Blau wie der Himmel Teil 5

Autor: Sixteen
veröffentlicht am: 28.12.2008




4 - Schokoladenpudding?!

Langsam fuhr der Bus nach der Ampel an. Gähnend lehnte ich mich gegen das Fenster und schaute auf die nasse Fahrbahn. Es nieselte nur leicht, und trotzdem hatten einige Menschen auf den Gehwegen schon ihre Regenschirme aufgespannt, bunte Kleckse im grau der Stadt. Ich mochte dieses Bild, wie alles an mir vorüber flog, während ich im Bus saß und vor mich hin döste.
Es war eine interessante Stunde gewesen, die wir beim Philosophiekurs zusammen gesessen hatten. Im Prinzip hatte erstmal niemand etwas gesagt, außer Till. Er hatte uns einen Plan mit den Themen der nächsten Wochen gegeben, und dann versucht, irgendwie mit uns ins Gespräch zu kommen, doch niemand hatte so recht gewusst, was er sagen sollte. Ich hatte nach meiner beschissenen Vorstellung sowieso erstmal nichts mehr gesagt. Dann konnte wenigstens nichts schief gehen.
Jetzt sollten wir uns bis zur nächsten Stunde überlegen, was für uns im Leben wichtig war. Wir würden uns am Donnerstag wieder treffen. Bis dahin hatten wir den Auftrag, immer, wenn wir etwas als besonders wichtig empfanden, Zettel und Stift zu zücken. Ich war mir zwar noch nicht sicher, was dabei herauskam, aber ich wollte es zumindest versuchen.Die Ruhe beim Bus fahren.
Die war zumindest für mich sehr wichtig. Wenn nach der sechsten Stunde der Bus fast platzte von dicht gedrängten Körpern, war es grauenvoll, umso wichtiger war so herrliche Stille wie jetzt, kurz vor halb fünf.
Schnell kramte ich einen Zettel aus meinem Ranzen und notierte es. Das würde zwar für die anderen total komisch klingen, aber egal. Sie waren, so wie ich es mitbekommen hatte, eh fast alle Autofahrer, die immer alleine fuhren, die Musik hören konnten, die sie wollten, und bei einer Vollbremsung nicht auf den Schoß eines ekeligen Typs fielen. Wenn ich so darüber nachdachte, schien Autofahren im allgemeinen wirklich angenehmer zu sein.
Allerdings fuhr man dort auch immer alleine. Zwar waren Silvan und Jens, der Kerl mit dem Bücherkomplex, eben zusammen weggefahren, aber Miss Bürofrau, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, und Till zum Beispiel fuhren alleine.
Auch Dorian war alleine gefahren in seinem roten Opel Kadett, der gewirkt hatte, als würde er jeden Moment auseinander fallen. Ich musste grinsen bei dem Gedanken. Der zerbeulte Kadett stand in so einem starken Kontrast zu Dorian, dass es schon fast wieder zu einer gewissen Zusammengehörigkeit führte.
Wenn Nina wüsste, dass ich ihn wieder getroffen hatte... sie würde sterben vor neid. Ich grinste noch breiter.
Der Bus hielt an einer Haltestelle. Ein Pärchen stieg ein. Sie ging vor und zog ihn an der Hand hinterher. Er lächelte, als sie sich in eine Sitzbank setzten, woraufhin sie ihm durch die Haare fuhr und einen Kuss auf die Lippen drückte, was ihn noch mehr zum strahlen brachte.Ich sah, wie eine alte Dame vor mir die beiden beäugte. Ein wenig Wehmut lag in ihrem Blick, gerade soviel, dass der Aufmerksame Beobachter es merken konnte.
Was war wohl ihre Geschichte? Vielleicht war sie selbst unglücklich verheiratet, oder sie hatte ihre große Liebe vor vielen Jahren an Tod und krieg verloren. Gedankenverloren strich sie sich den Rock glatt, wandte dann jedoch den Blick aus dem Fenster, zurück in die Realität.Ich folgte ihrem Beispiel, sah nach draußen, wo wir nun langsam aus der Stadt herausfuhren und durch einige Wohnsiedlungen kamen. Viele Reihen- und Mehrfamilienhäuser standen gedrängt in den Straßen. Ich wohnte zum Glück etwas außerhalb, wo es mehr Platz gab, und man nicht dem Nächstbesten in die Wohnung guckte, wenn man aus dem Fenster sah.Zwei Männer stritten sich über einen Gartenzaun, während ihre Kinder mit dem Dreirad zusammen über den Bürgersteig fuhren.
Einige Häuser weiter blickte eine Frau von ihrem Balkon aus misstrauisch in den Himmel, aus dem es zwar nicht mehr regnete, der aber immer noch grau war. Einen Moment überlegte sie, dann hängte sie entschlossen ihre Wäsche auf.
Es war schon interessant, was man auf einer Busfahrt alles sah und mitbekam. Manchmal fragte ich mich, ob die anderen mich auch so aufmerksam beobachteten, oder ob ich ihnen gänzlich unbekannt war, auch wenn ich einiges von ihrem Leben sah.
Meist konnte ich die Menschen nicht leiden, die ich sah.
Und manche faszinierten mich.
Menschen wie Dorian.
Warum kam ich jetzt auf Dorian? Ich hatte ihn heute zum ersten Mal gesehen, und trotzdem... faszinierte er mich. Warum? Er sah doch einfach nur gut aus.
Nein, schoss es mir fast im selben Moment durch den Kopf. Er sah nicht einfach gut aus. Dorian hatte irgendwas an sich, irgendeine Ausstrahlung, die mich heute Mittag völlig in ihren Bann gezogen hatte. Die mich immer noch in ihren Bann zog. Er schien so... total normal und gleichzeitig unglaublich besonders. Was genau es war, konnte ich nicht sagen. Aber irgendwie schien der Raum um ihn herum heller zu werden. Als würde er...
Meine Güte, hörte ich mich bescheuert an.
Resigniert achtete ich wieder auf meine Umgebung, wo wir durch ein kleines Waldstück fuhren. Es war nicht mehr weit bis zu meiner Haltestelle. Hier finge es wieder doller an zu regnen und auch der Himmel verdunkelte sich merklich. Wir fuhren um eine Kurve und die Haltestelle kam in Sicht. Damit er draußen nicht nass wurde, packte ich meinen Block zurück in den Ranzen. Vorher fiel mein Blick jedoch auf die offene Seite. Ohne es zu merken hatte ich während der Fahrt meine Liste vervollständigt.

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Ruhe beim Bus fahren
Liebe
Zusammenhalt
Platz
Freiheit
Schokoladenpudding
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Schokoladenpudding.
Dorian.
Scheiße.







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