Blau wie der Himmel Teil 6

Autor: Sixteen
veröffentlicht am: 28.12.2008




5 - Herr Eich - Tyrann oder Glücksbringer?

Am nächsten Morgen wachte ich eine Viertelstunde vor dem Weckerklingeln auf. Eine Viertelstunde, in der ich nichts anderes zu tun hatte, als nachzudenken. Ich hatte ziemlich wild geträumt in der letzten Nacht. Wenn ich mich richtig erinnerte, war ich von Dämonen verfolgt worden. Sie waren groß gewesen, schwarz geflügelt, und hatten mich über ein großes, dunkles Meer von Wolken gejagt. Vor irgendetwas hatten sie mich davon scheuchen wollen.,
irgendetwas, dass meine einzige Rettung vor ihnen war. Irgendetwas hellem. Doch was das war, wusste ich nicht mehr.
In den meisten Fällen erinnerte ich mich ziemlich gut an meine Träume, aber diesmal wollte und wollte das Detail nicht zurück in meinen Verstand, und je mehr ich versuchte, es zu fassen, desto schneller versank es im Unterbewusstsein.
Resigniert stand ich auf und ging in die Küche. Als ich den Raum betrat, ließ ich das Licht ausgeschaltet, nahm mir die Packung mit Cornflakes und eine Schale. Langsam ließ ich die Flakes in die Schale rieseln, hörte dem klackernden Geräusch zu und lehnte mich gegen den Kühlschrank.
Jetzt erinnerte ich mich an das Ende meines Traumes. Die Dämonen waren immer schneller geworden, und ich war immer hastiger gerannt. Schließlich war ich gestolpert und unsanft auf den Wolken gelandet, die sich überhaupt nicht so weich anfühlten, wie sie aussahen. Hinter mir hatte ich auf einmal Kamfgeschrei gehört, und als ich aufgesehen hatte, waren zwei federn vor mir gelandet, eine leuchtend weiße und eine graue, die am Ansatz genauso weiß war wie die andere, an der Spitze jedoch pechschwarz wurde. Damit endete der Traum.Nachdenklich stopfte ich mir eine Hand voll Cornflakes in den Mund.
Federn?
Hatte ein Dämon Federn?
Langsam ging ich zum Tisch hinüber, stellte die Schale darauf und wollte mich gerade setzen, als mir auffiel, dass ich nicht alleine in der Küche war. Mick saß am Tisch und beobachtete mich aufmerksam.
'Hallo?!', brüllte ich ihn an. 'Wie wär's, wenn du mal was sagst?!'
'Ein bisschen leiser, Viola', entgegnete er. 'ich wollte nur mal sehen, wann du mich bemerkst.' Er grinste.
'Oh man, kleine Brüder...', knurrte ich und setzte mich nun doch hin. 'Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass ich noch im Halbschlaf bin und nicht unbedingt von so 'nem Zwerg beobachtet werden will?'
Mick überging das, nahm sich eine Hand von meinen Cornflakes und fragte: 'Kannst du auch nicht schlafen?'
'Nee', brummte ich.
'Ich auch nicht.'
'Ach was, gibt's nicht.' Müde sah ich ihn an.
'Das liegt daran, dass Vollmond ist.' Er deutete auf das Küchenfenster. Jetzt er viel mir auf, wie viel Licht in die Küche viel. Aber dass ich deswegen so schlecht geschlafen haben sollte...'Glaubst du etwa an solche Märchen?' Ich lehnte mich im Stuhl zurück.
'Das sind keine Märchen', entgegnete er. 'in Vollmondnächten schläft man schlechter. Basta. Das hat schon Oma immer gesagt.'
Belustigt beobachtete ich, wie er eine wichtige Miene aufsetzte. 'Außerdem - wenn man Glück hat, hat man prophetische Träume!'
'Prophetische Träume, soso.' Grinsend schüttelte ich den Kopf. 'Mann, laberst du einen Stuss, Mick.'
'Überhaupt nicht!', verteidigte er sich, während ich aufstand und meine nun leere Schale in die Spülmaschine räumte. Gähnend trat ich ans Fenster und betrachtete den Mond, der die Baumspitzen beschien.
'Ich glaube nicht gerade, dass ich bald von Dämonen gejagt werde.'
Micks Antwort ging in einem schrillen Piepsen aus meinem Zimmer unter. Vielleicht hätte ich daran denken sollen, den Wecker auszustellen.'

'Was ist der denn über die Leber gelaufen?', fragte Serena mich, als Nina in den Klassenraum kam und mit einem feindseligen Blick an uns vorbei zu ihrem Platz ging.'ich', antwortete ich und fischte meinen Collegeblock aus meinem Ranzen. 'Wir hatten gestern eine kleine... Meinungsverschiedenheit.'
'nach klein sieht das nicht gerade aus.' Serena grinste. 'Bravo, ich bin stolz auf dich. Ich glaub, das war dringend mal nötig. Um was ging's denn?'
Ich gähnte, während ich meinen Collegeblock öffnete. Die fehlende Schlafenszeit machte sich nun doch bemerkbar.
'Na ja', antwortete ich gedehnt. 'Sie ist gestern mit mir durch die Stadt gegangen. Und als sie sich dann mal wieder für unwiderstehlich hielt, hab ich ihr gesagt, dass sie es nicht ist.'
'Ach so.' Interessiert beäugte Serena die aufgeschlagene Seite meines Blockes. 'Wusste gar nicht, dass Schokopudding so wichtig für dich ist', stellte sie fest.
In dem Moment erst begriff ich, dass ich den Zettel mit meiner Liste der wichtigsten Sachen im Leben aufgeschlagen hatte. Hastig riss ich das Blatt heraus, knüllte es zusammen und stopfte es in meine Federmappe. 'Ist es auch nicht', entgegnete ich.
'Na dann.' Etwas irritiert von meiner Reaktion guckte sie mich an, zuckte dann aber mit den Schultern und wandte sich ab. Dies war eine Eigenschaft, die ich sehr an Serena mochte - wenn ich ihr etwas nicht erzählen wollte, war das für sie in Ordnung.
Aber eigentlich hatte ich vorgehabt, ihr von den verschiedenen Kursteilnehmern zu erzählen. Und von Dorian, und dem Eindruck, den er auf mich gemacht hatte. Doch irgendwie... war es mir peinlich, wie extrem ich auf ihn reagiert hatte. Normalerweise nahm ich männliche Reize relativ gelassen hin. Wenn jemand toll aussah, war das halt so. Aber gestern, bei Dorian, war das irgendwie... anders gewesen. Als ich ihn gesehen hatte, seine gute Statur, sein schönes Gesicht, dass von den kurzen Bartstoppeln wieder abgehärtet wurde, seine Lippen, seine Hände - da hatte ich nicht einfach daran gedacht, wie gut er aussah. Ich kam nicht umhin, zuzugeben, dass ich mir vorgestellt hatte, was er wohl mit seinen Händen anstellen konnte, wie er unter den Klamotten aussah, wie seine Lippen Stellen meines Körpers berühren könnten, die andere noch nicht mal zu Gesicht bekommen hatten.
Meine Gedanken waren völlig außer Kontrolle geraten.
Und das beunruhigte mich irgendwie.
Ein 'Guten Morgen!' riss mich aus meinen Gedanken.
'Morgen', kam schläfrig von uns zurück, während unser Geschichtslehrer, Herr Eich, hoch motiviert vor uns stand. Wie konnte man bloß so ein Interesse daran haben, mit Schülern immer wieder und wieder über Dinge zu diskutieren, die längst Geschichte waren?

Müde hing ich auf meinem Stuhl und ließ die Stunde über mich ergehen.
'Zur Zeit der Inflation...'
Oh man. Nur nicht einschlafen. Das wäre vielleicht doch etwas zu auffällig. Langsam malte ich mit meinem Bleistift irgendwelche wirren Muster auf meinen Tisch, kreise, Quadrate, Sterne und irgendwelche anderen Dinge, die nicht zu erkennen waren.
'Viola? Was meinst du denn dazu?'
Ich schreckte hoch. Herr Eichs Blick war auf mich gerichtet, ich hatte jedoch keine Ahnung, was er mich gefragt hatte.
'Äh, ich...' Hilfe suchend blickte ich zu Serena, die daraufhin, soweit ich es erkennen konnte, kaum merklich mit dem kopf nickte.
'Ähm...', stotterte ich weiter. 'Ich finde... also meiner Meinung nach ist das absolut positiv. Ich finde das gut.'
Eich guckte mich mit seinem 'Rede-weiter-bis-jetzt-nicht-schlecht'-Blick an, sodass ich noch etwas obendrauf setzte.
'Ich würde das heute bestimmt genauso machen.'
Merkliches Luftholen der Klasse.
'Soso', erwiderte Herr Eich. 'Das ist ja mal interessant.'
Verwirrt blickte ich zu Serena, die mich leicht verzweifelt ansah und mir ihr Buch herüber schob. Die aufgeschlagene Seite hatte die dicke Überschrift 'Der Hitler-Putsch'. Nun atmete auch ich merklich ein. Scheinbar hatte sie eben weniger genickt als mit dem kopf auf das buch gedeutet. Scheiße.
'Ich...', sagte ich leicht kleinlaut in Richtung unseres Lehrers. 'Also, ent...'
'Nachsitzen!', bellte Eich. 'Heute, siebte Stunde!'
'Was?' entgeistert blickte ich ihn an. 'Nachsitzen? Aber... sonst musste auch noch nie...''wer hier nachsitzen muss oder nicht entscheide immer noch ich! Außerdem...' prüfend blickte er auf meinen völlig bekritzelten Tisch '...kannst du die Zeit dann zum Tische schrubben nutzen. Der Hausmeister wird sich freuen.'
'Was?', setzte sich nun auch Serena für mich ein. 'Das ist total ungerecht! Nur weil sie einmal eine falsche...'
'Willst du gleich mit nachsitzen?', bedrohlich schaute Herr Eich sie an. 'ich bin hier der Lehrer, nicht du, verstanden?'
'Ja.'
'Gut. Dann lasst uns jetzt weiter Unterricht machen. Und diesmal hörst du zu, Viola! Sonst hänge ich noch eine Stunde Nachsitzen dran.'
Ja, Arschloch. Leck mich doch.

Als ich nach der sechsten Stunde vom Biologie-Fachraum zum Klassenzimmer zurückstapfte, war ich übel gelaunt. Gestern war ich wegen dem VHS-Kurs schon so spät nach Hause gekommen, und dann heute auch noch nachsitzen. Und überhaupt war nachsitzen gar nicht gerechtfertigt! Nur weil ich ein einziges mal nicht aufgepasst hatte. Gut, es war nicht nur einmal gewesen, aber das hatte er doch nie bemerkt, oder?
'Da bist du ja endlich, Viola!', wurde ich vor der Tür des Klassenraumes von Herrn Eich begrüßt.
Endlich? Leicht Übertreibung, eigentlich hätte ich sogar noch eine kurze Pause gehabt. Scheinbar sah man mir meine schlechte Laune ziemlich an, denn als er die Tür aufschloss, meinte er: 'Strafe muss nun mal sein. Da kann ich auch nichts dran ändern.'
Es war entschuldigend gemeint, aber ich erwiderte leicht patzig: 'Könnten sie schon. Wollen sie aber nicht. Sonst würden wir hier ja jetzt nicht stehen.'
Er entgegnete nichts, sondern ging nur vor mir durch die Tür, stellte seine Tasche aufs Pult und drückte mir den Tafelschwamm in die hand. 'Du kannst anfangen.'
Ich zog eine Augenbraue hoch. 'Mit dem Tafelschwamm?'
'Klar, warum nicht?' Gelassen schwang Eich sich auf die Fensterbank.
'Weil man damit nicht mal die Tafel ordentlich sauber kriegt!', antwortete ich störrisch.'Jetzt mecker nicht die ganze zeit rum, Viola. Das macht das ganze nur unangenehmer, für mich und für dich.' Er zog ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen. Während ich begann, mit dem Schwamm auf dem Tisch herumzuwischen, entzifferte ich den Titel.'Cäsar - Tyrann oder Wohltäter?'
Okay - Der Mann war echt geschichtsgeschädigt.
Das Schrubben zog sich endlos hin, da der Tafelschwamm wirklich alles andere als geeignet zu ernsthaften Säuberungsarbeiten war. M liebsten hätte ich meine Salzsäure von zuhause geholt und die tische damit mehr als gesäubert.
Glücklicherweise entließ Eich mich nach einer Stunde trotzdem, obwohl ich gerade mal fünft Tische geschafft hatte.
'Wenigstens etwas', meinte er, und grinste, gut gelaunt, wie er immer war - mal abgesehen von heute morgen.
Ich verabschiedete mich kurz und verließ dann schnurstracks das Schulgebäude. Davon hatte ich erst einmal genug. Jetzt wollte ich nur noch nach Hause und mich an ein paar Chemikalien abreagieren. Ich ging am Schulparkplatz vorbei in Richtung meiner Haltestelle. Dort setzte ich mich unter die Überdachung. Noch eine Viertelstunde, bis der nächste Bus kam. Na toll.Doch so lange hatte ich gar nicht mehr zu warten. Denn nach einigen Minuten fuhr auf einmal ein kleiner, altersschwacher roter Opel Kadett von der Straße in die Haltestelleneinbuchtung. Und hinter der Windschutzscheibe entdeckte ich Augen, blaue Augen, blau wie der Himmel.Dorian.







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