Der Geiger von Dunrobin Castle Teil 4

Autor: Kati
veröffentlicht am: 17.01.2008




'Hey Charly. Wo ist der Neue?' fragte Anni leicht irritiert, als sie die Jungs rein kommen sah.'Er hat sich bekleckert und muss erstmal duschen.'
Chris und Charly schauten sich an und begannen zu grinsen. Anni kniff die Augen zusammen und starrte beide an. Sie hatte Sebastian einfach auf der Bank sitzen gelassen und eigentlich hatte er für seine Hilfe in Mathe noch einen gut bei ihr. Gerade, als sie los laufen wollte, um nach ihm zu sehen, stürmte Meggan in die Turnhalle.
'Seid ihr alle bescheuert? Macht ihn sofort wieder los! Er erfriert doch!'
Sie stützte ihr Hände in die Taille und blickte alle wütend an.
Anni lief los und stürmte in die Jungenumkleide. Schon von weitem hörte sie seine klappernden Zähne. Meggan hatte das Wasser bereits ausgestellt, doch sie schaffte es nicht, ihn zu befreien. Anni stieß die Tür zu den Duschen leicht auf und erblickte, wie Sebastian zusammen gekauert auf dem Boden saß. Die Haut an seinem Rücken war knallrot und seine Lippen blitze blau. Langsam kam sie auf ihn zu und kurz streifte sein Blick den ihrigen.'Hey, warte. Ich helfe dir.'
Sie hockte sich zu ihm und begann an dem nassen T-Shirt herum zu zerren. Doch es hatte sich so voll gesogen, dass sich der Knoten nicht lösen ließ.
'Soll ich das warme Wasser anmachen? Dann ist dir nicht mehr so kalt?'
Von draußen nahten schon die anderen und seine Augen begannen sie verzweifelt an zu blicken.
'Was ist denn?'
'Sie sollen mich nicht sehen. Nicht so.'
'Ich wimmle sie ab. Warte hier.'
'Den letzten Satz hätte ich mir sparen können...' ging ihr durch den Kopf und sie schloss die Tür zu den Duschen hinter sich. Isa kam ihr mit Charly und Chris entgegen. Gleich hinter ihnen der Rest der Klasse und auch Mister Parker, der sehr schlecht gelaunt aussah.'Was ist hier los? Würde mich bitte jemand aufklären? Ann-Kathrin, was hast du in der Jungenumkleide verloren?'
'Mister Parker, ich wollte nur... Also ihr dürft hier nicht rein.'
Demonstrativ blockierte Anni allen die Tür.
'Was ist hier los?!' brüllte Mister Parker laut los.
'Die Jungs haben Sebastian an die Wasserrohre der Dusche gefesselt und das kalte Wasser eingeschaltet!'
Meggan machte einen Schritt nach vorn und stützte wieder ihre Arme in die Taille.
'Geht aus dem Weg!'
Mister Parker drängte alle bei Seite und kam auf Anni zu.
'Ann-Kathrin. Du auch, aus dem Weg.'
'Nein!'
Laut stampfte sie mit dem Fuß auf und funkelte ihn wild an.
'Er will nicht, dass ihm jemand anderes hilft!'
'Was soll denn der Blödsinn?! Geh mir aus dem Weg!'
Mister Parker schob Anni unsanft zur Seite und öffnete die Tür. Nun gaffte die gesamte Klasse auf ihn und begann zu lachen. Verschämt drehte Sebastian seinen Kopf weg und eine kleine Träne fiel aus seinem Augenwinkel. Mit einem Taschenmesser schaffte es Mister Parker schließlich ihn von seinem Knoten zu befreien und böse drehte er sich zu den anderen um.
'Was habt ihr euch denn dabei gedacht? Wer ist auf diese hirnrissige Idee gekommen?!'
Alle waren ruhig und keiner sagte etwas.
'Ich höre?!'
'Es waren bestimmt Anni und Charly!' rief Meggan und blinzelte den beiden argwöhnisch zu.
'Schließlich war sie die erste, die die Umkleide der Mädchen verlassen hat und Charly macht doch bei jedem Scheiß mit, den sie veranstaltet!'
'Sag mal spinnst du?! Ich war es nicht!'
'Ah ja? Und wo warst du dann, nachdem du die Umkleide verlassen hast?!'
'Na in der Turnhalle! Wo sonst?!'
'Pah! Das glaubst du doch selber nicht! Mach dich nicht lächerlich! Los Charly! Sag es uns!''Junge, Treckerfresse, halt bloß dein Maul!'
'Charles! Es reicht! Nimm deine Sachen und geh zurück ins Internat. Du bist für den Rest des Tages vom Unterricht suspendiert! Ich werde deine Eltern informieren!'
'Was?! Aber...'
'Sofort!'
'Man ey!'
Charly packte seine Sachen und ohne sich um zu ziehen stapfte er aus der Umkleide heraus. Wenn man vom Unterricht suspendiert wurde, dann hieß das, dass man auf sein Zimmer gehen musste. So eine Art Hausarrest. Erst zum Abendessen durfte man wieder heraus. Charly murmelte wütend etwas vor sich hin und schritt zurück zum Internat.
'Und Ann-Kathrin? Du hast auch mit gemacht?'
'Was?! Nein!'
'Sagst du auch die Wahrheit?'
'Ja doch!'
'Stimmt das Sebastian?'
Zaghaft nickte er Mister Parker zu und blickte auf den Boden. Die ganze Klasse hatte ihn so gesehen. Sicher würden alle über ihn lachen. Mister Parker reichte ihm eines seiner T-Shirts und stupste ihn leicht an.
'Zieh das hier an und dann komm in die Halle, ja?'
Zaghaft nickte Sebastian ihn an und zog sich das Shirt über seinen Kopf. Die anderen waren schon zurück in die Halle gegangen, bis auf eine. Anni stand in der Tür und beobachtete ihn. Irgendwie tat er ihr Leid. Sicher, Charly hatte das schon mit vielen gemacht, doch hatten die sich wenigstens gewehrt oder um Hilfe geschrien. Niemand hatte zehn Minuten unter der kalten Dusche gesessen und einfach stillschweigend alles auf sich genommen. Kurz besann sie sich und blickte verstohlen auf den Boden, als sie spürte, dass er ihre Blicke bemerkt hatte.'Los. Wir müssen jetzt in die Halle.'
Unsicher folgte er ihr. In der Halle angekommen, spannten Meggan und ein anderes Mädchen gerade das Volleyballnetz. Nachdem sich dann alle auf die Bänke gesetzt hatten, wurden zwei Schüler ausgewählt, die wiederum andere in ihre Mannschaft wählen sollten. Nach und nach wurde einer nach dem anderen gewählt. Nur einer blieb mal wieder übrig.
'Sebastian. Los komm her!'
'Was willst du denn mit dem?' fragte Isa Anni giftig.
'Ja soll er auf der Bank sitzen bleiben?'
'Und? Ist doch eh unfair. Vier gegen fünf...'
'Dann spiele ich eben mit!' erwiderte Mister Parker schnell.
Schließlich teilten die Teams sich auf und Anni machte die erste Angabe. Schon wenige Minuten später gab es wieder Ärger.
'Ey man! Das war dein Ball! Schläfst du oder was?'
'Isabel!' rief ihr Mister Parker zu. 'Das war dein Ball, nicht der von Sebastian. Du stehst am Netz, also musst du ihn schon annehmen!'
'Ja wie soll ich denn da hin kommen?'
'Ich kann ihn ja das nächste Mal annehmen...' murmelte Sebastian vor sich hin.
'Wäre besser!' funkelte die ihn wild an.
Und als wäre es geplant gewesen, der Ball flog wieder in Isa´s Richtung. Wieder stand sie da, wie fest gewachsen, als es plötzlich laut knallte und Sebastian den Ball mit aller Kraft über das Netz feuerte. Mister Parker kam gelaufen, doch der Ball preschte vor seinen Füßen auf den Boden und rollte aus dem Spielfeld.
Erstaunt blickte er Sebastian an.
'Das war sehr gut! Ausgezeichnet!'
Sanft nickte Sebastian und drehte wieder ab, um auf seinen Platz zurück zu gehen.
'Hey!' drang es ihm gepresst ans Ohr und er drehte sich zu Anni.
'Das war gut!' flüsterte sie ihm zu.
Ein kurzes Lächeln huschte durch sein Gesicht und er konzentrierte sich wieder auf das Spiel.Der restliche Sportunterricht verlief gut und Anni´s Mannschaft gewann haushoch mit drei Spielen.
Als die Klasse dann im Musikzimmer eintraf, wurden sie schon von Miss Dallan in Empfang genommen. Sie hatte alle Stühle in einem Kreis aufgestellt und jeder nahm Platz.
'So! Sicher wundert ihr euch, wieso ich die Stühle so angeordnet habe. Ich möchte, dass wir in den nächsten zwei Stunden einfach mal zeigen, was wir können. Deswegen auch der Kreis. So kann jeder jeden ansehen und auch derjenige, der in der Mitte stehen wird, um sein Können zu präsentieren, kann von allen gut gesehen werden. Wer möchte anfangen?''Müssen wir jetzt etwa singen?!' fragte Isa missmutig.
'Singen, Tanzen, ein Instrument spielen. Hauptsache es hat etwas mit Musik zu tun.'
Isa verdrehte die Augen und verschränkte die Arme.
'Sebastian? Möchtest du den Anfang machen?'
'Nein!' Verschreckt blickte er Miss Dallan an. 'Lieber nicht!' ergänzte er noch schnell.'Warum denn nicht? Wenn ich richtig gelesen habe, dann spielst du Geige, oder?'
'Schon, aber ich mag jetzt...'
'Geige?! Was bist du denn für eine Lusche?!'
Isa lachte laut los und auch Anni und Chris konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.'Sag mal Isabel, möchtest du Charles Gesellschaft leisten? Noch ein mal und du fliegst raus.''Schon gut.' Genervt verdrehte sie wieder ihre Augen und verschränkte die Arme.
'Also, Sebastian. Möchtest du es nicht einmal probieren?'
'Lieber nicht. Miss Dallan, sie wissen doch, dass ich spielen kann, also muss ich es doch nicht noch einmal zeigen oder?'
'Ja, ich weiß es, aber überzeuge doch auch die anderen?'
'Ich möchte nicht, bitte...'
Etwas enttäuscht blickte Miss Dallan ihn an, drehte dann aber ab und zeigte auf Meggan.'Dann zeig du uns doch bitte dein Talent!'
Meggan stand auf und stellte sich in die Mitte des Kreises. Miss Dallan reichte ihr eine Flöte und sie begann munter drauf los zu spielen. Gelangweilt hörten ihr alle zu. Dieses Stück spielte sie immer. Jedes Mal das Gleiche. Isa fing an, laut mit zu pfeifen. Auch sie kannte das Stück bereits auswendig. Miss Dallan warf ihr einen bösen Blick zu und Isa blieb still. Sicher, auch Miss Dallan kannte dieses Lied und es krümelte ihr bereits zu den Ohren raus, aber das ließ sie sich nicht anmerken.
'Ja sehr schön Meggan! Setz dich wieder. Ann-Kathrin! Was hast du für ein Talent?'
Kurz verdrehte Anni die Augen und stand auf.
'Ich bin in der Theater- und Musicalgruppe und singe gerne.'
'Prima, dann trag uns doch etwas vor.'
'Muss das sein? Ohne musikalische Untermalung klingt das doch scheiße.'
'Ach das geht schon.'
Miss Dallan nickte ihr freundlich zu und Anni sammelte kurz ihre Konzentration.
'Dann singe ich jetzt etwas aus The Phantom of the Opera.'
Wieder schloss sie die Augen und ließ den Text kurz durch ihre Gedanken gehen, als plötzlich ein sanfter Anschlag vom Flügel zu hören war.
'Oh Sebastian!'
Miss Dallan sprang auf und blickte ihn an.
'Möchtest du sie begleiten?'
'Wenn sie auch möchte?'
'Schleimer!' giftete Isa laut herum.
'Raus!'
Miss Dallan packte Isa am Arm und zerrte sie aus dem Zimmer.
'Du hast Arrest! Geh sofort auf dein Zimmer! Ich werde deine Eltern benachrichtigen!''Ich habe doch nur...'
'Geh jetzt!' Mit diesem Satz wurde Isa die Tür vor der Nase zu geschlagen und sie machte kehrt.
'Toll. Das wird er büßen!'

'So, dann fangt mal an!'
Zaghaft begann Sebastian die Tasten des Flügels zu drücken und erste Töne breiteten sich im Zimmer aus. Der Rest der Klasse starrte ihn gespannt an.
'~In sleep he sang to me, In dreams he came,
That voice which calls to me, And speaks my name.
And do I dream again? For now I find.
The Phantom of the Opera is there - Inside my mind. He's there,
the Phantom of the Opera...~'
'Sehr schön ihr beiden!'
Miss Dallan stand auf und klatschte in ihre Hände. Verstohlen blickte Sebastian auf die Tasten und rieb sich die Augen. Das war schon wieder zu viel für ihn. Schnell weg hier und frische Luft schnappen. Er tastete nach seiner Hosentasche.
'Oh nein! Ich hab die Tropfen nicht mit!'
Hastig sprang er auf und rannte aus dem Zimmer. Verwirrt blickten ihm alle hinterher.
'Was hat er denn?' fragte Meggan und blickte zur Tür heraus.
'Bleibt alle schön hier. Ich komme gleich wieder!'
Miss Dallan folgte ihm und erreichte schon bald sein Zimmer. Er kniete auf dem Fußboden und rieb sich immer wieder die Augen.
'Sebastian?! Was ist? Hast du einen Anfall?'
Zaghaft schüttelte er mit dem Kopf.
'Ich war schneller, als mein Kopf...' murmelte er vor sich hin und deutete auf die kleine Flasche mit den Tropfen, die neben ihm lag.
'Gute Güte. Du solltest dich besser ausruhen. Leg dich hin und schlaf ein wenig. Ich schicke dir jemanden vorbei der dir dann die Hausaufgaben bringt. Brauchst du einen Arzt?'
'Nein, es geht schon, danke.'
Am Bettgestell zog er sich hoch und ließ sich auf die Matratze fallen. Kurz darauf schlief er ein.

'Was hatte er denn?' Meggan sprang wie eine geisteskranke von einem Bein auf das andere.'Setzt euch bitte alle. Dann erkläre ich es euch.'
Alle nahmen wieder Platz und Miss Dallan holte ein paar Unterlagen aus dem Klassenbuch.'Ich habe für jeden eine Kopie gemacht und möchte, dass ihr euch das nach dem Unterricht gut durchlest. Des weiteren verbitte ich mir, dass Sebastian wegen seines Handicaps in irgendeiner Weise gedemütigt oder gemobbt wird. Habt ihr mich verstanden?'
Alle nickte ihr zu.
'Gut. Hier, reicht das weiter.'
Jeder nahm sich eine, der Kopien und blickte auf die Überschrift.
'Sebastian hat Epilepsie, eine Krankheit, bei der manche Reize vom Gehirn zu stark interpretiert werden. Dadurch reagiert es über und er bekommt Anfälle. Solltet ihr ihn einmal bewusstlos vorfinden, dann benachrichtigt sofort jemanden, der dann Hilfe holt.'
'Er hat mir erzählt, dass er Tropfen hat, die ihm helfen?' stellte Anni fest.
'Das ist richtig. Aber ich rate euch dringend davon ab, sie ihm zu geben, wenn er einen Anfall hat. Das ist sehr, sehr gefährlich.'
'Was passiert denn dann?' fragte Meggan.
'Bei einem epileptischen Anfall hat der Kranke die Kontrolle über sich verloren. Sicher kennt ihr das aus dem Fernsehen, wenn jemand am Boden liegt und am ganzen Körper zuckt oder um sich schlägt. Deswegen rate ich euch auch, ihm dann nicht zu nahe zu kommen. Während eines Anfalls entwickeln solche Menschen wahnsinnige Kräfte, die mit einem Schlag Knochen brechen können.'
Fasziniert lauschten alle Miss Dallan.
'Kann man sich da nicht auch die Zunge abbeißen?'
'Ja Chris, das stimmt. Ihr müsst mir also versprechen, dass wenn ihr Sebastian irgendwo bewusstlos vorfindet, ihr sofort Hilfe holt.'
Alle nickten ihr zu und plötzlich ertönte wieder die goldene Glocke von Miss Arnold. Endlich! Der Schultag war zu Ende.
Alle packten ihre Sachen und stürmten aus dem Musikzimmer heraus. Anni machte sich sofort auf den Weg zu ihrem Zimmer. Sicher hatte Marc, ihr Freund, ihr schon eine SMS geschrieben und sie musste ihm schnell antworten. Sie schloss ihre Tür auf und trat in ihr Zimmer. Unsanft ließ sie ihre Schultasche auf den Boden fallen und warf sich auf das Bett. Sie zog die Schublade ihres Nachttisches auf und blickte auf ihr Handy. Enttäuscht stellte sie fest, dass nichts ungewöhnliches Geschehen war und er auch nicht geschrieben hatte. Generell war er in letzter Zeit sehr merkwürdig. Er wollte sie noch nicht mal zurück zur Schule bringen. Und das, obwohl er das die vergangenen drei Male immer gemacht hatte. Etwas enttäuscht blickte sie an die Decke. Sollte sie ihm jetzt schreiben oder nicht?
Sie griff nach dem Handy und fing an, eine Nachricht ein zu tippen.
'Hey Schatz! Habe jetzt endlich Schluss und wundere mich, dass du noch nicht geschrieben hast. Ist alles in Ordnung bei dir?'
Sie schickte die Nachricht ab und wartete auf den Empfangsbericht. Nach zehn Minuten blickte sie noch immer auf das Display ihres Handy´s und noch immer tat sich nichts. Als sie dann schließlich anrief, wusste sie auch, wieso. Er hatte sein Handy ausgeschaltet. Noch enttäuschter, als vorher blickte sie wieder an die Decke.
'Dann wird er sich bestimmt heute Abend melden!' munterte sie sich wieder auf und setzte sich hin.
Also nahm sie ihre Schultasche und zog ihre Hefte heraus. Sie musste schließlich noch Hausaufgaben machen. Nach einer halben Stunde blickte sie gelangweilt auf ihre Unterlagen. Wie sollte man denn bitte x und y ersetzen, wenn man nicht wusste, wie?!'Sebastian weiß es bestimmt.' ging ihr durch den Kopf. Sollte sie ihn vielleicht mal fragen? Unentschlossen blickte sie auf ihre Tür. Charly und Isa würden es nicht bemerken und könnten ihr daraus keinen Strick drehen und da sie in Mathe eh eine Null war und schon auf Kippe stand, musste sie sich eigentlich dringlich verbessern. Also stand sie auf, nahm ihre Schulunterlagen und warf einen Blick in den Flur. Alles war ruhig und niemand war zu sehen. Sicher waren sie alle draußen am See und vergnügten sich dort. Leise stapfte sie zu Sebastians Zimmertür und klopfte an. Stille. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und steckte ihren Kopf durch den Spalt. Sebastian lag im Bett und schlief. Sie trat ein, schloss die Tür und legte ihre Sachen ab.
'Basti? Hey! Schlafmütze!'
Sachte stieß sie ihn an und er wachte langsam auf. Langsam kam er zu sich, blickte sich um und sah in ein Paar grüne Augen, die ihm durch das Gesicht streiften.
'Ann-Kathrin!' entfuhr es ihm und schon saß er wie eine eins im Bett. 'Was machst du hier?!'
'Sorry ich wollte dich nicht stören, aber ich dachte, du könntest mir vielleicht bei den Hausaufgaben helfen? Mathe ist nicht so mein Ding.'
'Kann ich schon machen...' entgegnete er ihr. 'Aber muss das jetzt sein? Ich bin müde.''Ich wollte nachher noch an den See. Bitte Basti bitte!'
Mit ihren großen Kulleraugen blickte sie ihn bettelnd an und er gab schließlich nach. Mit einem Satz hatte sie ihre ganzen Hefte auf seiner Bettdecke verteilt und blickte ihn fragend an. Verstohlen schaute er auf ihre Aufgaben.
'Falsch, falsch, Lösung richtig, Ansatz falsch. Ansatz richtig, Lösung falsch. Auweia...' ging es ihm durch den Kopf und noch immer spürte er ihre Blicke auf seiner Haut, die sich wie ein kleines Feuer darauf ein brannten.
Seine Wangen wurden rot, das spürte er genau. Jedes mal, wenn er sich schämte wurden sie rot und heiß. Sicher würde sie ihn gleich auslachen. Wie peinlich. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als Anni ihm zaghaft über die Wange strich.
'Ist dir nicht gut? Du glühst ja...' stellte sie erstaunt fest und eigentlich hätte sie wissen müssen, dass es ihm noch nicht wieder gut ging. Er war ja nicht ohne Grund aus der Klasse geflüchtet.
'Mir geht's gut. Wirklich, es ist nur...'
'Hmm?'
'I-ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich angestarrt werde.'
'Na du bist aber ganz schön von dir selbst eingenommen was?'
Sie blickte ihn an und schmunzelte. Ohne sie an zu sehen, hatte er ihre Blicke bemerkt. Sie kniete vor seinem Bett und hatte ihren Kopf auf ihre Hände gelegt.
'Mathe ist doch sinnlos. Warum soll ich eigentlich lernen, wie ich x und y ersetze? Das brauche ich später doch eh nicht mehr!'
Entrüstet blies sie ihre Backen auf und pustete sich ihre schwarze Locke aus dem Gesicht. Diese elende, blöde Locke, die sich nur mit Haarspray und einem Kilo Gel bändigen ließ. Manchmal war es wirklich zum verrückt werden. Deswegen trug Anni ihre Haare auch meist als Zopf, denn sie ließen sich anders einfach nicht unter Kontrolle bringen. Doch heute hatte sie etwas Kopfschmerzen und dieser blöde Haargummi drückte zu sehr. Also hatte sie ihn kurzerhand einfach raus gemacht und nun meldete sich die feindliche Locke wieder zu Wort.Sebastian überflog weiterhin Anni´s Aufgaben und schüttelte schließlich den Kopf.
'Ist etwas falsch?'
'Naja, grob geschätzt, neunzig Prozent sind falsch.'
'Was?!'
Anni sprang auf und starrte ihn entrüstet an. Neunzig Prozent falsch? Der Horror! Sie musste doch von ihrer fast fünf runter kommen.
'Kannst du mir nicht helfen?'
'Ich weiß nicht. So gut bin ich darin leider auch nicht.'
'Aber immerhin bist du besser als ich. Das genügt doch schon. Nun sag schon ja.'
'Ist gut, ich mach es ja. Aber lass mir ein bisschen Zeit, damit ich richtig wach werde.'
Sie sammelte ihre Hefte von seinem Bett und setzte sich an den Schreibtisch. Sebastian stand auf und streckte sich. Er hatte seine Sachen gar nicht erst ausgezogen, sondern war mit ihnen eingeschlafen. Sein Hemd war vollkommen zerknüllt und seine Socken waren ihm bis zu den Knöcheln herunter gerutscht.
Nachdem er sich wieder hergerichtet hatte, kam er auf Anni zu und öffnete die oberste Schublade seines Schreibtisches. Heraus zog er eine Packung Tabletten, von denen er sich eine nahm. Ohne Wasser legte er sie in den Mund und schluckte sie runter. Anni beobachtete ihn. Jede Kleinigkeit die er machte, sog sie in sich auf. Aber warum? Wieso nur war sie so fasziniert von ihm? Nachdem Miss Dallan allen gesagt hatte, dass er krank ist, war es sogar noch schlimmer geworden. Marc hatte sie nie so eine Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie ihn ja liebte. Das war es wahrscheinlich auch, denn wenn man sich liebt, dann weiß man eh alles über den Partner. Sebastian öffnete die Balkontür und sog die frische aber schwüle Luft ein. In seinem Zimmer war es recht stickig und er wunderte sich schon, dass Anni nicht auch darüber einen Spruch klopfte. Wahrscheinlich, weil sie etwas von ihm wollte, auch wenn es nur Nachhilfe war. Aber sie wollte etwas. Er setzte sich auf das Bettgestell neben sie an den Schreibtisch und griff nach seinem Stift. Nebenbei ließ er die Tabletten in die Schublade zurück fallen und schloss diese.
'Nimmst du die häufig?'
'Dreimal täglich.'
'Und du schluckst diese Dinger ohne Wasser?'
'Ja.'
'Wie? Ich kriege kaum meine Pille runter und du schluckst diese Riesenteile da ohne einen Tropfen Wasser...'
Kurz lächelte er und zuckte schließlich mit den Schultern.
'Also gut, wo fangen wir an?'
'Mein Handy!'
'Was?'
'Ich muss mein Handy holen, warte kurz!'
Anni sprang auf und rannte schnell in ihr Zimmer und kam freudestrahlend zu ihm zurück.'Er hat geschrieben!'
'Wer?'
'Na mein Schatz!'
Mit einem breiten Grinsen wedelte sie mit dem Handy vor seinem Gesicht herum. Sie setzte sich wieder und öffnete die Nachricht. Das Grinsen sollte ihr aber schnell vergehen.'Habe deine Nachricht auf Marc´s Handy gesehen. Wer bist du? LG Melissa'Gedankenverloren las sie immer und immer wieder die Nachricht und Tränen stiegen in ihren Augen auf.
'Ist alles in Ordnung?'
Sie antwortete nicht, sondern schüttelte nur leicht mit dem Kopf. Das hatte selbst ihr die Sprache verschlagen und dass, obwohl sie sonst nicht auf den Mund gefallen war.
'Das ist eine Nachricht von seinem Handy von einer anderen.'
Sie drückte ihm das Telefon in die Hand und wischte sich die Tränen aus den Augen.'Darf ich lesen?'
Zaghaft nickte sie ihm zu.
Seine Augen flogen über den Text und kurz darauf wieder zu ihr.
'Vielleicht ist das ja nur ein Missverständnis? Seine Schwester eventuell?'
'Er hat keine.'
'Und andere Verwandtschaft?'
Wieder schüttelte sie mit dem Kopf.
'Er wird doch wohl eine Cousine haben?'
Plötzlich kam Anni ein Geistesblitz. Natürlich! Cousinen hatte er reichlich! Sie nahm Sebastian das Handy wieder ab und begann eine Antwort ein zu tippen.
'Ich bin Anni und Marc´s Freundin. Wer bist du?'
Sie schickte die Nachricht ab und bekam kurz darauf einen Sendebericht.
Sie trocknete die letzte aufkommende Träne und lächelte Sebastian leicht an.
'Sicher hast du recht und ich habe über reagiert. Ich bin manchmal etwas vorschnell. Also, wo waren wir?'
Sebastian holte gerade Luft, als das Piepen des Handy´s ihn wieder unterbrach.
Sie blickte verunsichert auf das Display und öffnete die Nachricht.
'Ich bezweifle, dass du seine Freundin bist, denn wer soll ich dann sein? Hör auf ihm solche komischen Nachrichten zu schreiben. Er hat mich und ich reiche ihm voll und ganz!'







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