Der Geiger von Dunrobin Castle Teil 2

Autor: Kati
veröffentlicht am: 15.01.2008




Wieder lachten alle laut auf und Sebastian senkte seinen Kopf. Er wusste nicht, warum dieser Junge ihn so ärgerte. Schließlich hatte er ihm doch nichts getan. Aber er ließ es über sich ergehen und blieb standhaft.
'Willst du nichts essen?'
'N-nein.'
'Bist dir wohl zu fein, aufzustehen und dir etwas zu holen was? Wenn du denkst, dass dir hier ein Dienstmädchen alles nach räumt, irrst du dich gewaltig. Also steh auf und hol dir was.''Ich mag aber nicht. Ich habe keinen...'
'Ich sagte, du sollst dir was holen! Welchen Teil von dem Satz hast du nicht verstanden? Hä?! Gib mir mal wer einen Stift. Ich muss es ihm wohl auf zeichnen.'
'Aber...'
'Geh endlich!' brüllte Charly ihn an und Sebastian stand schließlich auf und nahm sich ein Tablett. Obwohl er keinen Hunger hatte, ließ er sich etwas Brot und Wurst auf den Teller geben und lief eingeschüchtert zurück zu seinem Platz.
'Setz dich hin oder willst du im Stehen essen?!'
Charly drückte ihn auf die Bank herunter und blickte auf seinen Teller.
'Alter bist du auf Diät oder was?! Was soll das sein? Ein Abendessen? Ey Isa! Gib mal deinen Joghurt her! Der Junge verhungert uns doch!'
Breit grinsend überreichte Isa ihm den Joghurt und Charly zog den Deckel vom Becher. Dann steckte er den Löffel rein und hielt ihn Sebastian vor die Nase.
'Mach den Mund auf man!'
'Ich mag aber nicht...'
Mit sanfter Gewalt drückte er ihm den Löffel in den Mund und Sebastian schluckte den Joghurt herunter.
'Und jetzt den nächsten Löffel!'
Wieder schluckte Sebastian den Joghurt herunter und blickte verunsichert zu Anni. Die aber grinste ihn breit an und wandte den Blick von ihm ab. Plötzlich ertönte ein ekelhaftes Geräusch und Charly spukte alles, was er aus der siebten Sohle hoch geholt hatte, in den Becher. Feierlich überreichte er ihn Sebastian.
'Los iss!'
Angewidert blickte er Charly an.
'Du sollst essen.'
Sebastian blickte in den Becher und der Ekel zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Lässig fuhr Charly sich durch seine gestylten Haare und grinste breit in die Runde. Er war der Klassenschwarm. Mit seinen schwarzen Haaren, den teuren Klamotten und seiner Art machte er die Mädchen alle reihenweise verrückt. Nur eine, nämlich Anni, konnte er nicht für sich begeistern. Mehr als Freundschaft wollte sie nicht und deswegen musste er sich immer vor ihr beweisen. Wie cool und toll er doch war, ließ er bei jeder Gelegenheit heraus hängen.
Plötzlich blickte Anni ihn an.
'Charly, du bist echt ekelhaft!'
Anni grinste und er verstand.
'Du willst ja nicht, dass ich dich mit meinen feuchten Küssen verwöhne. Also muss der Rotz doch irgendwo hin.'
'Boah Ihhh!'
Anni kicherte leise und schüttelte den Kopf. Schließlich stellte Sebastian den Joghurtbecher ab und stand auf.
'Ey! Wo willst du denn so schnell hin?! Du hast noch nicht aufgegessen!'
Wieder lachten alle und er drehte sich noch einmal zu ihm um.
'Ich gehe auf mein Zimmer. Ich habe keinen Hunger und den Joghurt kannst du selber essen.'Ein Raunen des Entsetzens ging plötzlich um und Sebastian hätte sich für den letzten Teil seines Gesagten am liebsten selbst geohrfeigt.
'Junge! Machst du Stress oder was?!'
Charly sprang auf und stieß Sebastian von sich weg.
'Lass mich doch! Ich möchte nur auf mein Zimmer gehen!'
'Erst, wenn du deinen Lecker-schmecker-Joghurt aufgegessen hast!'
'Ich mag aber nicht.'
'Junge! Reiz mich nicht!'
Wieder stieß Charly ihn an und Sebastian stolperte vor sich hin. Schließlich nahm Anni den Löffel und schoss etwas von dem Joghurt in Sebastians Richtung. Mit einem leisen Klatschen landete das Gebräu auf seiner Weste und er blickte sie verzweifelt an. Nun lachte der ganze Speisesaal und Anni lachte von allen am lautesten. Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter.
'Junge Dame?!'
'Miss Arnold!'
Anni sprang auf und machte einen Schritt von ihr weg.
'Ich habe alles gesehen. Du wirst dich sofort bei ihm entschuldigen und ihm die Sachen waschen!'
'Aber...'
'Keine Widerrede! Los!'
Widerwillig reichte sie ihm die Hand und murmelte eine künstliche Entschuldigung vor sich hin.
'Ist bei dir alles in Ordnung, äh... Sebastian?' Miss Arnold blickte über ihre Brille hinweg zu ihm.
'Ja, danke. Darf ich bitte auf mein Zimmer gehen?'
'Hast du denn schon gegessen?'
'Ich habe keinen Hunger.'
'Heimweh? Na! Das gibt sich bald. Geh nur. Anni wird dich begleiten! Nicht wahr?!'
Sie drehte sich zu ihr und blickte sie erbost an.
'Ich habe doch noch gar nichts gegessen!'
'Wenn du Zeit hast, das Essen durch den Saal zu schmeißen gehe ich davon aus, dass du satt bist!'
'Bin ich aber nicht!'
'Dann bist du morgen beim Frühstück sicher die erste und jetzt geh!'
Mit jedem Satz, den sich Anni in den Bart murmelte, verfluchte sie Miss Arnold auf ein neues. Die Pest, die Pocken, tausende Pickel und was es nicht noch alles so gab.
Schließlich folgte sie Sebastian.
Charly sprang noch einmal auf und brüllte durch den ganzen Saal.
'Armes, kleines Heimwehkind! Wein doch nicht! Mutti ruft bestimmt gleich an!'
Wieder gröhlte der ganze Saal und Sebastian zuckte leicht zusammen.
'Charles! Setz dich sofort wieder hin oder du gehst auch auf dein Zimmer!'
'Ich heiße nicht Charles!'
'Und ob! Und jetzt setz dich!'
Nachdem Anni die Tür des Saals hinter sich zugeschmissen hatte, funkelte sie Sebastian wild an.
'Du dämlicher Arsch! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich dich jetzt schon hasse! Du wirst schon sehen, was du davon hast!'
'W-was habe ich denn gemacht?'
'Glotz mich nicht so blöde an! Du weißt genau, was ich meine!'
Er senkte seinen Kopf und blickte auf den Boden. Anni schaute ihn immer noch wütend an. Der Joghurt lief an seiner Weste herunter und tropfte auf seine Hose.
'Zieh dir lieber mal was anständiges an!' zickte sie ihm entgegen.
'Warum bist du so gemein zu mir?'
'Heul doch!'
Anni rannte die Treppen hoch, immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend. Oben angekommen drehte sie sich zu ihm um.
'Kommst du bald mal? Ich habe nicht ewig Zeit.'
'Geh doch schon vor.'
'Ich muss deine Sachen noch waschen, also mach hin!' brüllte sie ihm unschön entgegen. Langsam schritt er nun die Treppen hinauf.
'Du musst sie nicht waschen. Ich mache das schon selber.'
'Nix da! Wenn die Arnold peilt, dass ich ihre Strafe nicht angenommen habe, kriege ich Arrest. Also sieh endlich zu und nimm die Beine in die Hand.'
An seinem Zimmer angekommen, riss sie die Tür auf und setzte sich auf sein Bett. Leise schloss er die Tür wieder und blickte sich um. Die Wände waren blau gestrichen und auch der Fußboden war mit blauem Teppich ausgelegt. 'Daher also der Name blaues Zimmer.' dachte er sich und blickte zum Fenster. Die Sonne senkte sich immer weiter und würde sicher schon bald hinter den Bergen verschwunden sein. Die Venus glitzerte als einziger Stern bereits am Himmel und Sebastian schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit.
'Na, ziehst du dich bald mal aus?!'
'Was?!'
Verschreckt blickte er sie jetzt genau an.
'Deine Klamotten! Her damit!'
Mit ihrer Hand machte sie eine fordernde Bewegung und pustete sich eine ihrer Locken aus dem Gesicht.
'Ich gebe sie dir gleich! Ich beeile mich auch! Aber bitte warte draußen.'
'Meine Güte! Ich werde dir schon nichts abgucken! Jetzt gib schon her!'
Anni sprang auf und begann an seinen Sachen herum zu fummeln. Verschreckt wich er ihr immer wieder aus, bis sie ihn schließlich auf sein Bett stieß.
'Ich gebe sie dir ja! Lass mich, bitte!'
'Stell dich doch nicht so an! Ich gucke dir schon nichts ab!'
Mit diesem Satz hatte sie ihm seine Weste ausgezogen und begann nun sein Hemd auf zu knöpfen. Als dieses dann auch zu Boden fiel, wurde ihm unwohl und er blickte sie ängstlich an.
'Gib mir deine Hose! Die ist auch voll gesaut. Also her damit!'
Unsanft riss sie ihm an dem Kleidungsstück herum und plötzlich wimmerte er leise auf.'Nicht weh tun, bitte!'
'Was ist? Ich will doch nur deine Hose haben!'
Er hatte seine Arme um seinen Kopf gelegt und zog seine Beine an seinen Bauch.
'Was ist denn los?'
Irgendwie tat er ihr Leid. Was hatte sie denn falsch gemacht? Jeder neue wurde erstmal geärgert, bevor man ihn in die Clique aufnahm. Warum also stellte er sich nur so furchtbar an?
'Hey! Jetzt beruhig dich doch! Du musst doch nicht gleich weinen. Ich wollte dir doch nichts Böses. Tut mir Leid, wenn ich dich vorhin verletzt habe. Aber das machen wir mit jedem so, der neu hier ist. Da darfst du dir nichts drauf einbilden.'
'Schon gut.' murmelte er ihr entgegen.
'Na also. Und jetzt gib mir deine Hose. Ich habe nicht ewig Zeit.' Anni gab sich Mühe ganz ruhig zu sprechen und strich ihm über seine blonden Haare. Langsam löste sich seine Verkrampfung und sie lächelte ihm entgegen.
'Na los! Zieh deine Hose aus und danach zeige ich dir, wo der Waschkeller ist.'
'Kannst du nicht draußen warten? Ich beeile mich auch.'
'Uh... Ich gucke wo anders hin ok?'
'Na gut.'
Anni blickte zum Fenster heraus und Sebastian begann seine Hose auf zu knöpfen.
Unbemerkt drehte sie sich zu ihm um und schaute ihn an. Ihr Atem stockte und sie wandte sich schnell wieder ab. Nachdem er sich etwas neues angezogen hatte, tippte er sie zaghaft an und hielt ihr die Hose unter die Nase.
'N-na also. Geht doch...' stammelte sie plötzlich herum und fasste ihn an der Hand.
'Ist alles in Ordnung?' Unsicher blickte er sie an. Hatte sie etwa etwas gesehen?
'Sicher! Alles ok.'
Sie zog ihn aus seinem Zimmer und führte ihn in den Waschkeller. Dort standen drei Waschmaschinen und zwei riesige Trockner. In einer anderen Ecke standen zwei Wäscheständer, die man aus Platzgründen zusammengeklappt hatte.
'Hier in dem Eimer ist das Waschpulver. Und dort hinten ist der Weichspüler. Wenn eines von beiden an der Markierung angelangt ist, müssen wir es in diese Liste schreiben. Einmal im Monat wird dann neu bestellt.'
'Ist gut.'
'Ich empfehle dir, die Drehzahl im Schleuderprogramm nicht zu hoch einzustellen, sonst kannst du deine Klamotten nach dem Waschen in eine Ecke stellen.'
Ein kurzes Lächeln huschte durch sein Gesicht und auch Anni grinste etwas.
'Also gut. Fangen wir an. Ich nehme immer die Maschine, weil die anderen eine Macke haben. Die eine springt immer durch die ganze Waschküche und die andere braucht immer so ewig lange. Die hier ist in Ordnung.'
'Ok.'
'So. Also die braucht mindestens eine Stunde. So lange können wir ja zurück auf unsere Zimmer gehen.'
'...'
Langsam stiegen sie die Treppen des Waschkellers hinauf und Anni stoppte plötzlich.
'Hast du eigentlich Freunde?'
Zaghaft schüttelte er mit dem Kopf.
'Aber Feinde was?'
Verschreckt blickte er sie an.
'Naja, wegen der blauen Flecken...'
'Hast du sie etwa gesehen?!'
'Ist doch nicht schlimm...'
'Doch ist es! Lass mich durch!'
Mit ein paar Sätzen hatte er die Treppen hinter sich gelassen und spurtete nun durch das Schloss. Er wusste nicht, wie er zurück in sein Zimmer kam, doch er lief stur geradeaus. Anni folgte ihm. Was hatte er denn bitte für ein Problem? Als er schließlich in einer Sackgasse ankam, drehte er sich um und erblickte zu seinem Erschrecken Anni, die wild keuchend auf ihn zu kam.
'Warum haust du denn ab? Das war eine ganz normale Frage?'
'Geht dich nichts an!'
'Das bestimmst du doch nicht! Von wem hast du die vielen Flecken?'
'Ist doch egal!'
'Mir aber nicht! Und schrei mich gefälligst nicht so an oder ich scheuer dir eine!'
'Ich möchte jetzt in mein Zimmer.'
'Ja, ja. Schon gut. Los komm. Ich bringe dich hin.'
Wieder reichte sie ihm ihre Hand und er umfasste sie zaghaft. Zügig führte sie ihn durch die langen Gänge und schließlich stoppten sie vor seinem Zimmer. Sie öffnete ihm die Tür und huschte hinter ihm her in seinen Raum. Mit einem lauten Knall ließ sie die Tür ins Schloss fallen und drehte den Schlüssel im Schloss, um ihn direkt danach in ihrer kleinen Tasche, die an dem Kleid befestigt war, verschwinden zu lassen.
'Was soll das?'
'Ich werde nicht eher gehen, bis du mir sagst, woher du die Flecken hast.'
'Warum interessiert dich das so?'
'Weil ich neugierig bin!'
'Ich möchte es dir nicht sagen.'
'Tja, dein Pech, dann bleibe ich eben hier.'
'Mach doch, was du willst.'
Er setzte sich an den kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer und wälzte in seinen neuen Schulbüchern herum. Schließlich widmete er sich dem Stundenplan und studierte ihn ausgiebig. Anni hingegen setzte sich auf sein Bett und begann das Kopfkissen zu beziehen. Nach einer halben Stunde schließlich blickte er sie an.
'Es passiert, wenn ich einen Anfall kriege.'
'Einen Anfall?' wiederholte Anni etwas irritiert.
'Wegen der Epilepsie. Wenn ich einen Anfall habe, verliere ich die Kontrolle über meinen Körper und stoße mich an allen möglichen Dingen.'
'Oh. Aber das tut doch weh?'
'Im Nachhinein schon, während eines Anfalls merke ich das nicht.'
'Auweia. Hat sich das schon mal ein Arzt angesehen? Also die Flecken, meine ich?'
'Ist nicht so tragisch. Die verheilen wieder.'
Unsicher streifte sein Blick durch sein neues Reich. Hier würde er jetzt also wohnen. Direkt gegenüber von dieser Ann-Kathrin, die so furchtbar neugierig und hartnäckig war. Sie bezog ihm noch seine Bettdecke und legte alles säuberlich neben das Bett um das Laken auf die Matratze zu ziehen.
'Soll ich dir helfen?'
'Wäre nicht schlecht! Als ich hier eingezogen bin, hat mir keiner geholfen. Ich musste mein Bett allein beziehen.'
Gemeinsam zogen sie das Laken straff und Anni legte ihm seine Decke und das Kissen wieder auf das Bett.
'Hast du das öfter? Diese Anfälle?'
'Manchmal.'
'Und was machst du, damit es aufhört?'
'Meistens hört es von allein auf. Nur manchmal ist es schlimm. Dann muss ich diese Tropfen hier nehmen.'
Er zog ein kleines Fläschchen aus seiner Hosentasche und wackelte damit herum.
'Und wie machst du das? Du bist doch bewusstlos oder nicht?'
'Tja, bisher hat sich immer ein freiwilliger gefunden, der sie mir gegeben hat.'
'Na, dann solltest du beten, dass du auch hier jemanden findest, der sich opfert.'
Ein stechender Schmerz bohrte sich in sein Herz und er wandte sich von ihr ab. Die Flasche stellte er auf den Schreibtisch. Wieder blickte er zum Fenster heraus. Schließlich öffnete er die Balkontür und betrat die kleine Terrasse. Von hier aus könnte er jeden Abend den Sonnenuntergang hinter den Bergen bestaunen. Er blickte auf seine Uhr. Es war kurz nach halb acht. Noch würde er hier nichts beobachten können, denn die Sonne ging erst in einer Stunde unter. Enttäuscht trat er wieder in sein Zimmer und schloss die Tür. Plötzlich riss er die Augen auf. Anni kramte kack frech in seinen Sachen herum!
'W-was machst du da?' fragte er sie gewohnt zurückhaltend.
'Ich suche!'
'Wonach? Vielleicht kann ich dir ja helfen?'
'Sicher nicht. Das, was ich eben gesehen habe, reicht mir vollkommen. Hast du keine anderen Klamotten mit?'
'Wieso?'
'Na weil deine scheiße aussehen.'
Wieder bohrte sich ein Pfahl durch sein Herz. Warum war sie nur so furchtbar gemein zu ihm? Sie kannte ihn doch gar nicht und wenn ihr seine Klamotten nicht zusagten, dann musste sie das doch nicht lauthals in die Welt hinaus brüllen.
'Was gefällt dir denn nicht?' wagte er sich zu fragen und kniete sich neben Anni, die noch immer seinen Schrank durchforstete. Er hatte es noch nicht einmal geschafft, seine Taschen aus zu packen. Sie zog eines seiner Hemden heraus und hielt es in die Luft.
'Das ist out. Das ist das letzte, ach was sage ich, das ist das vorletzte Jahrhundert! So was ziehst du an?'
Zaghaft nickte er sie an.
'Und die Sachen gefallen dir?'
Leicht zuckte er mit den Schultern und blickte auf den Boden.
'Na, sie müssen dir ja gefallen, sonst hättest du sie nicht gekauft.'
'Meine Mutter hat sie gekauft.'
'Was?'
Anni blickte ihn an und verkniff sich das Lachen. Was war das denn nur für ein Warmduscher? Ein Windei. Ein Mamasöhnchen. Gott!
'Und du ziehst das echt an?!'
'Warum denn nicht? Nur weil es nicht der Mode entspricht, die dir gefällt?'
Fragend blickte er Anni an.
'Werd du mal nicht frech Neuer! So lange du das Heimwehkind bist, hast du mir nicht zu widersprechen, klaro?!'
'Ja.'
Er senkte seinen Kopf und blickte wieder auf den blauen Teppich. Also würde er auch hier spuren müssen. Wie elend es doch war, wenn man keine eigene Meinung äußern durfte.Er stand auf und warf einen Blick ins Badezimmer. Es war klein aber geräumig. Links neben der Tür war die Dusche und gleich daneben stand ein kleines Regal, dass danach schrie, mal wieder geputzt zu werden. Er knipste das Licht an und blickte in den Spiegel. Seine Haut wirkte so entsetzlich blass und seine Augenhöhlen schimmerten schon wieder durch! Vielleicht hätte er doch etwas essen sollen. Naja, jetzt war es eh zu spät dafür. Vielleicht würde er ja zum Frühstück etwas mehr Appetit haben. Unbemerkt schlich Anni ihm hinterher und reichte ihm seine Kulturtasche.
'Hier!'
'Danke.'
Er nahm sie und stellte sie auf dem Waschbecken ab.
'Du sollst sie nicht abstellen, sondern auspacken. Schließlich wirst du gleich duschen gehen.'
'Schon gut, ich mache das dann, wenn du weg bist.'
'Wer sagt denn, dass ich weg gehe?'
Verschreckt blickte er sie an. Was hatte sie eben gesagt?
'Ich werde dir helfen. Scheinbar schaffst du es ja nicht mal allein, dich aus zu ziehen.'
Sie griff nach seinem Hemd und begann es auf zu knöpfen. Nervös blickte er an sich herunter, riss die Augen auf und drehte sich hastig weg.
'Was denn?'
Anni blickte ihn an, doch er antwortete nicht, sondern schüttelte nur mit dem Kopf.
'Antworte mir gefälligst!'
'I-ich kann das allein!'
'Na dann. Fang an! Ich warte!'
Übertrieben gespielt stützte sie ihre Hände in die Hüfte und tippte genervt mit dem Fuß auf die Fließen.
Vorsichtig drehte er sich zu ihr, blickte sie unterwürfig an und knöpfte sein Hemd wieder zu.'Willst du etwa mit Klamotten duschen?'
'Nein, aber alleine wäre mir lieber.'
'Warum? Vielleicht lasse ich mich dazu herab, mit dir zusammen zu duschen?'
'Und wenn ich das gar nicht will?'
Sie packte ihn am Arm und zerrte an ihm herum, als ihr Blick plötzlich auf seine gespannte Hose fiel.
'Du hast ja einen Ständer!'
Sichtlich ertappt wandte er sich wieder ab. Anni holte gerade Luft, als sie in den Spiegel sah und sein Gesicht erblickte. Er war zutiefst verletzt und beschämt. Für den heutigen Tag würde sie es bei dem belassen, was bereits geschehen war, doch morgen, da könnte er sich frisch machen. Sie drehte ab, schloss die Tür auf und verließ sein Zimmer. Schnell lief er aus dem Bad und verschloss die Zimmertür rasch hinter ihr. Wie peinlich!
Er setzte sich an den Schreibtisch und überlegte. Schließlich packte er seine Sachen aus und stellte nach einer Weile erschrocken fest, dass er ja duschen musste, wenn das Wasser noch warm sein sollte.
Schnell entledigte er sich seiner Kleider und duschte zügig. Ann-Kathrin hatte ihm nicht mal gesagt, wie lange er dazu Zeit hatte. Um sich nicht gleich am ersten Tag Feinde zu machen, beeilte er sich und schaltete kurz darauf das Wasser aus. Er legte sich seinen Bademantel um und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Vor ihm lag sein Tagebuch, dass er ausgepackt hatte. Dafür musste er noch ein gutes Versteck finden. Würde es jemand finden, dann wäre sicher die Hölle los. Schließlich entschied sich Sebastian für ein Versteck, das so offensichtlich war, dass man es dort nicht vermuten würde. In der Schreibtischschublade fand es ein Plätzchen und er beugte sich sachte zurück. Wieder dachte er an Ann-Kathrin. Und wieder stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht. Wie konnte das nur passieren? Musste er ausgerechnet in diesem Moment steif werden? Seine Wangen wurden heiß und er klopfte leicht auf ihnen herum. Schließlich öffnete er wieder die Balkontür und stellte sich auf die Terrasse. Er blickte noch einmal prüfend in sein Zimmer und zog die Zigarettenschachtel aus der Tasche seines Bademantels. Wenn er penibel darauf achten würde, dass der Rauch nicht in sein Zimmer zieht, dann könnte er ungestört rauchen, ohne das Schloss verlassen zu müssen. Er zündete die Zigarette an und sog den Rauch tief in seine Lungen. Schließlich beugte er sich etwas über das Geländer und blickte in den Schlosshof. Überall standen Bänke und Tische und er war von einem riesigen, blühenden Garten umgeben. Man gab sich wenigstens Mühe, mit der Gestaltung der Umgebung. So würde ihm der Abschied von seiner Familie vielleicht doch nicht so schwer fallen. Just in dem Moment, als er den Kippenstummel über die Brüstung schnippte, klopfte es an der Tür. Schnell ging er zurück in sein Zimmer.
'Ja?'
'Schlafenszeit! Alle ins Bett! Auch du, Sebastian!' hörte er Schwester Agatha vom Flur aus rufen.
'Ist gut!' antwortete er ihr schnell und war heilfroh, dass sie nicht in sein Zimmer wollte. Sicher roch es jetzt nach Qualm, so schnell, wie er die Balkontür aufgerissen hatte. Er nahm sich ein Handtuch aus dem Schrank und rubbelte sich die Haare trocken. Nachdem er in seinen Schlafanzug geschlüpft war, legte er sich ins Bett und blickte stur nach oben an die Decke. Obwohl es so ein anstrengender Tag gewesen war, wollten ihm die Augen nicht so recht zu fallen. Gedankenverloren zupfte er an seiner Decke herum und überlegte, wie der morgige Tag wohl werden würde. Schließlich stellte er sich seinen Wecker und zog sich die Decke über den Kopf.

Als Sebastian seine Augen öffnete, war es noch dunkel draußen. Müde schaltete er das Licht an und blickte auf die Uhr. Halb vier zeigte diese an und er fuhr sich durch sein Haar. Er war hellwach und konnte sich einfach nicht mehr dazu durchringen, wieder schlafen zu gehen. Also lief er wahllos in seinem Zimmer herum und begann schließlich seine Schultasche zu packen. Er blickte auf den Stundenplan.
'Erste Deutsch, zweite Bio, dritte Englisch, vierte Mathe... fünfte Sport. Gleich eine Doppelstunde! Siebte Musik! Auch eine Doppelstunde! Wie toll!'
Seine Augen begann zu leuchten und er blickte auf den Koffer, den er auf den Schrank gelegt hatte, als ihm Anni das Zimmer zeigte.







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