Blau wie der Himmel Teil 2

Autor: Sixteen
veröffentlicht am: 13.09.2008




1 - Elterliche Fürsorge -

Vorsichtig füllte ich die Schwefelsäure in ein Reagenzglas. Dann Kontrollierte ich noch einmal die Wassertemperatur. Genau 22,7°C. Das sollte funktionieren.
Langsam ließ ich die Schwefelsäure in das Wasser fließen, und beobachtete, wie das Quecksilber des Thermometers trotz regelmäßigem Umrührens in einem Rasanten Tempo anstieg.
Ich rückte meine Schutzbrille zurecht, stellte das Reagenzglas ab und suchte mit einer Hand meine Schubladen ab, während ich mit der anderen immer noch mit dem Thermometer in meiner verdünnten Schwefelsäure herumrührte.
'Scheiße, wo ist den jetzt das Magnesium, das war doch gestern noch da...'
Entnervt ließ ich das Thermometer los, kniete mich vor meinen Schreibtisch und durchwühlte nun mit beiden Händen eine chaotische Schublade nach der anderen. Gerade, als ich glaubte, den richtigen Behälter gefunden zu haben, fiel mein Blick auf das Thermometer. Hastig sprang ich auf, riss mein Fenster auf, und stellte den, nun schon verdammt warmen, Behälter zum Abkühlen auf die Fensterbank.
'Na Viola, schon wieder was schief gegangen?', ertönte die Stimme meines kleinen Bruders Mick hinter mir. Wobei man klein nicht sagen konnte, er war trotz der zwei Jahre Altersunterschied über einen Kopf größer.
'Halt bloß die Klappe, Kurzer', knurrte ich ohne mich umzudrehen. 'Ich ha alles im Griff.''Ja', spottete Mick. 'Noch.'
'Stimmt, noch.' Genervt drehte ich mich zu ihm um. 'So ein bisschen Schwefelsäure kann auch ganz schnell mal in deiner Cola landen.' Ich grinste. 'Unfälle passieren nun mal.'
'Schon klar', murrte er zurück. 'Ich soll dich nur zum Essen rufen.'
'Sagt wer?' Den Kochkünsten eines gewissen Familienmitglieds traute ich nicht so ganz über den Weg.
'Sagt Papa.' Mick grinste.
'Alles klar. Ich komme gleich.'

Als ich in die Küche trat, kam mir der Geruch der Lasagne auf dem Tisch schon entgegen, bevor ich sie sah.
'Danke, Papa!!', seufzte ich, als ich mich zu den anderen dreien an den Tisch setzte. 'Ich brauchte mal wieder was richtiges zu Essen!' Genüsslich spießte ich meine Gabel in die Nudeln.
'Na vielen Dank', kam es leicht verärgert von meiner Mutter. 'Das hört man gerne.'
'Schorry, Mama!', entschuldigte ich mich mit vollem Mund. 'Aber Papas Eschen schmeckt einfach bescher!'
'Stimmt', kam von Mick. 'Oder besser gesagt: Sein Essen ist wenigstens Essbar.' Er grinste.'Wie gefühlvoll ihr doch heute wieder seid', warf mein Vater ein und tätschelte meiner Mutter den Arm.
'Ach was, lacht nur', murmelte sie niedergeschlagen. 'Ihr habt doch Recht. Was ich koche ist entweder giftig, verbrannt oder zu flüssig, um es auf den Teller zu füllen. Das ist ganz schön deprimierend.' Sie ließ den Blick durch die Küche wandern und blieb an dem Volkshochschulkatalog auf der Anrichte hängen. 'Vielleicht sollte ich es einfach ganz sein lassen. Vielleicht sollte ich mir einfach was anderes suchen. Die bieten bei der
Volkshochschule doch so schöne Kurse an. Fotografie, Acrylmalerei, Bodypainting...''WAS?' Mein Vater war kurz davor, seine Lasagne über den Tisch zu spucken. 'Also nein. Nur über meine Leiche. Bevor du deinen nackten Körper anmalen lässt, solltest du vielleicht... vielleicht...'
'Vielleicht solltest du einfach einen Kochkurs machen. So schwer kann's ja nicht sein, eine Pizza zu machen, bei der man die Ananas nicht in den Teig knetet.' Unschuldig füllte Mick sich einen weiteren Teller Lasagne auf.
Manchmal war ich echt der Ansicht, dass meine Familie filmreif war. Manche Dialoge kamen mir vor, als hätte man sie direkt aus einer Sitcom entnommen. Die anderen wollten davon jedoch nichts wissen. Mick hatte, als ich ihm einmal aufgezählt hatte, dass wir mit einem nervigen Winzling, einer haushaltsunfähigen Mutter und einem harmoniebedürftigen Vater bestens in eine Sitcom passen würden, bloß entgegnet, dass ich als verrückte Pyromanin und Chemielaborantin aus Leidenschaft ja wohl das größte Übel sei. Verrückte Pyromanin, pah. Der Kurze hatte doch keine Ahnung. Hin und wieder ein Unfall, was machte das schon. So was passierte.
'Nein, ich werde keinen Kochkurs machen!' Meine Mutter wurde hysterisch. 'Ich hab einfach kein Talent dafür. Basta.' Sie schaute in meine Richtung. 'Aber für dich hab ich was gefunden, Viola.' Sie stand auf und holte mir den Katalog. 'Ich glaub es war irgendwo um Seite 70 oder so...' Schnell blätterte sie sich durch die Seiten. 'Hier, schau mal. Das ist es.'Mit einer hochgezogenen Augenbraue nahm ich das Buch entgegen. 'Mal sehen, was du ausgegraben hast.' Leicht argwöhnisch fing ich an zu lesen. Ich kannte die Ideen meiner Mutter. Und ich wurde nicht enttäuscht.
'Mama! Soll das ne Anspielung sein? Sicherer Umgang mit Chemikalien?'
'Na ja, ich dachte...', stotterte meine Mutter.
'Also echt.' Ich stöhnte auf. 'Ich weiß, was ich tue. Noch sind alle Finger dran.' Ich wollte das Buch gerade energisch zuschlagen, als mein Blick auf die nächste Seite fiel.

PHILOSOPHIE FÜR DEN ALLTAG
Sie wollten immer schon mal herausfinden, worin ihr Sinn des Lebens liegt? Sie fragen sich, was das ganze Leben eigentlich soll? Sie fragen sich, ob es gut und böse gibt und wo die Grenze dazwischen ist? Dann sind sie hier richtig. Melden sie sich an.

Sorgfältig knickte ich die Seitenecke um.
'Das daneben ist gut.' Ich legte meiner Mutter das Buch hin. 'Meldest du mich an?'







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