Aschenputtel auf Abwegen

Autor: Kanin
veröffentlicht am: 27.01.2014


Hallo! Da ich bei Norella & Co nun schon die dritte Fortsetzung fertig geschrieben habe, wollte ich mal nebenbei mit etwas anderem beginnen, fernab von Fantasy und Wesen :D

Also, viel Spaß mit Madison!

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Es war ein Tag wie jeder andere, genauer gesagt Dienstag. Die Weihnachtstage lagen grade hinter uns und meine Mutter versuchte so diskret wie möglich, die hässliche Kaffeemaschine die Tante Irene ihr geschenkt hatte online zu verkaufen. Auch mein Vater war nicht unbedingt glücklich mit seinem neuen Pullover und dem Gutschein für zwei Fitness-Stunden, obwohl diese ihm eigentlich ganz gut täten. Der Einzige aus der Familie der vollends zufrieden mit der Arbeit des Christkindes war, ist mein siebenjähriger Bruder Brandon. Aber gut, in dem Alter kann man mit einem XXL-Playmobilset, einem neuen Fahrrad, unzähligen Spongebob-DVD's und einem Smartphone wohl nicht viel falsch machen, auch wenn ich es ziemlich fragwürdig fand, wozu er so ein Ding brauchte. Obwohl wir nicht viel Geld zur Verfügung hatten waren meine Eltern immer ziemlich verschwenderisch, grade an Weihnachten, weswegen wir hochverschuldet in einem sozialen Brennpunkt lebten. Einzig bei mir und meinem Zwillingsbruder Fynn schien die Großzügigkeit Grenzen zu haben, unsere einzigen Geschenke von ihnen waren 15 € Gutscheine für H&M. Wir waren nicht unbedingt versessen auf teure Geschenke, aber so abgespeist zu werden während das Nesthäkchen der Familie sich die Finger am Geschenkpapier wundriss war ziemlich verletzend und machte uns unmissverständlich klar, welchen Stand wir bei ihnen hatten. Nämlich gar keinen. Glücklicherweise hatten wir noch Großeltern, Tanten und Onkel, die im Gegensatz zu unseren Eltern auch uns beachtet hatten und mit uns feierten. Wir waren zum Fest wie immer bei unseren Großeltern in Kreutzberg gewesen, wo sich wie jedes Jahr die gesamte väterliche Familie versammelt hatte und Glückseligkeit mimte, während im Hintergrund der Fernseher lief. Ich sage speziell mimen, weil sich der Großteil untereinander hasst und keiner dem anderen etwas gönnt. So wechselten wie jedes Jahr die meisten Geschenke vom vorherigen Fest die Besitzer und jeder heuchelte Freude über die neue Errungenschaft. Den absoluten Rekord dabei hielt genau die Kaffeemaschine, die Tante Irene meiner Mutter angedreht hatte. Sie bekam sie letztes Jahr von Onkel Günter, der wiederum hatte sie im Jahr davor von Onkel Werner erhalten und der Ursprung des Übels war Oma Annelore, die das Mistding in irgendeinem Secondhandladen erstanden und in Umlauf gebracht hatte. Niemand, wirklich niemand wollte das grottenhässliche, vergilbte Teil haben, schon gar nicht in Zeiten von hochmodernen Espresso-Maschinen.


,,ESSEN IST FERTIG!" hörte ich meine Mutter brüllen, was mich dazu bewegte mich träge von meinem Bett aufzurappeln und in Richtung Wohnzimmer zu trotten. Ich hasste unsere Wohnung, obwohl sie vom Grundriss her schön groß und geräumig war. Schuld an meinem Missfallen war die nette Dame Mitte 40, die mir soeben geistesabwesend die Hühnersuppe auf den Teller klatschte, während sie den Blick auf das Nachmittagsprogramm richtete. Das einzige Zimmer was hier pedantisch sauber gehalten wurde war das von Brandon, welcher auch gleich das größte in der ganzen Wohnung besaß, während Fynn und ich in besseren Abstellkammern hausten an denen die Tapeten abgerissen und bemalt waren, ein Überbleibsel der Vormieter. Wir wohnten bereits seit 7 Jahren hier und nie kam einer der beiden Witzfiguren von Eltern darauf uns mal neue Tapeten oder zumindest ein wenig Wandfarbe zu gönnen. Unser Vater sagt immer, wir sollen uns einen Nebenjob suchen wenn wir Sonderwünsche haben, doch das ist in diesem Stadtviertel leichter gesagt als getan. Alle Arbeitsstellen die für Jugendliche zugänglich sind, werden bereits von anderen belegt. Hier versucht eben jeder so gut es geht eine zusätzliche Geldquelle aufzutreiben, weswegen die meisten in meinem Alter hier schon Drogen verkaufen oder anderweitig krumme Dinger drehen. Zu erstgenannten zählte leider auch mein Bruder, der die erste Anlaufstelle für jeden war der Marihuana oder LSD brauchte, weswegen er und seine Bande häufig in Schlägereien mit der Konkurrenz gerieten. Ich lag ihm ständig damit in den Ohren, dass er damit aufhören solle, doch egal welche Argumente ich brachte oder wie deutlich ich ihm machte welche Sorgen ich wegen ihm hatte, er brummte sich nur jedes Mal irgendetwas Unverständliches in den Bart und verschwand in seinem Zimmer. Dann drehte er meistens die Musik voll auf und kam erst zum Abendessen wieder raus. Ich hatte nichts gegen Sido, aber sein Zimmer lag direkt neben meinem und so dröhnte alles durch die dünnen Wände.


Nach dem Essen drückte meine Mutter Fynn und mir jeweils ein kleines Paket in die Hand. ,,Hier, kam eben mit der Post. Ist von Onkel Joachim."
,,Versucht dein Bruder wieder sich bei den Kindern einzuschleimen?" meckerte Vater und stieß einen lauten Rülpser aus, nachdem er einen Schluck von seinem Bier genommen hatte. ,,Soll mal lieber 'n bisschen Geld rüberwachsen lassen statt die undankbaren Gören zu verwöhnen."

Ohne groß auf sein Gezeter einzugehen verschwanden wir zurück in unsere Zimmer und machten uns neugierig ans Auspacken.

"Liebe Madison, Kate und ich wünschen dir frohe und besinnliche Weihnachtstage!"

Mit in der schön bedruckten Karte noch ein großer Schein, den ich vorsichtshalber in einem meiner Bücher versteckte. In dieser Familie hatte schon so manche Summe unbemerkt den Besitzer gewechselt, meistens floss sie in die Tasche meines Vaters. Ich öffnete sorgfältig das kleine Geschenk und fand eine nagelneue Handyschachtel vor, auf der eine weitere Notiz klebte.

"Unabkömmlich in deinem Alter. Und keine Sorge wegen der Kosten, der Vertrag läuft über mich. Ruf mich doch gleich mal an!"
Darunter seine Nummer. Verdammt, das Modell war nagelneu! Onkel Joachim war der einzige aus der Familie, der wirklich was erreicht hat. Auch wenn er mit meiner Mutter und seinen anderen 3 Geschwistern in den gleichen ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war wie ich hatte er studiert, sich selbstständig gemacht und besaß nun eine große Anwaltskanzlei. Und das, obwohl er mit 18 hinausgeworfen wurde. Während des Abiturs und dem Studium hatte er sich mit Minijobs über Wasser gehalten und am Existenzminimun gelebt, heute besaß er neben seiner Villa ein Ferienhaus und ein verdammt teures Auto. Mein Vater hasste ihn wie die Pest, hauptsächlich weil er neidisch war, immerhin arbeitete er selbst nur als schlecht bezahlter KFZ-Mechatroniker. Ich hatte den großen Traum in Joachims Fußstapfen zu treten und ebenfalls Anwältin zu werden, doch mit meinen Schulnoten konnte ich das vergessen. Das Problem war einfach, dass meine Eltern mich schulisch nicht unterstützten. Ständig bekam ich Einträge wegen fehlender Unterrichtsmaterialien, weil ich nur wenige Stifte und keine Geodreiecke, Malkästen oder Zirkel hatte. Auch Hefte und Blöcke waren bei mir eine Seltenheit, weswegen ich oft meine Hausaufgaben nicht machen konnte. Und letzte Woche, ja letzte Woche dann der Eklat. Brandon hatte mein Deutschbuch zerissen und bemalt. Ich hatte zwar momentan Ferien, doch das würde nächstes Jahr einen Haufen Ärger geben. Umso gelegener kamen mir nun die 50 Euro von Onkel Joachim, mit denen ich ein neues Exemplar kaufen konnte.
Glücklicherweise war ich in der Klasse nicht die einzige die Probleme mit Materialien und Noten hatte. Da die Gesamtschule mitten in unserem Viertel lag, kam fast die komplette Schülerschaft aus armen Verhältnissen, oft wurde zuhause nicht einmal richtig deutsch gesprochen.
Wie ein rohes Ei nahm ich das neue Handy aus dem Karton und klippte die kleinen Haken an den Seiten hoch um das Gehäuse zu öffnen. Dann trennte ich vorsichtig die neue Karte aus der Halterung und legte sie ein. Ich verschloss das Gerät wieder und drückte ca 2 Sekunden lang auf die runde Taste an der Seite, bis der große Bildschirm hell aufleuchtete und das Startsymbol erschien. Wow. Mein erstes eigenes Handy. Schnell wählte ich Joachims Nummer und drückte auf den grünen Hörer.






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