Kindergartenliebe

Autor: a beautiful disaster
veröffentlicht am: 04.03.2009




Da ist er. Endlich. Drei ganze Wochen hab ich ihn nicht mehr gesehen, naja einmal letzte Woche kurz. Ich war gerade mit meiner Freundin an der Tankstelle, was zu essen und Alkohol für Fasching zu kaufen. Mein Gott, sah ich da schrecklich aus, ungeschminkt, mit Brille und in den schlimmsten Klamotten die ich besitze. Wir sind gerade rausgelaufen, als plötzlich:
'Mark.'
'Hä?'
'Da, Mark und seine Schwester, die gehen zum Bahnhof wegen dem Faschingsumzug nachher.'
'Achso, hab die beiden gar nicht erkannt.'
'Scheiße, wie ich ausseh!'
'Der schaut dich die ganze Zeit an, aber wie', sagte Marie, so ziemlich meine beste Freundin.'Scheiße, scheiße, scheiße, gerade jetzt kommt der, das war wieder sowas von klar man.'Und ab, schnell um die Ecke, dass er mich nicht länger so sieht. Man, war das wieder peinlich!

Moment. Ich denke, ich sollte vielleicht von vorne anfangen, so macht das wahrscheinlich nicht wirklich viel Sinn.

Also gut, alles begann letzten Sommer, wie fast jedes Wochenende stand ich im Bad und hab mich fertig gemacht, da Marie und ich in unseren Lieblingsclub ein paar Orte weiter wollten. Ich, natürlich noch mit nassen Haaren, wie immer zu spät dran, rannte zur Tür und machte Marie auf.
'Ja los, beeil dich mal, du hast ja noch nasse Haare und unser Zug fährt schon in 20 Minuten!'
'Jaahaa, langsaam, das reicht noch man!'
Also schnell Haare geföhnt und umgezogen, geschminkt war ich zum Glück schon. Dann schnell los zur Haltestelle.

Geschafft. Naja, der Zug hatte sowieso wie immer Verspätung. Anne war auch da, eine Freundin von Marie. Wir unterhielten uns kurz, als ein Junge mit einer braunen Basecap kam.'Oh hey Mark!'
'Hi Anne!'
Die beiden unterhielten sich kurz, bis dann endlich der Zug kam. Im Zug saßen schon seine Kumpels, wir setzen uns in den Vierer neben ihnen. Seine Kumpels kenne ich so ziemlich alle, leider. Es ist ein Teil der Clique, die mich früher in meiner alten Schule immer fertig gemacht hat. Na toll, jetzt muss ich auch noch bei denen im Zug sitzen, naja, was solls. Den Jungen vom Bahnhof, Mark, habe ich allerdings noch nie hier gesehn, aber nett sieht er schon aus. Nach circa zehn Minuten waren wir dann da, Marie und ich sind zu unserem Lieblingsclub gelaufen, wo die anderen hin sind, weiß ich nicht.

Ja. Das war also meine erste Begegnung mit i h m. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich noch nie gedacht, was dieses kurze Treffen auf sich haben wird, ehrlich gesagt ist er mir nicht mal wirklich aufgefallen, ein paar Tage danach hatte ich ihn eigentlich auch schon wieder vergessen, als, wie der Zufall (oder das Schicksal?) es wollte, die Tür in der Pizzeria, in der ich am Wochenende immer arbeite, aufging und zwei Jungs reinkamen. Der eine war Andreas, der Idiot von meiner alten Schule und Marks Kumpel aus dem Zug. Und wie könnte es auch anders sein, der zweite Junge war Mark. Sie bestellten, setzten sich auf die beiden Lederstühle und warteten, bis ihre Pizzen fertig waren. Als ich aus der Küche zurückgekommen bin, weil ich die Bestellung abgeben musste, schaute ich mir die beiden, bzw. Mark, den noch Unbekannten, genauer an. Auch er hat mich angeschaut, aber nicht so ein gelangweilter, eher normaler Blick, sondern so extrem nett, vielleicht auch ein bisschen flirtend. Ich bin dann zurück an meinen Platz am Schreibtisch neben den beiden, hab weiter Bestellungen sortiert und gewartet, bis die beiden wieder gegangen waren.

Als sie dann weg waren kam die Tochter des Chefs zu mir, die auch immer in der Pizzeria ist, ich glaube sie war damals 6 Jahre alt und das letze Jahr im Kindergarten.
'Das war der Mark', sagte sie zu mir und schaute mich an. 'Vom Kindergarten. Unser Erzieher.'
Kindergarten? Was? Arbeitet er etwa dort? Nein, wie süß! Aber er ist doch bestimmt noch nicht mal 18, vielleicht hat er ja nur ein Praktikum oder sowas gemacht… Hm.
'Ist der Mark denn immer bei euch?'
'Ja, der is wie unsere Erzieherinnen!'

Da ich wusste, wo das Mädchen in den Kindergarten geht, bin ich Anfang der Woche beim Gassi gehen dann mal dort vorbei gelaufen, ich glaub es war gegen 12. Und tatsächlich, da war er. Im Hof des Kindergartens, alle waren sie draußen und haben gespielt. Mark hatte gerade ein kleines Mädchen an der Hand, die ihn irgendwo hingeführt hat.
Da gerade die Sommerferien begonnen und ich alle Zeit der Welt hatte, habe ich mir dann den Wecker immer auf 11 Uhr gestellt, um mich fertigzumachen und dann mit dem Hund spazieren zu gehen und da der Kindergarten sowieso auf meinem Weg Richtung Waldrand lag, bin ich fast jeden Tag dort vorbeigelaufen. Ab und zu hab ich ihn tatsächlich gesehn, an manchen Tagen dann wieder nicht. Einmal war ich ein paar Minuten später wie sonst, als ich dann kurz vor dem Kindergarten war, kam er mir mit dem Fahrrad entgegen, er hatte wohl gerade Mittagspause und obwohl wir uns eigentlich noch nie richtig kennengelernt oder vorgestellt haben, hat er mich wieder angelächelt. Hach, war ich glücklich. Und er war viel süßer als ich ihn in Erinnerung hatte. Aber ich will nicht zu sehr in Erinnerungen abschweifen.

Am folgenden Wochenende kam er wieder mit ein paar Freunden in die Pizzeria, ich sah schrecklich aus, aber er war wieder so nett, als er zur Tür reinkam lief ihm das Mädchen schon entgegen und er begrüßte uns alle strahlend. Er wirkte so toll, so süß, lieb, nett, ganz anders wie irgendein Durchschnittstyp. Zwischendurch zweifelte ich wirklich daran, ob er nicht vielleicht schwul war. Aber warum dann das ständige Geflirte? Oder hab ich mir das alles nur eingebildet?

Da ich gerade meine Bewerbungen laufen hatte, allerdings so ziemlich überall Absagen bekam, beschloss ich es ein letztes Mal zu versuchen, und zwar nicht im Büro, wie geplant, sondern dort, wo es mir eigentlich viel besser gefiel. Im Kindergarten als Erzieherin. Nach kaum einer Woche bekam ich sogar eine Zusage, und zwar genau von dem Kindergarten, in dem e r arbeitet! Ich war überglücklich. Ich kam zum vereinbarten Termin für das Vorstellungsgespräch, kaum war ich zur Tür rein, stand Mark auch schon da, er spielte gerade mit ein paar Kindern im Flur und staunte nicht schlecht als ich plötzlich vor ihm stand. Die folgenden Sekunden kamen wir ewig vor, wir haben uns angeschaut, aber keiner wusste so recht was er tun sollte, also haben wir beide gelächelt, oder eher ein Lächeln angedeutet, weil wir anscheinend beide viel zu überrascht von dem anderen waren. Während dem Gespräch wurde ich dann allerdings wieder von meiner Glückswolke gerissen, als ich erfuhr, dass ich nicht Marks Kollegin sein werde, sondern seine Nachfolgerin. Naja, immerhin habe ich jetzt endlich einen Ausbildungsplatz, nach monatelanger, schier aussichtsloser Suche. Auf dem Weg nach draußen habe ich Mark wieder auf dem Flur getroffen, diesmal hatte sich gerade ein kleiner Junge an sein linkes Bein gehängt. Er sah wieder so süß aus. Als wir uns dann wieder so anschauten, wollte ich ihm eigentlich tschüß sagen, er sah ebenfalls aus, als wollte er etwas sagen, aber wir haben beide nicht wirklich einen Ton herausbekommen. Stattdessen lächelte ich und drehte mich zur Tür.

Bum.

Scheiße, die Kindersicherung, das hatte ich ja ganz vergessen. Also suchte ich den Türöffner, drückte ihn und zog die Tür zu mir. Nichts. Mist, falsche Richtung, drücken Jenna, drückeeen! Endlich draußen. Man, schon wieder blamiert.

Zu Hause angekommen sah ich einen Brief von der Schule, auf die auch Mark geht, liegen. Ich öffnete ihn schnell… yes! Eine Zusage! Ich darf nächste Woche zur Anmeldung kommen. Besser hätte es nicht laufen können. Ich war überglücklich. Eine Ausbildung an einer der besten Schulen für angehende Erzieher, Mark und.. keine Ahnung, gute Laune!

Ich konnte es kaum abwarten, bis endlich das neue Schuljahr beginnt. Ich glaube so sehr habe ich mich noch nie auf die Schule gefreut!

Dann, endlich. September, erster Schultag! Seit dem lief alles super, immer wenn ich Mark über den Weg gelaufen bin, manchmal zufällig, manchmal habe ich dann doch etwas nachgeholfen, haben wir uns angelächelt. Komischerweise nie mehr, geredet wurde nie, nichtmal ein flüchtiges Hallo. Mit der Zeit wusste ich auch wann er aushat, mit welchem Zug er nach Hause fährt und und und. Leider wusste ich auch, dass er bald 18 wird und den Führerschein schon in der Tasche hat. Das würde bedeuten, dass er wahrscheinlich ab jetzt immer mit dem Auto zur Schule kommt und ich ihn am Bahnhof und im Zug nicht mehr sehen werde. Aber mein ganzes Bangen war umsonst, in der Regel fuhr er immer noch mit dem Zug, das Auto benutze er nur in Notfällen.

Und an einem Tag passierte dann das Unerwartete. Ich musste ein paar Minuten früher aus dem Unterricht, weil ich sonst meinen Zug verpasst hätte und so dann auch meinen Arzttermin. Also machte ich mich auf dem Weg zum Bahnhof, hinter mir sah ich aus dem Augenwinkel noch Mark, der heute ausnahmsweise mit dem Auto da war, die Straße runterfahren. Ich bog um die Ecke in Richtung Fußgängerzone, denn das war der schnellste Weg zum Bahnhof. Doch auf einmal hörte ich ein Auto hinter mir, es fuhr immer langsamer, bis ich plötzlich eine Stimme hörte.'Soll ich dich mitnehmen?'

M a r k .

'Äh.. j.. ja..gern..'
Ich stieg ein, wir schauten uns kurz an, dann:
'Mark.'
'Jenna.'
'Hi.'
'Hallo.'
Ein Lächeln.
Wir fuhren los.
'Ich hab dich hier so laufen sehen, ich dachte ich muss dich jetzt fragen ob du mitfahren magst, wenn wir ja sowieso im gleichen Ort wohnen. Ich kenn das noch von meinem ersten Jahr hier, manchmal ist das so blöd mit den Unterrichtsstunden. Wir hatten früher immer so aus, das ich den ersten Zug verpasst hab.'
'Ja, genau, deswegen bin ich heute auch früher raus, weil ich noch einen Arzttermin hab.'Hmh, so laufen sehn. Um genau zu sein, ist er extra hier in die Fußgängerzone eingebogen, um mich zu fragen, ob ich mitfahren möchte, die Autobahn ist nämlich genau in der entgegengesetzten Richtung und er fährt gerade einen riesen Umweg. Nur wegen.. mir!

Wir unterhielten uns die ganze Fahrt über, bis wir dann vor meinem Haus waren.'Jup, hier wohn ich.'
'Okay, dann.. ciao'
'Ok, tschüss.. und.. danke!'
Ein Lächeln.

Batsch.

Und tschüß.

Wuaaaahhhh! I c h b i n g e r a d e m i t M A R K n a c h H a u s e g e f a h r e n . Mit M A R K. MARKMARKMARKMARKMARKMARKMAAARK!

Wir beide.

Alleine.

Hach.

Am nächsten Tage habe ich ihn nicht mehr gesehn, dann war Wochenende. Man, so lang kam mir das noch nie vor! Ich konnte es kaum abwarten, am Montag hatte die ganze Schule wieder in der ersten Stunde Gottesdienst, wie jede Woche, eine Art Wocheneinstieg. Und das tolle daran ist, das ich mit meinen Freundinnen immer auf der Empore oben sitze und ihn von dort aus die ganze Zeit da unten beobachten kann.

Montag. Gottesdienst. Endlich.

'Was lief denn da im Auto? Der schaut die ganze Zeit zu dir nach oben, und wie!''Haha, da lief gar nichts, man, ehrlich! Und der schaut jedes Mal hoch.'
Und jedesmal bin ich überglücklich, normalerweise bin ich ja nicht so überzeugt von mir, aber ich weiß genau, dass er jedesmal nur hoch in unsere Richtung schaut, um mich dann anzuschaun. Wenn ich ihn dann auch anschaue, bleibt sein Blick bei mir hängen, wir schauen uns in die Augen und lächeln uns an. So läuft das, immer. Gefällt mir.

Heute wars wieder genauso. Und da wären wir auch wieder. Im Hier und jetzt.

Da ist er. Unten auf einer der Holzbänke in der kleinen Kapelle unsere Schule. Ich, wie immer, oben auf der Empore bei meinen Klassenkameradinnen. Er schaut sich um, schaut nach oben, schaut mich an. ich schaue ihn an. Wir lächeln. Hach, wie ich das die ganzen drei Wochen vermisst habe.

Das wird allerdings die letzte Begegnung zwischen uns für heute, wahrscheinlich sogar für die nächsten zwei Tage, um genau zu sein. Denn wir lernen ja nicht nur in der Schule, sondern auch im Kindergarten. Und genau da ist er morgen. Und da bin ich übermorgen. Er in seinem neuen, ich in seinem alten. Erst am Donnerstag haben wir beide wieder Schule.







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