Der Geiger von Dunrobin Castle Teil 10

Autor: Kati
veröffentlicht am: 26.01.2008




Er blickte sie an und für eine kurze Zeit trafen sich ihre Blicke. Verstohlen lächelten beide und schauten schnell weg. Irgendwie war es schon komisch. Anni hatte sich noch nie einem Jungen anvertraut. Sie hatte ihm sehr pikante Details ihres Lebens erzählt und auch er hatte ihr einiges von sich gesagt. Doch irgendetwas an ihm machte sie sicher. Sicher, dass er es nicht ausnutzen oder weiter erzählen würde. Nicht mal seinen Eltern. Ganz bestimmt nicht. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie ja auch noch nicht, dass er ihr so vieles verschwieg. Sie konnte nicht ahnen, was sich hinter seiner Fassade verbarg, die er sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte, damit ihn niemand mehr verletzen konnte.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Tyler lauschte, hörte aber nichts und so drückte er einfach mal die Klinke herunter. Leise öffnete sich die Tür und er trat ein. Anni und Basti saßen noch immer auf dem Balkon. Ihre Beine baumelten frei in der Luft, da sie sie durch das Geländer gesteckt hatten. Sie saßen am Boden und rauchten, wie zwei Fabrikessen. Tyler grinste und schlich sich an. Mit einem Ruck riss er die Tür auf und brüllte los.
'Ann-Kathrin Und Sebastian! Warum seid ihr nicht im Unterricht?!'
Beide schmissen verschreckt die Zigaretten weg und drehten sich um. Anni wollte gerade ihre Entschuldigung präsentieren, als sie in Tyler´s grinsendes Gesicht blickte.
'Du Arsch! Mach das nie wieder!'
'Warum nicht? War doch lustig!'
'War es nicht!'
'Ist hier noch Platz?'
Er deutete neben Basti und der nickte. Schließlich saßen sie zu dritt auf seinem Balkon und rauchten. Die Beine noch immer in der Luft baumelnd.
'Was machst du hier?'
Anni blickte zu Tyler und runzelte die Stirn.
'Ich habe eine Freistunde. Viel interessanter wäre es doch, was ihr hier macht? Isa sagte, dass ihr Deutsch hättet?'
'Ja und?'
'Ihr schwänzt?'
Beide zuckten mit den Schultern.
'Also dir hätte ich alles zugetraut Anni, aber dir?'
Er blickte zu Basti und grinste.
'Ich kann sie ja schlecht alleine lassen.' bekam Tyler als Antwort und grinste nun noch breiter.
'Habt ihr zwei am Samstag eigentlich schon was vor?'
'Nein, wieso?' Interessiert blickte Anni zu Tyler.
'Ich habe Isa schon gefragt und sie hätte Lust. Ich möchte mit euch zusammen am Samstag Abend am See grillen. Möglich, dass noch andere kommen, aber euch zwei hätte ich auch gerne dabei.'
'Was sagst du dazu Basti?'
'Ich weiß nicht. Wollten wir am Samstag denn nicht in die Stadt?'
'Ja, aber es ist doch erst abends?'
'Meinetwegen.'
'Ich wollte am Samstag auch in die Stadt. Wollen wir nicht mal alle vier etwas gemeinsam machen? Mein Auto habe ich hier in der Nähe geparkt und damit geht es doch viel schneller, als mit dem Bus.'
'Ja sicher!'
'Meinetwegen.'
'Mensch Basti, du klingst total teilnahmslos. Hast du einen Führerschein?'
'Hmm...'
'Und auch ein Auto?'
'Kein eigenes, aber manchmal bin ich mit dem meiner Cousine gefahren. Ein schwarzer Audi. Der war so tief gelegt, dass ich die Einfahrt zum Supermarkt nicht hoch kam. Die Leute haben alle voll gelacht, als ich schließlich aufgab und zu Fuß über den Parkplatz lief.'
'Ha, ha! Ja das glaube ich dir. Ich habe auch einen Audi. Wenn du mir versprichst, vorsichtig zu fahren, dann kannst du uns ja in die Stadt kutschieren?'
'Au das wäre toll! Och bitte Basti! Machst du das? Ich möchte dich so gerne mal Auto fahren sehen!'
'Wenn es dich glücklich macht. Ihr müsst mir aber den Weg zeigen. Ich kenne mich hier nicht aus.'
'Ach, das ist das kleinste Problem. Also abgemacht? Wir treffen uns dann halb neun in der Empfangshalle, ok?'
'Ok!'
Anni klatschte aufgeregt in die Hände. Irgendwie kam sie sich schon selber albern dabei vor. Vor ein paar Minuten hatte sie Basti noch gefragt, ob er sie kindisch findet und jetzt klatschte sie in die Hände, wie ein Seehund, der dafür einen Fisch ins Maul geworfen bekam. Tyler stand auf und ging wieder und auch Anni und Basti mussten langsam wieder los. Wenn sie die Theaterproben nicht verpassen wollten, mussten sie sich jetzt aber sputen. Sie hatten schon viel zu lange auf dem Balkon gesessen und von Mister Parker gab es sicherlich auch noch Ärger, weil sie seinen Unterricht geschwänzt hatten. Sie liefen gerade die Treppen zur Empfangshalle herunter, als ihnen besagter Lehrer entgegen kam und sie argwöhnisch anblickte.
'Geht es dir wieder besser?'
Er blickte zu Basti und wartete auf eine Antwort. Kurz überlegte der und nickte schließlich.'Hast du das öfter?'
'Nein. Seit meine Medikamente umgestellt wurden.'
'Naja, das wird schon wieder. Bis Morgen ihr beiden.'
'Ja! Bis morgen, Mister Parker!' rief Anni ihm ungewohnt freundlich nach und bei rannten die Treppen weiter herunter. Als sie den Schlosskeller erreichten, war schon von weitem lautes Gelächter und Musik zu hören. Basti wurde immer langsamer und blickte sich unsicher um. Der Gang, der zu den Proberäumen führte, war modrig und dunkel und er wusste nicht, was ihn erwarten würde. Wie würden die anderen ihn aufnehmen? Und wer waren die anderen?
'Warum bleibst du denn stehen?'
'I-ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn ich da jetzt einfach rein platze...'
'Ach was! Komm schon!'
'Lieber nicht.'
So sehr Anni auch an ihm herum zog, er bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck.
'Hey Leute! Ich habe wen neues mitgebracht! Kommt mal her!'
'Sei doch still!' flüsterte er ihr gepresst entgegen und war schon dabei, sich um zu drehen und davon zu laufen. Doch plötzlich rief ihn eine ihm bekannte Stimme beim Namen.
'Sebastian? Hey! Das ist ja toll, dass du hier bist!'
Miss Dallan legte ihm die Hände auf die Schultern und blickte ihn erfreut an.
'N-naja, ich wollte mir das alles mal ansehen.'
'Aber sicher! Komm erstmal mit.'
Sie führte ihn in die Proberäume und ihm gefror das Blut in den Adern, als er Charly erblickte. Wütend stierte er ihn an. Warum hatte Anni ihm nichts gesagt? Sie wusste doch, dass Charly ihn nicht ab konnte? Anni bemerkte sofort die gereizte Stimmung und war sich nun schon gar nicht mehr so sicher, ob das alles eine gute Idee war. Eigentlich war es ja das Richtige. Basti war sehr musikalisch, genau das, was sie brauchten, aber Charly und er in einem Team? Das gab doch nur Mord und Totschlag. Basti´s verzweifelter Blick sprach Bände und als er sie so ansah, fühlte sie sich elender, als wenn man sie beim Klauen erwischen würde.
'Reiß dich zusammen! Was machst du denn für ein Gesicht?! Sie hat es doch nur gut gemeint! So lange du nicht darauf reagierst, wird Charly dich auch in Ruhe lassen! Einfach nicht hin sehen.' ging es ihm durch den Kopf und er atmete tief durch. Das erste Problem, nämlich Charly, eliminierte sich von ganz allein. Er stand auf, warf eine Requisite auf den Boden und verließ die Proberäume. Anni konnte den Stein, der gerade von Basti´s Herzen fiel, redlich hören. Zaghaft lächelte sie ihn an.
'Es tut mir Leid, aber ich hatte nicht daran gedacht, dass Charly auch hier sein würde.'
'Schon gut. Jetzt ist er ja weg.'
'Jetzt willst du sicher nicht mehr in die Theatergruppe oder?'
'Ich habe doch gesagt, dass ich es mir ansehen will oder?'
Anni´s Augen strahlten ihn freudig an und sie griff nach seiner Hand, um ihn ein wenig herum zu führen. Nachdem sie ihm alles gezeigt hatte, setzte er sich vor die notdürftig zusammen geschusterte Bühne und blickte auf die Darbietung.
Es war ein Stück aus Romeo und Julia. Anni als Julia und ein gewisser Mike als Romeo.'Oh Liebste! Mir schmerzt das Herz so sehr, wenn ich sehe, wie du leidest!'
'Aus!' rief Miss Dallan dazwischen und Basti huschte ein Lächeln durch das Gesicht. Anni hing an dem Pappbalkon und lachte sich schlapp.
'Ann-Kathrin, wenn du immer lachst, wird das nichts!'
'Ich weiß, aber dieser Text, der ist zu komisch.'
'Wir wollten alles etwas auffrischen. Nicht diese alten, unverständlichen Texte nehmen. Und jetzt lachst du die ganze Zeit! So kommen wir nicht weiter!'
'Tut mir Leid. Ich gebe mir Mühe.'
'Also gut, nochmal von vorne.'
Alles ging wieder in Position.
'Oh Liebste! Mir schmerzt das Herz so sehr, wenn ich sehe, wie du...'
Wieder hing sie über die Brüstung und gackerte laut auf. Basti drückte sich die Hand auf den Mund und kicherte leise hinein. Nicht leise genug.
Miss Dallan kam auf ihn zu und setzte sich neben ihn.
'Könntest du dir vorstellen, auch in so einem Stück mit zu spielen?'
'Ich weiß nicht.'
'Wir peppen alle alten Werke neu auf! Du müsstest nicht erst in staubigen Büchern herum wühlen und dir Texte merken, die so schon kaum merkbar sind?'
'Naja...'
Miss Dallan bemerkte einen gewissen Zweifel in seiner Stimme.
'Was meinst du mit 'Naja'?'
'Hmm... so richtig aufgepeppt klingt es ja nicht.'
'Hast du einen anderen Vorschlag? Noch sind wir ganz am Anfang und könnten gute Ideen brauchen.'
'Ich weiß nicht. Ich müsste improvisieren...'
'Ja wunderbar!'
Miss Dallan sprang auf und klatschte in die Hände.
'Mike? Mach kurz Pause. Sebastian? Du bist jetzt der Romeo.'
'Was ist?!'
Geschockt sprang er vom Stuhl auf und der kippte auch gleich nach hinten um.
'Versuch es doch mal.'
Sie schob ihn auf die Bühne und Anni blickte ihn erwartungsvoll an.
'Also, Sebastian! Stell dir vor, es ist Nacht und du besuchst deine Julia heimlich am Balkon. Es ist alles ganz furchtbar, weil eure Eltern sich nicht leiden können und du möchtest ihr sagen, dass alles ganz furchtbar ist.'
Basti schluckte schwer und blickte wieder zu Anni. Die zwinkerte ihm aufmunternd zu.'Improvisierst du jetzt?'
'Muss ich ja.' flüsterte er gepresst.
'Kann es los gehen?' rief Miss Dallan. Beide nickten.
'Also gut, dann los!'
Alle blickten gespannt auf die Bühne. Es waren sechs weitere Schüler, die die Theatergruppe unterstützten und alle starrten Basti an. Das war nicht gut. Er hasste es, wenn er angestarrt wurde. Kurz schloss er seine Augen und versuchte sich an den Tag seines großen Auftritts zurück zu erinnern. Damals, als er vor fünfhundert Leuten ein Geigensolo gespielt hatte. Ja, so war es besser.
Er blickte zu Anni. Sie lächelte ihm zu.
'Ich werde auch improvisieren! Also los!' flüsterte sie ihm zu.
Er machte einen Schritt auf den Pappbalkon zu und und legte ein cooles Gesicht auf.
'Oh Romeo!' rief Anni ihm zu.
'Oh Julia!' kam die Antwort.
'Wieso besuchst du mich, obwohl es dir verboten wurde?'
'Weil ich muss!'
'Was musst du?'
'Du weißt schon.'
Er blickte vor die Bühne. Alle Gesichter lächelten. Einige lachten. Aber nicht über ihn, sondern weil die Darbietung gefiel.
'Oh Romeo. Wenn ich könnte, dann würde ich, aber ich bin unpässlich!'
'Aber Julia! Das bist du doch schon drei Monate lang!'
Lautes Gelächter erschallte und Anni grinste ihn breit an.
'Ja! Weil, weil Frauen in meinem Alter eben so sind.'
'Nun denn. So reite ich zur nächsten! Sage mir, wann du wieder pässlich bist und ich will dich wieder aufsuchen.'
'Du hast eine andere?'
'Eine?'
Wieder lautes Gelächter.
'Du Betrüger! Du sagtest mir, dass du nur mich liebst?!'
'Aber das tue ich ja auch!'
'Was ist dann mit den anderen?'
'Die nicht.'
'Wie kannst du dann mit ihnen schlafen?'
'Genauso, wie mit dir!'
Wieder lachten alle und Miss Dallan klatschte in ihre Hände. Eine Eigenart, an die sich schon alle gewöhnt hatten.
'Das war großartig! Wunderbar!'
Alle klatschten und Anni und Basti verbeugten sich leicht. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, in der Theatergruppe anzufangen. Er würde sich das zwar noch mal überlegen, aber eigentlich hielt ihn schon nichts mehr davon ab.
'Sebastian. Spielst du uns hier vielleicht noch etwas auf der Geige vor?'
Miss Dallan blickte ihn fragend an. Sie hatte ihn noch nie spielen hören und außer Anni wusste keiner, was er auf dem Instrument beherrschte. Hier sprach nichts dagegen. Hier würde man sicher nicht lachen, dass er ein 'Mädcheninstrument' spielte. Also nickte er zaghaft und aus dem Nirgendwo zog Miss Dallan plötzlich eine Geige.
Nachdem er sie gestimmt hatte, konzentrierte er sich. Alle saßen auf dem Boden in einem Halbkreis vor ihm und starrten ihn gespannt an.
Er setzte den Bogen auf die Saite und blickte starr gerade aus.
'Ich spiele ein Stück von Vivaldi.'
Und schon zog er den Bogen über die Saiten und seine linke Hand glitt an dem Hals der Geige entlang. Er spielte so enthusiastisch und voller Hingabe, dass es allen eine Gänsehaut auf die Arme hauchte. Nicht nur, dass er das Stück auswendig beherrschte, nein. Er spielte es in einem atemberaubenden Tempo. Fasziniert blickten ihn alle an. Er hatte nicht nur Talent. Das war eine Begabung, vom Heiligen Geist persönlich in die Wiege gelegt!
Als das Stück beendet war und er den Bogen von den Saiten hob, blickte ihn alle schweigend an. Plötzlich schallender Applaus, der ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
'Bast! Das war ja spitzen mäßig!'
Anni stand auf und strahlte ihn an.
'Fandest du?'
'Ist das ein Witz?! Leute? Wie fandet ihr das?'
'Spitze!'
'Hammer hart!'
'Einfach Wahnsinn!'
Alle waren einer Meinung und Basti´s Herz macht Luftsprünge.
Die Proben machten allen richtig viel Spaß und sogar er blühte richtig auf. Doch je mehr er Interesse zeigte, desto schneller verlor es Anni. Am Ende der Proben saß sie nur noch teilnahmslos auf einem Stuhl und starrte Luftlöcher.
Schließlich setzte sich Basti neben sie.
'Was ist denn los?'
'Mir geht es nicht so gut.'
'Ist dir schlecht?'
'Ein bisschen.'
'Willst du ein bisschen frische Luft schnappen?'
Zaghaft nickte sie. Während die anderen die Requisiten verräumten, schlichen sich Basti und Anni aus dem Schlosskeller. Er stieß die Eingangstür auf und sofort kam ihnen ein Schwall heißer Luft entgegen. Das war zu viel für sie. Anni begann zu torkeln und im letzten Moment legte er seine Arme um ihre Taille, damit sie nicht umkippte.
'Soll ich dich nicht lieber zu Miss Anderson bringen?'
'Nein. Es geht schon wieder. Ich möchte lieber in mein Zimmer.'
'Kannst du gehen?'
Sie nickte ihm zu und löste sich aus seinen Armen. Langsam schritt sie auf die Treppe zu und stützte sich an das Geländer.
'Also nicht.' stellte er fest, als sie sich kraftlos die Stufen hoch quälte. Er legte ihren Arm um seinen Hals und hob sie hoch. Mit einer beschämenden Leichtigkeit trug er sie die Treppen hoch und redete beruhigend auf sie ein.
'Ich finde, es wäre besser, wenn ich dich doch zu Miss Anderson bringe. Du siehst blass aus.''Das ist normal.'
'Normal?'
Wieder nickte sie ihm zu.
'Wie kann denn so was normal sein?'
Sie blickte ihn bedeutungsvoll an und plötzlich dämmerte es ihm.
'Oh, alles klar!'
Sie musste wohl ihre Tage haben. Anders war es nicht zu erklären. Er brachte sie in ihr Zimmer und legte sie sachte ins Bett.
'Ich lasse dich dann mal in Ruhe.'
'Musst du nicht. Wenn du magst, kannst du bleiben. Wühl von mir aus auch in meinem Schrank herum. Hast dafür eh noch einen Gut.'
'Ach was. Ich muss nicht in deinen Sachen herum kramen. Wenn du möchtest, dass ich bleibe, dann bleibe ich.'
'Ja bitte.'
Er setzte sich neben ihr Bett auf den Boden und legte seinen Kopf auf die Matratze.
'Ich muss meine Medikamente noch holen. Das darf ich auf keinen Fall vergessen.'
'Ich erinnere dich daran.'
'Danke.'
Anni grub sich in ihre Kissen ein und stöhnte laut auf.
'Ach das Leben ist schon unfair. Wieso bekommen nur Frauen ihre Tage?'
'Na wie soll das bei Männern denn funktionieren? Ich stelle mir vor, dass wir uns bei der Handhabung von Tampons recht ungeschickt anstellen würden.'
'Oh ja...'
Wieder seufzte sie auf. Es war doch so ein schöner Tag und wieder würde sie ihn im Schloss verbringen. Es war zum verrückt werden. Die anderen lagen bestimmt schon am See und sonnten sich. Nur Anni nicht, denn die hatte mal wieder ihre Erdbeerwoche und konnte sich vor Bauchschmerzen kaum rühren.
Plötzlich hob Sebastian sie aus dem Bett und blickte sie schelmisch an.
'Was hast du vor?'
'Liegen kannst du auch bei mir auf dem Balkon. Da haben wir frische Luft und können rauchen.'
Ihre Augen strahlten ihn an und nur zu gern ließ sie sich von ihm auf die Terrasse tragen.Dort angekommen überblickten sie die angrenzenden Berge.
'Meinst du, dass du am Samstag wieder fit bist?'
'Ach sicher. Das ist nur am ersten Tag so schlimm. Manchmal auch noch am zweiten, aber dann wird es spürbar besser.'
'Das ist gut. Im ersten Moment habe ich mir echt Gedanken gemacht. Weil du so blass ausgesehen hast.'
'Ich muss eben öfter in die Sonne.'
Sie verbrachten den gesamten Nachmittag auf seinem Balkon und rauchten eine Zigarette, nach der anderen. Anni versuchte schon, sich zu zügeln, als sie merkte, wie die Übelkeit in ihr aufstieg, doch es half nichts. Selbst die Tatsache, dass sie nur unter Zweien waren, ließ einen Gruppenzwang entstehen. Immer, wenn Basti sich eine Zigarette anzündete, zog auch sie eine aus der Schachtel. Sie genoss die Pause, die sie einlegten, damit Basti seine Medikamente holen konnte, redlich. Am Abend brachte er sie wieder in ihr Zimmer.
'Tja, dann schlaf gut.'
'Du auch.' lächelte er ihr zaghaft zu. Sie stand noch eine Weile an der offen stehenden Tür und blickte ihn an. Schließlich machte er Kehrt und ging zurück in sein Zimmer.
Nachdem Schwester Agatha durch die Flure gelaufen war, um die Bettruhe zu verkünden, legte sich Basti hin und blickte an die Decke. Sein Herz raste und er musste ab und zu unbewusst lächeln. Hatte er sich etwa in Anni verguckt? Schon bei diesem Gedanken wurden seine Wangen wieder rot und heiß. Schließlich schloss er seine Augen und schlief ein.Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf. Hatte er da nicht etwas gehört?
Da! Wieder! Er setzte sich auf und spitzte die Ohren. Da war jemand im Flur!
Er sprang aus dem Bett und lauschte an seiner Tür. Ein leises Seufzen drang an sein Ohr. Wer konnte das sein? Neugierig öffnete er seine Tür einen Spalt breit und blickte in die
abgedunkelten Flure. Ein Schatten schlich umher. Noch etwas weiter zog er die Tür auf, um zu erkennen, wer es war.
'Anni?' flüsterte er gepresst, als er sie weinend auf dem Flur entdeckte. Die Decke um den Körper gewickelt, barfuß und total am Ende. Hatte sie ihn überhaupt gehört?
Wieder rief er ihren Namen. Doch sie reagierte nicht.
In Boxershorts verließ er sein Zimmer und folgte ihr. Sie schlich die Treppen herunter und weinte leise. Noch einmal rief er leise ihren Namen, doch sie reagierte nicht, sondern lief immer weiter. Schnell hatte er sie eingeholt und blickte sie an. Ihre Augen waren offen, also schlief sie schon mal nicht. Oder doch? Sie nahm ihn gar nicht wahr.
'Vielleicht schlafwandelt sie ja?' ging ihm durch den Kopf. 'Ich darf sie also nicht wecken.'Sie lief weiter durch das Schloss und bald erreichten sie die Empfangshalle. Sie öffnete eine Tür und betrat die große Küche. Alles war dunkel und durch das Fenster schien der große Vollmond hinein. Sein mattes Licht ließ die Kochutensilien leicht auf blitzen. Plötzlich blieb sie stehen.
'Ich habe dich geliebt und du lässt mich einfach fallen!' murmelte sie vor sich hin.
'Warum?'
Basti wollte ihr gerade etwas darauf antworten, als sie ihm das Wort abschnitt.
'Das ist keine Antwort! Ich fühle mich gekränkt und bin zutiefst verletzt.'
Wieder eine kurze Pause. Sie musste seine Antworten wohl träumen. So einfach, wie sie alles dargestellt hatte, war es für sie also gar nicht. Basti stellte sich neben sie und blickte sie an.'Dann mach eben Schluss mit ihr! Du kannst mich doch nicht einfach hängen lassen?'Und wieder eine Pause, in der er ihr zu antworten schien.
'Aber Marc...'
Sie zitterte am ganzen Körper und weinte bitterliche Tränen.
'Gut, das reicht jetzt!' ging es ihm durch den Kopf und wieder hob er sie hoch und trug sie die Treppen hinauf. Er brachte sie in ihr Zimmer, deckte sie vernünftig zu und schloss die Tür. Gerade, als er sich wieder hinlegen wollte, vernahm er ein leises Klicken und stand wieder auf. Er öffnete seine Tür und sah, dass Anni wieder los gelaufen war. Diesmal ohne Decke, nur in Slip und T-Shirt. Und wieder hob er sie hoch, trug sie in ihr Zimmer und ging danach in seines zurück. Das Ganze wiederholte sich schließlich auch noch ein drittes Mal und beim vierten Mal riss ihm der Geduldsfaden.
'Dann schläfst du eben bei mir.' flüsterte er ihr leise zu und trug sie in sein Bett.
Er schloss seine Tür ab und legte den Schlüssel auf den Schreibtisch. Nachdem er sich zu ihr gelegt hatte, blickte er sie noch eine Weile an und schlief schließlich wieder ein. Es dauerte nicht lange, da wachte er wieder auf. Anni stand an seiner Tür und klinkte die ganze Zeit, um das Zimmer zu verlassen. Das war zu viel. Er stand auf und schaltete das Licht an.
Unbeeindruckt davon, klinkte Anni munter weiter und reagierte auf keine anderen Reize. Er packte sie sachte an den Schultern und rief immer wieder ihren Namen. Plötzlich kam sie zu sich und starrte ihn verschreckt an.
'Marc!' entfuhr es ihr plötzlich. 'W-was mache ich hier?'
'Das wüsste ich auch gerne. Du schlafwandelst!'
'Was?!'
'Du bist ständig aus deinem Zimmer gekommen und durch das Schloss gelaufen. Ich habe dich immer wieder zurück gebracht und du bist einfach wieder los gelaufen. Ich dachte, es wäre das Beste, wenn du bei mir schläfst, aber das war wohl keine gute Idee.'
'Wie spät ist es?'
Er blickte auf den Wecker.
'Kurz vor elf.'
'Oh...'
'Hast du von Marc geträumt?'
Plötzlich kam alles wieder in ihr hoch. Diese Verlustängste, die Bauchschmerzen, diese Ohnmacht, Marc verloren zu haben. Tränen rannen durch ihr Gesicht und sie ließ sich an Basti´s Schulter fallen.
'Ist ja gut. Wein doch nicht.'
'A-aber ich kann nicht aufhören.'
'Ist ja gut.'
Sachte strich er durch ihr Haar, dass wild zerzaust von ihrem Kopf ab stand.
'Das wird schon alles wieder. Beruhig dich.'
Er hob sie an seine Brust und setzte sich mit ihr auf dem Schoß in sein Bett. Noch immer weinte sie und konnte sich nicht beruhigen.
'Ich verstehe das nicht! Wie kann er mir das antun? Ich sterbe! Ich bin so unglücklich! Ich sterbe, Basti! Ich sterbe innerlich! Meine Seele ist kaputt und frisst mich auf! Ich halte das nicht aus!'
Hilflos blickte er sie an. Sollte er das tun oder nicht?
'Ich kann so nicht weiter leben Basti! Ich kann nicht mehr richtig schlafen, dabei bin ich doch müde. Und alles ist so schrecklich!'
Er griff nach seiner Hose und zog seine Notfalltropfen heraus. Sie halfen nicht nur bei einem Anfall, sondern beruhigten auch ungemein. Sie stoppten Angst- und Depressionsanfälle. Er schraubte die Flasche auf und hielt sie ihr hin.
'Mach den Mund auf.'
'Was ist das?'
'Das hilft!'







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz