Es fühlt sich an, als würde er jeden Moment platzen. Und weg ist die Leere nur der Schmerz ist mir geblieben.
„Oh, Scheiße“ fluche ich leise und fahre mir mit der Hand durch die Haare. An meinen Händen ist Blut und ich versuche nicht durchzudrehen. Ich hasse es Blut zu sehen – also, das bezieht sich ausschließlich auf mein eigenes Blut.
Hektisch schaue ich in den Rückspiele und meine grün-grauen Augen schauen mich vor Schreck geweitet an. „Nicht durchdrehen, Addie“ sage ich zu mir selber und wische mir halbherzig das Blut von der Stirn. Doch ich verteile es eher über meine ganze Stirn. Mein Gott ist das eklig, und dabei bin ich Medizinstudentin. Ich müsste in einer solchen Situation eigentlich cooler sein, doch ich bin es nicht.
Am liebsten würde ich laut schreien; voller Wut, voller Panik. Doch ich kann nicht. Der Schrei bleibt mir in der Kehle stecken.
Die Luft im Auto ist stickig und ich habe plötzlich das Gefühl zu ersticken. Ohne hinzuschauen greife ich nach dem Türgriff und rüttele daran. Einen Moment glaube ich, dass die Tür nicht mehr aufgeht und stemme mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen.
Die Tür schwingt und ich verliere das Gleichgewicht und falle in den Schnee. „Scheiße“ murmele ich wieder und spucke den Schnee aus. Dann rappele ich mich langsam auf und taumele kurz, doch ich fange mich schnell und greife noch nach meiner Handtasche und hänge sie mir über die Schulter. Mein Handy liegt auf dem Boden und ich greife schnell danach und eigentlich wundert es mich nicht, zu sehen, dass es kaputt ist. „Der Tag war ja nicht schon scheiße genug“ knurre ich und schaue mir kurz den Schaden an meinem Corsa an.
Ich denke, dieses Auto ist jetzt endgültig reif für den Schrottplatz. Ich seufze leise, gehe langsam und schleppend zum Kofferraum und ziehe meinen Koffer hervor. Dabei falle ich wieder in den Schnee und würde am liebsten wieder laut rumfluchen. Doch ich reiße mich zusammen und will gerade aufstehen, als ich die Scheinwerfer sehe.
Sie blenden mich und halte einen Arm geschützt vor meinen Augen, mit dem anderen Arm wedele ich wie bekloppt in der Luft umher.
„Bitte helft mir“ sage ich leise, obwohl ich weiß, dass mich keiner hören kann. „Ich bin am Ende!“

Das Auto, irgendein schwarzer Mercedes, hält an und zwei Personen steigen aus. Durch das grelle Scheinwerferlicht kann ich nicht sehen, was für Personen.
„Ähm…“ beginne ich. „Könntet ihr bitter… ähm… das Licht“
„Was?!“ fragt eine männliche Stimme.
„Macht die verdammten Scheinwerfer aus“ ertönt eine andere, weibliche Stimme.
„Oh, Entschuldigung“
Die Scheinwerfer gehen aus und ich erkenne eine junge Frau, vielleicht nur ein bisschen älter als ich. Sie sieht groß aus. Neben ihr steht ein Mann, etwa so alt wie die Frau. Und schließlich steigt noch eine dritte Person aus: „Hab’s mit den Scheinwerfern nicht gleich gecheckt“ murmelt er entschuldigend und ich gebe nur ein unverständliches Brummen von mir und erhebe mich stöhnend.
„Alles klar? Hattest du einen Unfall?“ fragt die junge Frau und kommt zögerlich auf mich zu.
„Nach was sieht’s denn wohl aus, Schätzchen?“ fauche ich und ziehe meinen Koffer hinter mir her. Durch den Schnee.
„Wir bringen dich in ein Krankenhaus“ sagt der Mann neben ihr.
„Vergiss’ es. Mir geht’s gut. Könnt ihr mir irgendwie einen Pannendienst rufen? Mein Handy“ Ich hielt mein geschrottetes Blackberry in die Höhe. „scheint nicht mehr ganz funktionstüchtig zu sein“
„Nein, du musst erst mal ins Krankenhaus. Ich fahr’ dich hin und Lennard kümmert sich um deinen Wagen“
Lennard scheint also das helle Köpfchen mit den Scheinwerfern zu sein.
„Es geht mir gut“ wiederhole ich und wische mir noch mal über die Stirn.
„Blutest du?“ fragt das Mädchen und tritt auf mich zu.
„Halb so schlimm. Ich bin Ärztin, ich weiß, dass es nur eine Platzwunde ist“ erwidere ich. Ich will in kein Krankenhaus, mal davon abgesehen, dass ich nicht versichert bin. Nina hatte Recht; ich hätte mich schon längst um eine Krankenversicherung kümmern sollen.
„Bist du wirklich Ärztin?“ Der Mann neben dem Mädchen zieht skeptisch die Brauen nach oben.
„Na ja, nicht wirklich. Ich studiere Medizin“
„Gut, ich bin nämlich Arzt. Und ich nehme dich jetzt mit“ Er tritt auf mich zu, packt mich sanft am Arm und zieht mich mit.
„Aber mein Koffer!“
„Melanie, nimmst du ihren Koffer?“
„Klar“ Und auf ihren Storchenbeinen watet Melanie durch den Schnee und zieht meinen Koffer mit sich mit.
„Ich bleibe hier und kümmer’ mich um den Wagen“ meint Lennard und telefoniert schon mit irgendwem.
Ich lasse mich mit einem Seufzen auf den Beifahrersitz gleiten und lehne den Kopf gegen die kühle Scheibe.
Melanie setzt sich auf den Rücksitz und der Mann fährt los.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragt er mich und wirft mir einen kurzen Blick zu.
„Addie“ murmele ich. „Und du?“
„Ramon“
„Hör’ ich zum ersten Mal“ antwortete ich leise.
„Das ist ein alter spanischer Name. Viele Zigeuner heißen so“ erklärt Melanie vom Rücksitz aus und ich drehe mich über die Schulter zu ihr um: „Ach ja, danke“
„Nichts zu danken. Das ist selbstverständlich“ sagt Ramon und ich nicke nur, als Melanie fragt: „Wo wolltest du denn hin? Nach Hérémence, Ski fahren?“
„Nein, ich kann gar nicht Ski fahren. Ich weiß eigentlich auch nicht, was ich hier will. Ist nicht so mein Tag heute“
„Kann ich mir vorstellen“ stimmt Melanie zu und tätschelte mir kurz die Schulter. „Es wird bestimmt wieder“
„Also mein Auto ist nicht mehr zu retten“ brumme ich und ich spüre wie Ramon mich von der Seite anschaut. Dann lächelt er süffisant: „Aber vielleicht deinen Kopf“
„Lass’ mich raten“ antworte ich und drehe mich halb zu ihm. „Du bist auch gar kein Arzt?“
„Assistenzarzt, aber noch im ersten Jahr – also noch nicht lange“
Ich nicke daraufhin nur und flüstere dann: „Ich bin nicht versichert“
„Mach’ dir darum mal keine Sorgen“ Wieder tätschelt Melanie meine Schulter und ich muss die Tränen zurück halten. Körperliche Nähe macht mich im Moment verrückt. Ich rutsche tiefer in den Sitz und starre auf die dunkle Straße.
Wir fahren bestimmt eine halbe Stunde, und immer weiter nach oben. Das hätte mein Corsa niemals geschafft. Spätestens hier hätte er mich hängen lassen.
Ramon hält auf dem Parkplatz eines beleuchteten Gebäudes und schaltet den Motor ab.
„Wo ist deine Jacke?“ fragt Ramon und ich brauche eine Weile, bis ich realisiere, dass er mich meint.
„Oh… ähm… shit! Die ist noch im Auto“
„Nimm’ meine“ sagt er und bevor ich reagieren kann reicht er mir seine Burberry Jacke, die bestimmt mehr Geld gekostet hat, als ich im Monat Bafög bekomme.
Mit diesen Worten steigt er aus und ich zögere eine Weile, doch dann ziehe ich schnell die Jacke an und folge Melanie und Ramon. Ob die beiden wohl zusammen sind?

„Da haben Sie noch Glück gehabt, Frau Andala“ sagt der Arzt in dem weißen Kittel der vor mir Platz genommen hat, nachdem sie mich durchgecheckt hatten.
„Ich dachte mir doch, dass es nur eine Platzwunde ist“ meine ich und zucke mit den Schultern.
„Ja, aber Vorsicht ist immer besser als Nachsicht“ erwidert der Arzt und schüttelt mir die Hand, nachdem er wieder aufgestanden war. „Es wäre deshalb auch trotzdem besser, wenn Sie noch eine Nacht bleiben würden. Nur zur Beobachtung. Ein Schlag gegen Kopf kann Folgen haben, die man in den ersten paar Stunden nach dem Unfall gar nicht bemerkt“
„Ich kann nicht hier bleiben. Ich bin nicht versichert. Ich kann mir das nicht leisten“ erwidere ich energisch und will aufspringen, doch das Schwindelgefühl hält mich zurück.
„Darum wird sich Herr Cruz schon kümmern“ meint der Arzt und wendet sich zum Gehen.
„Herr Cruz?“ Das Krankenhaus heißt Cruz Hospital Hérémence. Wie kann der Besitzer da irgendetwas machen, wenn ich nicht versichert bin. Der kennt mich ja noch nicht einmal.
Der Arzt bleibt stehen und dreht sich um: „Ja. Der junge Mann, der sie hergebracht hat: Ramon Cruz“
Einen Moment lang klappt mir die Kinnlade herunter und ich schaue den Arzt verwirrt an, doch dann fange ich mich wieder und nicke: „Ah, okay. Vielen Dank, Doktor“
„Ruhen Sie sich aus, Frau Andala. Ich schaue morgen noch mal nach ihnen“ Mit diesen Worten schließt er dir Tür und ich bin allein in diesem weißen, sterilen Krankenzimmer; auf einem weißen Bett, mit weißer Decke. Und alles ist weiß.
Ein starker Kontrast zu meinen schwarzen Klamotten und meinen braunen Locken. Ich lasse mich in die Kissen zurückfallen und denke an Phillip. Wie er mich heute eiskalt abserviert hat – war das wirklich erst heute? Mir kommt es schon vor wie eine Ewigkeit. Und es schmerzt fürchterlich.
Ich denke an Annika, meine ehemalige beste Freundin. Diese Verräterin.
Und dann sind da noch Nina und Tom.
Nina und Tom! Ich hatte versprochen die beiden anzurufen, doch mein Handy war im Moment ja out of order.
Sofort setze ich mich auf. Hier muss es doch ein Münztelefon geben. Ich will gerade die Beine aus dem Bett schwingen, als die Tür aufgeht und Lennard und Ramon eintreten.
„Addie – so war doch dein Name?“ fragt Lennard und setzte sich ohne irgendein Hallo auf den Stuhl neben dem Fenster.
Ich nicke nur, als er auch schon weiter redet: „Dein Auto ist ziemlich Schrott. Nicht durch den Unfall. So halt. Der Typ vom Pannendienst meinte, dass du nicht darauf wetten solltest, noch mal TÜV zu bekommen“
„Das hat mir gerade noch gefehlt!“ stöhne ich und lasse mich wieder zurück fallen. „Und wie soll ich jetzt nach Hause kommen?“
„Keine Ahnung. Wolltest du nicht hierher?“ fragt Lennard und streicht sich die blonden Locken aus den Augen.
„Ins Krankenhaus? Eher nicht. Aber danke der Nachfrage!“ zische ich und setzte mich wieder auf.
„Nein, ich meine, war Hérémence nicht dein Ziel?“
„Ich hatte kein Ziel“
„Versteh’ ich nicht“ Und dabei macht er ein Gesicht, das einem glauben ließ, dass er den IQ eines Toastbrotes hat.
„Musst du auch nicht“
„Jetzt bleibst du die Nacht ja erstmal hier, und morgen sehen wir weiter“ meint Ramon nüchtern, der bis jetzt eben geschwiegen und mich nur angeschaut hatte.
„Ja, wir schauen morgen noch mal vorbei. Melanie bringt dir bestimmt Suppe mit“ Lennard zieht eine Grimasse, die mich zum lachen bringt. „Danke für eure Hilfe“ murmele ich und Lennard nickt: „Kein Problem“ Er geht an Ramon vorbei und verlässt den Raum. Ramon will ihm folgen, als ich ihn zurückhalte: „Ramon?“
Er bleibt stehen und dreht sich um: „Ja?“
„Danke“
„Das sagtest du schon“
„Das meinte ich nicht“ erwidere ich. „Gehört die Klinik deinem Vater?“
Kurz schaut er mich verwundert an, dann schließt er die Tür und setzt sich auf den Stuhl, wo bis vor Kurzem noch Lennard gesessen hatte. „Ja“ ist seine knappe Antwort.
„Danke, dass du mit ihm geredet hast. Ich weiß, dass es doof ist, nicht versichert zu sein und…“
Er lacht leise und schüttelte mit dem Kopf. Ich stocke: „Was ist?“
„Wie kommt es, dass du aus Magdeburg den ganzen Weg hier runter fährst, mit einer Schrottkiste und nicht versichert bist?“
Und wenn er es so erzählt hört es sich sogar ein wenig lustig an. Ich zucke mit den Schultern und grinse: „Das ist eine längere Geschichte“
„Ich kenne kein Mädchen, das das machen würde. Und dann noch nach Hérémence, wenn man gar nicht Ski fahren kann“
„Ich sagte doch, die Geschichte ist etwas länger“ Ich starre auf meine Hände, welche an der Bettdecke herumkneten.
„Ich bin ein guter Zuhörer“ bietet er an und fährt sich mit einer Hand durch die dunkelbraunen, fast schwarzen Haare.
Sofort schaue ich auf: „Ähm… ich glaube, du solltest eher zu deiner Freundin gehen“
„Zu meiner Freundin?“ Er zieht eine Augenbraue hoch. Dann wird sein Blick wissender: „Meinst du Melanie?“ Er beginnt zu lachen. „Sie ist meine Schwester!“
Seine Schwester?!
„Ihr seht euch nicht ähnlich“ bemerke ich leise.
„Wir haben nur denselben Vater“ erklärt er und steht auf. „Erhol’ dich gut“ Mit diesen Worten verlässt er den Raum und ich schaue ihm nach, bis die Tür hinter ihm zufällt. Interessanter, junger Mann.






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