Engelstochter

Autor: Nici
veröffentlicht am: 03.08.2012


Prolog
Er saß in einem Café, als sie mit ihren beiden Freundinnen den Tisch neben ihm nahm. Ihre Augen hatten etwas Magisches. Was, wusste er nicht. Er sah sie an. Da blickte sie ihm plötzlich ins Gesicht. Schnell senkte er den Blick. Mit beiden Händen hielt er seine Tasse fest, um nicht wieder dieses Mädchen anzusehen. Als dann auch noch sein Rücken anfing zu jucken, wurde er wütend. Das durfte doch nicht wahr sein. Dieses Mädchen brachte ihn vollkommend aus der Fassung. Er musste fort. Und zwar schnell. Er winkte die Bedienung zu sich und zahlte. Mit aller Kraft befahl er sich, sich zusammenzureißen und sich nicht wieder umzudrehen. Das Jucken wollte nicht nachlassen. Die Nähe dieses Mädchens gefährdete seine Tarnung und damit sein Leben. Schnell stand er auf, zog sich seinen Mantel über, um sich vor dem kühlen Herbst Wind zu schützen und verließ rasch das Gebäude. Er blieb weder stehen, noch drehte er sich um, bis er die kleine Stadt hinter sich gelassen hatte. Als er endlich auf einem freien Feld stoppte, zog er seinen Mantel und sein Hemd aus. Gerade noch rechtzeitig, denn schon wuchsen aus seinem Rücken gigantische weiß gefiederte Flügel. Er stöhnte vor Erleichterung und streckte seine Schwingen. Was war los mit ihm? Seit wann beeinflusste ihn eine Sterbliche? Um wieder ruhiger zu werden, hob er ab und drehte ein paar Runden über den Wiesen.
Was war nur mit diesem Kerl los? Erst starrte er sie an und dann klammerte er sich an seine Tasse, als hinge sein Leben davon ab. „Lill? Alles klar?“
Sie schüttelte den Kopf: „Ja. Sorry. Worum ging’s?“
„Kim meint, ich soll mir die Ohrringe kaufen, aber was ist, wenn Alex sie mir zum Monatstag schenkt?“
„Auf so eine Idee würde der Typ niemals kommen, Elli!“, Kimberley packte Elena an den Schultern und schüttelte sie. Da die beiden jetzt anfingen über Ellis Freund Alex zu streiten, konnte sie sich wieder auf den komischen Kerl konzentrieren, doch sein Tisch war leer. Sie sah wie die Eingangstür zum Café zufiel. Es war der Typ, der sie angestarrt hatte. Er trug einen schwarzen Mantel, in dessen Taschen er seine Hände versteckt hatte. Er lief merkwürdig steif und wirkte angespannt. Er war groß, hatte lange Beine und eine schlanke sportliche Figur. Sie rief sich sein Gesicht ins Gedächtnis. Er hatte bernsteinfarbene durchdringende Augen, ein schlankes Gesicht und einen schönen Mund. Je mehr sie darüber nachdachte, umso perfekter kam er ihr vor. Warum fiel ihr das erst jetzt auf? Vermutlich, weil er sich so seltsam benommen hatte.
„Lill? Hallo! Erde an Lilliane Haertes!“, Kim fuchtelte wie eine Verrückte mit den Armen vor ihrem Gesicht herum.
Erschrocken fuhr sie zusammen: „Willst du mich erschlagen?“ „Darüber hatte ich nachgedacht, aber da du ja wieder bei Sinnen zu sein scheinst, ist das nicht mehr nötig. Sag mal, was ist los mit dir? Wir führen hier die Diskussion der Woche und du starrst…“, sie drehte sich um, „Wohin starrst du eigentlich?“
„Ist doch egal. Was hab‘ ich verpasst?“
Kim wollte wiedersprechen, doch Elli ließ ihrer Empörung jetzt freien Lauf: „Die da“, anklagend zeigte sie mit dem Finger auf Kim, „behauptet, dass Alex ein gefühlsloser Kerl ist, der mich nur ausnutzt und niemals auf die Idee kommen würde, mir Ohrringe zu kaufen! Sie sagt sogar, dass er unseren Monatstag vergessen wird! Aber das stimmt nicht! Er liebt mich und würde niemals so einen wichtigen Tag vergessen, hab ich Recht?“
Ellis Freund war wirklich nicht der Typ, der merkte, wenn ein Mädchen sich etwas wünscht, obwohl Elli ihm das sicher deutlich gemacht hatte, daran zweifelte sie keine Sekunde. Ihre Freundin war so.
„Wart’s doch einfach ab. Wenn er dir die Ohrringe nicht schenkt, dann kannst du sie dir doch noch immer kaufen.“
„Lill! Du verstehst echt gar nichts. Darum geht’s doch gar nicht!“, entgeistert blickte Kim sie an. Auch Elli schien empört.
„Von Jungs hast du wirklich keine Ahnung. Wird Zeit, dass du endlich einen Freund kriegst.“, Kim war ganz in ihrem Element.
Sie hatte schon immer ein Problem damit, dass Lilli noch immer keinen Freund hatte. Ihrer Meinung nach, war sie zu verkrampft. Immer wieder versuchte Kim sie dazu zu bringen, Make-up zu tragen. Doch sie hatte sich geweigert. Sie fiel nicht gerne auf und wollte auch nicht aussehen wie eine Barbiepuppe. Dann fing sie mit ihrer tollen Geschichte an, dass sie ihren ersten Freund mit 13 hatte und zwar nur weil sie sich immer heimlich die Schminke ihrer Mutter geliehen hatte. Den Teil, dass sie seit dem fast jede zweite Woche einen neuen „Freund“ hatte, ließ sie weg. Elli fand auch, das Lilli einen Freund brauchte, aber keinen von Kims „Unterwäschemodels“, wie sie deren Freunde gerne nannte, sondern einen einfühlsamen liebenden Jungen. In einer Sache waren beide sich einig: Lilli war zu verkrampft. Sie verstand aber nicht, warum ihre beiden besten Freundinnen so ein Problem damit hatten, dass sie trotz ihrer 16 ½ Jahren noch immer Single war. Sie hatte sich nie einen Freund gewünscht. Weder für eine Nacht noch für immer. Sie war auch noch nie verliebt gewesen, was die beiden ihr natürlich nicht glaubten. Doch es war so. In der 4.Klasse hatte Elli immer behauptet, Tobias, ein Junge aus der parallel Klasse, sei in sie verliebt, doch das war ihr egal gewesen.
„Wie wär’s mit Dave?“
„Der vom Handballteam?“
„Genau“, Kim nickte nachdenklich, „Der ist doch sexy und ich habe gesehen, wie er Lill beim Tennisspielen zuschaut. Der hat ein Auge auf sie geworfen. Hätte ich nicht Jens, könnte ich eifersüchtig werden.“
Elli verzog angewidert das Gesicht: „Doch nicht der. Der ist voll pervers! Hast du die Geschichten nicht gehört?“
„Doch. Aber ich glaube es nicht.“
„Aber Stefanie hat das gesagt!“
„Ja und? Die erzählt auch herum, dass die Meier mit dem Rektor schläft. Das glaubst du doch auch nicht, oder?“
Frau Meier war ihre Deutschlehrerin.
„Natürlich nicht! Aber die ist ja auch verheiratet.“
„Ach so. Und weil Dave nicht verheiratet ist, stimmen die Gerüchte, oder was?“
Wütend funkelte Elli Kim an. Zum Glück kam in dem Moment die Bedienung und brachte die Getränke. Ihre beiden Freundinnen fanden immer einen Grund zum Diskutieren, aber meistens ging es um Jungs. Lilli hielt sich in solchen Situationen so gut es ging heraus. Selbst wenn es um ihr eigenes, nicht vorhandenes, Liebesleben ging, gelang ihr das meistens.






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