Son of a Preacher Man - Teil 9

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 20.01.2014


Hallo ihr Lieben. Kennt ihr mich noch?^^
Nach einer gefühlten Ewigkeit jetzt mal wieder ein neuer Teil.
Unsere Anna ist vom Kirchencamp abgehauen und ist schnurstracks zu dem Festival mit geklautem Jesusmobil gedüst. In diesem Teil geht’s also mit den DuskyDays weiter :)
Viel Spaß! Und vielleicht lasst ihr mir ja nen Kommi da!
Eure Maggie



Teil 9

Teil 9

„Ihr seid doch total verrückt! Das werden wir auf gar keinen Fall gut heißen. Nicht wahr, Olaf?“, meine Mutter wendet sich hilfesuchend an meinem Vater, welcher leicht sprachlos in seinem Sessel sitzt und uns ungläubig anstarrt.
Mit uns meine ich Chris und mich.
Wir sind bei meinen konservativ, spießigen Eltern und eröffnen ihnen unsere Zukunftspläne.
Und diese gehen so garnicht konform mit den Vorstellungen meiner Erzeuger.

„Anna!“, warnt meine Mutter, „Du hast bereits die Zusage von der Uni und Chris hat noch nicht mal sein Abitur! Das ist doch Wahnsinn! Er braucht doch einen Abschluss!“
Mein Blick wandert zu Chris, er zuckt lässig mit den Schultern.
„Ich brauch keinen Abschluss.“, entgegnet er ernst. „Dieses eine Jahr bis zum Abi ist pure Verschwendung.“

Die Augen meinen Eltern werden immer größer und ich sehe die Verzweiflung darin. Sie wissen, dass wir nicht aus Spaß hier sind. Und sie kennen meinen Dickkopf.
„Was sagt denn deine Mutter zu diesem Plan?“, fragt mein Vater. Er versucht wie immer die Stimme der Vernunft zu sein, dabei wissen wir alle, dass es vergebene Liebesmüh ist. Dafür ist er viel zu weich.
„Die ist froh, wenn ich mein eigenes Geld verdiene.“, sagt Chris.

„Von was wollt ihr denn in Berlin leben?“, fragt meine Mutter aufgebracht. „Ihr braucht eine Wohnung!“
„Ich glaube, in Berlin sind Wohnungen Raritäten!“, murmle ich und verdrehe die Augen.
Sie weiß, egal mit welchem Argument sie mir kommt, ich werde sowieso das machen, was ich für richtig halte. Immerhin bin ich volljährig.

Ich habe vor zwei Wochen mein Abitur gemacht. Und vor genau fünf Tagen hat Chris das Angebot seines Lebens bekommen.
Ein Berliner Label will ihn. Dieses Label ist so bekannt und erfolgreich, dass sie ihm versprechen konnten, dass er mindestens einen Auftritt jedes Wochenende bekommt und pro Stunde wird er 400 Euro verdienen. Wir haben keine Minute gezögert und zugesagt.
Der Vertrag ist unterwegs. Ich habe schon alles in Bewegung gesetzt und will so schnell wie möglich weg hier. Raus aus Weimar. Mit Chris.
Das Gespräch mit meinen Eltern ist nur noch Formsache.

„Und was willst DU dort machen?“, mein Vater wendet sich mit seiner Frage direkt an mich.
Ich zucke mit den Schultern.
„Das werde ich dann sehen.“, sage ich blauäugig.
Mein Vater schüttelt enttäuscht mit dem Kopf. „Das ist das Unvernünftigste, was ich je gehört habe, Anna.“
Wieder zucke ich mit den Schultern.
„Das wird sich schon alles irgendwie ergeben.“, wendet Chris ein und schenkt mir ein Lächeln.
Meine Mutter schnauft wie ein Walross. Sie ist völlig sprachlos.

„Du weißt, dass wir das nicht unterstützen werden?“, fragt meine Mutter mit funkelnden Augen. „Du sollst etwas vernünftiges lernen und kein Lotterleben führen. Wenn du studiert hast, kannst du hinziehen, wo du willst.“

„Sie kann doch in Berlin studieren!“, wendet Chris hilfreich ein.
„Und von was soll sie da leben?“, fragt meine Mutter aufgebracht. „Von Luft und Liebe? Ihr braucht eine Wohnung, ihr braucht Geld für Lebensmittel. Ihr seid noch viel zu jung und habt doch keine Ahnung was es heißt, auf eigenen Beinen zu stehen!“

„Ich bin Achtzehn!“, sage ich trotzig. „Und Chris wird genug Geld verdienen. Außerdem kann ich doch auch noch nebenbei irgendwo jobben.“

„Irgendwo jobben?“, die Stimme meiner Mutter wird leicht hysterisch. „Du sollst dich voll auf dein Studium konzentrieren und nichts anderes. Außerdem: Was soll das denn sein, womit Chris so viel Geld verdienen wird? Mit seiner Musik? Das kann doch garnicht euer Ernst sein!“

„Ist es aber.“, erwidert diesmal Chris. Er klingt leicht gereizt.

Ich schiele zu ihm herüber. Seine Lippen sind fest aufeinander gepresst. Er ist es nicht gewohnt, eine solch existenzielle Diskussion mit Erwachsenen zu führen. Seine Mutter hat ihn klaglos ziehen lassen, sein Vater weiß wahrscheinlich nicht mal, dass er noch zur Schule geht bzw. wie alt er überhaupt ist.

Meine Eltern dagegen sind zwar meinen Sturkopf gewohnt, dennoch sind sie fundamentale Christen, denen eine gute Ausbildung und die Kontrolle über ihre Tochter wichtig ist.
Und sie hatten Pläne. Würde ich, wie von ihnen gewollt, nach Jena zum Studium gehen, könnte ich noch immer bei ihnen wohnen. Sie bieten mir Unterkunft, Verpflegung, ein großzügiges Taschengeld und den neuen VW Polo, den sie mir vor wenigen Wochen zum Achtzehnten geschenkt haben.

„Jetzt seid doch vernünftig Chris!“, wechselt meine Mutter in den verzweifelten Ton.
Sie mögen ihn. Sogar sehr. Umso schwieriger ist es für sie zu akzeptieren, dass auch er in ihren Augen seine Zukunft hinschmeißen wird. Sie haben einfach keine Ahnung.

„Unsere Entscheidung steht fest.“, sage ich selbstsicher. Ich will dieser unangenehmen Situation ein Ende setzen. Meine Eltern müssen unsere Pläne auch erstmal verdauen. Am besten in unserer Abwesenheit.

„Solltet ihr das wirklich durchziehen, dann bekommt ihr keine Unterstützung. Ist dir das klar, Anna?“, startet meine Mutter einen letzten Versuch. „Du bekommst kein Geld von uns. Und das Auto bleibt hier!“

Ich schlucke. Ich weiß nicht, ob sie das wirklich so meint, oder ob sie mir nur Angst machen will. Jedenfalls trifft mich die Drohung mehr als erwartet. Ich habe gerade erst den Führerschein bestanden und es ist ein großartiges Gefühl mit dem eigenen Auto hinfahren zu können, wo man will. Ein Stück Freiheit. Ein großes Opfer.

Chris erhebt sich und greift meine Hand.
„In Berlin brauch sei kein Auto. Und euer Geld brauchen wir auch nicht. Wir werden klar kommen.“, prophezeit er düster. Dann zieht er mich hinter sich her und wir lassen meine Eltern geschockt zurück.

Im Hausflur bleibt er plötzlich stehen. Er drückt mich gegen die Wand und seine Hände umfassen mein Gesicht.
„Wir brauchen den Segen von deinen Eltern nicht, oder?“, fragt er mit finsterer Miene.
Ich nicke.
„Solange wir uns haben, brauchen wir überhaupt Niemanden!“, flüstert er eindringlich.
Dann küsst er mich. Instinktiv schlinge ich die Arme um ihn.
Oh, wie sehr ich ihn liebe. Ich würde ihm bis ans Ende der verdammten Welt folgen!

Nach exakt einer Stunde auf der Autobahn und circa 50 Kilometer vor dem Festivalgelände, klingelt mein Handy das erste Mal. Ich schiele mit flauem Gefühl im Magen zum Beifahrersitz und sehe Caros Namen, welcher mich anklagend anblinkt. Ich ignoriere großzügig das schlechte Gewissen, drehe das Radio lauter und konzentriere mich auf den Verkehr.

Schon fünf Kilometer vor den offiziellen Parkplätzen ist die Hölle los. Spätestens jetzt verschwende ich keinen Gedanken mehr an Caro und daran, dass sie offensichtlich krank vor Sorge ist. Schließlich habe ich ihr Auto entführt. Ich werde ihr nachher, wenn ich angekommen bin, eine kurze Nachricht schicken, beruhige ich mein Gewissen und versuche mich gleichzeitig durch den dichten Verkehr und die ganzen Menschenmassen, die meinen Weg kreuzen, zu schlängeln.

Irgendwann habe ich den Golf halbwegs sicher abgestellt. Keine Ahnung, ob ich jetzt schon auf nem Parkplatz bin oder was auch immer das hier ist, aber das Auto steht und der Fisch auf der Heckscheibe prangert wie ein Mahnmal zwischen den anderen Autos.

Ich steige aus, schnappe mir meine Handtasche, schließe ab und folge erstmal den Massen, die alle in eine Richtung gehen. Nebenbei checke ich mein Handy. Caro hat unzählige Male angerufen.
Verflucht. Ich sollte ihr am besten gleich irgendwas schreiben...

„Kippe?“
Neben mir steht ein hochgewachsener, dünner Typ und bietet mir eine Zigarette an.
„Hab aufgehört.“, antworte ich und schiele zu ihm hoch.
„Sehr vernünftig.“, dabei steckt er sich den Glimmstängel selbst in den Mund. „Allein hier?“, nuschelt er, während er sich das Ding anzündet.
„Nur allein angereist.“, sage ich misstrauisch und betrachte ihn von schräg unten.
Er ist hübsch. Kurze braune Haare, nettes Gesicht, lachende Augen.
„Und jetzt versuchst du deine Leute zu finden?“, stellt er grinsend fest. Ich nicke.
„Oh verdammt!“, lacht er. „Das kann schwierig werden. Warst du schon mal bei den Ddays?“
„Ich bin nicht das erste Jahr hier. Mach dir mal keine Sorgen.“, lächle ich ihn an.

Dann setze ich mich wieder in Bewegung. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie er mir nach sieht und dann ebenfalls weiter läuft. Keine Sekunde später ist er neben mir. So ein langes Elend, kein Wunder. Wo er einen Schritt macht, brauche ich drei.

Er zieht an seiner Zigarette, dann deutet er nach vorne.
„Da“, sein Finger zeigt direkt auf eine Menschentraube, die vor uns hertorkelt. „Das sind meine Leute. Wenn du willst, kannst du dich uns erstmal anschließen. Ich bin David.“, sagt er völlig selbstverständlich.
Wieder blicke ich zu ihm hoch. „Anna.“
„Na dann, Anna. Willste nen Schluck?“
Er hält mir sein Bier hin und ich greife danach. „Prost!“, sage ich schmunzelnd.

Und da ist es passiert. Die DuskyDays haben mich. Wie ein gieriges Monster mit riesigem Schlund, verschlingen sie mich schon auf den ersten Metern.
Mein Handy verschwindet in der Handtasche, das Kirchencamp und Caro verstecken sich irgendwo ganz tief hinten in meinem Kopf.
Ich gehe mit wildfremden Menschen feiern. So wie früher. Mein altes Leben.
Ich bin wieder da!


Noch bevor ich Bianca treffe oder nur in der Nähe eines Zeltes stehe, habe ich die Welt um mich herum vergessen.
Davids Clique ist auf dem offiziellem Parkplatz hängen geblieben. Und ich mit.
Bei so riesigen Festivals gibt es oft schon private Partys noch vor dem eigentlichen Gelände. Und die haben sich in den letzten Jahren so polarisiert, dass sie meist schon berüchtigter sind, als die Veranstaltung an sich. Unbekannte Bookings und Labels stellen für einen geringen Preis kleine Zelte auf und feiern ihr ganz eigene Party.
Und da bin ich gelandet.

David hat mich mit ordentlich Schnaps versorgt. Er ist echt witzig, wie ich feststellen muss. Außerdem verträgt er weitaus mehr als ich.

„Wolltest du nicht zu deinen Freunden?“, fragt er schelmisch und bietet mir schon wieder eine Zigarette an. Ich winke ab.
Wir sitzen auf Campingstühlen in einer gemütlichen Runde. Im Hintergrund wummern Bässe, Menschenmassen ziehen an uns vorbei. Es ist höllisch laut, heiß und eng. Fast schon einschüchternd, wenn ich es nicht gewohnt wäre.

„Hat einer ne Ahnung wann CoTekk auflegt?“, frage ich in die Runde. Es fällt mir ganz leicht es beiläufig klingen zu lassen, auch wenn sich mein Magen zusammenzieht, bei dem Aussprechen von Chris Künstlernamen.
„Oh, der ist so gut!“, schwärmt sofort eine dürre Blonde, die mir als Jenny vorgestellt wurde. Fast alle Köpfe nicken zustimmend.
„Ich glaub der hat die Hauptzeit heute nochmal.“, sagt David. „Zwölf bis Zwei im Maintekk-Zelt.“
„War einer von euch gestern da?“, frage ich und nippe an der Schnapsflasche, die mir David reicht. Wiederlich das Zeug.
Jenny nickt. „Das war so unglaublich voll, keine Chance zum Tanzen.“

Kommt mir bekannt vor. Chris ist so angesagt momentan, dass ich womöglich schon jetzt das Zelt aufsuchen sollte, um einen Blick auf ihn erhaschen zu können.
Letztes Jahr war das noch anders. Ich konnte den exklusiven VIP-Bereich hinter dem Pult nutzen, um seine Musik mit Haut und Haaren bei fantastischen Boxen zu genießen.
Die Erinnerung schmerzt. Besonders der Gedanke an die Blicke, die er mir immer wieder ganz kurz zugeworfen hat. Die Suche nach Bestätigung, obwohl er das überhaupt nicht nötig hatte.
Trotz des Erfolges war er immer etwas unsicher, was er sich natürlich nie anmerken ließ. Nur ich habe das gesehen und konnte ihm die Angst nehmen.
Ich frage mich, wer ihm jetzt den Rücken stärkt.

Nochmal nippe ich am Schnaps, ehe mir David die Flasche wieder abnimmt.
Ich schiele auf seine Zigarette.
„Du stehst also auf CoTekk?“, fragt er etwas misstrauisch.
Innerlich zerreißt es mich. Wenn er wüsste, WIE ich auf ihn stehe.
„Klar, wer nicht?“, zucke ich mit den Schultern und weiche seinem Blick aus.
„Sein Erfolg wird auch nicht von Dauer sein.“, stellt David fest und mustert mich dabei eindringlich. „Keine Frage, er ist gut. Wenn nicht sogar der Beste zur Zeit. Aber auch diese Schiene ist irgendwann ausgelutscht.“
Ich mustere ihn mit zusammen gekniffenen Augen. Warum sagt er sowas?

„Du alter Pessimist!“, sagt sein Kumpel und boxt ihn spielerisch auf den Oberarm. „Bist doch nur neidisch.“ Dann zwinkert er mir zu. „David versucht sich auch als DJ, ist bis jetzt aber nicht sonderlich erfolgreich.“
„Ey!“, empört sich eben dieser. „Jeder fängt mal klein an.“
Ich grinse. „Muss hart sein, als Newcomer die ganzen Stars von der Tanzfläche aus anzusehen.“
David funkelt mich an. „Freches Stück.“ Dann gibt er mir wieder das hochprozentige Gesöff.

So sitzen wir viel zu lange in der heißen Mittagssonne und palavern blödsinnigen Stuss.
In meinem Kopf dreht es sich mittlerweile angenehm und ich habe das Gefühl, dass ich das Festival viel lockerer wegstecken werde, als befürchtet.
Ich überlege, ob ich nicht vielleicht einfach hier bleibe. Bei dieser netten Clique und David.
Irgendwie mag ich ihn. Er ist so unkompliziert. Und er kennt mich nicht. Hat keine Ahnung von meiner leidvollen Geschichte. Er sieht mich als das, was ich gerade gern sein würde: Eine coole Tussi, die gern feiern geht und allein auf nen Festival gefahren ist. Mehr nicht.
Keine trauernde Ex, die bemitleidenswert am Arsch der Welt gestrandet ist. Und auch nicht wie das schwarze Schäfchen, welches auf den rechten Pfad gebracht werden muss.

Kurz zucke ich zusammen. Noah! Carolin! Verdammt.
Meine Tasche liegt unter meinen Campingstuhl. Ich beuge mich nach vorn, angele nach ihr und kippe beinahe um. David hält mich netterweise fest, ich kichere. Man, so langsam bin ich doch betrunken.
Ängstlich schiele ich auf mein Handy. Wann habe ich es auf lautlos gestellt?
Caro hat mich achtzehn Mal angerufen, ich habe drei SMS von ihr. Außerdem sind da noch Nachrichten von Bianca, meinem Mitbewohner und einer unbekannten Nummer.
Ich sehe nur die Anfänge der Nachrichten in der Übersicht, alle beginnen irgendwie gleich. „Wo bist du?!“
Ich klicke als erstes auf die unbekannte Nummer.

„Anna, wo steckst du nur? Ist alles gut? Melde dich! Bitte. Noah“
Geräuschvoll zische ich die Luft ein. Ohje. Irgendwie tut es mir unendlich leid. Er ist ja so verflucht nett. Zu nett. Und ich habe mir eh vorgenommen den Kontakt zu ihm und auch zu Caro zu meiden. Sie tun mir nicht gut. Sie versuchen mich zu ändern.

„Hey, Anna!“, David stupst mich an. „Hier herrscht Handyverbot!“ Er guckt gespielt tadelnd. „Alkohol und Handy, keine gute Mischung. Das weißt du doch!“
Ich lache. „Schon gut.“
Schnell tippe ich eine Antwort. „Bin bei den Ddays. Sorry.“ Dann schalte ich das Handy aus.
Bianca kann mir gestohlen bleiben. Und Caro wird von Noah erfahren, was ich getan habe.


Zwei Stunden später bin ich mit David alleine. Die Sonne steht nicht mehr ganz so hoch am Himmel und die Schnapsflasche ist geleert. Seine Freunde sind schon mal vorgegangen. Doch da ich nicht mehr Herr meiner Sinne bin und noch weniger meinen Puddingbeinen vertraue, musste ich David um Aufschub bitten. Er ist auch ganz pflegeleicht und wir können uns locker unterhalten, auch wenn ich ab und an schon nuschele.

Gerade haben wir uns über eine ziemlich schrullige Tussi amüsiert, die schon seit einer halben Stunde ziellos über das Gelände streift und dabei ausgesprochen verloren aussieht, als Davids Miene überraschend ernst wird und er mich eindringlich ansieht.
„Ich weiß wer du bist.“, stellt er fest.
Mir gefriert das Lächeln im Gesicht. Die Temperatur um uns herum sinkt um mindestens fünf Grad. Dennoch versuche ich die merkwürdige Aussage zu überspielen und lache nervös.
„Haha. Soll das jetzt ein Psycho-Spielchen werden?“
„Nein, im Ernst. Ich kenne dich. Du bist die Exfreundin von CoTekk, nicht wahr?“

Die Welt um mich herum verstummt ganz plötzlich. Ich erstarre zur Salzsäule und mein Mund klappt auf. Noch ehe ich antworten kann, redet David einfach weiter.
„Ich habe dich gleich erkannt, schon auf dem Parkplatz. Dein Gesicht, die Tattoos – du bist in der Szene nun mal nicht unbekannt. Außerdem warst du auf jedem zweiten Bild von CoTekk bei Facebook verlinkt. Sorry, aber ich wollte dich auch nicht vor den Anderen drauf ansprechen.“
„Ähm.“, entgegne ich ziemlich sprachlos.
„Du musst nichts dazu sagen. Ich wollte es nur kurz loswerden. Kam mir so schäbig vor, weil ich dir nicht sofort gesagt habe, dass ich weiß, wer du bist.“ Er lächelt schräg und erinnert mich an einen ertappten Pudel.

Ich weiß immer noch nicht, was ich zu dieser Offenbarung sagen soll. Den halben Nachmittag hänge ich mit diesem Typen ab, wähne mich in Sicherheit und fühlte mich sogar recht wohl in seiner Gegenwart.
Jetzt hat sich das geändert. Ich fühle mich plötzlich befangen. Außerdem ist mir schlecht.
Ich registriere mit leichtem Entsetzen, dass ich mit einem Mal den konsumierten Alkohol mit voller Wucht zu spüren bekomme. Die ganze Zeit war ich leicht angeschickert, augenblicklich fühle ich mich so besoffen, wie noch nie.
„Alles in Ordnung?“, fragt er mit zusammengekniffenen Augen.
Ich nicke nur, dann versuche ich aufzustehen. Ich will hier weg.
Leichter gedacht als getan. Der Campingstuhl ist ungewohnt niedrig, der Alkohol ist mir wohl direkt in die Beine geflossen und es fühlt sich an, als hätte mir jemand Beton um die Füße gepappt.
Jedenfalls schaffe ich es gerade so mich aufzurichten. Meine bleischweren Stelzen in Bewegung zu bringen ist da eine fast unüberwindbare Aufgabe. Ich schwanke.

„Hey, wo willst du denn jetzt hin?“ David erhebt sich um einiges eleganter und umfasst meinen Arm, bevor ich steif wie eine Statue nach vorn gekippt wäre.
„Weg.“, stoße ich hervor. „Gelände. Tanzen.“
Nicht nur meine Beine leiden unter dem Einfluss des Schnapses, auch mein Sprachvermögen.
„Na das will ich sehen.“ lacht er mich aus. „Du hast fast eine ganze Flasche Obstler getrunken, dazu noch mehrere Bier. Du bist völlig betrunken.“
„Quatsch!“, brüste ich mich und versuche ihn halbherzig wegzustoßen. Es gelingt mir natürlich nicht.
„Wenn ich dich jetzt alleine gehen lasse, dauert es keine zwei Minuten, da hat dich irgendein Perverser hinter das nächstbeste Zelt gezogen.“
Ich hickse. Verdammt. Dann sehe ich David ungläubig an.
„Und woher soll ich wissen, dass nicht du der Perverse bist. Schließlich hast du mich abgefüllt?“
Wow, denke ich. Das war ja ein richtig zusammenhängender Satz. Und ich bin mir fast sicher, dass ich kaum gelallt habe.
„Kann ja niemand wissen, dass du nichts verträgst!“, erwidert David und grinst siegessicher. „Jedenfalls bleibst du bei mir. Ich kenne meine Absichten. Basta.“

Normalerweise wäre ein solcher Befehl von einer wildfremden Person für mich eine Art Herausforderung. Wäre ich nur halb so betrunken, wäre ich sicher schon verschwunden. Doch so muss ich mich auf die alberne Diskussion einlassen. Nebenbei bücke ich mich langsam nach meiner Handtasche. Ich will mein Handy wieder einschalten. Ich brauche doch noch die Eintrittskarte von Bianca.

„Pff!“, stoße ich dabei hervor. „Ich bin nicht zum ersten Mal hier, wie dir bewusst sein müsste, nachdem du ja weißt wer ich bin.“ - das Bücken nach der Handtasche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Irgendwie wird die Entfernung zum Boden immer weiter - „Außerdem ist meine Freundin hier irgendwo in der Nähe und wenn du wirklich so toll bist, wie du gerade tust, würdest du mir helfen sie zu finden.“, fahre ich fort und versuche immer noch dem Rasen im angemessenen Tempo Nahe zu kommen.
„Du willst auf das Gelände?“, fragt er amüsiert, dabei bückt er sich ebenfalls und greift geschwind nach dem Stück Stoff, welches ich als meine Tasche vermute. „Du bist ja nicht mal mehr in der Lage dich auf deinen hübschen Beinen zu halten. Setz dich wieder.“
Er drückt mich auf den Campingstuhl und ich plumpse wie ein nasser Sack in den weichen Stoff.
Alles dreht sich. Ich muss mir den Kopf halten, sonst fliegt er weg. Da bin ich mir sicher.
Etwas weiches landet auf meinen Oberschenkeln. Meine Tasche.

Eine halbe Ewigkeit krame ich nach meinem Smartphone. David beobachtet mich dabei und ich sehe ganz genau, dass er angestrengt versucht, nicht über meine Unbeholfenheit zu lachen.
„Kann man dir behilflich sein?“, fragt er und beißt sich dabei grinsend auf die Lippen.
Ich funkle ihn verachtend an.
Dann habe ich es. Ich starte das Teil und strafe David mit Nichtachtung.
Ich weiß, es war absolutes Glück, dass ich ihn getroffen habe. Er ist wirklich verdammt anständig, auch wenn er mir seinen Schnaps ein paar Mal zu oft angeboten hat. Dennoch ist er um mich besorgt und ich ahne, dass auch ein schlechtes Gewissen zu seiner Rolle als fürsorglicher Fremder mitspielt.

Nachdem das Ding an ist, ist bei mir plötzlich die Luft raus.
Ich atme schwer und spüre eine besorgniserregende Welle von Müdigkeit durch meine Glieder fahren.
„Hast du vielleicht einen Schluck Wasser für mich?“, frage ich ihn.
Ich erkenne Davids attraktives Gesicht nur noch schemenhaft. Was ist da los?
Er sieht mich eindringlich an, fast prüfend. Mein Blickfeld flackert und ich kneife angestrengt die Augen zusammen.
„Anna?“, höre ich ihn fragen. „Was ist los?“
Seine Stimme klingt meilenweit entfernt.
Ich zwinkere, versuche mich zusammen zu reißen. Was passiert mit mir?
In einem kurzen klaren Moment denke ich, dass das nicht normal ist. Den ganzen Nachmittag war ich angeheitert, aber nicht voll. Und plötzlich habe ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper.
Wie kann man mit einem Schlag von fünfzig auf hundert kommen?

Mir werden die Augen zunehmend schwerer. Es kostet mich meine ganze Konzentration sie offen zu halten. Mein Blick driftet wieder zu David, der mir ziemlich Nahe gekommen ist und mich mit seinen runden, braunen Augen ausführlich betrachtet.
Ich kriege Panik. Mir kommt der Gedanke, dass Drogen in dieser Szene zum guten Ton gehören und dass seine ganze Erscheinung viel zu ungewöhnlich ist.
Warum ist er so nett? Irgendetwas passt da nicht.
Mir fallen die zentnerschweren Lider zu.
Ich spüre eine Hand an der Schulter. Seine Hand. Davids.
Dann wird alles schwarz.





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