Sommerregen - Teil 9

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 02.06.2011


Ich wollte noch mal sagen, dass der letzte Teil echt spät kam. Eigentlich habe ich ihn viel früher eingesendet, aber…naja, anscheinend hat das nicht so schnell geklappt. Vielleicht erscheint dieser Teil ja früher. ;)
Viel Spaß beim Lesen!
Eure Yaksi
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Es war dieses leere Gefühl, dass mich mutlos aus dem Fenster starren ließ, während die Uhr ihre Runden drehte. Der ganze Himmel war bewölkt und grau und ließ die Regentropfen verwirrt gegen die Fensterscheiben prasseln. Sie sahen fast so aus wie meine Tränen.
Das Wetter passte perfekt zu meiner Stimmung, während ich in meinem Zimmer saß. Vier Tage waren seit dem Vorfall im Park vergangen und nun war es wieder Samstag. Ich hatte in der Schule gespürt, wie mich Ivans entschuldigender Blick durchbohrt hatte und hatte jedes Mal bemerkt, wie er auf mich zukam und den Mund öffnete, nur um sich in der nächsten Sekunde nachdenklich von mir abzuwenden. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte nicht seine Stimme hören oder mir irgendwelche Entschuldigungen an den Kopf werfen lassen. Ich wollte einfach nur meine Ruhe.
Heute Morgen hatte die erste Postkarte in unserem Briefkasten gelegen. Sie kam aus der Schweiz, wie Grama berichtete. Dort lebte eine gute Freundin von ihr. Während sie sich noch mal bei uns entschuldigte und freudig über ihre kurze Reise sprach, hatte sie als letzten Satz in verschnörkelter Schrift runter geschrieben: „Achtung, diese Nachricht übermittelt Fröhlichkeit und gute Laune. Also genieß für einen Moment das Leben und das Gefühl, dass jetzt jemand an Dich denkt“
Dadurch fühlte ich mich noch elendiger. Und die Fröhlichkeit und gute Laune hatten mich eindeutig nicht erreicht. Mom bemerkte meine depressive Stimmung und kaufte sogar meine Lieblingsschokolade, um mich aufzuheitern. Natürlich überfuhr sie die Angst, dass ich wieder meine depressive Phase bekommen könnte und ich vielleicht sogar wieder das Essen verweigern würde. Aber das würde ich nicht machen. Für solch einen elendigen Verräter hätte ich eigentlich keine einzige Träne vergießen dürfen. Das lohnte sich nicht.
Dennoch schwirrten noch viele Fragen in meinem Kopf rum, während ich leise zu meinen Lieblingsliedern mitsang und dabei sorgfältig mit einem spitzen Bleistift auf die Leinwand einhämmerte, bis das schön Portrait von Ivan fast nicht mehr wiederzuerkennen war. Oh ja, ich konnte sehr schwer meine Wut unterdrücken. Umso zufriedener war ich, als ich das verunstaltete Gesicht sah. Zum ersten Mal an diesem Tag lobte ich mich selbst.
Als der Regen allmählich nachließ, genauso wie die Wut bei mir, schlüpfte ich in eine dunkle Jacke und lief mit geducktem Kopf die Strandpromenade entlang. Ich hatte mich selbst aufgefordert ein wenig frische Luft zu schnappen, um meinen Kopfschmerzen nicht noch mehr Druck zu versetzen. Ich brauchte dringend einen klaren Kopf.
Schließlich endete ich an dem Strandkorb, wo mein Glück angefangen und gleichzeitig auch aufgehört hatte. Ich seufzte und setzte mich in den Sitz, während ich den unruhigen Wellen zusah. Ich hasste die Liebe.
Genau in dem Moment sah ich auf einmal ein großes Mädchen am Strand lang joggen. Ihre dunkelblonden Haare waren zu einem strammen Zopf gebunden, während ihre langen Beine in einer Sporthose steckten und sie der Musik ihres iPods lauschte, den sie in der Hand hielt. Unwillkürlich musste ich grinsen und lief auf Dorathy-Demetrice zu. Sie erblickte mich sofort.
„Hey Ebby!“, rief sie erfreut und gab mir eine stürmische Umarmung. „Ich habe ja schon eine Ewigkeit nichts mehr von dir gehört!“
Naja, genau genommen hatten wir uns ungefähr eine Woche lang nicht mehr gesehen. Umso größer war die Freude.
„Hallo Donna. Doofes Wetter, oder?“, meinte ich und schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
„Nö, finde ich nicht. Ich liebe Regen! Und da ich am Montag beim jährlichen Langstreckenwettkampf mitmache, passt das Wetter ideal zu meiner Stimmung und steigert meine Motivation. Super, oder?“
Ich hob die Augenbrauen. „Du magst Regen?“
Bei diesem Gedanken überfuhr mich wieder eine Gänsehaut, als ich an das kühle Nass dachte, dass meine Laune jedes Mal in den Keller schob.
„Naja…“, fing sie verlegen an. „Es gibt Leute, die den Regen fühlen und andere, die einfach nur nass werden. Ich fühle den Regen“
Erstaunlicherweise gefiel mir der Satz. Ich wünschte, ich hätte die gleiche Motivation wie Donna und würde nicht jedes Mal das Schlechte in den Dingen sehen. Vielleicht sollte ich mal ein bisschen positiver denken und jeden einzelnen Augenblick genießen. Wow, ich erneuerte gerade mein Lebensmotto von „Das Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi“ zu „Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden“. Ich war wirklich stolz auf meine neue, kleine Wendung.
„Also, Ebby. Ich muss jetzt weiter joggen. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder!“, sagte sie und lief auch schon los.
Ich schaute ihr noch ein paar Sekunden glücklich hinterher, bevor ich in meinem Hochgefühl mit meinen festen Schuhen auf die Wellen zuging und mich in den weichen Sand stellte, wo ich sofort einsickerte. Ich zuckte nicht zurück, als das Wasser über meine Füße floss und sich dann hastig wieder zurückzog. Irgendwie mochte ich das. Ich schaute dem Spektakel noch drei Mal zu, bis ich meinen Blick auf den Horizont richtete und an meine verbrannten Bilder dachte. Und da war es wieder fort – dieses wunderschöne Gefühl, das mein Herz für ein paar Sekunden schneller hat schlagen lassen. Ich war ein hoffnungsloser Fall.
Plötzlich hörte ich empörte Aufrufe und als ich mich umdrehte, bemerkte ich, wie ein Hund rasenschnell am Wasser entlang lief. Das hier war kein Hundestrand, also waren diese Tiere verboten. Der Besitzer musste wohl neu auf der Insel sein, um das nicht zu wissen, obwohl hier am versnobten Strand überall Warnschilder hingen. Ich wandte mich kurz wieder meinen Füßen zu, die schon vom Sand begraben waren und hob sie mit einem Ruck hoch. Genau in dem Moment hörte ich mit einem Mal eine vertraute Stimme, die rief:
„Pass auf!“
Mein Herz setzte einen Schlag aus und während ich hastig nach dem Gesicht mit Namen suchte, erblickte ich auf einmal den Hund, der zielstrebig auf mich zulief. Ich schnappte nach Luft und wollte gerade mein schweres Bein heben, um zu fliehen, als das langhaarige Tier mich rammte und ich das Gleichgewicht verlor. Ich konnte noch sehen, wie der Vierbeiner hechelnd zum Stehen kam, ehe ich unsanft zu Boden fiel und eine kleine Welle an meinem Körper entlang schwappte. Das kalte Wasser stockte mir den Atem, während sich Muscheln in meine Beine bohrten und der Sand an meiner Wange, sowie an meiner Kleidung haftete. Ich rümpfte die Nase und zog die Schultern hoch, als ich mich aufsetzte und das Salzwasser an meinem Rücken hinunter lief. Es fühlte sich einfach widerlich an. Mein Körper war mit Schlamm bedeckt und all die Leute starrten mich geschockt an. Der Hund lief freudig im Kreis und witterte hin und wieder irgendetwas, während sich Schritte näherten. Okay, jetzt sollte ich wohl am besten mein neues Motto anwenden und das Gute in den Dingen sehen. Vielleicht würde das ja noch ein schöner Tag werden.
Ich rappelte mich auf und versuchte so gut es ging den Dreck von mir abzuklopfen. Naja, Salzwasser soll ja gut sein, dachte ich, während ich meine triefenden Haare hinter meine Ohren schob.
„Alles in Ordnung?“, fragte er.
Ausgerechnet seine Stimme musste ertönen. Die Stimme, der ich schon seit vier Tagen ausgewichen war. Die Stimme, die ich einfach nicht mehr aus meinem Schädel bekam.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und schaute in zwei hellbraune Augen, die mich besorgt musterten. Wieder keimte die Wut in mir auf und kopfschüttelnd wandte ich mich von Ivan ab.
„Mir geht es wirklich blendend“, zischte ich wütend und ließ das letzte Wort extra vor Sarkasmus triefen. Er sollte wissen, dass ich sauer war.
Ich stampfte weiter, doch da schloss Ivan auf einmal seine Hand um meinen Arm, die mich mit einem Ruck zu sich umdrehte, so dass ich überrascht gegen ihn prallte. Sein anderer Arm schlängelte sich um meinen Rücken und drückte mich noch fester an sich, als ob er Angst hätte, ich würde zusammensinken.
„Was willst du?“, brüllte ich und quetschte meine Arme zwischen uns, um somit ein wenig Abstand zu erschaffen. Ich ignorierte die Tatsache, dass ich seinen rasenden Herzschlag spüren konnte, während ich mit meinen Händen auf seine Brust einhämmerte. Doch das führte nur dazu, dass er mit einer Hand meine dünnen Handgelenke umfasste und sie wegdrehte. Mein Protest bewirkte wenig. Es war schon schlimm genug, dass uns die Leute mit gerunzelter Stirn musterten und der Hund immer noch fröhlich am Wasser entlang lief. Doch als Ivan mich einfach nur schweigend betrachtete und wieder eine gewisse Härte in seinem Gesicht lag, biss ich mir auf die Unterlippe, um nicht loszuschreien.
„Ivan, wenn–“
„Ich will, dass du mir zuhörst“, sagte er schroff. Sein Gesichtsausdruck war so angespannt, dass ich heftig schlucken musste. Auch er war wütend, stellte ich fest. Dabei hatte er meiner Meinung nach keinen Grund dazu. Immerhin war er der miese Verräter, der mein Herz – „Ich liebe dich“, ertönte plötzlich seine Stimme. Sie klang überhaupt nicht verärgert, sondern sanft. Als ob er mich mit weichen Federn gestreichelt hätte. Überrascht blickte ich ihm fest in die Augen, wobei meine Wut wie vom Winde verflog. H-hatte er das gerade wirklich gesagt? „Und ich möchte nicht, dass du wütend bist oder gar irgendwelche Tränen vergießt. Ich möchte, dass wir wieder von vorne anfangen. Ich möchte wieder dein bezauberndes Lächeln sehen oder–“ Sein Blick wanderte kurz zu meinem Mund hinunter. „Oder deine Lippen spüren“ Dabei gab er ein sehnliches Seufzen von sich und schaute mir wieder in die Augen. Eine angenehme Gänsehaut überfuhr meinen Körper, während mein Puls bei jedem Atemzug schneller ging. Ivan lockerte seinen Griff ein wenig und schenkte mir sein entzückendes Lächeln. „Ich weiß, dass du auf mich wütend bist und dass ich dich verletzt habe. Und das tut mir sehr leid. Natürlich reicht eine einfache Entschuldigung nicht, aber…Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich habe mir extra den Hund von meinen Nachbarn 'ausgeliehen', um einen Vorwand zu haben, dass ich hier auftauche. Doch dein Vater hat mir erzählt, dass du nicht da wärst. Schließlich habe ich dich zufälligerweise am Strand gesehen und den ungeduldigen Hund von der Leine gelassen. Er sollte – wenn ich ehrlich bin – deine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Die ganzen Blicke der anderen sind mir egal. Nur du zählst, Ebony“, sagte er leise und wischte ein wenig Dreck von meiner Wange weg. „Ich habe aber nicht beabsichtig, dass du hinfällst“
Ich wandte meinen Blick ab und stellte schmunzelnd fest, dass sein dünnes Sweatshirt aufgrund meiner nassen Kleidung an seinem Körper klebte. Hastig löste ich mich von ihm und war froh, dass er mich nicht wütend an den Armen festhielt. Und insgeheim war ich auch froh, dass er da war.
„Wieso bist du auf diese Wette eingegangen? Warum musste Drew irgendwelche Gerüchte in die Welt setzten und Derick mir einen Schrecken einjagen? Und wer ist Gabriel?“, fragte ich, um endlich Antworten zu bekommen. Er seufzte und fuhr sich durch seine dichten, braunen Haare, während er überlegte.
„Als erstes möchte ich klarstellen, dass das keine Wette war“, sagte er und blickte mir fest in die Augen. „Zumindest nicht direkt. Das, was die Zwillinge im Park gesagt haben, entspricht meiner Meinung nach nicht der Wahrheit. Es stimmt, dass wir Gabriel von dem Missgeschick in dem Eiscafé erzählt haben und er mit mir um fünfzig Euro gewettet hat, dass ich dich…niemals, äh…verführen könnte“
Mit gerunzelter Stirn schaute ich in seine braunen Augen, die auf einmal nervös hin und her zuckten, als verfolge er eine Fliege, die vor seiner Nase schwirrte.
„Habt ihr jetzt eine Wette abgeschlossen oder nicht?“, fragte ich ungeduldig und wich noch ein paar Schritte zurück. Er wirkte definitiv verlegen.
„Das Problem ist, dass sie dachten, ich sei auf die blöde Wette eingegangen, weil ich lachend den Satz von 'Wetten dass…' wiederholt habe. Dieser 'Top, die Wette gilt'-Satz. Dabei steckte viel Ironie damit drin, bloß haben diese Blödmänner das nicht verstanden. Erst in der Cafeteria habe ich dann gemerkt, dass Drew deine Aufmerksamkeit auf uns lenken wollte, als er dich angerempelt hat. Und da wurde mir bewusst, dass sie diese Sache verdammt ernst meinten“
„Also hast du beschlossen, an der Wette teilzunehmen“, setzte ich hinzu. Obwohl mir das alles seltsam und unlogisch vorkam, klärte sich der Nebel langsam, der mir die Sicht zur Wahrheit versperrte.
„Sozusagen. Immerhin ging es um fünfzig Euro und solche Wetten waren für Gabriel immer sehr ernst, sowie den Zwillingen. Ich kann dir sagen, dass die Sache in jener Nacht mir Derick nicht geplant war. Ich gebe zu, dass ich dich und Kaylee vorher am See gesehen habe und dich eigentlich abpassieren wollte, aber… ich Dummkopf habe mich nicht getraut“ – Sein trauriger Blick brachte mich ins Grübeln – „Ich habe wirklich nicht gewusst, dass Derick high war. Das kannst du mir glauben, Ebby. Und diese ganzen anderen Aktionen danach, waren rein zufällig. Ich habe von all dem nichts gewusst. So, wusste ich auch nicht, dass du die Cousine von Aliza bist und auf der Hochzeitsparty dabei sein würdest. Dass ich Drew eine SMS geschrieben habe, stimmt. Er wollte sich entschuldigen, hat er zu mir gesagt, was ich vernünftig fand. Immerhin wohnt sein Onkel hier in der Nähe, so dass das alles passte. Aber nach und nach wurde mir klar, dass er sich auch in dich verliebt hatte. Und er eifersüchtig war, weil ich doch die Wette gewinnen musste. Da wurde mir auch bewusst, dass ich dich… liebe. Diese Gerüchte waren mir natürlich zu Ohren gekommen, aber ich weiß nicht, was die bezwecken sollten. In der Eisdiele war ich wirklich enttäuscht gewesen, als ich euch gesehen habe. Dabei dachte ich nicht an die vermeintlich verlorene Wette. Ich dachte daran, dass ich wohl DICH verloren hätte“
Er machte eine kurze Pause, um meine Reaktion beobachten zu können. Aber wie sollte ich auch schon reagieren? Sollte ich erleichtert sein oder doch enttäuscht? Ich konnte meine Gefühle nicht richtig ordnen und starrte ihn nur stumm an.
„Und wieso hat Drew dich im Klassenraum geschlagen?“, fragte ich.
„Das weiß ich nicht. Immerhin war die Szene kein Fake und entsprach wirklich der Realität. Ich wollte dich wegziehen, da ich deinen Gesichtsausdruck gesehen habe. Aber anscheinend war er damit nicht einverstanden. Vielleicht war es sein zerkratztes Ego, das die Wut in ihn entfachte. Ich kann dir das wirklich nicht sagen, Ebby. So ist Drew nun mal“
Ich nickte, weil ich ihn auf irgendeine Weise verstand. Auch wenn der ganze Tumult mich ein wenig verwirrte, konnte ich Ivan verstehen. Oder es war einfach meine blöde Naivität, die ihm zu schnell verzieh.
Ich war mir nicht sicher und biss mir nachdenklich auf die Unterlippe, während das kalte Salzwasser immer noch von meinen Haaren tropfte. Doch ich bemerkte die eisige Kälte noch nicht einmal.
„Ich glaube, dass ich das irgendwie nachvollziehen kann“, sagte ich leise und dachte an meine beste Freundin, die manchmal auch so seltsame Momente hatte, wo sie eine komische Handlung vollzog. „Aber woher soll ich wissen, ob das die Wahrheit ist? Außerdem hast du mir immer noch nicht erklärt, wer dieser Gabriel ist“
Ivan seufzte und pfiff den Hund zu sich, während er mich mit seinen einzigartigen braunen Augen in einen magischen Bann zog. „Ebony, du kannst mir vertrauen. Ehrlich. Ich hatte niemals die Absicht gehabt, dich zu verletzen. Ich wollte nicht, dass du weinst oder mich vielleicht sogar hasst“, meinte er traurig. „Ich habe den Jungs gestern Bescheid gesagt, damit diese ganzen… Unannehmlichkeiten endlich ein Ende haben. Wir haben uns dann noch im Park getroffen, um uns von Gabriel zu verabschieden. Er lebte vor vier Jahren mal auf dieser Insel, doch dann musste er wegziehen. Du weißt ja, dass in einer Woche die Sommerferien beginnen, doch in seinem Bundesland haben sie schon früher begonnen. Er ist für zwei Wochen hier gewesen, doch vor drei Tagen musste er dann schon wieder abreisen. Gabriel ist ein guter Freund von uns, auch wenn er manchmal ein wenig eigenartig sein kann und vielleicht auf den ersten Blick unheimlich erscheint“, erklärte er und rieb einen Finger gegen die Schläfe. „Ebby, es tut mir alles so unendlich leid“
Ich schwieg und dachte ein paar Sekunden über seine Worte nach. War das logisch? Erzählte er mir die Wahrheit? Oder gehörte das sogar noch zu seinem Spiel dazu? Ich schüttelte nur seufzend den Kopf, ehe ich ihm in die Augen blickte.
„Ich brauche Zeit zum Nachdenken, Ivan“, erwiderte ich leise.
„Kann ich verstehen“, flüsterte er.
Ich zögerte, bevor ich mich dazu zwang, ihm endlich den Rücken zukehren und die Strandpromende entlang zu gehen. Der kalte Wind schien mir etwas ins Ohr zu wispern, was ich jedoch nicht ganz verstehen konnte. Sollte ich Ivan meinen Glauben schenken? Ja? Nein?
Ich wusste es nicht.

Zu Hause bemerkte ich verwundert, dass Mom und Dad beide summend in der Küche standen und zusammen etwas kochten. Der Anblick versetzte mir einen kurzen Stich ins Herz und so leise wie möglich schlich ich mich in mein Zimmer. Doch in der Young-Familie war so etwas beinahe unmöglich. Als ich gerade die letzte Treppenstufe erreicht hatte, stand mein Vater unten an der Treppe und schaute mich mit hochgezogenen Brauen an.
„Schön, dass du wieder da bist“, sagte er. „Vorhin war hier ein Junge gewesen, der dir–“
„Das war Ivan gewesen!“, hörte ich die erfreute Stimme meiner Mutter aus der Küche, die seitdem Hausbrand unglaublich begeistert von ihm war.
Dad seufzte und verdrehte die Augen. „Jedenfalls hat er dir ein Päckchen da gelassen. Ich habe es auf dein Bett gelegt“
Ich nickte und verschwand hastig in mein Zimmer, wo ich schon ein kleines Paket sah. Misstrauisch ging ich auf das viereckige, schmale Ding zu, wobei sich der kleine Gedanke in meinem Kopf schlich, dass es sich dabei vielleicht um eine Zeitbombe halten könnte. Aber das war absurd. Ivan würde wohl kaum meinen Tod sehen wollen.
Die Neugierde in mir drohte mich fast zu zerreißen, denn ich liebte solche Überraschungen und hatte dann immer einen gewissen Nervenkitzel in meinen Händen. Automatisch fing ich an zulächeln, doch ich zwang mich zu einer harten Miene und die flatterten Gefühle in meinem Bauch zu ignorieren. Mit einem Ruck zerriss ich das braune Papier, so dass es in kleinen Fetzen auf den Boden fiel. Ich runzelte die Stirn, als ich die Überraschung endlich in meinen Händen hielt. Es war eine CD. Ohne Hülle, ohne Abbild, ohne irgendeine Beschriftung. Einfach eine spiegelartige CD, die in meinen Händen lag.
In meinem Kopf malte ich mir aus, was da drauf sein könnte, während ich sie in meine Anlage steckte. Vielleicht ein Lied? Ein Hörspiel?
Mit zitternden Händen drückte ich auf Play und wartete ungeduldig auf irgendeinen Laut. Doch als erstes konnte ich nur irgendein Rauschen hören, dass mich nur beunruhigte. Doch auf einmal ertönte eine bekannte Melodie und überrascht schnappte ich nach Luft. Für ein paar Sekunden lauschte ich geschockt den Klavierklängen, bis schließlich der Sänger ertönte und die ersten paar Zeilen sang:
„Come up to meet you, tell you I’m sorry.
You don’t know how lovely you are”
Während ich diese Zeilen hörte, wurde mir bewusst, dass Ivan mir etwas sagen wollte. Vielleicht wollte er mir mit dem Lied 'The Scientist' von 'Coldplay' seine Gefühle oder Gedanken vermitteln.
„I had to find you. Tell you I need you.
Tell you I’ve set you apart”
Ich seufzte und warf einen fast erwartungsvollen Blick aus dem Fenster. Ich konnte meine Gefühle gar nicht beschreiben, während ich das Lied hörte und an Ivan dachte, der mich immer noch liebte. Und wenn ich ehrlich war, hatte ich auch noch Gefühle für ihn. Dieses sehnsüchtige Herzverkrampfen sagte mir, dass ich ihn noch liebte. Vielleicht sollte ich ihm verzeihen. Aber das könnte dann bedeuten, dass ich schwach wäre. Dass ich mich schnell überreden lasse oder mir keine großartigen Gedanken machen würde. Möglicherweise würde er sich dann als den stärkeren ansehen. Aber so wie ich Ivan kennengelernt hatte, war er nicht die Sorte Jungs, die ihren Ego aufpumpen mussten. Falls er sich denn nicht während der Wette verstellt hatte. Falls er denn auch die Wahrheit erzählt hatte… Vielleicht sollte ich ihm doch noch eine Chance geben. Schließlich machte ja jeder Mensch mal Fehler, auch wenn dieser mich sehr verletzt hatte. Und wenn Ivan wirklich wollte, dass ich dieses Lied ernst nahm, dann sollte ich wohl auch diese Zeile nicht einfach überhören:
„No one ever said it would be this hard.
Oh, take me back to the start”

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Hm. Ich hoffe, ich muss diese englischen Textzeilen nicht noch zusätzlich übersetzen. :)
Liebe Grüße
Yaksi






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