Sommerregen - Teil 2

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 13.05.2011


Keuchend kramte ich den Haustürschlüssel aus meiner Tasche und machte eilig die Tür auf. Als ich endlich im kleinen Häuschen war, lehnte ich mich erschöpft gegen die Tür und schloss die Augen. Meinen klopfenden Herzschlag konnte ich sogar im Hals spüren und mühsam versuchte ich wieder ruhig zu Atmen zu kommen.
„Ach, Ebony“, ertönte die aufgeregte Stimme meiner Grama, die mit ihrer Regenbogenschürze aus der Küche kam, als ich vorsichtig ein Auge öffnete. „Ich wollte mit dir nochmal die Generalprobe durchführen“
„Was?“, fragte ich irritiert und blickte meine Oma verwirrt an.
„Na, für die Hochzeit deiner Cousine. Übermorgen findet schon die Trauung statt und ich möchte sichergehen, dass alles perfekt ist. Kannst du dein Kleidchen noch mal anziehen, das du tragen wirst?“
„Oma…“, seufzte ich und schloss wieder erschöpft die Augen. „Das Kleid passt mir hundertprozentig. Da brauchst du keine Generalprobe“, versicherte ich ihr.
Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch und rückte ihre Brille zurecht. Ihre grauen Haare gingen ihr eigentlich bis zu Taille, doch sie knotete sie immer zu einem geflochtenen Zopf zusammen. Ich musste meine goldblonden Haare von Grama geerbt haben, bevor ihre silbern wurden und sich Falten in ihr Gesicht gelegt hatten. Aber meine Haare besaßen noch einen rötlichen Unterton, der entfernt an Kupfer erinnerte und somit ein wenig auf meinen Vater hindeutete, der immer einen glühenden Rotschopf hatte. Früher hatte meine Mutter ihn immer liebevoll Pumuckl genannt. Doch diese Zeiten waren schon längst vorbei.
Die einzigen äußerlichen Merkmale, welche ich von Mom geerbt hatte, waren meine hellblauen Augen mit den gold-gesprenkelten Tupfern darin und meine zierliche Figur. Ich war dünn und klein. Wobei ich manchmal noch als dürr bezeichnet wurde, da ich vor ein paar Monaten an Magersucht gelitten hatte, sie aber schließlich überwältigen konnte und somit auch meine Horrorqualen und die Angst, die auf allen geruht hatte, vergangen war.
Eigentlich störte mich meine Größe nicht, doch manchmal wurde ich von anderen Mitschülern als ‘Winzling‘ bezeichnet. Mit meinen 1,59 Meter hoffte ich jeden Tag, dass ich noch die 160 Zentimeter erreichen würde. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das zwecklos war.
„Na gut, wenn du es sagst“, meinte meine Großmutter und verzog sich wieder in die Küche.
Erleichtert marschierte ich die Treppe hinauf und warf mich auf mein Bett, während ich mit einer Fernbedienung meine Musikanlage einschaltete. Sofort begrüßte mich ein bekanntes Lied von meinem Lieblingssänger ‘Shawn Desman‘.
Ich holte meinen Zeichenblock aus der Tasche und begann zu malen. Diesmal stellte ich mir meine Cousine, Aliza, in einem hübschen Brautkleid vor. Ein strahlendes Gesicht und Freudentränen in den Augen. Die dunkelbraunen Haare hat sie zu einer schicken Frisur hochstecken lassen und der glitzernde Schmuck passte perfekt zu ihren schokobraunen Augen. Mit ihren 22 Jahren war sie noch recht jung und meiner Meinung nach zu voreilig mit ihrer Heirat. Aber es war ihr Leben und ihre Entscheidung. Solange sie glücklich war, machte es mir nichts aus.

Ich hatte gewusst, dass Kaylee sich in der Schule bei mir entschuldigen würde. Noch bevor die erste Schulstunde angefangen hatte, hatte sie mich gebeten ihr zu verzeihen, was ich auch mit einem Lächeln tat. Ich wollte keinen Streit mit meiner besten Freundin haben, nur weil sie einen schlechten Tag und ihre ‘große‘ Liebe verloren hatte. Sich deswegen zu streiten, war völlig unnötig.
„Lass uns heute zum See gehen. Ich bin für alles offen und möchte diesen wunderschönen Tag mit meiner besten Freundin verbringen“, meinte Kaylee, als wir uns einen Tisch in der Cafeteria gesucht hatten und ich angewidert meine braune Suppe betrachtete.
Ich merkte sofort, dass sie Gewissensbisse hatte und machte ihr die Sache leichter, indem ich erfreut zustimmte.
„Ja, das hört sich gut an. Unser geheimer Platz könnte mal wieder einen Besuch von uns erstattet kriegen. Da hast du vollkommen recht“, sagte ich. Und ich meinte es wirklich. Ich freute mich mit Kaylee zum See zugehen und mich dort vielleicht ein wenig zu entspannen ohne viel Trubel um uns herum.
Meine Freundin strahlte von einem Ohr zum anderen und wäre mir sicherlich um den Hals geflogen, wenn der Tisch nicht zwischen uns gestanden hätte.
Vorsichtig kostete ich einen Löffel von der braunen Flüssigkeit und spuckte im nächsten Moment alles wieder aus. Ich hustete und rang nach Luft, während meine Freundin mir entsetzt auf den Rücken klopfte.
„Die wollen uns vergiften“, murmelte ich.
„Was ist denn da drin?“, fragte Kaylee.
„Vergammelte Zwiebeln und Pilze“
Abrupt standen wir beide auf, um unsere widerliche Suppe zu entsorgen. Mir war schlecht und mein Magen rumorte, während ich den Teller mit gerümpfter Nase von mir fern hielt. Und da passierte natürlich das, was passieren musste. Ich hasste solche Überraschungsmomente.
Drew ging an mir vorbei und zeigte mir sein gefährliches Grinsen, als er mich plötzlich anrempelte und sich der ganze Inhalt meiner Suppe über mich ergoss. Empört schrie ich auf, während mein Teller auf den Boden fiel, und bemerkte die ansteigende Röte in meinem Gesicht. Schallendes Gelächter ertönte.
„Das war wegen gestern, als du meinen Bruder beschüttet hast. Jetzt weißt du wie sich das anfühlt“, sagte Drew und ging lässig zu seinem Platz zurück, wo mich Derick triumphierend anschaute.
Ich presste die Lippen zusammen und wagte es nicht mich umzuschauen, um in die belustigten Gesichter der Schüler zu blicken, die mich auslachten. Der ekelerregende Geruch haftete an meiner Kleidung und frustriert rannte ich auf das Mädchenklo. Dort sperrte ich mich als allererstes in eine Toilettenkabine ein und zog mir das T-Shirt über den Kopf, das am meisten abbekommen hatte. Ich machte den Klodeckel runter und setzte mich drauf, während ich seufzend meinen Kopf in die Hände fallen ließ, die ich auf meine Knie gestützt hatte.
Na toll, und als nächstes würde mich Ivan vor allen bloßstellen, oder wie?
Die Tür ging auf und jemand rüttelte energisch an meiner Toilettentür.
„Ebby! Lass dich nicht hängen und mach die Tür auf. Ich hab noch ein T-Shirt beim Hausmeister besorgt. Das kannst du anziehen“, sagte meine beste Freundin und versuchte erneut die Tür zu öffnen – vergeblich. „Ebby…“
Ich seufzte und öffnete widerwillig mein kleines Versteck, wo Kaylee mir sofort ein T-Shirt hinhielt.
„Zieh das an. Es müsste in deiner Größe sein“
„Danke“, flüsterte ich, zog es mir über den Kopf und umarmte sie.

Hinter meinen geschlossenen Lidern konnte ich grelle Orangetöne erkennen, die manchmal gelb oder rot wurden. Als ich meine Augen langsam öffnete, blickte ich direkt in die Sonne und drehte mich stöhnend weg. Meine Güte war das hell. Und so warm!
Neben mir lag Kaylee, die gelangweilt in einer Zeitschrift rumblätterte, die sie mit zum See gebracht hatte. Ich schaute mich um, konnte jedoch nur den klaren See erkennen, wo sich die Sonne drin wiederspiegelte und eine paar Bäume, die einen kleinen Wald bildeten. Es war einfach herrlich hier.
„Hast du deinen Zeichenblock mit?“, fragte mich Kay auf einmal.
Überrascht blickte ich sie an. Eigentlich hatte sie sich nie wirklich für meine Zeichnungen interessiert, da sie es mittlerweile als selbstverständlich und als Standteil meines Lebens betrachtete. Was auch stimmte. Trotzdem holte ich meinen treuen Freund aus meiner tollen Umhängetasche raus und gab ihn ihr. Stumm betrachtete sie meine Zeichnungen und blätterte Seite für Seite durch, bis sie schließlich beim Hochzeitsbild angelangt war.
„Deine Bilder sind viel interessanter als so eine blöde Zeitschrift“, meinte sie und betrachtete meine Cousine in ihrem Hochzeitskleid genauer. Mir kam es vor, als würde sie Ewigkeiten darauf starren und in der Zeichnung irgendeine Antwort finden wollen.
„Gefällt dir das Bild?“, fragte ich.
Kaylee nickte. „Das ist wirklich sehr schön. Deine Cousine, stimmt’s?“
„Ja, sie heiratet doch morgen“
Meine Freundin seufzte und gab mir den Block wieder, ehe sie sich auf ihr Handtuch legte und sich die Sonnenbrille aufsetzte.
„Später möchte ich auch mal den perfekten Mann heiraten“, sagte sie. Hoffentlich würde jetzt nicht schon wieder das Thema mit Sasha losgehen. „Wie soll dein Traummann aussehen?“, fragte Kaylee mich plötzlich.
Ich erstarrte. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Viele Mädchen stellten sich ihren zukünftigen Ehemann als groß, muskulös und heldenhaft vor. Aber ich wollte meinen Traummann nicht beschreiben. Weil ich auch gar keinen hatte. Nachher würde die Enttäuschung dann umso größer sein. Außerdem wollte ich nicht wählerisch sein. Das Schicksal würde mich schon zu dem perfekten Mann hinführen.
Ich zuckte mit den Achseln.
„Weißt du was? Ich glaube Derick steht auf dich“, meinte Kay und setzte ihre Sonnenbrille wieder ab. „Inzwischen weiß ich ja, was in der Eisdiele passiert ist und ich glaube, dass du dank diesem Missgeschick seine Aufmerksamkeit erregt hast und er sich für dich interessiert. Vielleicht–“
„Das ist ja wohl nicht dein ernst“, unterbrach ich sie. „Derick hasst mich. Und sein Bruder und Ivan auch. Und ich bitte dich, deine Kuppelversuche zu stoppen und gar nicht erst anzufangen darüber nachzudenken, okay?“
„Okay“
Dann schwiegen wir wieder für ein paar Minuten. Als ich einen Seitenblick auf Kaylee warf, bemerkte ich, dass sie auf ihrer Unterlippe kaute, was ein Indiz auf ihre Unsicherheit war.
„Was ist los?“, fragte ich also.
Sie presste die Lippen zusammen und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ich bin mir nicht sicher“, begann sie und knetete ihre Hände. Wann war sie das letzte Mal so nervös gewesen? „Ob ich dazu bereit bin“
„Wozu bereit?“, hakte ich nach und runzelte verwirrt die Stirn. Mein Herz pulsierte unangenehm gegen meine Brust und meine Zunge schien plötzlich wie ein vertrocknetes Etwas in meiner Mundhöhle zu liegen.
„Ich kann das einfach nicht, Ebby“, schluchzte Kaylee auf einmal und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Nun wusste ich wirklich nicht mehr weiter. Ein Gedankenstrom merkwürdiger Dinge, die Kaylee passiert sein konnten, durchflutete mich.
„Kay, ist irgendetwas mit deiner Mutter oder deiner Schwester passiert? Hat irgendjemand Krebs in deiner Familie oder liegt bewusstlos im Krankenhaus?“, fragte ich vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. „Kay, jetzt lass mich nicht im Dunkeln tappen und sag mir endlich was los ist!“
Sie wischte sich die Tränen weg und schaute mich mit ihren geröteten Augen, die sonst so lebendig strahlten, traurig an. Ihre hellbraunen Haare klebten an ihren nassen Wangen und sie zitterte am ganzen Körper.
„Ich habe es meiner Mutter noch nicht erzählt“, wisperte sie. „Aber der Test hat es mir bestätigt“
Oh mein Gott, meine beste Freundin war wahrscheinlich HIV positiv! Ich hielt den Atem an und berührte sie leicht an der Schulter, um sie zum Weiterreden zu motivieren. Der nächste Satz, den sie aussprach, traf mich wie ein Schlag in die Magengrube:
„Ebby, ich bin schwanger“

Das war der Zeitpunkt gewesen, wo ich das erste Mal kein Verständnis für meine beste Freundin hatte.
„Du bist schwanger?“, fragte ich geschockt. „Von Sasha?“
Sie nickte betrübt. „Er wollte immer mit mir schlafen, doch ich hatte jedes Mal abgelehnt. Schließlich drohte er mir, mich zu verlassen“
„Aber das ist doch kein Grund, Kaylee!“, rief ich aufgebracht. „Wenn er dich zu so etwas zwingt, dann ist er kein richtiger Freund. Dann ist er ein…ein dummer Idiot!“ Ich versuchte krampfhaft irgendwelche banalen Kraftausdrücke zu vermeiden.
„Ebby, hör auf! Du kennst ihn doch gar nicht richtig“, verteidigte sich meine Freundin.
„Er geht in unsere Klasse, Kay. Ich kenne Sasha seit fünf Jahren. Außerdem hat das damit gar nichts zu tun“ Ich machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. „Du wurdest aber nicht von ihm vergewaltigt, oder?“
Da wurde nun auch Kaylee wütend und empört stopfte sie ihre Sachen in die Tasche. „Verdammt, Ebony! Wie kommst du auf so einen Blödsinn? Dann hätte ich diesen Typen schon längst angezeigt. Wir haben miteinander geschlafen, aber trotzdem hat er mit mir Schluss gemacht. Und das tut mir im Herzen weh. Dazu waren wir noch unvorsichtig und jetzt – zwei Wochen später – habe ich vorsichtshalber einen Schwangerschaftstest gemacht, der mir gezeigt hat, dass ich in neun Monaten schreiend im Krankenhaus liegen werde, um ein Kind aus meinem Bauch raus zu quetschen!“
Sie rannte zu ihrem Fahrrad, schmiss den Rucksack in ihren Korb und setzte sich auf den Sattel. „Und du machst mir auch noch Vorwürfe! Weißt du, wie mies ich mich eigentlich fühle? Ich hatte gedacht, dass du mich vielleicht verstehen würdest. Aber anscheinend hast du in diesem Thema auch versagt“, rief sie mir noch zu, ehe sie in die Pedale trat und davonraste.
Ich beleckte meine Lippen und versuchte die Tränen in meinen Augen aufzuhalten. Doch das war unmöglich. Schluchzend zog ich meine Beine an die Brust und legte meine Stirn auf die Knie. Immer machte ich alles falsch. Alles was ich sagte war Mist oder passte Kaylee nicht. Und jetzt war sie wieder wütend und ließ mich allein an unserem Lieblingsort, der eigentlich für Harmonie sorgen sollte. Ich fühlte mich elendig und schwankte zwischen Wut und Traurigkeit. Wieso musste alles immer so kompliziert sein?

Ich wusste nicht, wie lange ich noch da saß, bis mir auffiel, das schon die Dämmerung einbrach. Unmotiviert und langsam packte ich meine Sachen zusammen und fuhr mit meinem Fahrrad den kleinen Schotterweg entlang. Meine Laune hatte den Tiefpunkt erreicht. Schlimmer konnte es eigentlich gar nicht mehr werden. Und mal wieder bewies mir mein Schicksal das Gegenteil.
Ich fluchte, als mein Fahrrad plötzlich den Geist aufgab. Ich war tatsächlich über ein paar Scherben gefahren, die sich in die Reifen von meinem geliebten Drahtesel gebohrt hatten. Heute war wirklich nicht mein Glückstag.
Ich stieg ab und versuchte die aufkeimende Angst zu unterdrücken, die sich wegen den seltsamen Geräuschen in mir aufbaute. Als ich die Lichter des Stadtzentrums erkennen konnte, atmete ich erleichtert aus und ging nun etwas schneller. Es war ein kühler Abend, als ich durch die leeren Straßen ging und für einen kurzen Moment die Sterne beobachtete. Ich zitterte am ganzen Körper und der eisige Wind zerzauste meine goldblonden Haare, die im Schatten schon fast schwarz aussahen. Die flackernden Laternenlampen und die unendliche Dunkelheit zerflossen in eine düstere Atmosphäre, die mich schaudern ließ. Ich wollte einfach nur noch nach Hause. Mein ganzer Körper war erschöpft und schrie nach einem warmen, kuscheligen Bett.
Für einen kurzen Moment blieb mein Herz erschrocken stehen, als ich eine dunkle Silhouette an einer Hausmauer lehnen sah. Die grauen Augen schauten in meine Richtung und das breite Grinsen jagte noch einmal die Angst durch meinen Körper. Ich wand meinen Blick abrupt ab und versuchte der Person keine weitere Beachtung mehr zu schenken, doch er war anscheinend anderer Meinung. Ich wusste, wer die Person war.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Derick schwankend auf die Beine kam. Die Flasche in seiner Hand war schon fast leer und seine glasigen Augen verrieten, dass er nicht nur Alkohol als Droge eingenommen hatte.
„Hey, Ebby! Warte doch mal“, zischte er und folgte mir. Ich beschleunigte mein Tempo, doch die Schritte hinter mir wollten einfach nicht verstummen. Stattdessen wurden sie sogar schneller, bis Derick schließlich neben mir her lief. Wobei laufen das falsche Wort war. Er taumelte und stolperte hin und wieder, ließ sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen. „Soll ich dich begleiten?“, fragte er lallend und grinste mich anzüglich an.
Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte meinen rasenden Herzschlag, der sich mit jedem Schritt beschleunigte. Ich wollte mir die widerlichen Dinge nicht ausmalen, die Derick vorhatte.
„Lass mich einfach in Ruhe“, sagte ich mit fester Stimme.
„Ach komm schon, Ebby. Wir wissen beide, dass du mehr von mir willst, aber es nur nicht zugeben kannst“, meinte er.
Ich schwieg und marschierte weiter.
„Ebby?“
Da packte er mich plötzlich grob am Arm und drehte mich unsanft zu sich um, so dass mein Fahrrad mit einem lauten Scheppern auf den Boden fiel. Derick, der fast einen Kopf größer war als ich, funkelte mich wütend an.
„Lass mich los!“, brüllte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Doch dadurch packte er mich nur noch fester am Arm und zog mich dicht zu sich ran. Mein Herz galoppierte davon, während meine Angst mir die Kehle zuschnürte und sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete. Tränen stauten sich wieder in meinen Augen auf, so dass ich meinen Kopf wegdrehte. Doch Derick fasste mein Kinn und befahl mir so, ihm in die Augen zuschauen. Ein triumphierendes Grinsen legte sich über seine Lippen.
„Die kleine Ebony Young hat Tränen in den Augen. Wie niedlich“, höhnte er und spitzte seine Lippen. Sein Gesicht kam meinem näher und hysterisch versuchte ich mich zu befreien. Ich hämmerte panisch gegen Derick’s Brust und versuchte ihn weg zu stemmen, doch da packte er mich plötzlich am Hinterkopf und drehte mich so, dass er auf einmal seinen Mund auf meine Lippen drücken konnte. Die Übelkeit, die in mir aufstieg, entstand dadurch, dass Derick fürchterlich nach bitterem Alkohol schmeckte, als er seine Zunge in meinem Mund zwängte. Ich fühlte mich auf einmal schwach und hilflos. Die Tränen liefen unaufhaltsam meine Wangen hinunter und versperrten mir die Sicht. Es war grauenhaft.
Dennoch gelang es mir den Kopf wegzudrehen und schluchzend flehte ich: „Bitte, Derick. Hör auf!“
Da wurde er auf einmal ruckartig von mir weggerissen. Ich taumelte ein paar Schritte Rückwerts und war zu verwirrt, um überhaupt noch einen klaren Kopf zu behalten. Ich hatte keine Zeit meinen Retter zu erkennen und schnappte mir hastig meine Tasche, als ich plötzlich ein Wimmern hören konnte. Das Fahrrad ließ ich achtlos liegen und wagte nicht mich umzudrehen. Ich wollte nicht sehen was passiert war, ich wollte einfach nur weg.
Desorientiert rannte ich durch die dunklen Gassen und wusste gar nicht, wo ich überhaupt lang lief, als plötzlich zwei grelle Scheinwerfer auf mich zu kamen. Ich hielt mir die Hände vors Gesicht und realisierte erst im nächsten Moment, dass ein Lastwagen auf mich zugefahren kam.
„Ebby!“, schrie plötzlich eine männliche Stimme. Sie war jung, nüchtern. Kein Derick.
Mit einem Ruck packte mich jemand am Arm und zog mich noch gerade rechtzeitig zur Seite, bevor mich der Lastwagen umgefahren hätte. Zwei starke Arme hielten mich schützend fest.
Und da ließ ich mich einfach fallen. Ich ließ mich in die Dunkelheit, Geborgenheit und einen traumlosen Schlaf fallen und überhörte fast die Stimme meines Retters, die dicht neben meinem Ohr flüsterte:
„Hab keine Angst“






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