Blau wie der Himmel Teil 7

Autor: Sixteen
veröffentlicht am: 04.01.2009




6 - Fahrt ins Blaue -

Dorian beugte sich über den Beifahrersitz und stieß die Tür auf.
'Soll ich dich mitnehmen?', fragte er. 'Dann brauchst du nicht auf den Bus warten.' Er lächelte.
Atemstillstand. Warum sah er so gut aus?
'Und? Was ist?', fragte er erneut, als ich nach einigen Sekunden immer noch nichts gesagt hatte.
'Äh...' Weiteratmen. 'Das ist doch bestimmt ein Umweg. Ich wohne ziemlich außerhalb.'Hallo? Warum lehnte ich ab? Ich Idiot!
'Kein Problem.' Er grinste. 'Ich auch. Komm, steig ein. Es wird kalt.'
Diesmal schaltete ich schneller, stand auf, und ließ mich auf seinen Beifahrersitz fallen. Meinen Ranzen stellte ich an meine Füße, dann zog ich die Tür zu. Das erste, was mir in diesem Moment bewusst wurde, war der Geruch. Mörderisch gut. Süßlich, aber nicht schwer und künstlich wie bei einem Parfüm. Konnte ein Mensch so gut riechen?
'Erstmal hallo', kam von Dorian, als er wieder auf die Straße fuhr.
'Hi', entgegnete ich schüchtern und schaute zu ihm herüber. Er trug ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren, und eine dunkelblaue Jeans, die seine Beine... viel zu gut aussehen ließ.
Schnell schaute ich wieder auf die Straße.
'Ähm... wie kommt es, dass du hier lang gekommen bist?', fragte ich, um nicht einfach schweigend dazusitzen. Sehr geistreich.
'Ich komme gerade von der Uni', antwortete er und schaute kurz zu mir. 'Und du hattest bis eben Schule?'
'Ja... also, sozusagen...' Irgendwie war es mir gerade verdammt peinlich. 'Na ja, ich musste nachsitzen, um ehrlich zu sein. Weil ich nicht ganz so viel für die Inflation übrig habe, wie ich vielleicht sollte.'
Etwas kleinlaut schaute ich zu ihm herüber, immerhin war er Geschichtsstudent. Außerdem hatte man ja im Allgemeinen von Leuten, die nachsitzen mussten, nicht den allerbesten Eindruck.
'Ach so', war aber das einzige, was er sagte. 'Deswegen die schlechte Laune eben. Verständlich.'
Woher wusste er das? Ich hatte doch, sobald ich ihn gesehen hatte, auf Wolke sieben geschwebt.
Wieder schaute er kurz zu mir herüber.
'Inflation ist auch nicht so spannend. Ich interessiere mich eher für Hexenverbrennung.'Unwillkürlich musste ich grinsen und schaute zu ihm.'Also, ehrlich gesagt, ich finde Geschichte insgesamt langweilig. Was passiert ist, kann man nun mal nicht mehr ändern. Und es lernt auch niemand daraus.'
Er lachte. 'Na ja, zumindest würde dich heutzutage keiner mehr verbrennen, trotz des leichten Rotstichs deiner Haare. Das solltest du vielleicht als kleinen Fortschritt sehen.'
'Als ob. Bevor irgendwer mich auf einen Scheiterhaufen geworfen hätte, hätte ich schon eine Chemikalie gefunden, die dafür sorgt, dass ich unverwundbar bin. Oder zumindest unbrennbar.'
Ich sollte nicht so bescheuertes Zeug reden. Sonst müsste ich mir wohl eher eine Chemikalie suchen, die mich im Erdboden versinken lässt, wenn er mich als bescheuert abstempelt.'Also willst du mal Chemielaborantin werden?', fragte er, ernsthaft, ohne mit der Wimper zu zucken.
'Ja, das wär schon nicht schlecht...' Ich kuschelte mich etwas tiefer in den Sitz. Hoffentlich hatten meine Klamotten bis zum Ende der Fahrt auch nur etwas von Dorians Geruch in sich aufgenommen. 'Aber ich weiß es noch nicht so genau. Mal sehn. Ein bisschen Zeit hab ich ja noch.'
'Das stimmt allerdings.'
Er lachte mich nicht aus? Ernsthaft? Oh Wunder.
'Und du?', fragte ich nun auch. 'Geschichtsprofessor an der Uni?'
Oder Nacktmodel? Wäre doch auch was...
'Nein.' Er griff am Lenkrad um, um in die Kurve lenken zu können. Göttliche Hände. 'Wenn ich Professor werden würde, dann in Literatur. Aber ich möchte irgendetwas machen, bei dem ich Menschen helfen kann. Bei einer Hilfsorganisation, oder in der Drogenberatung vielleicht. Oder...' Er schmunzelte und guckte wieder kurz herüber, als wollte er sich vergewissern, dass ich noch neben ihm saß. '...so ein Robin-Hood-Job würde mir auch gefallen. Ein leider fast ausgestorbener Berufszweig.'
'Fast?'
Er sagte nichts und guckte nur nach vorne. Doch plötzlich fuhr er erschrocken hoch.'Wo wohnst du jetzt eigentlich genau? Nicht, dass ich in die völlig falsche Richtung fahre.'Es war das erste Mal, dass seine Stimme nicht völlig ruhig und gelassen klang. Aber das gefiel mir.
'Keine Sorge.' Ich grinste. 'Die Richtung passt, sonst hätte ich schon was gesagt. Du musst bei der Volkshochschule vorbei, aus der Stadt raus. Nach kurzer Zeit sieht man dann diesen großen Hof auf der rechten Seite, kennst du den? Die haben ein ziemlich großes Kürbisbeet und es steht fast immer dieser rote Jeep davor.'
'Ein roter Jeep?', brummte er und schmunzelte. 'Ja... ich glaub, den kenn ich.'
'Gut', fuhr ich fort. 'An dem musst du auch noch vorbeifahren, durch das kurze Waldstück, das dann kommt, und dann bist du schon in der Gegend, in der ich wohne. Ist das in etwa deine Richtung?'
'Ja, ist es', erwiderte er und drückte vor der Ampel mit seinem Fuß die Bremse durch.Nein, Viola, lass deine Hand, wo sie ist.
Auf die Straße gucken.
Das war echt ein ziemlicher innerer Kampf, umso erstaunlicher, dass ich es fertig brachte, halbwegs normal mit ihm zu reden. Überhaupt, wir kannten uns erst seit einem Tag, das konnte man nicht mal wirklich als kennen bezeichnen. Irgendwie war die ganze Situation doch etwas komisch. Warum hatte er einfach mal angehalten, um ein Mädchen nach Hause zu bringen, dass er kaum kannte?
Völlig egal, sagte eine andere Stimme in meinem Kopf, Hauptsache, du sitzt jetzt gerade neben ihm im Auto.
'Was ist los?', fragte Dorian plötzlich, und guckte wider kurz rüber.
Ziemlich aufmerksam.
'Ach, nichts weiter', murmelte ich.
'Na dann. Du schienst nur so in Gedanken versunken.'
'Ach, ich...', druckste ich herum. 'Ach, egal...'
Einfallsreich, total einfallsreich.
'Ach so.' Er lächelte.
Und damit war das Gespräch erstmal beendet. Dorian schien das nicht wirklich zu stören. Ich überlegte mir tausende Möglichkeiten, wie ich das Gespräch wieder aufnehmen könnte, aber ich sagte keine davon. Stattdessen ermahnte ich mich fortwährend, auf die Straße, und nicht zu Dorian zu gucken. Was mir allerdings nicht wirklich gelang.
Nach etwa einer Viertelstunde fuhren wir in das Waldstück hinein. Die Bäume, die um die Straße herum wuchsen, schluckten merklich viel Licht. Wieder hatte ich plötzlich das Gefühl, von Dorian würde eine Art Helligkeit ausgehen. Doch als ich kurz rüberschaute, schien alles normal.
Weitere fünf Minuten später fuhr Dorian den klapprigen Kadett auf den Hof vor unserem Haus.
Nach einem kurzen Blick auf das Gebäude meinte er: 'Ganz schön groß.'
'Findest du?', entgegnete ich. 'Na ja, wir wohnen auch nur in der ersten Etage.'
'Ach so.'
Ich öffnete die Tür, nahm meinen Ranzen und stieg aus. 'Danke fürs Mitnehmen!'
'Kein Problem.' Und wieder lächelte er. 'Bis Donnerstag.'
Ich schloss die Tür, winkte ihm noch kurz einmal und ging zur Haustür. Nachdem ich kurz nach meinem Schlüssel kramte und die Haustür aufschloss, lief ich die Treppe hoch, riss die Wohnungstür auf und rief gut gelaunt: 'Einen wunderschönen guten Tag, Leute! Ist es heute nicht herrlich?'
Die verdutzten Blicke meiner Familienmitglieder ignorierte ich und verzog mich summend in mein Zimmer.







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