Engelstochter - Teil 2

Autor: Nici
veröffentlicht am: 06.08.2012


1. Kapitel
Am nächsten Morgen in der Schule stand Lilli mit Elli in der Aula, als endlich Kim zu ihnen stieß: „Habt ihr die neuen schon gesehen? Echt heiß!“
„Welche neuen?“
„Sechs neue Jungs. Gehen, glaub‘ ich, in die Elfte und Zwölfte. Zwei stehen da drüben“, sie zeigte mit dem Kopf in Richtung Mensa.
Dort standen zwei große schlanke Kerle. Plötzlich drehte der eine sich um. Lilli erschrak, als sie die bernsteinfarbenen Augen wiedererkannte. Auch er erstarrte und drehte sich wieder um.
„Hast du die Augen gesehen!“, Elli seufzte hingebungsvoll.
„Ich wüsste nicht welchen von den sechs ich mitnehmen würde, wenn ich mich entscheiden müsste“, Kims Augen glänzten und ausnahmsweise kam kein empörter Kommentar von Elli.
„Hast du die anderen auch schon gesehen?“
Die beiden starrten immer noch die Typen an.
„Ihr seid echt peinlich…“, Lilli ging die Treppe nach oben.
„Warum? Was haben wir gemacht? Findest du die nicht süß?“, Elli hakte sich bei ihrer Freundin ein.
Kim folgte den beiden nicht, sondern ging tatsächlich auf die Jungen zu. Lilli stöhnte und ging weiter. Im Klassenzimmer angekommen, setzte sie sich zusammen mit Elli auf ihren Platz in der letzten Reihe. Zu ihrem Erstaunen kam Kim vor Stundenbeginn. Sie schien etwas frustriert, als sie sich an den Einzeltisch, der direkt neben dem Tisch von ihnen stand, setzte.
Elli beugte sich neugierig zu ihr herüber: „Und? Wie sind sie? Weißt du wie sie heißen?“
„Der eine heißt Patrick und geht in die Zwölfte. Der andere heißt Elijah und geht in die Elfte. Sehr wortkarg. Alle beide. Und auf flirten reagieren die echt gar nicht. Ich hätte gesagt die sind blind, wenn die nicht so irre Augen hätten.“
„Wie heißt der, der sich umgedreht hat?“
„Der mit den Bernsteinaugen? Der heißt Elijah. Der andere hat marmorgraue Augen. Für die hätte ich mich im Gang ausgezogen, wenn sie mich gefragt hätten! Aber nein! Die reagieren überhaupt nicht! Aber die schaff ich auch. Ihr werdet schon sehen.“
„Guten Morgen, 10b!“, sie hatten gar nicht bemerkt, dass Frau Huber, ihre Sozialkundelehrerin, hereingekommen war.
In der Pause saßen sie zusammen in der Mensa und Elli und Kim unterhielten sich weiter über die „Neuen“. Kim hatte ihren Frust nach der Niederlage wieder vergessen, als Jens ihr eine SMS geschrieben hatte, in der er sie zum Essen einlud.
„Ich glaube, die anderen heißen Jeremia, Lukas, Andreas und Daniel. Der Älteste ist Andreas, dann Patrick, Lukas, Jeremia, Elijah und Daniel. Sie wohnen zusammen in einem Haus irgendwo außerhalb der Stadt.“
Woher wusste Kim so etwas immer?
„Alleine?“, Elli machte große Augen. Sie schien sich überhaupt nicht darüber zu wundern, dass Kim das alles wusste.
„Na klar!“
„Sind die verwandt?“
„Soweit ich weiß, nicht. Nur befreundet. Aber niemand weiß, woher sie kommen.“
„Wow. Muss echt cool sein, in einer WG zu wohnen. Da kommen drei!“
Kim fuhr herum. Drei gleich große Jungs, kamen in die Mensa. Keiner von ihnen lächelte. Lilli erkannte, dass der Typ aus dem Café, Elijah, nicht unter ihnen war.
„Der links, mit den fast schwarzen Augen, ist Jeremia, daneben, der mit den smaragdgrünen Augen, ist Andreas und der mit den eisblauen Augen ist Lukas.“
Lilli sah ihre Freundin entgeistert an.
Die bemerkte ihren Blick: „Was? Darf ich so etwas nicht wissen?“
Sie schüttelte nur den Kopf und konzentrierte sich auf ihre Englischvokabeln, während sie mit halbem Ohr ihren Freundinnen zuhörte.
„Die haben alle echt geile Augen! Welche Farbe hat Daniel?“, Elli war hin und weg.
Kim brauchte gar nicht zu überlegen: „Zinnoberrot.“
„Rote Augen? Ist er ein Albino?“
„Ne. Hat bloß so hellbraune Augen, dass es rot aussieht. Echt heiß. Ich sag’s dir. Ich habe gehört, dass alle gut in der Schule sind. Und extrem sportlich.“
„Was für Sportarten?“
„Andreas und Jeremia laufen im Schulteam. Daniel, Patrick und Lukas machen Weitwurf und Handball. Elijah spielt Badminton und Tennis.“ „Vielleicht sollte ich doch einen Sport anfangen…“
Kim grinste: „Was ist mit Alex?“
„Ach…“
„Wusste ich’s doch! Du glaubst selbst nicht an ihn.“
„Das ist nicht wahr! Aber was ist, wenn er wirklich unseren Monatstag vergisst? Dann könnte ich ihn doch eifersüchtig machen.“ „Nicht mit denen.“
„Warum nicht?“
„Weil die keinen an sich heranlassen. Dich schon gleich dreimal nicht.“
Elli schnaubte empört: „Was soll das jetzt heißen?“
„Das soll heißen, dass du nicht mit einem anderen Jungen flirten kannst, weil du Alex liebst und du nun mal nicht so bist. Ich könnte das ohne Probleme, aber du nicht.“
Jetzt schwiegen beide. Aber nicht lange.
Elli verzog nachdenklich das Gesicht: „Die würden doch gut zu Lill passen. Die sind stur, genau wie sie.“
Ging das schon wieder los.
„Hm. Aber wer?“
„Wie wär’s mit Jeremia? Der ist gut in Mathe. Genau wie Lill“, Kim schien sehr überzeugt.
„Ich find’ den gruslig. Seine Augen sind ein bisschen zu dunkel.“
Zum Glück gongte es in dem Moment. Im Unterricht ging es aber weiter. Kim schlug einen von den sechs vor und Elli fand Argumente dafür und dagegen. In Physik wurden sie leise, als Herr Holter mit Strafarbeiten drohte. Nachdem er die Klassenarbeiten zurückgegeben hatte, war die Sache vorläufig vergessen. In der zweiten Pause lästerten Elli und Kim über ihren Lehrer. Lilli hielt sich raus, weil sie die beste Arbeit geschrieben hatte. Nach der sechsten Stunde verabschiedete Lilli sich von ihren Freundinnen, weil die beiden nach Hause gingen und sie noch Tennisunterricht an der Schule hatte.
Als sie in ihrem Tennisoutfit in die Halle kam, half sie die Netze aufbauen. Ihre Sportlehrerin rief die fünf Mädchen zusammen: „Wir trainieren demnächst zusammen mit den Jungs, weil Herr Träger krank ist. Er kommt erst in ein paar Monaten wieder.“ Einige der Mädchen quietschten aufgeregt. In dem Moment kamen, wie aufs Stichwort, sieben Jungs in die Halle. Sie lachten alle - bis auf einen. Elijah.
„Bildet bitte zweier Teams. Ob Mädchen und Junge oder nicht ist mir egal“, Frau Kamm erschien mit beiden Armen voller Tennisschlägern wieder.
Sofort brach allgemeiner Lärm aus. Lilli schnappte sich einen Schläger und einen Tennisball und ging zu einem Netz. Doch Susi kam nicht. Normalerweise spielte sie immer mit ihr. Verwundert drehte sie sich um und entdeckte ihre Partnerin bei einem Jungen aus ihrer Klasse. Lilli seufzte und sah sich suchend um. Da tippte ihr jemand auf die Schulter.
Sie wand sich um und war überrascht von dem Anblick der bernsteinfarbenen Augen: „Spielst du mit mir?“
Sie schluckte und nickte. Er wirkte noch immer angespannt, doch als sie anfingen zu spielen, schien er lockerer zu werden. Er war gut. Sehr gut. Lilli ließ sich nicht unterkriegen. Sie spielte Tennis seit sie laufen konnte. Sie liebte den Sport, was ihre Eltern nie verstanden. Sie hatten immer gewollt, dass ihre einzige Tochter ein Instrument spielte. Aber Lilli hatte sich geweigert. Seit sie das erste Mal im Fernseher Frauen Tennisspielen gesehen hatte, war sie fasziniert von dem Sport. Jedes Jahr verfolgte sie die Meisterschaften über Fernsehen und sie spielte immer mit der Hauswand, da ihre Freundinnen ihre Begeisterung dafür nie nachvollziehen konnten. Schließlich meldeten ihre Eltern sie in einem Tennisverein an. Ein Jahr später gewann sie schon ihre ersten Meisterschaften und trat dem Schulteam bei. Letztes Jahr war sie Landesmeisterin ihrer Altersklasse geworden. Noch nie hatte sie gegen jemanden gespielt, der so gut war. Das erste Mal gewann er. Doch dann durchschaute sie seine Technik und das nächste Mal stand es unentschieden. Im letzten Spiel gewann sie. Die ganze Zeit dachte sie darüber nach, warum er ihr so seltsam vorkam. Als mit dem Fahrrad auf dem Nachhauseweg war, fiel es ihr plötzlich auf: Er lächelte nie. Kein einziges Mal. Es hatte aber eigentlich den Eindruck gemacht, dass es ihm Spaß gemacht hatte. Sie hatte noch keinen von den sechs Neuen lächeln sehen. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Sie hatten sicher ihre Gründe. Zu Hause angekommen, schob sie ihr Fahrrad in die Garage und ging ins Haus.
„Hallo. Mam, Dad?“
„Ich bin in der Küche, mein Engel.“
Alle die das hörten, dachten bestimmt, dass das kitschig war, doch Lilli hatte es gern, so genannt zu werden. Ihre Mutter stand in der Küche und räumte den Geschirrspüler aus.
„Wie war dein Tag?“, sie lächelte ihrer Tochter fröhlich zu.
„Schön“, Lilli nahm die Teller aus der Maschine und räumte sie in einen Schrank, „Wir haben heute die Physikarbeit zurückbekommen.“ „Und?“
„Eine Eins. Ich bin Klassenbeste.“
„Ich bin ja so stolz auf dich!“
„Wo ist Dad? Noch in der Arbeit?“
„Ja. Er muss heute länger bleiben.“
„Ach so.“
„Hast du Hunger?“
„Und wie! Was gibt es denn?“
„Gulasch. Hier.“ Sie stellte ihrer Tochter einen Teller voll hin. Während sie aß, räumte ihre Mutter fertig auf und setzte sich dann zu ihrer Tochter. Die beiden unterhielten sich lange.
Schließlich stand Lilli auf und räumte ihren Teller weg: „Ich geh und mach Hausaufgaben.“
„Ist gut.“
Sie packte ihre Schultasche und ging nach oben auf ihr Zimmer. Eine Stunde später war sie fertig und ging duschen. Danach stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich. Ihre langen hellbraunen Haare hingen nass über ihre Schultern. Wenn sie trocken waren, waren sie genauso glatt. Ihre langen dunklen Wimpern umrandeten ihre großen ockerfarbenen Augen. Ihre Mutter meinte manchmal, dass sie im richtigen Licht funkelten wie flüssiges Gold. Ihre Haut hatte vom Sommer noch einen leichten Teint. Lilli überragte ihre Mutter um einen Kopf und war mit 1,77m sogar größer als ihr Vater. Ihre Freundinnen beneideten sie immer um ihre Größe, was sie nicht nachvollziehen konnte. Groß zu sein war nicht immer vorteilhaft. Sie holte den Föhn und trocknete ihr Haar leicht an. Als sie sich anzog, bemerkte sie wieder das seltsame Mal auf ihrer Schulter. Lilli fand, dass es die Form eines Pfeiles hatte. Es hatte sie noch nie gestört. Nichts an ihrem Aussehen störte sie. Sie fragte sich oft, ob das falsch war, da jedes Mädchen in ihre Alter etwas an sich auszusetzen hatte. Elli zum Beispiel fand ihre Beine zu kurz und ihre Nase zu spitz. Kim hasste ihr blondes Haar und färbte es deswegen immer. Im Moment war es rot. Lilli ging nach unten ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß auf dem Sofa und sah fern.
„Gute Nacht, Mam.“
„Gute Nacht, Süße.“
„Sag Dad bitte hi von mir.“
Ihre Mutter lächelte: „Mach ich.“
In ihrem Zimmer legte sie sich ins Bett und las noch ein bisschen bevor sie einschlief.
Als sie am nächsten Morgen in die Schule kam, warteten Elli und Kim schon auf sie.
„Wie war Tennis?“, neugierig musterte Kim ihre Freundin.
Das war das erste Mal, dass sie sich danach erkundigte, doch als sie den Kommentar von Elli hörte, war ihr klar warum: „War Elijah da?“ „Ja. War er.“
„Ist er gut?“, Ellis Augen funkelten.
„Ja. Er hat einmal gegen mich gewonnen.“
„Moment mal“, Kim sah Lilli misstrauisch an, „Du hast gegen ihn gespielt?“
„Ja, der Träger ist krank. Deswegen übernimmt die Kamm die Jungs.“ „Du Glückliche!“
Auf einmal schnappte Elli nach Luft und klammerte sich an Kim. Sie starrte hinter Lilli. Verwirrt drehte die sich um und sah, warum ihre Freundin hyperventilierte.
Elijah kam auf sie zu: „Guten Morgen, Lilli.“
„Guten Morgen“, Lilli war etwas irritiert.
„Ich wollte dir nur zu deinem Sieg gratulieren. Du spielst wirklich gut. Besser als jeder andere, den ich kenne. Ich wollte dir das eigentlich schon gestern sagen, aber du warst so schnell weg.“
„Danke. Du spielst aber auch wirklich gut“, sie lächelte verlegen. Seine Augen funkelten, als ob er lächeln würde, doch er tat es nicht: „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“
Mit diesen Worten wand er sich ab und gesellte sich wieder zu seinen Kumpels. Elli quiekte.
„Hast du vergessen etwas zu erwähnen?“, forschend sah Kim Lilli an. „Was meinst du?“
„Na einer der sechs heißesten Jungs auf der Schule kommt zu dir hin, um dich zu loben und wir wissen nichts davon? Ich bin sehr enttäuscht von dir, Lilliane. Wirklich sehr enttäuscht. Aber egal. Jetzt erzähl. Was habt ihr gemacht? Hat er dich um ein Rendezvous gebeten? Oder dir zugezwinkert?“
„Kim! Was denkst du schon wieder? Du solltest mich ehrlich besser kennen. Wir haben nur Tennis gespielt.“
„Wer’s glaubt.“
Lilli verdrehte die Augen und ging ins Klassenzimmer. Kim fragte sie immer wieder, was sie denn jetzt wirklich gemacht hatten, aber sie wurde ignoriert. Elli bremste Kim nach einer Weile. In der Pause saßen sie in der Mensa und unterhielten sich über das nächste Wochenende.
„Alex hat gesagt, er will mit mir essen gehen. Das ist so süß von ihm!“ „Jens geht mit seinen Kumpels auf ein Rockkonzert. Eigentlich will er mich nicht mitnehmen, aber eine innere Stimme sagt mir, dass er seine Meinung noch ändern wird“, Kim grinste spitzbübisch.
Elli machte große Augen: „Wie diesmal?“
„Ich erzähle ihm, dass Joseph mich gefragt hat, ob ich übers Wochenende zu ihm will.“
„Hat er das echt?“
Kim seufzte: „Natürlich nicht! Er redet doch nicht mehr mit mir, seit ich mit ihm Schluss gemacht habe. Aber Jens weiß das nicht. Also wird er eifersüchtig und nimmt mich mit.“
„Genial…“, Elli war sichtlich beeindruckt.
„Sieh zu und lerne“, Kim grinste und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Plötzlich zog sie eine Augenbraue fragend hoch.
„Lilli?“
Sie drehte sich um und musste aufschauen, um in die fast schwarzen Augen blicken zu können.
„Ich bin Jeremia. Ich habe gehört, dass du mit meinem Freund Elijah Tennis gespielt hast. Er sagt du warst gut. Das hat er noch nie über jemanden, mit dem er gespielt hatte gesagt.“
„Ich…“, doch er unterbrach sie und als er weiter sprach lag ein Schimmer in seinen Augen, der ihr Angst machte.
„Ich dachte vielleicht willst du mal mit mir essen gehen. Wir wär’s mit morgen Abend?“
Aus einem ihr unerfindlichen Grund, sträubte sich alles in ihr gegen dieses Angebot: „Nein. Nein, danke.“
Da verschwand das Glitzern in seinen Augen.
Er klang ein wenig zornig: „Wie du willst. Du musst es ja wissen.“ Schon war er wieder verschwunden.
Kim starrte sie mit offenem Mund an: „Warum hast du nein gesagt?! Bist du des Wahnsinns?“
Plötzlich wurde Lilli schlecht: „Mir geht’s nicht gut.“
Elli sah sie mitfühlend an: „Soll dich jemand abholen?“
Lilli schüttelte kreidebleich den Kopf. Was war auf einmal los mit ihr? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es mit Jeremia zu tun hatte.
Die nächsten Stunden erlebte sie wie im Schlaf. Nach der Schule verabschiedete sie sich nur knapp und fuhr schnell Nachhause. Dort angekommen legte sie sich in ihr Bett. Ihre Mutter hatte sie nur besorgt angesehen und sofort verstanden, dass sie ihre Ruhe wollte. Lilli hörte wie ihr Handy einige Male klingelte, reagierte aber nicht. Sie sah immer wieder die schwarzen Augen vor sich aufblitzen. Sie hatte noch nie eine solche Angst verspürt. Mit den Händen fuhr sie sich über das Gesicht. Albern. Ja, so benahm sie sich. Albern. Wieso sollte sie vor Augen Angst haben? Stöhnend richtete sie sich auf und ging an ihre Hausaufgaben.






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