Théâtre Ombre de Lutèce - Teil 5

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 03.09.2011


Neben der grünen Kutsche im Hof steht eine Frau im beigen Reisekostüm mit honigfarbenem Haar und dirigiert ein paar Stalljungen, die Gepäck verstauen.
„Christel?“ rufe ich beim Näherkommen.
Sie dreht sich um, die goldenen Locken schwingen und ihre Lippen zeigen ein entzückendes Lächeln, das bei meinem Anblick sofort schwindet. Sie gibt den Stalljungen eine weitere Anweisung und kommt mir geschwind entgegen. Ihr Blick ist durchdringend wie der einer heidnischen Jagdgöttin.
„Was machst du hier?“ fragt sie zischend, während sie mich am Handgelenk packt und von ihrer Kutsche weg führt.
Ich sehe ihr in die Augen. Christel ist nichts von den Strapazen der letzten Nacht anzusehen. Sie ist nahezu beängstigend makellos. „Ich... will mit dir reden,“ sage ich unsicher.
„Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt dafür,“ erwidert sie.
„Warum verlässt du London?“
„Ich habe diese Reise lange geplant.“ Sie lügt ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich schüttele den Kopf. „Hör auf, ich weiß, dass es wegen der letzten Nacht -“
„Sei still!“ Ihr Griff um mein Handgelenk wird noch fester.
Ich lasse mich nicht beirren und reiße mich von ihr los. „Bei Gott, Christel, was genau ist eigentlich passiert?!“
„Hör zu, du solltest überhaupt nicht hier sein, geh nach Hause, ruh dich aus, denk dir eine hübsche kleine Geschichte für deine Tante aus und fahr für einen Monat aufs Land -“
„Christel, hörst du mir überhaupt zu? Du musst mir das erklären, zumindest irgendwas!“ unterbreche ich sie.
„Beth, ich...“
„Christel, ich wäre fast gestorben! Gestorben! Verstehst du das?!“ werfe ich ihr wütend an den Kopf, ungeachtet der Stalljungen die bereits in unsere Richtung schauen.
Christels Augen werden schmal, aber sie schweigt.
„Hätten mich die Polizisten nicht aus dem Wasser -“
„Polizisten?“ fragt Christel. Mit einem Mal versucht sie nicht mehr, mich abzuwehren, sondern sieht mich mit regem Interesse an.
„Ohja, hätten mich nicht die Männer vom Scotland Yard aus der Themse geholt, wäre ich darin ertrunken! Dank deines kleinen Schubsers, weißt du noch?“ Ich betone den letzten Teil besonders und sehe sie dabei vorwurfsvoll an.
Doch meine liebe Freundin interessiert sich dafür gar nicht. „Haben sie dir da etwa Fragen gestellt?“
„Hast du etwa versucht mich umzubringen?!“
Sie funkelt mich zornig an, wie ein ungezogenes Kind, das sich in Dinge einmischt, die es nichts angehen, anstatt brav zu antworten und nur stört. „Das tut jetzt nichts zur Sache. Haben sie dir Fragen gestellt?“
Christels Worte schockieren mich. Wie kann sie so gleichgültig sein?
„Oh, Betty, ich meine es doch nicht so,“ setzt sie mit samtweicher Stimme an, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkt.
Ich schüttele den Kopf, sehe sie noch einen Moment lang an und wende mich zum gehen.
„Betty, bleib doch hier,“ sagt sie und kommt mir nachgelaufen, umrundet mich, nimmt meine Hand. „Betty, ich habe es doch wirklich nicht so gemeint, ehrlich. Ich mache mir nur solche Sorgen darum, dass du dich in Schwierigkeiten gebracht haben könntest. Es tut mir so leid, was ich alles tun musste, ich hab's nur gut gemeint, wirklich. Ich will es dir so gerne erklären, aber es ist so wenig Zeit, weißt du. Aber du musst mir das erzählen, in Ordnung? Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“ Jetzt nimmt sie auch meine zweite Hand, drückt beide fest und fährt noch eindringlicher fort. „Betty, bitte, verzeih mir. Du weißt, wie ich manchmal sein kann. Ich meine es doch nie-niemals böse. Du musst mir einfach vertrauen. Wir müssen zusammenhalten. Wir sind doch Freundinnen.“
Sie gibt sich alle Mühe und hält meine Hände fest in ihren. Sie ist so honigsüß wie es jemand nur sein kann, wirkt auf einen Schlag viel mehr wie ein junges Mädchen denn wie die erwachsene Frau, die sie ist. Ich hasse es, wie sie mit mir spielt, aber ich weiß, dass sie Recht hat. Ich muss ihr vertrauen, denn sie ist die einzige, die mir etwas über all das sagen kann, in was ich da gestolpert bin.
„In der Nacht haben sie nichts gefragt, nein...“ ergebe ich mich.
„Aber?“
Ich zögere. „Sie...“ Eigentlich möchte ich das Christel nicht erzählen, doch sie streichelt mit so viel Hingabe meine Hand und hängt so sehr an meinen Lippen, dass ich gar nicht anders kann. „Sie waren heute früh da.“
Alarmiert sieht mir Christel in die Augen. „Heute morgen? Wieso sollten sie dich extra aufsuchen?“ will sie sorgenvoll wissen.
„Sie hatten eben ein paar Fragen,“ sage ich ausweichend.
„Worüber denn, Betty?“
„Naja,“ ich schlucke und sehe zu Boden. „Gestern Abend an der Themse, da ist noch etwas passiert, weißt du?“
„Ohje, worauf willst du hinaus, Liebes?“
„Du hast es sicher in der Abendzeitung gelesen.“
Christel sieht mich unbehaglich an, ganz untypisch für sie. „Das mit Simon Doyle?“
Ich nicke grimmig und sie legt eine Hand auf meine Wange. „Ich weiß, dass du ihn mochtest, aber du darfst deswegen nicht traurig sein. Und das hat doch nichts mit dir zu...“ Ihre Augen weiten sich. „Hast du ihn etwa gesehen?“
Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke langsam. „Oh, Beth...“ murmelt Christel und tut dann etwas, was ich nie erwartet hätte. Sie umarmt mich. Nicht flüchtig, nein, sie nimmt mich richtig in die Arme, drückt mich an sich, streichelt meinen Rücken.
Für einen Moment gebe ich mich der Illusion hin, dass Christel wirklich eine Freundin sein könnte. Sie ist warm, und ich möchte so gerne zulassen, dass ihre Umarmung mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Ich möchte so gerne glauben, dass wir richtige Freundinnen sind. Wie gerne würde ich meinen Kopf an ihre Schulter legen und dann weinen und mich in Sicherheit wiegen. Umso schmerzlicher wird mir bewusst, dass ich mich nie darauf verlassen könnte, dass Christel mich nicht einfach von sich stoßen würde, wenn sie von der Sache genug hätte.
Ich löse mich von ihr, atme tief ein. „Ja, ich hab ihn gesehen, nachts. Ich hab ihn erkannt. Er sah so furchtbar aus...“
Christel nimmt erneut meine Hand, drückt sie. „Waren sie deshalb bei dir? Die Polizisten?“
Ich nicke. Der Schmerz verzerrt alles, ich nehme Christel kaum noch wahr. „Sie wollten seinen Namen von mir wissen,“ murmele ich. „Und jetzt steht er in allen Zeitungen.“ Meine Miene wird zu einer Grimasse, ich klammere mich an Christels Hände, die ersten Tränen kommen.
„Betty, Liebes, es ist schon gut. Wollten sie sonst noch irgendwas wissen oder haben sie dich dann in Ruhe gelassen?“
„Sie wollten alles mögliche wissen,“ antworte ich mit bebender Unterlippe, der Hysterie nahe.
„Aber du bist doch tapfer geblieben, stimmt's? Du hast ihnen nichts erzählt und ihnen gesagt, sie sollen sich zum Teufel scheren?“
„Natürlich bin ich tapfer geblieben, was hätte ich ihnen schon sagen sollen? Oder meiner Tante erst.“ Meine Stimme wird zu einem Heulen. Es ist so unglaublich peinlich und gleichzeitig so unbedeutend.
„Ich wusste meine Betty würde tapfer sein,“ sagt Christel sanft, sie ist plötzlich ganz nah an meinem Ohr. Sie umarmt mich wieder, aber diesmal irgendwie anders. Als wolle sie ihr Kleid nicht mit meinen Tränen besudeln. So bleiben sie allein bei mir, tropfen von meiner Nase auf die Jacke.
„Christel, du musst hierbleiben.“
„Oh, Beth, du weißt, dass ich aufbreche, Liebling.“
„Aber Chrissy...“
„Scht,“ macht sie und lässt mich wieder los. „Beth, ich muss fahren. Wir können miteinander reden, wenn ich wieder da bin. Ich werde dir dann schreiben. Du musst bis dahin einfach auf dich aufpassen. Es kommt alles ins Lot, ich versprech's dir, ja?“
Ich bin verzweifelt. Wieso macht sie das? Wieso ist sie so grausam? Wieso gibt sie mir einen Moment lang Halt, nur um mich direkt allein zu lassen mit all meinen Fragen und wieso falle ich immer wieder darauf herein?
„Christel,“ presse ich hervor, mein Gesicht tränennass. „Ich wäre fast gestorben. Bitte, du musst mir erklären, was überhaupt geschehen ist.“ Ich gebe mir bei der Stimme gar nicht erst die Mühe, lege dafür aber jedes bisschen Entschlossenheit in meinen Blick und starre in Christels warme Augen.
Ich meine Mitleid darin zu erkennen, doch es wähnt nicht lange. „Tut mir leid, du wirst einige Zeit lang allein zurecht kommen müssen,“ sagt sie. Dann dreht sie sich um und geht zur abfahrbereiten Kutsche. Die Tür steht offen. Christel wartet nicht, bis ihr einer der Stalljungen beim Einsteigen hilft, sondern setzt ihre Füße schnell auf die Treppe.
Wie eine Verrückte renne ich hinterher. „Warte!“ Sie hört nicht auf mich. Ich schnappe nach ihrem Ärmelsaum.
„Verdammt, was machst du da?!“ Wutentbrannt dreht sie sich nach mir um, schnappt von ihrer erhöhten Position auf dem Treppchen aus nach meinen Arm und verdreht ihn. Ihre Finger bohren sich schmerzhaft in mein Fleisch, erneute Tränen schießen mir in die Augen.
„Christel, du musst mir sagen, was los ist!“ verlange ich, viel zu verzweifelt um an die Bediensteten zu denken, die das mithören.
„Mach keine Szene,“ zischt Christel, schubst mich leicht von sich.
„Bitte, du -“
„Das ist weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort dafür!“ bellt sie. Bevor ich irgendetwas tun kann gibt sie dem Kutscher den Befehl zum Losfahren und verschwindet im Inneren des Wagens, der kurz darauf unter Hufgeklapper durch eine schmale Gasse verschwindet und mich allein im Halbdunkel zurücklässt.





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So, was gibt's zu sagen? Ja, nach langer Zeit endlich wieder zum Schreiben gekommen. Hoffe ihr findet es noch erträglich ;)
Wie euch sicher aufgefallen ist, hab ich zwei Teile gleichzeitig hochgeladen. Ursprünglich hatte ich die an einem Stück (5 Seiten in Word), habe mich aber später dafür entschieden die ungefähr in der Mitte zu trennen, da ich persönlich das Lesen von überlangen Texten im Browser ziemlich anstrengend und das ewige scrollen sehr lästig finde. Normalerweise achte ich darauf, irgendwo bei 2,5 Seiten bleiben, weil mir das noch zumutbar erscheint. Wie seht ihr das? Wäre lieb, wenn ihr schnell kommentieren könntet, wie euch das lieber ist, danke im Voraus ;)





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