Black Tiger Teil 3

Autor: Any
veröffentlicht am: 15.01.2008




'Warum weinst du?', erschrocken blickte sie zu ihm hinüber, direkt in dunkelblaue Augen. Es war ein Junge, um die 17, auch er hatte schwarzes Haar, so wie Raven, nur war es nicht ganz so lang und stand auch nicht verwuschelt vom Kopf ab sondern war hochgegellt. Als sie ihn genauer ansah, stockte ihr der Atem. Er sah genauso aus wie Raven.
'Kenn ich dich?' Etwas verwirrt sah der Junge ihr gegenüber sie an und begann dann zu schmunzeln. Sogar dasselbe Grinsen hat er!, dachte Jessie entsetzt. Aber er konnte es unmöglich sein, oder?
'Nein, ich denke nicht, dass wir uns kennen, Süße, aber das können wir ganz schnell ändern, wenn du magst.' Oh Gott! Er hatte ihre Frage falsch verstanden. Sanft legte er seinen Arm um ihre Schulter.
'Nein! So war das nicht gemeint!', hastig rückte sie ein Stück weg von ihm.
'So? Wie dann?', er zog seine Stirn in Falten.
'Ich… ich kenne dich irgendwoher! Du schaust genauso aus wie Raven!', sie entdeckte ein kurzes Erstaunen auf seinem Gesicht, das aber gleich wieder verschwand. 'Ist das dein Freund?'
'Ja… ich meine: Nein!'
'Na dann ist es doch kein Problem, wenn wir ein bisschen Spaß zusammen haben, oder?', er zwinkerte ihr zu. Sie bekam Angst. Es konnte doch einfach irgendein verrückter
Vergewaltiger sein, der da neben ihr saß. Sie rutschte noch ein Stückchen weg, aber er kam ihr trotzdem immer näher.
'Du brauchst doch keine Angst haben!'
'So? Dann lass mich in Ruhe!' Jessie war kurz davor aufzuspringen und wegzulaufen. Mittlerweile war sie schon panisch geworden. Immer wieder suchten ihre Augen nach irgendjemand, der ihr helfen könnte. Plötzlich spürte sie eine Hand unter ihrem Kinn. Ganz sanft drehte der Fremde ihr Gesicht zu seinem. Er kam immer näher. Jessica wollte schreien, aber irgendwas hielt sie zurück, sie konnte es einfach nicht. 'Bitte!', flüsterte sie verzweifelt. Eine Träne rollte wieder ihre Wange hinunter. Raven! Hilf mir!, flehte sie innerlich in Gedanken. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Sie schloss die Augen, wenn sie dem Kuss schon nicht entkommen konnte, wollte sie zumindest nichts davon sehen. 'Du bist hübsch!', verwirrt öffnete sie die Augen. Der Fremde war höchstes zwei Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. Er hätte sich nur leicht vorbeugen müssen und schon hätten sich ihre Lippen berührt. 'Aber du schaust so verzweifelt aus. Warum? Was kann ein so hübsches Mädchen wie dich nur so zurichten?' Noch verwirrter sah Jessie ihn an. Wieso kam es ihr so vor, als würde er ihre Gedanken lesen? An ihm war irgendetwas anders. Sie hatte so ein Gefühl, was sie zuvor noch nie erlebt hatte. 'Du hast Angst vor mir, oder?', er blickte ihr fast liebevoll in die Augen. Es war so, wie als würde sie in einen Fluss schauen, so unendlich blau, wild, ungezähmt. Er war das genaue Gegenteil von Raven. Wenn sie in seine Augen blickte, bekam sie Angst, sie wirkten schlau, aber auch böse und listig und waren so geheimnisvoll. Sie nickte wahrheitsgemäß.
'Das brauchst du aber nicht haben. Ich werde nichts tun, was dir nicht gefällt.', sagte der Fremde sanft.

'Verdammt! Warum hat sie nicht gewartet? Dieses dumme Mädchen!', wütend schlug Raven gegen die Wand. 'Raven, wir werden sie schon finden.', beruhigend legte Jennifer ihre Hand auf seine Schulter, doch er schlug sie wieder weg. Er hasste es von anderen berührt zu werden. 'Sie kann noch nicht weit sein, wo soll sie denn hin? Sie kennt hier doch niemanden und ist in einem völlig fremden Land.', meldete sich nun auch Harald zu Wort. 'Wir sollten einfach weitersuchen.'

Jessica schloss wieder die Augen. Sie fühlte sich auf eine unerklärliche Art wohl bei ihm. Sie spürte schon fast seine Lippen auf ihren, als sie plötzlich mit einem Ruck von der Bank runter gezogen wurde und direkt in die Arme eines anderen fiel. Sie blickte auf und fiel direkt in zwei schwarze Löcher. Raven!
'Was soll das?', Jessie wollte antworten, aber dann sah sie, dass die Worte nicht an sie gerichtet waren, sondern an den Fremden. Der grinste nur.
'Das ist sie also.', verwirrt sah sie ihn an.
'Ja! Und du solltest deine Finger von ihr lassen, River!', das letzte Wort hatte Raven mit so einer Verachtung ausgesprochen, dass es ihr kalt den Rücken runter lief. 'Ich hatte doch nur meinen Spaß mit ihr.', anzüglich grinste er Jessica an.
'Du weißt, dass das verboten ist.', der Fremde zuckte nur mit den Schultern.
'Ach Bruderherz, du machst viel zu oft, dass was man dir sagt.' Bruderherz? Das war Ravens Bruder? Sie hätte es wissen müssen. Plötzlich wurde sie wütend und stieß Raven fort. Der blickte sie nur verdutzt an.
'Wo wart ihr?', sie schrie und stürzte dann wieder auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Noch verdutzter nahm er sie wieder in den Arm.
'Du weißt gar nicht, wie viel Angst ich hatte!', jetzt begann sie auf ihn einzuboxen. Vor Schmerz aufstöhnend schob er sie von sich weg.
'Die Frage ist eher: Wo warst du? Du hättest im Flugzeug bleiben sollen.'
'Was glaubst du hab ich gemacht? Diese blöde Schnepfe von Stewardess wollte aber dann schon den Sicherheitsdienst holen und da bin ich lieber gegangen und dann habe ich euch überall gesucht und dann kam dein Bruder und den Rest kennst du ja. Also! Wo wart ihr?', Raven sah sie an.
Es schien so, als überlegte er. 'Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit mit dem Piloten.' Ungläubig sah Jessie ihn an.
'Ja ja, so ist mein Bruder halt.', River war inzwischen aufgestanden und hatte sich zu ihnen gesellt. Jetzt wandte Jessie ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu.
'Das ist also dein Zwillingsbruder?', etwas verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel sah Raven sie an.
'Ich hab dir doch gesagt du würdest ihn früh genug kennen lernen. Er vergreift sich immer gleich an jedem Mädchen, das ihm über den Weg läuft.'
'Nur an den Hübschen.', warf River ein.
'Habt ihr alle so komische Spitznamen?'
'Sind die Namen Jennifer und Harald denn Spitznamen?'
'Also habt nur ihr zwei nicht eure echten Namen?'
'Kann man so sagen.'
'Und warum? Gefallen sie euch denn nicht?'
'Kann sein…'
'Jetzt gib mir mal eine echte Antwort! Du tust immer so geheimnisvoll! Aber ich finde es sowieso heraus!'
'Schon klar, aber wir haben durch die Suche einen gewaltigen Zeitverlust erlitten. Zeit, die wir nicht haben. Wir müssen weiter.', und mit diesen Worten zog Raven Jessie mit sich.Als sie aus dem Flughafen hinaus traten, schlug ihr eine Hitzewelle entgegen. Sie mussten irgendwo im Süden sein. Es musste an die 40 Grad haben. Schon nach wenigen Schritten begann Jessie zu schwitzen.
'Wo sind wir?', fragte sie keuchend.
'Jetzt kann ich es dir ja sagen. Wir sind in Brasilien.'
'WO?'
Sie war stehen geblieben und starrte ihn an.
'Du hast schon richtig gehört. In Brasilien.'
Genauso schnell wie der Schock kam, war er auch wieder vorbei. 'Und warum konntet ihr mir das nicht früher sagen? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vielleicht zur Vernunft gekommen und wäre nicht mit euch mitgekommen!'
'Und eben deswegen haben wir dir es nicht gesagt.'
'Das ist nicht lustig.'
'Hab ich gesagt, dass es das ist?'
Wütend blickte sie Raven an. River schmunzelte stattdessen in sich hinein. Sie gefiel ihm, ein echter Wildfang. Sein Bruder würde es nicht leicht mit Jessie haben. Er seufzte, nahm sie bei der Hand und zog sie weiter.
'Entschuldige meinen Bruder. Er hat einfach keinen Anstand! Dich einfach so zu entführen, ohne dir zu sagen, wohin er dich bringt, wo du doch quasi ein Ehrengast bist. Er hat dir aber erzählt, warum wir dich brauchen, oder?'
Raven konnte es nicht fassen. Sein Bruder spielte ihn schon wieder aus. Das machte er immer. River stellte ihn immer schlecht da. So erlang er das Vertrauen von anderen.
'Nein, das hat er nicht!', schnaubte Jessie.
'Na dann müssen wir das wohl noch nachholen, aber jetzt gehen wir erst mal zum Auto, wir haben noch einen langen Weg vor uns.'
Sie gingen zügig weiter und wieder stiegen sie in einen schwarzen Jeep ein, nur war er diesmal etwas größer. Harald setzte sich wieder ans Lenkrad und Jennifer wieder neben ihn. Jessie selber wurde hinten in die Mitte der Bank gesetzt und neben ihr saßen River und Raven.
'Wohin bringt ihr mich jetzt?', fragte sie nach einer Zeit des Schweigens.
'Das wirst du schon sehen.', antwortete River geheimnisvoll. Na Toll! Nie sagt mir jemand was los ist. Jessie seufzte in sich hinein. Sie würde es schwer haben mit den beiden Brüdern, aber dennoch musste sie schmunzeln. Sie waren sich ähnlicher als die beiden wahrscheinlich dachten. Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Gespannt beobachtete Jessica die Landschaft. Sie veränderte sich von Minute zu Minute. Erst waren es noch Städte in denen ein reges Treiben herrschte, dann wurden die Häuser immer vereinzelter und es wurden mehr Dörfer als Städte. Und dann kamen immer mehr Bäume in Sicht und die Häuser wurden immer weniger, bis überhaupt keine Zivilisation mehr zu sehen war und sie in einen dichten Urwald fuhren. Jessie erwartete, dass sie sich unwohl fühlen würde, Angst hätte, aber das passierte nicht. Je weiter sie fuhren und desto dichter der Wald um sie herum wurde, umso wohler fühlte sie sich. Mit jedem weiter zurückgelegten Meter kam ein Stück mehr Leben in sie. Es war so, als würde sie aus einem langen Schlaf langsam erwachen. Etwas passierte mit ihr. Sie fühlte sich glücklich. Sie war in einem wildfremden Land, ohne Freunde, wahrscheinlich in Gefahr und trotzdem fühlte sie sich zu Hause. Wie als wäre sie schon ewig hier gewesen. Auch Raven und River bemerkten, dass sie immer fröhlicher wurde. Jessie strahlte auf einmal so viel Energie aus. Sie wussten beide, dass sie die Richtige war.
Ihr Hauptlager war nicht mehr weit entfernt. Nur noch ein paar Minuten und sie waren angekommen. Jessie fragte schon zum x-ten Mal, wann sie denn endlich da seien und ob sie noch ein bisschen im Wald umher streifen dürfe.
'Kannst du mal bitte eine Minute still sein?', fast schon verzweifelt sah Raven sie an. 'Du machst mich noch wahnsinnig! Warum kannst du nicht einfach still sein, wie vorher? OK, da warst du auch nicht gerade die Stillste, aber es war trotzdem besser als das hier jetzt.''Ach, lass sie doch! Sei froh, dass sie jetzt wieder ein wenig glücklicher dreinschaut.', meldete sich River zu Wort. Raven gab nur ein Schnauben als Antwort. 'River? Wie haltest du deinen Bruder nur aus? Jedes Mal, wenn ich ihn etwas frage, sagt er mir, dass ich nerve und nicht so neugierig sein soll, weil ich sowieso alles später erfahren werde.' River lächelte Jessie an. 'Ich konnte mir meinen Bruder leider nicht aussuchen, aber wenn ich die Chance dazu gehabt hätte, hätten wir jetzt nicht so große Probleme.'
'Was für Probleme?'
'Dank ihm haben wir dich verloren und dadurch wichtige Zeit verloren, ich möchte gar nicht an das Ausmaß dieses Zeitverlusts denken.'
'Wieso? Was passiert denn dadurch?', neugierig blickte Jessie ihn an.
'Hmmm… Das ist zu lange zum Erklären, aber du erfährst dann alles, wenn wir dich zu unseren Vorgesetzten gebracht haben.'
'Du bist ja genauso fies wie dein Bruder!', trotzig blickte sie ihn an.
'Ich habe leider keine andere Wahl, denn Raven würde mich dann umbringen.',
entschuldigend blickte River sie an.
'Was meinst du damit, er würde dich umbringen? Doch nicht im Ernst, oder?'
'Ich meine-…'
'Gar nichts meint er damit!', wütend unterbrach Raven ihr Gespräch.
'Was mischt du dich da schon wieder ein? Ich habe River gefragt!', doch ohne eine Antwort zu bekommen drehte er sich wieder weg von ihnen. Er war nicht so der gesprächige Typ, eigentlich, aber Jessie brachte ihn doch immer wieder aus der Ruhe. Nicht das das besonders schwer wäre, aber sie hatte so etwas an sich, was ihn einfach provozierte, aber gleichzeitig auch faszinierte.
'Erzähl mir was von eurer Vergangenheit, River.', bat Jessica.
'Was willst du denn wissen?'
'Wie kam es, dass ihre Privatunterricht hattet?' Erschrocken sah er sie an und aus den Augenwinkeln sah sie, wie Raven zusammenzuckte. Hatte sie was Falsches gesagt? Rivers Blick wanderte zu seinem Bruder und wenn Blicke töten könnten, so schien es Jessie, dann müsste Raven jetzt tot zusammensinken.
'Was hast du ihr noch erzählt?', Rivers Stimme war scharf.
'Nichts.', antwortete Raven ausweichend.
'Lüg mich nicht an.'
'Das würde ich doch nicht wagen.', den Spott in seiner Stimme konnte man kaum überhören.'Raven! Ich warne dich.', die Stimme seines Bruders war drohend.
Jessie fühlte sich unwohl. Schließlich war sie Schuld an dem drohenden Streit. Gerade als River seine Hand an Jessie vorbei Richtung Raven bewegte, warf sie schnell dazwischen: 'Er hat mir sonst nur gesagt, dass ihr beide 17 seid!'
'Und das war ein Fehler!', River schrie fast. Seine Stimme klang hysterisch.
'Er hätte dir gar nichts von uns erzählen dürfen! Nicht mal, dass wir Brüder sind!'
Erschrocken blickte Jessie ihn an. Was war so schlimm daran, dass er etwas von sich und seinen Bruder preisgab? Sie sah wie sich Rivers Hand wieder ein Stück weiter bewegte. Sie überlegte, ob sie die Hand von ihm einfach wegschlagen sollte, aber in dem Moment schlug er schon zu. Er traf seinen Bruder mitten im Bauch worauf dieser ihn sich keuchend hielt.Erschrocken sah sie erst Raven und dann River an. Warum hatte er das getan?
Rivers Hand bewegte sich wieder auf Raven zu, aber diesmal schneller und mit mehr Kraft. Wieder keuchte sein Bruder vor Schmerzen, unter dem Schlag seines Bruders, auf.
'Lass das!', Jessie kreischte fast, doch es half nichts.
'Misch dich da nicht ein, Jessica!' River prügelte weiter auf seinen Bruder ein. Dass sie dazwischen saß, störte ihn wenig.
Verzweifelt sah sie Raven an. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und obwohl er sicher genug Kraft gehabt hätte, sich zu wehren, tat er es nicht. Hilfesuchend blickte sie nach vorne zu Harald und Jennifer, aber die beachteten das ganze Geschehen gar nicht, obwohl sie mitbekommen haben mussten.
'Jetzt tut doch was! Er schlägt seinen Bruder!', keiner der beiden reagierte. River ließ noch immer nicht von Raven ab. Jessica wusste nicht, was sie tun sollte.
Als River das nächste Mal zum Schlag ausholte, sah sie keine andere Möglichkeit mehr. Sie beugte sich nach vor. Der Schlag traf sie mitten ins Gesicht. Benommen fiel sie wieder nach hinten. Ihre Wange war taub und sie schmeckte den metallischen Geschmack von Blut auf ihrer Zunge. Plötzlich wurde ihr übel und sie konnte nur mit Mühe den Brechreiz unterdrücken. Sie schloss für ein paar Sekunden die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, sah sie für ein paar Minuten nur tanzende Lichtkreise bevor sie wieder etwas erkennen konnte. Sie lag in einem Raum, der nur dürftig beleuchtet war. Benohmen setzte Jessie sich auf und sah sich um. Der Raum war sehr klein und hatte außer dem Bett auf dem sie saß nur noch einen Schrank, der in der Ecke stand, keine weiteren Möbel. Die Tür war genau gegenüber von ihrem Bett. Wo bin ich? Wie komm ich hierher? Sie griff sich an den Kopf und kam an ihrer verletzten Wange an. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie und mit dem Schmerz kam auch die Erinnerung zurück. Aber wie kam sie hierher?
Sie zog die Beine unter der Decke hervor und lies sie über den Bettrand hängen. Offensichtlich war sie doch bewusstlos geworden. Ein einziger Schlag Rivers hatte sie also außer Gefecht gesetzt. Wie es Raven wohl gehen würde?
Jessica stand auf und machte ein paar Schritte auf die Tür zu, die plötzlich mit einem Schwung geöffnet wurde, genau in dem Moment, wo sie stolperte. Sie dachte schon, dass sie gleich am harten Steinboden aufschlagen würde, aber sie hatte Glück, denn sie merkte, dass sie jemand aufgefangen hatte.
Als Jessie die Augen aufschlug befand sie sich direkt in den Armen Ravens. Sein Blick traf ihren und wieder fühlte sie sich so, als würde sie ins Nichts fallen. Ein Loch ohne Ende.Sie wusste nicht wie lange sie in seinen Armen verharrte, aber es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Schließlich wendete Raven seinen Blick ab und damit war auch der unsichtbare Bann, der sie gefangen hielt gebrochen.
'Wie geht es dir?', jetzt erst bemerkte sie, wie müde er eigentlich aussah.
'Es geht…', antwortete sie leise. Sie lag noch immer in seinen Armen und er hielt sie fest. Wenn es jemand anderer gewesen wäre, hätte sie sich schon längst aus der unfreiwilligen Umarmung befreit, aber etwas hinderte Jessie daran, sich zu bewegen.
Sie standen eine Weile so da, bis Raven sie plötzlich von sich schob. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass River ja auch ihn geschlagen hatte und das noch dazu öfter. 'Wie geht es dir?'
'Es geht…'
'Was war denn los mit deinem Bruder? Ist der immer so drauf?'
'Nein… Ich habe es verdient.'
'Was?! Geschlagen zu werden?! Das verdient niemand!'
'Halt einfach deine Klappe, ja!' Geschockt sah sie ihn an. 'Du hast absolut keine Ahnung worum es hier geht!'
'Aber es hat mir doch auch keiner gesagt!', sie klang traurig.
'Tut mir Leid… Ich werde sehr schnell wütend.', entschuldigend blickte er sie an. Sie sagte nichts. Auf einmal stöhnte er auf und legte seine Hand wieder auf seinen Bauch.'Was hast du?', besorgt sah Jessie Raven an. Er machte nur eine wegwerfende Handbewegung. 'Es ist nichts… Mein Bruder konnte schon immer fest zuschlagen.''Nach Nichts schaut das aber nicht aus!'
'Ist schon O-…'
'Nein gar nichts ist OK! Du legst dich jetzt auf das Bett da und lasst mich deinen Bauch anschauen! Was ist, wenn er dich innerlich verletzt hat?!'
'Aber-…'
'Kein Aber!!! Marsch!', mit einer Bewegung, die keinen Widerspruch duldete, deutete sie ihm sich auf das Bett zu legen. Raven seufzte, widersprach aber nicht weiter sondern legte sich brav auf das Bett. Jessie setzte sich zu ihm und tastete sanft mit ihren Fingern über seiner Bauch. Er war angeschwollen, aber dennoch spürte sie seine Muskeln, die unter der Haut hervortraten. Er entspannte sich. Ihre Berührungen taten ihm gut.
'Es scheint nichts schlimmeres passiert zu sein…', murmelte sie nach einer Weile.'Sag ich doch!'
'Werd nicht frech!' Er grinste sie an.
'Aber deine Wange… So würde ich mich nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen.'
Geschockte sah sie ihn an.
'Bring mir sofort einen Spiegel!' Er lachte.
'Du sollst nicht lachen, sondern mir einen Spiegel bringen!', sie gab Raven einen leichten Klaps.
'Schon gut… Wie die Königin befiehlt.', und mit diesen Worten trollte er sich.Jessica blickte ihm nach. Sie mochte ihn, obwohl sie ihn erst so kurz kannte. Sie dachte plötzlich an River. Sie hätte nie gedacht, dass er so… sein könnte. So wütend und aggressiv. Aber warum hatte Raven gesagt, dass er es verdient hätte, von seinem Bruder geschlagen zu werden? Sie fand keine Erklärung für das komische Verhalten der beiden.
Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür wieder und Raven kam mit einem Spiegel in der Hand zurück.
'Bitte sehr, gnädiges Fräulein.', spöttisch deutete er eine Verbeugung an und reichte ihr den Spiegel. Gespannt nahm sie ihn entgegen und hielt ihn vor ihr Gesicht. Sie traute sich gar nicht ihr Spiegelbild anzusehen, aber dann überwand sie sich doch. Das was sie sah, erschreckte sie. Raven hatte nicht übertrieben. Ihre Wange war angeschwollen und würde sich mit Sicherheit auch noch blau verfärben. Jessie wandte ihren Blick ab und starrte Raven entgeistert an.
'Nur wegen eurer dummen Streiterei schau ich jetzt so aus, wie als hätte ich Mumbs!' Abwehrend hob er die Hände hoch. 'Du hättest eben nicht dazwischen gehen sollen, dann wäre das nicht passiert!'
'Du meinst also, ich hätte ihn weiter auf dich einprügeln lassen sollen?!'
'Ja!'
'Hast du sie noch alle? Der hätte dich zu Tode geschlagen!'
'Nein das hätte er nicht!'
'Sah aber anders aus!'
'Er sagte dir doch, dass du dich nicht einmischen sollst! Das war eine Sache zwischen mir und ihm!'
'Na und! Ich lass dich doch nicht vor meinen Augen verprügeln!'
'Und warum nicht?' Verwirrt blickte Jessie Raven an.
'Weil… weil…' Ja wieso eigentlich? 'Weil ich nicht will, dass sich Menschen gegenseitig weh tun!'
'Hrmpf… Sie dir mal die Welt an! Die besteht nur aus Gewalt! Da wirst du nicht viel daran ändern können! Das Einzige, was du zum Dank bekommst, siehst du ja an deiner angeschwollenen Wange!'
'Wenn das der Preis ist, den ich dafür zahlen muss, dann mach ich das von mir aus noch tausendmal!'
'Du bist so naiv!'
'Und du bist so… so…', sie suchte nach einem Wort. 'Ach was weiß ich!?'
'Siehst du! Du kannst mich nicht mal richtig beleidigen!', triumphierend sah er sie an. Wütend drehte Jessie den Kopf weg. Warum musste er nur immer auf sie losgehen und sie verletzen, wo er nur konnte?
Plötzlich spürte sie, wie er sanft ihre Wange streichelte. Erschrocken drehte Jessie sich zu ihm. Er hatte sich mittlerweile auch wieder aufgesetzt und ihre Gesichter waren sich ganz nah, so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte.
'Was tust du da?'
'Warum hast du das gemacht?', verwirrt sah sie ihn an. 'Warum warst du so dumm und hast dich dazwischengelehnt?', erst dann verstand sie, was er meinte.
'Das hab ich dir doch schon gesagt… Ich mag Gewalt nicht.' Stirnrunzelnd sah er sie an. 'Das glaubst du doch wohl selbst nicht!'
'Doch, das tue ich!'
'Ach ja?'
'Ja.' Raven zog seine Hand zurück. Eine Weile schwiegen sie sich an. 'Wann sagt ihr mir jetzt endlich, warum ihr meine Hilfe braucht und was der Geheimbund Viper eigentlich macht?'
'Pfff… Du gibst nicht auf, oder?'
'Nein! Also?'
'Du musst dich noch eine Weile gedulden…'
'Das ist nicht fair! Dann sag mir wenigstens wo ich bin?'
'Nichts im Leben ist fair! Und wo du bist hab ich dir bereits gesagt! In Brasilien!'
'Ja! Aber wo in Brasilien?'
'Im Urwald in der Nähe des Amazonas.'
'Das ist nicht dein Ernst, oder?'
'Schau ich so aus, als ob ich scherze?'
'…Nein.'
'Na eben!'
'Was machen wir hier?'
'Du musst hier deine Aufgabe erledigen.'
'Meine Aufgabe? Im Amazonas?' Ungläubig blickte sie ihn an.
'Ja doch! Frag nicht immer so dumm!'
'Oh… Entschuldige!', sagte Jessie ironisch. 'Also? Wann sehe ich den nun deine Auftraggeber?'
'Früh genug.'
'Das hast du bei River auch gesagt.'
'Und ich habe dich nicht belogen damit, oder?'
'Nein…', sie musste es zugeben. Raven hatte sie bis jetzt eigentlich noch nie angelogen. Abgesehen von seinem wahren Namen. Vielleicht konnte sie ihm wirklich vertrauen? Was dachte sie da? Sie kannte diesen Menschen gerade erst mal einen Tag lang. Sie schwiegen sich an. 'Ich werde jetzt wieder gehen… Ich wollte nur wissen, ob es dir wieder besser geht. River wird dir noch einen Besuch abstatten.' Jessie nickte nur stumm. Kurz sah Raven sie noch an, dann wandte er sich ab und verschwand aus dem Zimmer.
Ich bin so dumm! Wie konnte ich nur mit diesen Menschen mitgehen?! Na gut, sie haben mir nicht wirklich eine Wahl gelassen, aber… Wie konnte ich nur?!
Jessica warf sich ins Bett. Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Noch dazu hatte sie in den letzten Stunden so viel geweint und geredet, wie schon lange nicht mehr. Es war, als wäre sie plötzlich aus einem langen Schlaf erwacht und könnte jetzt endlich wieder ihre Gefühle zeigen. Es war irgendwie schön, aber auch komisch. Sie hatte sich daran gewöhnt, einfach ignoriert zu werden. Aber jetzt plötzlich stand sie im Mittelpunkt. Sie wurde gebraucht!Gedankenverloren starrte Jessie die Zimmerdecke an, als sie ein leises Klopfen an der Tür hörte.
'Herein.', sie hatte es so leise gesagt, dass sie schon dachte, dass man sie nicht gehört hätte, aber die Tür öffnete sich.
'Jessica?', es war River. Verlegen blickte er sie an und schloss die Tür hinter sich. 'Raven hat dir gesagt, dass ich komme, oder?' Sie würdigte ihn keines Blickes. 'Wie geht es dir?', er versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, was aber mehr nach einer Grimasse aussah. Wieder keine Antwort. Sie ignorierte ihn, was ja auch kein Wunder war, nach dem, was sie erlebt hatte.
River setzte sich neben sie. 'Jessie…', begann er. 'Es tut mir wirklich Leid, was vorher passiert ist! Das wollte ich nicht!'
'Was wolltest du nicht? Mich schlagen?', jetzt sah sie ihn an, aber unter ihrem Blick zuckte er zusammen. So voller Wut.
'Es war keine Absicht! Du bist schließlich dazwischen gegangen!'
'Ach! Also sollte ich dich weiter auf deinen Bruder einschlagen lassen?'
'Ja! Ich meine, er hat es verdient!'
'Und warum? Nur weil er etwas über euch preisgegeben hat?' River zuckte hilflos mit den Schultern. 'Ja.'
'Ich verstehe nicht, was daran so schlimm ist?!'
'Das sind die Regeln…'
'Die Regeln? Es ist euch verboten, etwas über auch preiszugeben?'
'Ja.'
'Deswegen dürft ihr mir auch nicht eure wahren Namen sagen?'
'In gewisser Weise…'
'Aber was ist mit Jennifer und Harald? Die haben doch auch keine Codenamen.'
'Ja schon, aber die sind auch nicht… so wichtig wie Raven und ich.'
'Was meinst du?'
'Na ja, wir haben einen höheren Rang als die beiden.' Jessica überlegte, also waren River und Raven nicht ganz unwichtig in diesem Geheimbund.
'Was für einen Rang habt ihr?'
'Wir stehen direkt nach den Vorgesetzen von Viper.' So hoch also? Trotzdem konnte sie nicht verstehen, warum er seinen Bruder so hart bestrafen musste. Was sollte sie denn mit den gegebenen Informationen anfangen.
'War es wirklich so schlimm, dass mir Raven gesagt hat, dass ihr Brüder seid, obwohl ich es sowieso herausgefunden hätte? Und euer Alter und das ihr Privatunterricht bekommen habt und seit ihr 14 Jahre alt seit in diesem Bund arbeitet?'
'Ja… Nach den Regeln musste ich ihn bestrafen.'
'So hart?'
'Ja.', Jessie schwieg. Sie verstand es noch immer nicht ganz, aber sie musste sich wohl damit zufrieden geben. Aus den Brüdern wurde sie einfach nicht schlau. 'Was passiert jetzt?' Sie musste die Frage einfach stellen.
'Ich… kann es dir nicht sagen.'
'Das hab ich mir gedacht.', traurig blickte sie River an.
'Warum bist du schon wieder so traurig? Kannst du auch für mich lächeln.', sanft bewegte er Jessies Mundwinkel mit seinen Fingern nach oben. Verzweifelt kämpfte sie gegen einen Lachkrampf an. Schließlich konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und lachte drauf los. Auch River stimmte ins Lachen ein. Es dauerte eine ganze Weile bis die beiden sich wieder beruhigt hatten. So herzhaft hatte Jessie schon lange nicht mehr gelacht. In diesem Moment spürte sie einfach nur noch Glück. Wie lang war es her, dass sie sich je so glücklich gefühlt hatte? Sie wusste es nicht, aber sie genieste es.
'Raven wird dich dann holen und zu den Vorgesetzten bringen, sie werden dir dann alles weitere erklären.', sagte River nach einer Weile. Sie nickte. 'Aber bevor ich mich der großen Aufklärung stelle, muss ich wissen, was ich alles von mir preisgeben darf und was nicht! Schließlich will ich ja nicht zwei geschwollene Wangen haben.' Sie zwinkerte ihm zu und er grinste sie verlegen an.
'Keine Sorge. Es ist eher schlimmer, wenn du nichts von dir preisgibst, aber in deinem Fall brauchst du dir nicht wirklich Sorgen zu machen. Ich werde mich jetzt wieder zurückziehen… Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.' River stand auf. 'Ist gut… Kommst du mich wieder besuchen?' Er war überrascht über Jessies Frage, aber auch froh. Er mochte sie. Ihre Gesellschaft war ihm angenehm. 'Ja… wenn du magst.'
'Mhm! Wenn ich ehrlich bin bist du der erste Mensch, der mich wieder zum Lachen gebracht hat, nach Martin.'
'Wirklich? Obwohl ich dich so zugerichtet habe? Und wer ist Martin?' Ihr Blick wurde wieder traurig. 'Das geht schon in Ordnung… Und über Martin will ich im Moment nicht sprechen.'
'OK, wir sehen uns später.', River machte die Tür auf und ging.







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