Aschenputtel auf Abwegen - Teil 2

Autor: Kanin
veröffentlicht am: 04.02.2014


So, der zweite Teil. Der Dritte ist auch schon fast fertig, der kommt dann die Tage. Vorab möchte ich mich für die asoziale Sprache ihrer Freunde entschuldigen, habt Verständnis :D Viel Spaß und teilt mir eure Meinungen mit!

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,,Meier?"
,,Joachim?"
,,Madison?"
,,Ja, Hallo!" lachte ich.
,,Hey, schön, dass du anrufst!" strahlte er in den Hörer. ,,Wie geht's dir? Hat dir dein Geschenk gefallen?"
,,Du glaubst gar nicht wie sehr Joachim, das ist das Tollste was ich je bekommen habe!" überschlug sich meine Stimme aufgeregt.
,,Na dann hab ich ja alles richtig gemacht, sehr gut. Du glaubst gar nicht, wie lange ich im Handyladen gestanden und gerätselt habe, heutzutage sieht ja alles gleich aus." lachte er. ,,Und sonst, wie läuft es zuhause? Ich hoffe doch, dass es wenigstens die Weihnachtszeit über harmonisch war." erkundigte er sich besorgt.
,,Naja, du kennst doch Michael." antwortete ich in abfälligem Ton. Ich nannte meinen Vater immer nur beim Vornamen. Wir wechselten noch ein paar herzliche Sätze und beendeten das Gespräch. Joachim lud mich und Fynn ein, das Silvesterfest bei ihm und seiner Freundin zu feiern. Ich hätte zu gern zugesagt, doch leider hatte ich den Jahreswechsel schon verplant.

Fröhlich sprang ich auf und lief rüber zu Fynn. Ich klopfte an, bekam aber wie gewohnt keine Antwort, weswegen ich einfach eintrat. Die übliche Unordnung hier, Fynn hatte das letzte Mal mit 13 aufgeräumt, als seine erste Freundin zu Besuch kam. Nun war er 17 und das Chaos führte ein Eigenleben.
,,Na? Was hast du bekommen?" strahlte ich und hielt mein Handy hoch. Er streckte mir neckisch die Zunge raus und zeigte mir das gleiche Exemplar.,,Kannst mir gleich mal die Nummer geben." fügte er gedankenversunken hinzu.
,,Gern, aber vorher will ich an deinen PC. Ich muss Shalia davon erzählen."
,,Wieso nimmst du dafür nicht das Haustelefon?" stöhnte er genervt. ,,Ich chatte grade."
,,Weil Mama das benutzt.. Komm schon, du weißt ich hab keinen eigenen!" bettelte ich herzzerreißend.
Er schüttelte die blonden Haare zur Seite und sah auf sein altes Handy, das grade vibriert hatte. ,,Meinetwegen, ich muss jetzt eh los." murmelte er und schnappte sich seine schwarze Bomberjacke.
,,Wohin?" erkundigte ich mich besorgt und setzte mich auf den freigewordenen alten Schreibtischstuhl.
,,Ist egal. Ich hab noch was für dich." wechselte er hastig das Thema und drückte mir einen Umschlag in die Hand. ,,Hier, nimm das. Und frag nicht, es ist für dich und gut. Frohe Weihnachten."
Ich sah hinein und holte verwirrt sechs 50€-Scheine hervor.,,Fynn..? Woher hast du das?"
,,Ich hab doch gesagt, dass du nicht fragen sollst. Ich will, dass du mal wieder shoppen gehst."
,,Aber ich.."
,,Keine Widerrede! Ich bin dein großer Bruder und hab das Sagen!" grinste er und richtete sich die Haare vor dem Schrankspiegel.
,,Du bist nur 5 Minuten eher geboren, du alter Angeber!" brummte ich und steckte das Geld zurück in den Umschlag.
,,Madison, tu mir einfach den Gefallen. Deine letzte Hose ist zwei Jahre alt. Du bist nicht hässlich genug um vergammelte Klamotten zu tragen." Ein amüsiertes Glucksen entfuhr meinen Lippen. Er fand mich nur hübsch, weil ich ganz genau so aussah wie er, nur in weiblicher Form. Ohne eine Antwort abzuwarten gab er mir schnell einen Kuss auf die Stirn und verschwand aus dem Zimmer. Das Letzte was ich noch hörte war das Knallen der Wohnungstür. Der Raum stank mal wieder bestialisch nach Gras, was mir aber erst jetzt auffiel. Angewidert riss ich das Fenster auf und setzte mich zurück an den angeschalteten PC, wo ich mich bei Facebook einloggte. Prompt bekam ich eine Nachricht von Shalia, meiner besten Freundin.
'hey <3 wieder zuhause? :)'
'ja seit gestern abend.. und was hast du bekommen? :-)'
'neue ohrringe und ein bisschen geld.. und du? :)?'
'ich weiß dass du ohrringe gekriegt hast, die sind schließlich von mir :-DD' tippte ich lachend. Von ihr hatte ich eine Fotocollage bekommen, die nun stolz in meinem Zimmer hing.
'jaa ok stimmt :D also was hast du gekriegt?'
'gib mir mal deine handynummer, dann sag ichs dir :)))))))))))'
'OHNE SCHEIß????? DOCH NICHT VON DEINEN ELTERN!'
'nope, von meinem onkel :)'
'0151-340XXXXX.. wie geil ist das denn??!! ey lass uns gleich treffen und irgendwas machen. meine eltern streiten sich seit stunden und yasmin und jessica nerven -.-'
Mein Blick wanderte zu Fynn's Umschlag, der neben dem Mousepad lag. Sollte ich wirklich? Ich meine, ich wusste woher er das Geld hatte, vom Dealen. Aber ich würde so gerne mal wieder ein paar neue Sachen kaufen.. Ich biss mir schuldbewusst auf die Lippen und tippte meine Antwort ein.
'klar, wie wärs mit shoppen?'
'seit wann gehst du denn shoppen? :D'
'seit jetzt :-D also?'
'natürlich!! muss ja irgendwie mein weihnachtsgeld verprassen ;) in 5 minuten unten am spielplatz?'
':D in ordnung, ja bin dann da. bis gleich :-**'
'bis gleich <3'
Ich loggte mich aus, schnappte mir das Geld und legte es in meinem Zimmer in meinen schwarzen Geldbeutel. Dieses Jahr schien ich echt Glück zu haben, erst das Handy und jetzt konnte ich mir sogar ein paar neue Sachen holen. Dann kämmte ich meine blonden Haare und band sie zu einem lockeren Dutt, legte ein wenig Wimperntusche nach und verschwand mit meiner schwarzen Winterjacke aus der Wohnung. Beim Hinausgehen hörte ich noch, wie mein Vater nach einer neuen Bierflasche schrie, während meine Mutter genervt an ihrer Zigarette zog und laut am Hörer diskutierte.
Shalia wohnte direkt im Häuserblock nebenan und hatte demnach mit den gleichen familiären Sorgen und Nöten zu kämpfen wie ich. Nur im Gegensatz zu mir hatte sie fünf Geschwister und nicht zwei, von denen der älteste aber schon ausgezogen war. Die übrig gebliebenen Kinder, von denen das jüngste grade vier war, machten ihrer schwer arbeitenden Mutter das Leben trotzdem nicht einfacher, der achtjährige Lukas rauchte und klaute schon und auch der 16-jährige Markus war kein Vorzeigesohn. Er verkehrte in den gleichen Kreisen wie Fynn, weswegen er oft Ärger mit der Polizei hatte. Der arbeitslose Vater der Familie war ein gewalttätiger Alkoholiker, der im Suff leider auch vor sexuellem Missbrauch nicht zurückschreckte. Oft schon hatte ich Shalia nachts bei mir aufnehmen müssen, doch anzeigen tat sie den Dreckskerl trotzdem nicht, aus Angst. Ich musste ihr in die Hand versprechen zu schweigen, auch wenn ich nichts lieber täte als selbst zur Polizei zu gehen und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Aber ich tat es nicht, auch aus Angst vor seinen Wutausbrüchen.

Ich erreichte den heruntergekommenen Spielplatz, der von den Häuserblocks umschlossen war und sah Fynn, der sich mit seinen zwielichtigen Freunden am Klettergerüst einen Joint genehmigte und Wodka trank. Als er mich sah gab er Flasche und Glimmstängel an Markus weiter und lief auf mich zu.
,,Was machst du hier?" erkundigte er sich neugierig und durchbohrte mich besorgt mit den gleichen braunen Augen wie ich sie hatte.
,,Auf Shalia warten. Du stinkst wie 'ne Kneipe." schimpfte ich und vergrub wütend die Hände in den Taschen.
,,Ach, ich bin nüchtern. Noch." grinste er und fuhr sich durch die Haare. Ich hasste es wenn er trank, nochmehr hasste ich es wenn er Drogen nahm. Bedauerlicherweise tat er beides regelmäßig. Wahrscheinlich um unserer harten Realität zu entkommen, was ich ihm noch nicht mal übel nehmen konnte. Ich sah Shalia aus dem Häuserblock kommen und ließ meinen Bruder mit einem strafenden Blick an Ort und Stelle stehen.
,,HAAIIIIIII!!!" brüllte sie über den ganzen Platz und rannte auf mich zu. Fynn's Prollfreunde warfen uns ein paar notgeile Bemerkungen zu, was unseren Brüdern gar nicht gefiel. Aber hier im Viertel bekam man sowas an jeder Ecke zu hören. Eben typisch Berlin Neukölln-Nord. Unbeeindruckt setzten wir unseren Weg fort, auf dem Shalia mein neues Heiligtum bewunderte.
,,Verdammt, ich will auch so einen Onkel!" jammerte sie grün vor Neid und gab es mir zurück. Wir nahmen den nächsten Bus und fuhren in Richtung Innenstadt. Zum Glück hatte ich noch etwas Kleingeld dabei, sonst hätte ich mit einem Fünfziger zahlen müssen. Am Ziel angekommen war unser erster Stopp H&M, wo ich meinen Gutschein einlösen wollte. Ich erstand einen schönen schwarzen Pullover, schlicht aber elegant. Mein Guthaben auf der Geschenkkarte war damit aufgebraucht und wir marschierten in eine andere Einkaufsstraße, in der die Ware billiger war. Man nannte die Geschäfte hier 'Türkenläden', weiß der Geier warum, aber die Klamotten waren wunderschön und meist auch sehr gut geschnitten. Was ich mir als erstes kaufte war eine waldgrüne Winterjacke, die derzeit ziemlich angesagt war. Mir gefiel vorallem das braune Fell an der Kapuze. Passend dazu ein paar knöchelhohe schwarze Wedges mit Keilabsatz und ein großes Rundhalstuch in blassen rosa-weiß-grün-und Rottönen. Als nächstes waren die Jeans dran: Zwei dunkelblaue, eine hellblaue, zwei schwarze und eine weiße, alle sehr eng und figurbetonend. Dann ergatterte ich noch ein paar Oberteile, zwei weitere Paar Schuhe, eine neue Tasche und eine graue Wollmütze. Irgendwann kam Shalia auf die glorreiche Idee mir ein Glätteisen aufzuschwatzen, weswegen wir die halbe Stadt nach einem passenden Laden abklapperten. Nachdem wir den letzten Laden mit ein wenig Unterwäsche verlassen hatten, gönnten wir uns von unserem restlichen Geld noch einen Kaffee bei Starbucks oder eher gesagt gönnte ich mir einen Kakao, weil ich Kaffee nicht mochte. Insgesamt schleppten wir 20 Einkaufstüten mit uns herum, von denen gut 15 meine waren. Shalia freute sich über meinen frischen Style beinahe mehr als ich, sie meinte so könnte ich viel mehr aus mir machen. Ich war vorher zwar nicht in Lumpen herumgelaufen, aber meine Klamotten waren alle sehr alt und abgetragen, was mich aber nie gestört hatte. Bei uns im Viertel achtete, außer den billig aufgetakelten Tussis, eigentlich niemand auf das Aussehen, jedenfalls niemand den ich für voll nahm. Besonders stolz war ich auf mein neues schwarzes Kleid, was mich nur knapp 10€ gekostet hatte. Könnte ich an Silvester gut anziehen, was übrigens schon übermorgen war.
Wir fuhren zurück ins Viertel und trennten uns vor den Häuserblocks kurz um die Tüten nach Hause zu bringen. Auf dem Spielplatz war außer ein paar Kindern niemand mehr zu sehen, Fynn hatte es mit seinen Freunden also woanders hinverschlagen. Wahrscheinlich lungerten sie wieder am Bahnhof oder im Park rum und drehten krumme Dinger. Oben angekommen schmiss ich alles auf mein Bett und wechselte schnell meine komplette Garderobe. Schwarze Schuhe, hellbraune Jeans, weißes T-shirt, Halstuch und Jacke drüber, fertig. Auf die Wollmütze verzichtete ich und die Jacke ließ ich auf, da es für Dezember viel zu warm war und nicht einmal Schnee lag. Nur windig war es, was mir das Ding wahrscheinlich ohnehin nur vom Kopf geblasen hätte. Ich fühlte mich direkt wie ein neuer Mensch und besah mich stolz im Spiegel. Plötzlich ertönte ein beeindruckendes Pfeifen aus der Tür. Meine Mutter lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und sah mich von oben bis unten an.
,,Ja sag mal, du siehst aber schick aus!" bemerkte sie beeindruckt. Ich bekam selten Komplimente von ihr, umso mehr freute ich mich darüber, dass mein neues Aussehen Anklang fand. Neugierig begutachtete sie den Inhalt der anderen Tüten und kam aus dem Staunen kaum noch heraus. ,,Meeeensch Madison, das sind ja todschicke Sachen! Schade, dass wir nicht die selbe Kleidergröße haben." lachte sie scherzhaft und strich mir über die Haare. ,,Siehst richtig erwachsen aus meine Kleine, gefällt mir. Hast du das Geld von Joachim?"
,,Ja." log ich. ,,Danke Mama, das ist lieb von dir!"
,,Ja Mensch, das müssen wir heute Abend gleich der Oma zeigen, die kommt vorbei. Vielleicht sollten wir öfter mal in neue Klamotten für dich investieren, du bist ja die letzte Zeit ziemlich kurz gehalten worden." stellte sie beschämt fest.
,,JUDITH VERDAMMT, DAS BIER IST SCHON WIEDER ALLE!" hörte ich meinen Vater aus dem Wohnzimmer brüllen.
,,Tut mir Leid Schatz. HÖR AUF ZU SCHREIEN ICH BIN SOFORT DA!" brüllte meine Mutter zurück und verließ fluchend das Zimmer. Ich schnappte mir meine neue Tasche, packte alle nötigen Sachen rein und ging fröhlich zurück nach unten.
,,Boah, du siehst megatoll aus!" lobte Shalia mich und knotete meinen Dutt auf.,,Und mit offenen Haaren sogar noch besser!" Sie zog eine Bürste aus ihrer Tasche und kämmte meine lange Mähne durch, die nun in leichten Wellen an mir herunterfielen.
Auch sie hatte sich sofort ein paar ihrer neuen Errungenschaften übergeworfen, nämlich die weißen Stiefeletten mit dem schwarzen Absatz. Passte zur dunkelblauen Jeans und der engen weißen Daunenjacke mit dem schwarzen Fell an der Kaputze und dem weißen Gürtel. Ihre schulterlangen dunkelbraunen Haare trug sie offen, zwischen denen ihre großen, silbernen Creolen hervorlugten. Mir fiel auf, dass ich mit meinen neuen Sachen ziemlich herausstach und viele Blicke auf mich zog, was mir ganz und gar nicht gefiel. Hier war es klüger unauffällig zu bleiben, auch wenn ich was Selbstverteidigung anging keine 5-Jährige war.
,,Ey ich schreib jetzt den anderen, die sollen kommen." teilte Shalia mir mit und tippte mit ihren künstlichen Nägeln auf ihrem Handy herum.
Wir machten uns auf den Weg zum Körnerplatz und ließen uns auf einer der Bänke nieder, indem wir uns auf die Lehne setzten und die Füße auf die Sitzfläche stellten. Die große Anlage war schön und geschmackvoll wie ich fand, das änderte aber nichts daran, dass hier die Kriminalität boomte. An jeder Ecke sah man Junkies und Dealer, selbst harte Drogen wie Heroin waren keine Seltenheit. Wie viele andere auch wünschte ich mir nichts sehnlicher, als endlich aus diesem Stadtteil heraus zu kommen, etwas Besseres zu werden. Doch die Perspektive sah lau aus, existierte fast gar nicht. Mein Familienstammbaum zog sich von einem Armenviertel ins nächste, über Generationen hin. Die Jungs lernten hier schnell, dass sie nur mit Dealerei, Autoschieberei und sonstigen Verbrechen zu Geld kamen und die Mädchen, dass ihnen meist nur Prostitution oder viele Kinder ein Einkommen gewährten. Viele gleichaltrige Freundinnen von uns hatten schon ein Baby oder waren schwanger, manche wussten sogar gar nicht, wer der Vater war. Aber selbst wenn sie es gewusst hätten, eine Vaterschaft wurde hier nur selten anerkannt um sich vor dem Unterhalt zu drücken.
Wir entdeckten Yussuf, Cheyenne, Mia, Justin, Serhat und Tiemo, den Rest aus unserer "Gruppe", die lachend auf uns zusteuerten und uns fröhlich umarmten. Mia und Cheyenne setzten sich direkt neben uns und brachten uns über die Ereignisse im Viertel auf den neusten Stand. Ich bekam weitere Komplimente für mein Aussehen und eine Zigarette angeboten, die ich dankbar annahm. Zugegeben, Rauchen war schlecht, sehr schlecht. Aber ich tat es auch nicht oft, vorallem weil Fynn dann ausrasten würde. Ich ließ meinen Blick vorsichtshalber noch mal durch den Park schweifen, bevor ich sie anzündete.
,,Ey habt ihr schon das von Kim gehört? Die hat Kemal Nacktbilder von sich gemacht und der zeigt die jetzt rum." lachte Mia und zog an ihrem Glimmstängel.
,,Ernsthaft? Krass.. Ja kein Wunder wenn die sich so verarschen lässt, die denkt auch der heiratet die oder so." gab Shalia schadenfroh zurück.
,,Ja ey, wie wärs mit bisschen Woddi oder so?" warf Yussuf dazwischen. ,,Wir brauchen eh noch für Silvester. Geht das jetzt klar mit deinem Keller?" fragte er Tiemo.
,,Jo, aber Shisha muss irgendwer mitbringen, meine geht seit dem letzten Mal nicht mehr."
,,Ja kein Wunder man" lachte Serhat, ,,Ich schwör, der Junge ist so dumm. Steht auf, hält den Schlauch in der Hand und geht weg, ganzes Teil runtergeflogen." Er schlug ihm neckisch auf den Hinterkopf.
Plötzlich riss mir Shalia die Zigarette aus der Hand, drückte die Glut ab und versteckte sie in ihrer Jacke. ,,Dein Bruder kommt."
Und tatsächlich, er und seine Leute hatten grade den Park betreten, uns aber noch nicht gesehen. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu und holte mein Handy raus um mir die Nummern der anderen geben zu lassen, während sich mein Bruder mit seinen Freunden näherte.
,,Was geht?" begrüßten sich die Jungs mit einem Handschlag und die Mädchen umarmten uns halbherzig. Allesamt rochen sie nach billigem Parfum, was in mir einen Hustenreiz auslöste. Fynn sah mich von oben bis unten an und wirkte rundum zufrieden.
,,Ey, hat Mutter noch irgendwas gesagt wegen der Tür?" fragte Markus seine Schwester.
Shalia zuckte nur mit den Schultern und spuckte auf den Sitz der Bank. ,,Juckt mich doch nicht was die sagt, soll mal auf ihr Leben klar kommen."
Ich sah sie fragend an und ignorierte ihre Gossensprache, die ich mehr als abscheulich fand.
,,Markus hat vorhin in seine Zimmertür geboxt, die hat jetzt ein Loch." erklärte sie mir.
,,Ah Yussuf, Emre sucht dich." warf Fynn dazwischen und sah auf sein Handy. ,,Ja ey, wir müssen weiter. Haut rein."
,,Wann bist du heute zuhause?" erkundigte ich mich noch.
,,Keine Ahnung, irgendwann." reagierte er schulterzuckend und dampfte mit seinen Freunden ab.
Auch wir machten uns langsam auf den Weg, für eine Silvesterfeier brauchte man schließlich ein paar Kleinigkeiten. Und da keiner von uns Geld hatte, kamen wir mit leeren Taschen ins Geschäft und mit vollen wieder raus. Allen voran Serhat und Yussuf, die mit ihren Bomberjacken den meisten Gewinn abstaubten. Ich fragte mich echt, wie verdammt nochmal sie es geschafft hatten, jeweils zwei Wodkaflaschen und eine Großpackung Böller unauffällig darin verschwinden zu lassen. Natürlich war Klauen armselig und schlecht, aber so komisch das auch klang, es gab mir einen gewissen Kick. Es gab leider nicht viele Dinge die einem hier Spaß machten, aber das war natürlich auch keine Entschuldigung. Mit guter Laune verstauten wir die Sachen im Kellerraum von Thiemo, wo wir auch gleich ein wenig aufräumten. Er wohnte zwei Häuserblocks weiter entfernt, ebenfalls in einem heruntergekommenen Hochhaus. Justin wohnte ebenfalls hier und ging schnell mit Yussuf nach oben um seine Boxen runterzutragen. Der quadratische Raum war nicht besonders groß und fensterlos, doch zum feiern reichte es. Boden und Wände bestanden aus hässlichem matten Beton, wurden aber größtenteils von einem zerfetzten alten Teppich und diversen Postern bedeckt. Links in der Ecke standen zwei vergilbte hellbraune Sofas, zwei Sessel und ein Sitzsack um einen runden Kaffetisch aus dunkelbraunem Holz herum. Rechts an der Wand ein Eckschreibtisch, auf dem wir nun einen der Boxen aufstellten. Die anderen drei wurden in den Ecken verteilt. Justin war der einzige von uns, der einen Laptop besaß. Zwar war der nicht mehr der Neuste, aber er würde uns mit reichlich Musik versorgen. Hier unten konnten wir übermorgen Krach machen wie wir lustig waren, im Haus störte das ohnehin niemanden, wenn man es überhaupt hören sollte durch die dicken Betonwände. Außerdem war Thiemo's Kellerraum nicht der einzige, der hin und wieder für Partyzwecke genutzt wurde. Wir hingen noch ein paar bunte Lichtergirlanden auf und stellten ein paar Schüsseln für Knabberzeug bereit. Nach zwei Stunden waren die Vorbereitungen fertig und wir fanden, dass das Ergebnis sich sehen lassen konnte. Da niemand zuhause etwas hatte worauf er sich freuen konnte, zwackten wir uns von unserem Alkoholvorrat zwei Flaschen Wodka ab und machten uns wieder auf den Weg zum Körnerplatz. Zwar waren wir es gewohnt, dass wir oft auf andere Gruppen trafen und hin und wieder die Fetzen flogen, doch die Meute die uns jetzt entgegen kam schnürte mir beinahe die Luft ab. Ihr "Anführer" war nämlich kein geringerer als Florian Neustedt - mein Exfreund. Grüne Augen, dunkelbraunes Haar, relativ gut gebaut und ein absolut hinreißendes Babyface waren eine tödliche Mischung, die mich damals meine Jungfräulichkeit gekostet hatte. Ich weiß, ich hätte es besser wissen müssen. Aber wir waren damals schon ein ganzes Jahr lang zusammen gewesen, also dachte ich mit meinen naiven 14 Jahren, dass er es wirklich ernst gemeint hatte als er sagte, dass er mich liebt. Nachdem er mich nach unserem ersten Mal dann verlassen hatte kam raus, dass er neben mir noch mit zwei anderen Mädchen zusammen gewesen war, die ebenfalls dachten sie wären die Einzigen. Im Endeffekt hatte mir meine erste Liebe also nur einen Haufen Tränen, und Fynn seine erste Anzeige eingebracht, da er ihn fast tot prügelte. Ende von Lied war, dass seine und Flo's Gruppe nun absolute Todfeinde waren und regelmäßig aufeinander losgingen.
,,Ignorier den Spast einfach." flüsterte Mia mir aufmunternd zu und hakte sich bei mir unter.
,,Madison, was los mit dir?" fragte Yussuf besorgt.
,,Da vorne kommt ihr Ex mit seinen Freunden." erklärte Shalia und setzte schon mal eine herablassende Miene auf.
,,Egal, scheiß auf den. Wenn der was sagt kriegt der Schellen." rümpfte der bullige Albaner seine Nase und spuckte in die Gegend. Bedauerlicherweise war Florian in Thiemos Klasse, also blieb die ganze Bande kurz stehen damit er ihn begrüßen konnte.
,,Was geht?´´ fragte er lässig und reichte ihm die Hand.
,,Chillen, nichts. Wir wollen zum Körnerplatz." antwortete Thiemo ebenso lässig und spuckte gemächlich auf den Boden. Florians Blick wanderte zu mir, dann abschätzig an mir herunter. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen gefiel ihm was er sah. Ich biss mir unsicher auf die Unterlippe und sah auf den Boden.
,,Hallo Maddi." begrüßte er mich grinsend. Ich hasste es, wenn mich jemand "Maddi" nannte und das wusste er ganz genau.
,,Hallo." antwortete ich nur abweisend und würdigte ihn keines weiteren Blickes.
,,Was los, schlechte Laune?" lachte Adnan spöttisch.
,,Halt dein Maul du Opfer!" fuhr Shalia ihn an. ,,Ja echt mal." stimmte Cheyenne ihr wütend zu. Normalerweise war die Brünette eher ein ruhiger Typ, aber wenn es um ihre Freundinnen ging kannte sie nichts.
,,Beruhigt euch. Haut rein, wir gehen weiter." unterbrach Thiemo den Streit und verabschiedete sich mit einem Handdruck von Florian. Der zwinkerte mir in Vorübergehen noch grinsend zu, doch ich reagierte nicht drauf. Viel zu lange hatte ich ihm nachgetrauert und jetzt, kapp drei Jahre später, konnte ich endlich mit Stolz sagen, dass mir dieser Kerl absolut egal war. Nie wieder würde mich jemand so dermaßen veräppeln können. Fertig.





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