Black Tiger Teil 11

Autor: Any
veröffentlicht am: 03.03.2008




'Wie geht es dir?', wollte Silver wissen, als Jessie aufgewacht und halbwegs ansprechbar war. Wie ging es ihr? Schlecht.
Die ganze Nacht hatte sie sich umher gewälzt und versucht, nicht an das Geschehne zu denken. Wie spät es wohl war? Raven hatte gesagt, dass er sie vor Morgengrauen holen wollte.
'Jessie?' Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie Silver noch keine Antwort gegeben hatte.
'Wenn ich ehrlich bin: Nicht gut.'
'Ich habe es gemerkt. Du hast die ganze Nacht kaum geschlafen.'
'Woher-…?'
'Deine Augenringe… Und wir Tiere haben einen sehr leichten Schlaf.'
'Heißt das, dass ich dich aufgeweckt habe?'
'Ein paar Mal.'
'Das tut mir Leid.', betroffen sah sie den kleinen Vogel an.
'Braucht dir nicht Leid zu tun.'
'Öhm… Weißt du ungefähr was für eine Tageszeit wir gerade haben?'
'Es ist noch nicht Morgen… Aber Raven dürfte gleich kommen.' Jessie war gespannt, was sie erwarten würde. Heute sollte doch das Training beginnen.
'Ich werde mich mal waschen gehen.'
'Ist gut.', und schon verschwand Jessie in Richtung Bad.
Als sie zurückkam saß Raven schon vor ihrer Zimmertür.
'Wartest du schon lange?' Er sah auf und schüttelte den Kopf. Irgendwie sah er fertig aus. 'Geht es dir gut?', wollte sie von ihm wissen. Wieder ein Kopfschütteln. 'Was ist mit dir? Kannst du nicht mehr reden?' Er blinzelte und sie sah ihn belustigt an.
Langsam erhob er sich und deutete ihr ihm zu folgen. 'Jetzt sag doch mal was! Außerdem musst du noch kurz warten. Silver ist noch im Zimmer.' Sie legte ihre Hand auf die Türklinke. 'Muss der Vogel unbedingt mit?'
'Du sprichst ja doch noch!' Raven zuckte mit den Schultern. Er war komisch heute. Jessie öffnete die Tür und sah in den kleinen Raum. Sie musste lächeln.
Silver hatte sich wieder auf das Bett gelegt und schlief nun seelenruhig in seinem Nestchen. Wie süß er doch aussah…
'Was ist denn jetzt?', ungeduldig zerrte Raven an ihrer Hand.
'Irgendwie benimmst du dich heute komisch! Was ist denn nur mit dir los?' Sie entzog ihm ihre Hand.
'Wir haben einen engen Zeitplan. Was ist jetzt mit dem Vogel?'
'Er schläft… Gehen wir.'
'Na endlich.' Er ging vor und sie folgte ihm. Sie war zwar nur einmal in der Halle gewesen, aber sie erinnerte sich noch genau an den Weg dorthin, auch wie es in der Halle aussah.Sie traten durch das große Holztor das unterirdische Grün. Es roch so gut, so frisch hier unten. In der Mitte des Raumes blieben sie stehen. Fragend Jessie zu Raven. 'Was jetzt?''Ich… muss dich trainieren.' Ungläubig starrte sie ihn an. Als ob sie das nicht wüsste! Immerhin hatte man es ihr schon oft genug gesagt. Was sollte diese Aussage? 'Was ist denn bitte mit dir los? Du benimmst dich sehr merkwürdig.'
'Tue ich das?'
'Ja!' Wieder zuckte er mit den Schultern. 'Ich denke, dass es am besten wäre, wenn wir mit dem Verarzten von Wunden anfangen. Ich werde dir zeigen, welche Pflanzen man wofür verwendet, was giftig ist und was nicht.'
Teilnahmslos führte er sie die nächste halbe Stunde durch die Halle, zeigte ihr Pflanzen, erklärte knapp wofür sie gut waren und sah immer wieder nervös zum Holztor. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm… Aber was? Jessie zermaterte ihr Gehirn, was in ihm vorging. Sie hätte es so gern gewusst.
Dadurch bekam sie aber nur die Hälfte, wenn nicht weniger, von dem mit, was Raven ihr sagte.
Er hielt ihr eine Pflanze, an der sie schon einmal vorbeigegangen waren, vor die Augen. 'Jetzt du! Wie verwendest du sie und was bewirkt sie?'
Völlig perplex starrte sie ihn an. 'Was ist?'
'Sag mal träumst du? Ich habe gesagt, dass du mir sagen sollst, wie du diese Pflanze einsetzen würdest und wofür du sie brauchst.'
'Ich… Ich weiß nicht.' Sie hatte absolut keine Ahnung. Auch wenn sie sich stark darauf konzentrierte, irgendetwas aus ihrem Gedächtnis über diese Pflanze herauszuquetschen, da war nichts.
Missmutig schüttelte Raven den Kopf. 'Hast du mir die letzte halbe Stunde überhaupt zugehört?'
'Nicht wirklich.', gab sie zu. Er seufzte und schaute sie mitleidig an. 'Ich weiß, dass das nicht gerade das Spannendste auf der Welt ist, aber bitte versuch wenigstens, dich zu konzentrieren.'
'Das… ist es nicht. Also das mit dem nicht spannend finden.'
'Was dann?', fragend blickte er sie an. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Sie entschloss sich, es zu tun. 'Ich habe mich gefragt, was mit dir los ist. Du bist irgendwie… anders. Nicht richtig da.'
'Ich stehe doch aber vor dir, wie kann ich da nicht hier sein?' Spöttisch lächelte er. Für ihn war das nur ein Spaß.
'Du weißt, dass ich es nicht so meine!'
'Tu ich das?'
'Bitte! Stell dich nicht absichtlich blöd!'
'Mach ich doch gar nicht!', sagte er gespielt empört.
'Raven, bitte!', sie seufzte. 'Ich habe im Moment keinen Nerv für deine Spielchen.'
'Ich spiele nicht.'
Wut loderte kurz in Jessie auf, aber sie hielt sie zurück und sah ihm direkt in die schwarzen Augen. 'Worüber haben sich River und du gestern noch unterhalten? Und was ist wirklich passiert? Wie hast du den DarkSoul beruhigen können?' Das Grüngelb in ihren Augen schien ihn zu durchbohren. Schnell wandte er seinen Blick ab. 'Nichts… Wir haben nichts mehr geredet… Und wie ich das mit dem DarkSoul geschafft habe, habe ich dir bereits erzählt.' Sie wusste, ohne ihm in die Augen sehen zu müssen, dass er log. Aber sie würde ihn jetzt nicht noch einmal danach fragen. Später vielleicht, aber nicht jetzt.
'Ich werde dir jetzt alles noch mal von Anfang an erklären, aber diesmal hör bitte zu. Wir haben noch nicht einmal die Hälfte der wichtigsten Pflanzen hinter uns und schon passt du nicht mehr auf.' Und wieder führte er sie quer durch die Halle, zeigte ihr all die Pflanzen noch mal. Diesmal passte sie auf und als er sie später fragte, welche Pflanze für was zu verwenden war, konnte sie ihm immer eine Antwort geben.
'Warum nicht gleich so?', erfreut klopfte er ihr auf die Schulter.
'Leck mich doch…', murmelte sie. Auch wenn sie es nicht anmerken ließ, der wenige Schlaf zeigte seine Wirkung. Sie war schlecht gelaunt.
'Hm?', Raven hatte ihre Worte wohl nicht gehört, was wahrscheinlich auch gut so war.'Ach nichts. Ich habe nur laut gedacht.'
'OK. Kann´s weiter gehen? Wir haben noch einiges vor uns.' Er setzte sich wieder in Bewegung und Jessie seufzte, aber trottete ihm ergiebig hinterher und hörte sich weiterhin den restlichen Tag irgendetwas über irgendwelche Pflanzen an.

Müde ließ Jessica sich auf ihr Bett sinken. Es musste spät in der Nacht sein.
'Na? Was habt ihr gemacht?' Silver saß, unangenehm fit, auf dem Schrank und starrte auf sie herunter. Raven hatte sie den ganzen Tag mit diesen Pflanzen gequält, danach war er einfach verschwunden und sie musste alleine in ihr Zimmer zurückgehen.
'Wir haben uns über Pflanzen unterhalten.'
'Mehr nicht?'
'Mehr nicht.' Fast schon enttäuscht flog der Vogel vom Schrank herab und setzte sich neben sie aufs Bett.
'Irgendwie hätte ich gedacht,… dass er dir irgendwelche tollen Kampftricks beibringt.'
'Hat er aber nicht.' Sie war wütend aus irgendeinem Grund und so müde. So unendlich müde.Auch, wenn sie nur Pflanzen besprochen hatten. Der wenige Schlaf tat den Rest.'Ich glaub, ich geh jetzt schlafen.'
'Was? Jetzt schon? Aber ich bin überhaupt nicht müde!', protestierte Silver.
'Ja, du! Aber ich schon!' Sie legte sich einfach hin und ignorierte das Gezwitscher des kleinen Vogels. 'Jessie! Das kannst du doch nicht machen! Mir ist langweilig und du warst sowieso den ganzen Tag weg!'
Jessies Antwort war ein Schnarchen.
'Hey! Das ist gemein! Ich glaub dir nicht, dass du schläfst!' Er zwickte sie ins Ohr.
'Silver! Lass das! Ich bin wirklich müde!' Wütend starrte sie ihn an.
'Ist mir egal! Lass uns irgendwas machen!'
'Also, weißt du was?'
'Nein, was?'
'Scher dich doch zur Hölle! Du bist mir nur eine Last und ich habe keine Lust mehr! Geh einfach wieder in den Amazonas zurück und lass mich in Ruhe!', im selben Moment, in dem sie die Worte aussprach, taten sie ihr auch schon wieder leid. Verletzt schaute der Vogel sie an, sprang vom Bett und flog zur Tür.
'Mach die Tür auf!', sagte er leise.
'Nein! Silver! Es tut mir leid! So habe ich das nicht gemeint!'
'Ach ja? Wie dann?'
'Ich bin nur so müde und wenn ich müde bin, dann werde ich sehr leicht wütend!'
'Du hast mich verletzt. Sehr sogar!'
'Ich weiß! Und es tut mir wirklich leid! Bitte verzeih mir!'
Misstrauisch sah der Kleine sie an. 'Und du meinst das wirklich ernst?'
'Ja!'
Seine Augen begannen zu leuchten und er setzte vom Boden ab und kam wieder zu ihr zurück geflogen. Er legte den Kopf schief und sah sie mit seinen kleinen Äuglein an. 'Ich denke, ich lasse dich doch schlafen.'
'Danke! Sehr nett von dir.', murmelte sie und lächelte ihn an. Sie schloss die Augen und das angenehme Gefühl des Schlafs umhüllte sie.

Mit einem Ruck setzte sie sich in ihrem Bett auf. Ihr Atem ging schnell und Schweiß ran ihre Stirn hinab. Sie hatte wieder von Martin geträumt. Diesmal war er aber der DarkSoul. Sie hatte gesehen, wie er sich verwandelt hatte, wie er seine Krallen in die Leiber der Männer gegraben hatte und sie mit seinen rot leuchtenden Augen anstarrte, dann hatte er den Mund geöffnet und gesagt: 'Sie sterben, um dich zu beschützen! Du bist schuld an ihrem Tod!'Das war das Letzte, was Jessie in ihrem Traum gesehen hatte. Silver schlief noch, also musste es noch ziemlich spät sein. Ihr Zimmer war dunkel und immer wieder bildete sie sich ein die bösen Augen des DarkSoul zu sehen. Sie versuchte krampfhaft an etwas anderes zu denken. Immer wieder ging sie die Pflanzen und ihre Wirkung durch, rief sich die Erklärungen Ravens ins Gedächtnis, aber es nutzte nichts. Panische Angst machte sich in ihr breit.
Jessica! Beruhig dich! Denk an etwas anderes! Es wird nichts mehr passieren…
Zumindest hoffte sie das.
'Ist es wieder passiert?', fragte er kleinlaut, als River zu ihm ins Zimmer kam.
'…Ja.', antwortete dieser nach einer Weile. Er wusste, dass ihn das sehr traf, er sah die Betroffenheit in seinen Augen, aber er musste die Wahrheit sagen, sonst würde er nie das Ausmaß seiner schwarzen Seele verstehen.
'Es tut mir leid! Ich habe wirklich versucht mich zurück zu halten, aber der DarkSoul… ist einfach zu stark für mich!'
'Das darfst du nicht denken! Du bist stark genug! Du hast außergewöhnliche Kräfte, du musst nur herausfinden, wie du sie nutzen kannst, um andere zu beschützen!'
'Wie… Wie viele waren es diesmal?', er sah zu Boden. Letztes Mal war die Zahl der Männer, die er getötet hatte schon gewaltig gewesen und von Mal zu Mal wurde es schlimmer.
'…30-40.', sagte River nach einem kurzen Zögern.
Geschockt sah der Junge ihn an. Das war fast doppelt so viel wie das letzte Mal.
'Hat er Jes-… ich meine die Tochterschlange bekommen?'
River sah ihn durch dringlich an. Er wusste mehr, als er zugeben wollte. 'Nein.'
'…Gut… Das ist gut…'

'Du bist ja schon wach.', sagte Raven überrascht, als er in Jessies Zimmer kam.
'…Ja, ich konnte nicht mehr schlafen.' Fragend sah er Jessica an. 'Wieso?'
'Ich habe schlecht geträumt…'
'Wovon hast du geträumt?'
'Nicht wichtig.'
Raven sah, dass Jessie nicht über das Thema reden wollte, zumindest nicht mit ihm. 'Dann lass uns gehen.' Er machte eine Geste, ihm zu folgen.
'Wohin?'
'Stell dich nicht dumm! In die Halle natürlich, um zu trainieren.' Jessie seufzte.
Wahrscheinlich würden sie wieder stundenlang über irgendwelche Pflanzen reden. Wie langweilig! Viel lieber würde sie wissen, wie er es geschafft hatte den DarkSoul zu besiegen. Aber sie hob sich ihre Frage für später auf. Die Zeit sie zu stellen war noch nicht gekommen.'Muss ich mir wieder etwas über irgendwelche blöde Pflanzen anhören?' Raven lächelte und ein warmes Gefühl umschloss ihren Körper.
'Nein. Heute beginnt das eigentliche Training. Du wirst Kampftechniken erlernen und auch, wie man mit Waffen umgeht.' Sie sah ihn ratlos an.
'Waffen? Meinst du Pistolen und so ein Zeug?' Er nickte. Heftig schüttelte Jessie den Kopf. Verlangte er etwa, dass sie auf Tiere oder Menschen schoss? Das würde sie nie machen! Sie hasste Gewalt! Allein, dass sie Kampftechniken lernen würde, war schon zu viel. 'Das mach ich nicht! Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen!' Verwirrt sah Raven sie an. 'Wie willst du dich dann wehren?'
'Gar nicht! Ich wende keine Gewalt an!'
'Aber ohne Gewalt wirst du nicht überleben!'
'Woher willst du das wissen?' Er hob hilflos die Arme in die Höhe. 'Ich weiß es eben! Denkst du, dass, wenn du einem Gorilla oder so begegnest, dass er dich verschonen wird?' Kurz überlegte Jessie, dann schüttelte sie abermals den Kopf. 'Aber ich kann ihn auch nicht erschießen!'
'Lieber Gott, hilf mir diesem dummen Mädchen klar zu machen, dass das notwendig ist!' Gespielt flehend faltete Raven seine Hände und starrte die Decke an. 'Aber ich will keine Tiere umbringen müssen!'
'Du musst sie ja auch nicht umbringen, sondern sie betäuben damit du Zeit hast zu fliehen!'
'Was ist los?', verschlafen sah Silver sich in dem kleinen Raum um.
'Nichts. Er will, dass ich arme Tiere erschieße!', Jessie deutete auf Raven.
Geschockt sah der Tangar sie an. 'Das machst du doch aber nicht, oder?'
'Natürlich nicht!'
Raven konnte sich denken, worum es in dem Gespräch zwischen dem Vogel und ihr ging und meldete sich wieder zu Wort: 'Jess! Du tust den Tieren ja nicht weh! Sie schlafen doch nur eine Weile und wachen dann wieder auf!'
'Aber was, wenn in der Zeit in der sie schlafen andere Tiere kommen und sie auffressen?! So wehrlos wie sie zu dem Zeitpunkt sind!' Silver nickte zustimmend.
'Bitte! Wir haben keine Zeit für so etwas! Das ist albern!'
'Ach? Albern also, ja?'
'Ja!'
'Ich finde das nicht albern! Es geht hier wortwörtlich um Leben und Tod!'
'Ihnen wird nichts passieren! Und das Beste daran: Dir auch nicht! Aber nur, wenn du jetzt endlich zu diskutieren aufhörst und dich von mir trainieren lässt!'
'Mein Leben ist mir aber weniger wert, als das von armen unschuldigen Tieren!'
'Mir aber nicht!' Sie sah ihm in die Augen. Sein Blick war verzweifelt, aber auch liebevoll.'Ja, aber auch nur wegen dieser blöden Legende!' Betroffen, und auch leicht verletzt, schaute er in ihr Gesicht. 'Du weißt, dass das nicht stimmt, Jessica…'
Ihre Worte taten ihr nicht leid, aber sie spürte, dass er es ernst meinte. Raven machte sich Sorgen um sie.
'Also gut… Lass uns trainieren gehen! Aber wehe ich muss irgendetwas töten!' Drohend hob sie ihren Zeigefinger. 'Dann setzt´s was!' Erleichtert atmete Raven auf und führte sie zur Halle. Silver flog diesmal mit ihnen.
Als sie dort ankamen setzte sich der Vogel auf einen Baum und Raven und Jessie gingen wieder in die Mitte der Halle. Er drehte sich zu ihr und sah sie erwartungsvoll an. Unschlüssig stand sie da. 'Was ist jetzt?'
'Zeig mir mal, wie du dich bewegen kannst.'
'Hä?' Verständnislos blickte sie zu ihm.
'Öhm… OK… Ich sehe schon, dass das so nicht geht… Kannst du Räder machen?'
'Ja.' Um ihm zu zeigen, dass sie es wirklich konnte, schlug sie ein paar nacheinander.
'Gut… und wie ist das mit Handstand, Kopfstand und Saltos?'
'Nichts leichter als das.' Mit Bravur löste sie auch diese Aufgaben.
'Sehr schön.' Raven nickte anerkennend.
'Was heißt da bitte `Sehr schön´? Ich hab dir doch gesagt, dass ich Cheerleader war!'
'Ja und?'
'Wieso `Ja und?´?'
'Cheerleader tanzen und schreien doch nur blöd in der Gegend rum.' Aufgebracht schnappte Jessie nach Luft. Also war Raven genauso wie dieser Lukas! 'Du Arsch!' Verblüfft sah er sie an.
'Was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?'
'Du bist genauso ein Arsch wie Lukas!'
'Aha.', er zuckte mit den Schultern. 'Und warum?'
'Weil du denkst, dass Cheerleader blöd sind!'
'Das hab ich nie behauptet.'
'Aber gedacht!'
'Ach komm! Du hast doch selbst gesagt, dass ich nicht weiß, wie es an einer wirklichen Schule zugeht.' Verteidigte er sich.
'Ja, aber das ist noch lange kein Grund schlecht über Cheerleader zu sprechen!'
'Jetzt spiel dich doch nicht so auf!'
'Ich spiele mich auf?'
'Ja!'
Wütend stampfte sie auf. Sie war kurz davor ihm eine zu knallen. Wenn es um die Ehre der Cheerleader ging, kannte Jessie nichts. Cheeren war ihr Leben!
'Wer spielt sich hier auf!? Du bist doch derjenige, der immer ein Geheimnis aus allem und jeden macht!'
'Weil es notwendig ist!'
'Nein! Weil du einfach niemandem vertraust!'
'Was ist so schlimm daran?'
'Du willst doch, dass ich dir vertraue, aber ich kann dir nicht vertrauen, wenn du mir nicht vertraust!'
'Wer sagt, dass ich dir nicht vertraue?'
'Glaubst du, dass merke ich nicht?!' Sie sah ihm direkt in seine schwarzen Augen.
'Du hast doch keine Ahnung, was in mir vorgeht!' Er war aufgebracht. Sie verurteilte ihn und das gefiel ihm nicht.
'Dann zeig mir doch, was in dir vorgeht!'
'Nein!'
'Siehst du!' Er starrte zu Boden. Trauer zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab.'Wieso kannst du mir nicht endlich zeigen, wer du wirklich bist?', flüsterte Jessie leise.'Ich… kann es einfach nicht! Du würdest dich von mir abwenden und das will ich nicht.''Das Gespräch hatten wir doch schon mal, Raven.' Er sagte nichts mehr darauf.Wieso konnte er nicht einfach zeigen, wer er wirklich war? Das würde alles leichter machen und Jessie könnte ihm besser vertrauen. Aber wie soll man jemandem vertrauen, den man eigentlich gar nicht kennt?
Sie wusste, dass etwas Grausames ihn durchbohrte, aber wenn er mit niemandem darüber reden konnte, wie sollte man ihm helfen?
'Lass uns weitertrainieren.', sagte Jessie nach einer Weile. Es würde nichts bringen, wenn sie jetzt weiter mit ihm diskutierte.
Den restlichen Tag verbrachten sie mit Kampfübungen und Techniken.
'Du musst dich schon mehr konzentrieren, Jess!', sagte Raven müde, als sie wieder einmal nicht aufgepasst hatte, als er ihr etwas erklärte. Sie saß am Boden und hatte Silver beim Federkleidputzen zugeschaut.
'Ich kann einfach nicht!'
'Doch du kannst, nur du willst nicht!'
'Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich Gewalt nicht leiden kann, deswegen höre ich dir auch nicht gerne zu.'
'Aber du musst, verdammt noch mal!' Seine Geduld war fast am Ende.
'Schimpf nicht!'
Er seufzte. 'Ich habe langsam keinen Nerv mehr mit dir zu diskutieren!'
'Und ich habe keinen Nerv mehr mir weiter etwas über Wrestling oder sonst was anzuhören!''Jess! Bitte! Lass uns das zu Ende bringen und zwar so, dass ich mir sicher sein kann, dass du die Techniken, die ich versuche dir beizubringen, dann auch beherrscht!' Jessie sah, dass er kurz vorm Ausflippen war und rappelte sich mürrisch hoch. Sie wollte ihn jetzt nicht reizen. Es wäre wahrscheinlich sogar gefährlich gewesen, wenn sie es getan hätte.
So hörte sie sich also weiter an, wie sie Angreifer mit `einfachen´ Griffen überwältigen konnte. Ausprobieren konnte sie das Gelernte aber nicht, da es noch zu früh war, wie Raven meinte.

'Silver komm! Wir gehen zurück ins Zimmer!', sagte Jessie, als Raven das Training für beendet erklärt hatte und gegangen war.
Der Vogel war eingeschlafen und öffnete nun müde seine Augen. 'Seid ihr endlich fertig mit eurem Training?'
'Ja.'
'Dann ist ja gut.' Langsam hob er seine Flügel, setzte vom Ast ab und flog zu Jessie herab, wo er es sich wieder auf ihrer Schulter bequem machte und einschlief.
Jessie ging zu ihrem Zimmer zurück. Dort angekommen legte sie Silver in sein Nestchen und schaute ihm eine Weile beim Schlafen zu.
Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihrer Erstarrung.
'Ja?' Die Tür öffnete sich und River betrat den Raum.
'Komm ich ungelegen?' Jessie schüttelte erfreut den Kopf.
'Wie geht es dir? Ich habe dich ja schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Ich habe dich echt vermisst!'
'Hast du?' Sie nickte und merkte, dass Rivers Augen kurzzeitig aufleuchteten.
'Wie geht es mit dem Training voran?', wechselte er das Thema. Sie zuckte mit den Schultern. 'Nicht so gut… Der Teil mit den Pflanzen war ganz in Ordnung, aber jetzt mit den Kampftechniken… Du weißt, dass ich Gewalt nicht leiden kann. Ich glaube Raven muss all seine Geduld aufwenden um mit mir klarzukommen.' Sie lächelte ihn schief an.
'Er und Geduld? Das wäre ja mal was Neues!' Er zwinkerte ihr zu.
'Hmm… Also bis jetzt hat er sich gut im Griff.'
'Das freut mich, weil er ziemlich Jähzornig werden kann und dann kommt ihm schon mal leicht die Hand aus.'
'Wirklich?', sie sah ihn mit großen Augen an.
'Ich habe schon so einige Narben von ihm.' Jessie konnte das Gehörte nicht wirklich glauben. 'Zeig mal.' River zog sein T-Shirt aus und entblößte seinen durchtrainierten Oberkörper. Jessie hielt den Atem. Überall waren lange Narben zu sehen, aber sie alle waren von einer riesigen Narbe, die sich quer über seinen Rücken zog, übertroffen. Sie streckte die Hand aus und berührte sie sanft, strich sie entlang bis zu seiner Schulter hinauf.
'Was machst du da?', River hatte seinen Kopf so weit wie möglich nach hinten gedreht, um zu sehen, was Jessie da machte. 'War das wirklich Raven?', fragte sie, seine Frage ignorierend.
'Das meiste schon, aber die lange Narbe habe ich von meinem Vater.'
'Von deinem Vater?', entsetzt sah sie ihn an. Ihre Hand ruhte noch immer auf seinem Rücken. Er nickte.
'Aber ich dachte, dass dein Vater-…', sie stoppte. Sie hatte Raven versprochen, nichts zu sagen.
'Was dachtest du?'
'Ich dachte, dass… Väter immer nett wären.' Jessie wusste, dass das die schlechteste Ausrede aller Zeiten war, aber River machte sich offenbar nichts daraus.
'Er war auch nett… Auf seine Art. Aber wenn er getrunken hat, dann…' Er sprach nicht weiter, aber es war auch nicht nötig gewesen. Sie verstand.
'Das tut mir leid.' Sie bereute gefragte zu haben, woher diese Narbe kam.
'Braucht dir nicht Leid zu tun. Es ist lange her.'
Er lächelte sie kurz an und Jessie nahm die Hand von seinem Rücken.
'Nicht aufhören…', bat er. Wieder legte sie die Hand auf die Narbe und striche sanft darüber. Sie spürte, wie sich seine Muskeln unter der Haut entspannten.
'Was ist eigentlich passiert?'
Fragend sah er sie an. 'Was meinst du?'
'Na, wie der DarkSoul… ausgebrochen ist?'
'Wie gesagt: Er hat mich unglücklich am Kopf getroffen.'
'Das meine ich nicht.'
'Was dann?'
'Wie hat Raven ihn besiegen können?'
River sah sie eine Weile an. 'Ich… weiß es selbst nicht so genau.' Es tat ihm fast schon weh, sie anlügen zu müssen.
Jessie bemerkte nicht, dass er sie anlog. Er war ein geübter Lügner. Schließlich hatte man ihn extra darauf trainiert.
'Hat Raven dir nichts gesagt?'
'Mir?', er schüttelte den Kopf. 'Unsere Beziehung ist, obwohl wir Brüder sind, eher schlecht, wie du vielleicht bemerkt hast.'
'Schon, aber ich dachte, dass er es dir trotzdem sagen wird…'
'Hat er aber nicht und das habe ich auch nicht von ihm zu erwarten.' Bedauern machte sich auf seinem Gesicht breit.
'Wie geht es mit meinem `dunklen Bruder´ voran?', wollte Jessie wissen.
'Gut…', antwortete River geistesabwesend. 'Er lernt schnell.'
'Kann ich wirklich nicht mit dir trainieren?' Bettelnd sah sie ihm in die Augen, als er überrascht seinen Kopf nach hinten drehte.
'Nein… das geht nicht… leider.' Leider? Wollte er etwa auch lieber mit ihr trainieren? Ihr wurde warm ums Herz. Die Freundschaft zu River tat ihr gut, auch wenn sie Raven nicht abgeneigt war und wusste, dass er sie womöglich liebte, mochte sie seinen Bruder mehr. Es war von Anfang an eine gewisse Vertrautheit zwischen ihr und ihm gewesen. River war einfach total anders als Raven. Bei ihm fühlte sie sich sicher, wohl und geborgen. Sie hatte nicht das Gefühl, dass er sein wahres `Ich´ vor ihr versteckte. Raven war immer so geheimnisvoll und… irgendetwas schien ihn von ihnen zu zerfressen. Etwas so abgrundtief Böses, dass ihr allein bei dem Gedanken daran ein Schauer über den Rücken lief.Und mit einem Mal wusste sie, warum sie so Angst vor seinen Augen hatte: Sie sah seine Seele in ihnen! Und sie war von Traurigkeit, Schmerz und Boshaftigkeit zerstört. Wahrscheinlich war er früher einmal anders gewesen: Offen, Ehrlich, Lebensfroh… aber wenn es jemals so gewesen sein sollte, dann musste es schon vor einer langen Zeit verschwunden sein.
'Es stimmt… Er war früher einmal anders.' Erschrocken sah Jessie zu River. Er hatte ihre Gedanken gelesen. Peinlich berührt nahm sie ihre Hand von seinem Rücken und starrte zu Boden. Er drehte sich zu ihr.
'Es braucht dir nicht peinlich zu sein. Auch ich mache mir oft Gedanken um ihn. Er ist immerhin mein Bruder und das einzige Familienmitglied, dass ich noch habe.'
'Ich wollte nicht… Ich meine… Ich frage mich einfach, warum er niemandem vertrauen kann.' Mitleidig sah River sie an.
'Das nimmst du dir sehr zu Herzen, oder?' Sie nickte. Wieder einmal hatte River es auf den Punkt genau getroffen. Sie setzte sich an den Bettrand und er neben sie.
'War er früher einmal anders?' River schien zu überlegen, dann nickte er.
'Ja, er war lebensfroher, offener und nicht so kalt wie jetzt… Aber die Trauer war schon immer in seinen Augen zu sehen.' Sanft legte er seinen Arm um Jessie.







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