Théâtre Ombre de Lutèce - Teil 13

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 10.01.2012


Das Innere des Thaters ist dunkel. Es riecht ganz leicht nach Verbranntem – vermutlich von Kerzen – modrigem Holz und Parfüm. Arla findet sich hier genauso problemlos zurecht wie in dem Gassen-Labyrinth des East-Ends, führt mich um Ecken, an Gaslampen und dunklen Türöffnungen vorbei. Mein Herz pocht und meine Beine sträuben sich dagegen, mich noch tiefer in die unbekannte Gefahr zu tragen, doch ich zwinge mich, der Gestalt vor mir zu folgen.
„Hör zu,“ flüstert Arla, und bleibt stehen, bevor sie um die nächste Ecke biegt, die ich im schwachen Schein einer Gaslampe an der Wand erahnen kann. „Zur Wiederholung - dein Name ist Eilzabeth Miller, du bist ein weit entfernte Cousine von mir und auf dringender Suche nach einer Stelle hier in London und hast dich deswegen an mich gewandt.“
So aufmerksam es meine Aufregung erlaubt, höre ich Arla zu und nicke. „Hast du alles verstanden?“ fragt sie trotzdem nochmal und sieht mich prüfend an.
„Ja,“ sage ich.
Sie will weitergehen, obwohl sie nicht überzeugt wirkt, dreht sich aber noch mal nach mir um, in ihren Augen kann ich Mitgefühl erkennen. „Du wirst das ganz sicher machen?“
„Ich habe Fox...“
Sie seufzt. „Ja, ich weiß,“ murmelt sie. Dann folgt eine Pause, in der sie sich umzuschauen scheint. Als sie sicher ist, dass niemand kommt, beugt sie sich vor flüstert sie eindringlich: „Dir ist klar, dass du dich in die Höhle des Löwen begibst, Beth?“
„Ich...“
„Wenn du nicht aufpasst, werden sie dich zerfleischen, ohne mit der Wimper zu zucken. Und niemand wird es je erfahren, weil Diskretion hier das oberste Gebot ist. Was du im Begriff bist zu tun, bringt uns alle in große Gefahr. Es ist noch nicht zu spät, aber wenn wir um diese Ecke gebogen sind, wenn du erstmal im Büro der Madame sitzt, wird es das sein.“
Sie sieht mich an, mit der verzweifelten, wilden Hoffnung, dass ich mich umdrehen und wieder verschwinden werde. Wir hoffen beide, dass ich das tun werde, doch ich kann nicht. Simon, meine Tante. „Nein,“ flüstere ich. „Es ist...“
Arla tritt einen Schritt zurück, resigniert. „Es ist, wie es ist, ich weiß,“ sagt sie seufzend. „Komm,“ murmelt sie und wir biegen schließlich um die Ecke und wie sie mir zu verstehen gegeben hat, ist mein Schicksal damit besiegelt.


In dem schmalen Gang, von dem ich ahne, dass er Richtung Kanalisation führt, befindet sich eine Tür, die mir zuvor, bei unserer nächtlichen Flucht, nicht aufgefallen ist und nun von Arla nach einem Klopfen geöffnet wird. Dahinter befindet sich ein stickiges Büro, mit alten Photographien, einigen Papieren auf dem Schreibtisch und Holzkisten, die sich an der Wand stapeln. Der Schreibtisch in der Mitte dominiert den Raum, auf beiden Seiten davon stehen je ein alter Polsterstuhl, einer in einem verblichenen Grün, der andere in einem verschlissenen Rot.
„Setzt dich und warte hier, während ich sie hole,“ sagt Arla, als sie feststellt, dass noch niemand da ist, deutet auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und ist verschwunden.
Ich fühle mich unbehaglich in dem Büro und bin nervös. Zuerst setzte ich mich, kann aber nicht still auf dem hässlichen Polster verharren, laufe in dem Raum auf und ab. Meine Nerven sind gespannt. Was wird gleich passieren. Wer wird hier rein kommen? Noch nie war mir meine nächste Zukunft so ungewiss und es treibt mich um. Und es wird nicht besser dadurch, dass Arla sich nicht zu beeilen scheint. Minuten vergehen wie Stunden. Was mache ich hier überhaupt, wieso habe ich mich drauf eingelassen? Wie um Himmels willen kann Fox auch nur in Erwägung ziehen, mir eine solch hirnrissige Aufgabe wie Spionage zu erteilen?!
Ich überlege hin und her, ob ich es zum Ausgang schaffe, ohne dass mir irgendwer über den Weg läuft. Es ist totenstill, vielleicht könnte ich es versuchen... Nein, es ist dumm. Es gibt kein Zurück, es gibt kein Zurück. Ich sage es auf wie ein Mantra.
Langsam fange ich an, mich in dem Büro umzusehen. Die Fotos an der Wand sind verblichen, die Kisten, die sich im Raum stapeln sind mit Daten beschriftet. Ich trete an den Schreibtisch, auf dem eine Briefkorrespondenz ausgebreitet zu liegen scheint, und beuge mich darüber, kann jedoch nichts von der Schrift entziffern und lasse mich zurück auf den Stuhl fallen, als ich Schritte höre, das Herz klopf mir bis zum Hals.
„Entschuldigen Sie die Störung Madame Marcou, ich...“ höre ich eine männliche Stimme sagen, noch ehe der junge Mann den Kopf durch die Tür gesteckt hat. Als er mich sieht, bricht er ab und macht „Oh.“
Er sieht mich unschlüssig an, dann werden seine Augen schmal, als versuche er sich an mich zu erinnern. „Miss, wo ist die Madame?“ fragt er dann.
Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. Einerseits bin ich erleichtert, dass er nicht meinetwegen hier ist, aber meine Nervosität mildert das nicht. „Ich...“
Der Mann seufzt, sieht kurz hinaus in den Gang, wobei ihm eine lächerliche braune Strähne in die Stirn fällt. „Entschuldigen Sie, Miss, Sie warten auch auf Sie, richtig?“ fragt er und sieht mir dabei in die Augen, was bei mir ein unbehagliches Gefühl hervorruft. „Ja,“ antworte ich. Zumindest nehme ich an, dass dies die Person ist, auf die ich warte.
„Verstehe,“ sagt er knapp und wendet sich zum Gehen. „Hören Sie, Sie haben hier nicht zufällig irgendwo eine Blondine mit widerspenstigem und einem unübersehbar trotzigem Blick gesehen?“ fragt er plötzlich und ich muss mir das Lachen verkneifen. Es besteht kein Zweifel daran, dass er Arla meint. Was für eine charmante Beschreibung.
„Oh, doch, so jemand müsste irgendwo hier im Gebäude sein,“ antworte ich.
„Danke, Miss,“ sagt er. Wir lächeln uns einen Moment lang an. „Viel Glück,“ meint er und verschwindet dann. Ja, Glück werde ich brauchen.


Eine Weile noch muss ich über diese Begegnung nachdenken und frage mich, wer der Mann war, bis erneut Schritte erklingen, diesmal von mindestens zwei Personen. Ich wende mich zum Eingang und sehe eine ältere Dame mit riesigem Reifrock und einschüchterndem Blick hereinkommen. Sie ist einschüchternd, korpulent, trägt ein schlichtes Kleid, dem sie aber allein durch ihre Person Eleganz und Extravaganz verleiht, und als sie den Raum betritt, besteht kein Zweifel daran, dass dieses ganze Theater ihr gehört, ja, wenn nicht gar ganz London ihr gehören mag. Kurzum, sie ist der Inbegriff einer Grande Dame. Gefolgt wird sie von Arla und einer rothaarigen Frau von vielleicht knapp dreißig Jahren, die lange Handschuhe trägt.
Die Madame setzt sich mir gegenüber hin und hält meinen Blick fest. „Sie sind also Arlas Cousine?“ fragt sie ohne Umschweife, geschäftig.
Ich nicke, während Arla sich an die Wand neben mir lehnt und die andere Frau sich neben die Madame stellt.
„Aha, und Sie sind also auf der Suche nach einer Stelle in London...“
„Ja, das ist richtig,“ bringe ich eingeschüchtert hervor. Diese Frau flößt einem augenblicklich Respekt ein, ohne große Worte, bloß durch diesen Blick aus ihren blassgrünen Augen.
„Wie ist Ihr Name?“
„Elizabeth Miller,“ antworte ich. Die Rothaarige mustert mich mit stechendem Blick.
„Aha,“ macht die Madame und räuspert sich. „Ich bin Madame Marcou, Ihre Cousine kennen Sie ja, und das ist Miss Cornelia Haper.“
Letztere nickt mir zu.
„Haben Sie schon einmal in einem Theater gearbeitet, Miss Miller?“ will die Madame wissen.
Ich schüttele den Kopf.
„Sonst etwas vergleichbares?“
„Nein, Madame, ich...“
„Haben sie irgendein Talent? Spielen Sie vielleicht Klavier? Oder ein anderes Instrument?“
„Es tut mir leid, ich...“
„Sind sie vielleicht gut im Tanzen? Können Sie gut Konversation machen?“ bohrt sie weiter, wirkt aber bereits gelangweilt.
„Nur die Standardtänze, fürchte ich,“ antworte ich kleinlaut, während mir klar wird, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Aufgabe erfüllen kann, und damit meiner Tante helfen und raus finden, was mit Simon passiert ist, rapide sinkt. Fieberhaft überlege ich, was ich tun oder sagen kann, um das Ruder rum zu reißen.
„Nun, Arla meinte, sie hätten zahlreiche... Fähigkeiten, die...“
„Ich habe eine Gesangsausbildung bekommen,“ werfe ich hoffnungsvoll ein.
„Haben Sie das?“ fragt sie herablassend. Natürlich. Welche Mutter hat ihre Tochter nicht zum Gesangsunterricht geschickt, damit sich später die Gesellschaft an ihrem Stimmchen erfreuen kann, ganz unabhängig von dem tatsächlichem Talent des Mädchens?
„Ja, außerdem spreche ich Französisch...“ versuche ich es verzweifelt weiter.
„Oui?“ Plötzlich fällt mir ein, dass jemand, der Madame Marcou heißt, ganz sicherlich französisch spricht. Meine Ohren werden rot, doch ich lasse mich nicht verunsichern, sondern antworte: „Oui, je parle le français et aussi un peu d\'allemand. Außerdem kenne ich alle wichtigen Regeln, was Gesellschaft, Tischmanieren und so weiter angeht.“
„Oh, wir wussten ja gar nicht, dass Arla jemanden mit derartigen Talenten in ihrer Verwandtschaft hat,“ spottet Cornelia und lacht. Arlas Blick verfinstert sich, es war definitiv ein Hieb gegen sie, doch sie unternimmt nichts. Sie ist offensichtlich nicht in der Position und Cornelia liebt es, sie darauf hinzuweisen.
„Naja,“ sagt die Madame nachdenklich. Sie ist keine Frau, die Kompromisse macht, das sieht man auf den ersten Blick. Sie legt eine Hand anmutig auf den Tisch, neigt den Kopf und seufzt, ehe sie mich mit ihrem Blick fixiert.
„Offen gesagt, wir haben kaum Verwendung für jemanden ohne Bühnentalent, unabhängig davon, was Ihnen Ihre Base für Hoffnungen gemacht haben mag. Allerdings können wir durchaus eine neue Empfangsdame und Bedienstete gebrauchen, die in die Gepflogenheiten der Gesellschaft zur Genüge eingewiesen ist.“
Hoffnung keimt in mir auf, die Nerven spannen sich bis zum Zerreißen.
„Und Ihr Gesicht, Miss...“ fügt sie nachdenklich hinzu und mustert mich genaustens und steht dann auf. „Kommen Sie her, Kind,“ fordert Sie mich plötzlich auf, als wäre ich ihre Enkelin. Ich zögere, ich habe Angst. Wieso will sie sich mein Gesicht ansehen? Erkennt sie mich womöglich wieder? Doch es gibt kein Zurück. Zögerlich stehe ich auf und trete angsterfüllt zu ihr.
Rücksichtlos und mit der grenzenlosen Selbstsicherheit einer Person, die es gewohnt ist, sich zu nehmen, was sie will, greift sie nach meinem Kinn und zieht mein Gesicht zu sich, sodass sie es im Schein ihrer Schreibtischlampe betrachten kann. Sie lässt sich Zeit und ich wage nicht, mich zu rühren oder ihr in die Augen zu sehen, starre bloß auf die Staubpartikelchen, die durch das Licht schwimmen.
„Ihr Gesicht, Miss...“ sagt sie, während sie mich loslässt. und deutet nachdenklich ein Nicken an. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. „Ich möchte jemanden mit so einem Gesicht in meinem Theater haben.“
Darum geht es also. Fox hatte recht, meine Ähnlichkeit zu Emma ist meine Eintrittskarte in dieses ominöse Etablissement. Ich verberge meine Erleichterung darüber, dass sie mich nicht etwa erkannt hat und widerstehe dem Verlangen, Arla anzusehen.
„Ich weiß nicht, wie Arla das geschafft hat, aber sie scheint genau die richtige Cousine zum rechten Zeitpunkt erscheinen zu lassen haben,“ meint die Madame beiläufig.
Diesmal werfe ich Arla einen kurzen Blick zu. Sie erwidert ihn. Die Art, wie der letzte Satz gesprochen war, war eine Spur zu beiläufig.
„Es ist schließlich erstaunlich, dass jemand, der im East-End arbeitet eine Cousine aus einer offensichtlich wohlhabenden Familie hat, die nicht nur singt und tanzt, sondern auch Fremdsprachen beherrscht... Aber mir sind schon so einige Wunder untergekommen...“ meint die Madame. Sie schafft es meisterlich in einem derart beiläufigem Ton zu sprechen und dennoch keinen Zweifel daran zu lassen, dass dies ein Verhör ist. Es sind ihre Augen, diese blassgrünen Augen.
Arla lacht leise. „Madame, es ist uns doch allen klar, dass sie nicht hier wäre, wenn ihre Familie noch wohlhabend wäre,“ sagt sie offen. Ich bin erstaunt, wie leicht sie lügt.
Die Madame lehnt sich zurück. „So ist das also...“ Ihre Stimme ist beinahe ein Schnurren. Sie sieht mir in die Augen und mir wird klar, dass sie die Antwort von mir hören wollte. „Die Wirtschaft hierzulande wird eben immer unberechenbarer...“ macht sie weiter.
Ich gebe mir größte Mühe nicht nervös auf dem Stuhl herum zu rutschen. Mir fällt etwas ein, das Arla mir vorhin gesagt hat, ich lächele höflich und lege meinen Kopf in die Schlinge, indem ich sage: „Von Wirtschaft verstehe ich nichts, jedoch weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass Sie eine große Freundin der Diskretion sind und es mir nicht nachtragen werden, sollte ich auf diese ebenfalls Wert legen.“
Erstaunlicherweise lächelt die Madame zurück. In ihren Augen kann ich eine Mischung aus Ärger, Respekt und... Erheiterung erkennen.
„Wie könnte ich Ihnen das verdenken,“ antwortet sie amüsiert. Schlagfertigkeit scheint ihr zu gefallen.
Nach einer kurzen Pause steht sie auf. „Miss, Sie bekommen die Stelle,“ verkündet sie in einem strengen Tonfall. „Ich hoffe, dass Sie sich gut machen werden. Arla soll Ihnen das Theater zeigen. Miss Arnolds“ - sie spricht den Namen mit Verachtung aus - „wird mit Ihnen die übrigen Details besprechen.“
Ich lächele erleichtert. Der Mund der Madame bleibt ein schmaler Strich. „Gehen Sie jetzt,“ befiehlt sie.
Ich und Arla verlassen gemeinsam das Büro. „Herzlichen Glückwunsch,“ flüstert sie mir bitter zu.






Sooo, endlich, nach langer, langer Zeit ist das Ding fertig geschrieben *puh*. Hat wirklich ewig gedauert, einerseits viel zu tun mit gehabt mit Schule, andererseits ist meine Muse ein schrecklich launisches Biest, das mich gezwungen hat dieses Stück Text so um die zehn-zwanzig Mal um- und neuzuschreiben, bis endlich etwas gelang, was ich für halbwegs anständig erachte. *seufz*
Ich hoffe ihr seht das ähnlich und verzeiht mir die lange Wartezeit (Aber hey, dafür ist es diesmal länger ;) ) Und der nächste Teil wird siche rnicht so lange brauchen.

Danke vielmals für alle lieben Kommentare und ich freu mich immer über etwas Kritik, desto detaillierter desto besser. (Ja, mir dürstet es nach Feedback ;) )





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