Son of a Preacher Man

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 14.03.2013


Turkish Delights brauch ne kreative Pause!
Daher jetzt etwas leichtere Kost :)
Der Titel erzählt ja schon die halbe Story, also schraubt eure Erwartungen nicht zu hoch...das wird eine einfache Liebesgeschichte ohne komplizierte Hintergründe oder komplexere Verwicklungen...leichte Ablenkung für mich, um Abstand zu meiner momentanen und recht eingefrorenen Geschichte zu schaffen.
Ich hoffe es gefällt euch trotzdem! ♥
Maggie









Teil 1

„Oh Anna! Bitte!“, bettelt Carolin. „Bitte komm doch mit!“

Ich verdrehe die Augen und sehe sie so an, als würde sie einen schlechten Scherz machen.
„Auf keinen Fall!“, erwidere ich voller Überzeugung. „Dieses Wochenende ist das Festival!“
Caro stutzt. Sie zieht ihr kleines, niedliches Näschen kraus und guckt nachdenklich. Ein bisschen erinnert sie mich an einen Welpen. Ein winziges, drolliges Hündchen, das unerschütterlich in seiner ganz eigenen Welt zu leben scheint. Das unbekümmerte Dasein eines vierpfötigem Schwanzwedlers, bestehend aus Rumtollen, Schlafen und Fressen – und natürlich der grenzenlose Liebe zu seinem Herrchen. Werden diese Konstanten plötzlich entzogen, so schaut der Welpe genauso wie meine Freundin.
Caro hat nämlich einer eher begrenzten Horizont. Das meine ich keinesfalls wertend, ich mag dieses Mädchen wirklich aufrichtig. Sie ist eine gute, zuverlässige und sehr alte Freundin von mir, aber...
Ja, sie hat da so ne Macke.
So, wie der Welpe seinen Besitzer anbetet, so betet Caro auch. Und das meine ich wortwörtlich.

„Was denn für ein Festival?“, fragt sie mich unschuldig unwissend.
Und da ist es wieder. Die Frau ist weltfremd. Und das mit Zweiundzwanzig Jahren.
„Was für ein..-?!“, ich muss mich selbst unterbrechen, weil ich die Frage so unglaublich finde. „Du weißt ernsthaft nicht, was an diesem Wochenende für eine Veranstaltung stattfindet?“
Caro zuckt mit den Schultern. „Sollte ich?“, fragt sie etwas provokativ.
Gut, für dumm verkaufen sollte man sie nicht, dennoch bin ich fassungslos.
„Die DuskyDays...“, flüstere ich voller Respekt und suche erwartungsvoll in ihren blauen Augen nach einem erkennenden Aufblitzen. Davon MUSS sie gehört haben. Ansonsten hat sie die letzten zehn Jahre tatsächlich hinterm Mond gelebt.
„Sagt mir nichts.“, erwidert sie völlig unbeeindruckt. „Was soll das denn sein? Hört sich finster an!“

Finster. Da hat die gute Caro doch wahrhaft den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Schätzchen...“, beginne ich mit ernster Miene. „Die DuskyDays sind DAS Erlebnis schlechthin!“
Ich glaube meine Augen strahlen jetzt richtig.
Caro lacht jedenfalls.
„Und was macht man da so?“, fragt sie mäßig interessiert.
„Tanzen, trinken und feiern.“, antworte ich wie selbstverständlich. Was soll man auf einem Festival sonst machen?
„Und was hört man da so?“
Jetzt wird es heikel.
Ich versuche es weniger dramatisch zu formulieren. „Größtenteils elektronische Musik...“, sage ich gleichgültig. Dennoch lauer ich wie ein Luchs, auf ihre Reaktion.
„Also immer noch das, was Chris damals gemacht hat?“

Ich zucke dermaßen zusammen, dass sie mich ganz erschrocken ansieht.
Dass wir so schnell und so belanglos auf Chris zu sprechen kommen! Damit hätte ich rechnen müssen... Allerdings bin ich ganz gut darin trainiert, sämtliche Gedanken an diesen Scheißkerl aus meinem kleinen Hirn zu verbannen.
„Tut mir leid.“, flüstert Caro mit schuldbewusster Miene. „Ich hab gehört, dass ihr...-“
„Ja, schon gut!“, unterbreche ich sie und halte sie gleichzeitig davon ab, dieses leidige Thema anzusprechen. „Ich will nicht drüber reden.“
Kurz herrscht ein angespanntes Schweigen zwischen uns. Ich sehe verkniffen aus dem Fenster. Die Sonne strahlt verheißungsvoll in das überhitzte Zimmer meiner neuen Dachgeschoss-WG.
Ich hasse es hier. Es ist viel zu heiß, viel zu eng und meine beiden Mitbewohner sind unordentliche, kleine Dreckschweine, die mich wahrscheinlich nur hier haben einziehen lassen, damit ich für sie putze.
Seit drei Wochen leide ich nu schon still vor mich hin und vegetiere in diesem Zimmer rum.
Deshalb will ich weg. Ich muss einfach mal raus, ein Wochenende wieder mein altes Leben zurückholen...auch wenn es nie wieder so sein wird, wie es mal war.

„Wird Chris da auch sein? Auf diesem Festival?“
„Ja.“, presse ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie fängt ja schon wieder mit ihm an!
„Dann solltest du mit uns mitkommen!“, stellt sie prompt fest. „Du brauchst Ablenkung und Abstand!“
Ich weiß, dass sie es wahrhaftig nur gut meint. Caro meint es nie schlecht, sie ist ein Engel, trotzdem macht mich diese Bemerkung fuchsteufelswild.
„Ich bin 300 Kilometer weit weg gezogen! Meinst du nicht, das ist genug Abstand!“, gifte ich sie an.
Im nächsten Moment tut es mir schon leid. Spätestens, als sie mich mit ihrem erschüttertem Welpenblick ansieht und ein herzzerreißendes Schnütchen zieht.
„Ich mein ja nur...“, murmelt sie betroffen.
Ich winke ab. Ich sollte meinen Frust echt nicht an ihr auslassen.
„Ich will da nicht mit hin...zu eurer komischen Versammlung. Da habe ich nichts verloren.“, sage ich stattdessen und lenke nebenbei ganz geschickt das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema: Nämlich auf ihr Einladung. Eine ganz schreckliche Einladung wohl bemerkt.
Mich schüttelt es allein bei der Vorstellung.

„Das ist doch völliger Quatsch Anna!“, entrüstet sich meine langjährige Freundin. „Früher warst du doch auch jedes Jahr dabei und jetzt, wo du wieder hergezogen bist, bist du mehr als Willkommen!“
Ich schnaube kaum merklich. Das glaube ich ihr gern. Sie versucht wahrscheinlichen den akuten Mangel an Teilnehmern mit meiner Wenigkeit zu kompensieren.
Aber da kann sie mal gepflegt einen Haken dahinter machen! Da bin ich raus! Nicht in tausend Jahren und erst recht nicht, wenn an diesem Wochenende MEINE DuskyDays stattfinden.

„Ich habe aber nicht vor, wieder bei euch mitzumachen!“, werfe ich ihr entgegen.
Das musste jetzt sein. Sie soll sich garnicht erst irgendwelche idiotischen Hoffnungen machen.
Auf meine Aussage hin lächelt sie nur, etwas geheimnisvoll und leicht wissend. Ich mag dieses Lächeln nicht, es strahlt eine zufriedene Art der Gewissheit aus.
„Ehrlich Caro!“, bestärke ich meinen Standpunkt. „Ich bin sogar aus der Kirche ausgetreten!“
Ich versuche wirklich entwaffnend ehrlich zu sein, doch Caro schaut nur so, wie jeder gläubige Christ ein Schäfchen auf Abwegen betrachtet, so alà „Auch du wirst deinen Weg zu Jesus noch finden.“ - oder so ähnlich.
Fast befürchte ich, dass sie wirklich gleich mit so nem Spruch um die Ecke kommt. Aber sie lächelt nur weiterhin so widerlich vergebend.

Vielleicht wäre an dieser Stelle eine kleine Erklärung angebracht.
Carolin Marquardt war seid jeher eine meiner engsten Freundinnen. Wir waren zusammen in der Grundschule, dann auf dem Gymnasium und...zu meiner Schande: In der gleichen Kirchengemeinde.
Nicht, das ich in irgendeinem der genannten Institute je freiwillig gewesen war, doch zu letzterem wurde ich besonders gezwungen und das werde ich meinen Eltern nie verzeihen.
Caro dagegen war stets zufrieden in ihrer bescheidenen Rolle als Kirchenmaus und während ich nach dem Abi in die große Stadt zog, die Welt quasi eroberte und das Leben lebte, welches ich momentan bitterlich vermisse, so blieb Caro hier.
Sie machte eine Ausbildung, ging jeden Sonntag brav in die Kirche, engagierte sich in ihrer Freizeit in der Gemeinde und intensivierte ihren Glauben auf eine für mich beängstigende Tiefe.
Ich bin wirklich tolerant in dieser Hinsicht, obwohl mir nach dem jahrelangen Zwang eigentlich ein viel geringeres Maß an Verständnis für den christlichen Glauben zustehen sollte.
Aber ich akzeptiere ihre Entscheidung und auch wenn ich mich vielleicht heimlig und auch nur manchmal ganz still drüber lustig mache, so würde ich das nie vor ihr tun.
Ich würde sie nie bekehren und dasselbe verlange ich auch von ihr.
Momentan wackelt sie allerdings ganz arg an unserem unausgesprochenem Abkommen.

Ihr Handy vibriert und während sie die SMS beantwortet betrachte ich sie.
Vor fünf Jahren bin ich nach Berlin gezogen. Wir hatten stets regelmäßigen Kontakt und bei all meinen Besuchen in der Heimatstadt, haben wir uns getroffen. Dass sie sich verändert hat, kann ich also nicht behaupten.
Im Gegenteil, sie ist und bleibt einfach hübsch.
Ihre fuchsroten Haare trägt sie schon jahrelang zu einem modernen Bob geschnitten, sehr vorteilhaft für ihr schmales Gesicht. Noch immer ist sie wahnsinnig blass, aber es passt zu ihr. Sie hat kirschrote Lippen und strahlend blaue Augen, wirklich wunderschön. Wenn sie sich schminken und die biedere Kleidung ablegen würde, wär sie eine echte Männerfresserin.
Fast eine Verschwendung, dass sie so artig und brav ist.
Sie tippt schockierend schnell eine Antwort auf ihrem altmodischen Handy, dann schaut sie zu mir auf und sagt erklärend: „Johann.“, dabei lächelt sie ganz verträumt.
Ich unterdrücke einen Würgereiz bei diesem Gedanken. Ihr Verlobter!
Eine fiese Gänsehaut überzieht meine künstlich gebräunten Unterarme. Johann ist fast dreißig, voll der Öko und sie hat sich unsterblich in diesen verlausten Langhaarträger verliebt. Wahrscheinlich weil er Jesus so ähnlich sieht, ich jedenfalls fand die frohe Kunde, dass die zwei sich vor vier Monaten verlobt haben, kein bisschen freudig. Eher abschreckend.
Wer verlobt sich schon in unserem Alter?

„Er fragt, ob ich dich überzeugen konnte.“, nimmt sie unser ursprüngliches Gespräch wieder auf und blickt mich hoffnungsvoll an.
Ich verziehe die Mundwinkel. „Kommt der auch mit dahin?“, frage ich misstrauisch.
Caro nickt und zwinkert mir zu. „Gib dir nen Ruck!“, stupst sie mich nochmal in die falsche Richtung. „Niemand zwingt dich dort zum Beten oder verurteilt dich-“ - mir schießt kurz die Frage in den Kopf, für was man mich verurteilen sollte, als sie schon weiter an mir rumbaggert - „- Es wird so wie früher und du würdest mir einen riesigen Gefallen tun. Die Konfirmanden sind dieses Jahr unter meiner Obhut und ich brauche jemanden mit Durchsetzungsvermögen an meiner Seite. Jemanden wie dich. Kinder haben Angst vor dir!“, dabei lacht sie.
Schlau ist sie ja, die Caro. Tut so, als bräuchte sie mich und macht mir gleichzeitig noch Komplimente, aber ich lass mich nicht ins Bochshorn jagen.
„Ich hätte doch eher einen schlechten Einfluss auf eure zukünftigen Gemeindemitglieder, meinst du nicht?“
Der Rotschopf grinst mich verschmitzt an. Und wieder einmal staune ich, wie sexy sie aus der prüden Wäsche gucken kann.
„Wie dem auch sei.“, stößt sie laut atmend hervor. „Ich muss jetzt erstmal zurück an die Arbeit. Wir treffen uns morgen alle um eins am Hauptbahnhof. Von da aus fahren wir hoch zum Lager. Deine Einladung steht...aber wenn du lieber zu diesem Festival willst...“
Langsam steht sie auf und sieht mich dabei bedeutungsschwanger an. „Noah hat übrigens auch gefragt, ob du kommst...“
Ihr Blick spricht Bände und ich steh auf dem Schlauch.
„Noah?“, frage ich nichtsahnend.
Jetzt grinst Caro wieder süffisant. „Ja, Noah. Noah Kasperski.“ Sie reißt die Augen auf und sieht mich dabei so erwartungsvoll und gleichzeitig ungläubig an, als könnte sie nicht begreifen, dass es nicht endlich bei mir klickt.
Und bei dem Nachnamen knisterts dann doch endlich in meinen grauen Zellen.
„Der Sohn vom Pfarrer?“, frage ich skeptisch.
„Ohjaaa!“
Dann verabschiedet sie sich dreckig grinsend von mir und lässt mich allein in meinem Höllenloch von Zimmer.

Ich lass mich auf mein unbequemes Bett fallen und denke ganz klischeehaft über meine momentane Situation nach.
Es ist einfach nur zum Kotzen! Kein Wunder, dass schlechte Laune und miese Stimmung meine ständigen Begleiter der letzten Wochen und Monate sind.
Wie eine gescheiterte Heldin bin ich zurück gekehrt. Von Berlin nach Weimar, von dem Nabel des Universums zum Arsch der Welt, zurück in die verhasste Heimat.
Gleich nach dem Abitur habe ich mich zusammen mit meiner Jugendliebe von hier verpisst. Und nun bin ich wieder ungewollt hier gestrandet, lebe in einer überteuerten WG zusammen mit zwei Vollidioten, trauere meinem Exfreund und meinem verdammt geilen, alten Leben hinterher und denke ernsthaft drüber nach, das Wochenende zusammen mit Gottesanbetern in einem Kirchenlager zu verbringen.
Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und schon jetzt steh ich am Ende meiner Existenz – so fühlt es sich jedenfalls an.
Was soll jetzt noch kommen?
Nichts kann und wird die Zeit in Berlin zusammen mit Chris übertreffen, diese Erinnerungen und Erlebnisse sind unantastbar – und außerdem tuts grad ganz schön weh, überhaupt an ihn zu denken. Ich sollte das echt lassen.
Nach sechs Wochen Trennung jawohl auch kein Wunder. Ich jedenfalls bin noch lange nicht über meine Trauerphase hinweg. Bei ihm sieht die Welt sicher ganz anders aus.

Reiß dich zusammen, du alte Heulsuse!
Tatsächlich schaffe ich es mich aufzuraffen, das hübsche, dunkeläugige Gesicht aus meinen Gedanken zu verbannen und schleppe mich an meinen Laptop.
Ich habe noch ausreichend zu tun, muss Bewerbungen schreiben und so nen Zeugs, all das, wozu man an einem freien Donnerstagnachmittag weder Lust noch irgendwelche andere Ambitionen hegt.
Viel lieber läge ich jetzt am Pool meiner Eltern, doch diese würden mich in meinen faulen Hintern treten. Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich überhaupt noch einen letzten Rest Würde trage nicht unter irgendeiner Brücke an der Spree schlafe.
In Berlin habe ich eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau bei einer ziemlich bekannten Modekette gemacht. Drei Jahre habe ich mich diesem ausbeuterischen Verein hingegeben, habe geschuftet und gerackert, wurde letztendlich, auch zugegebenermaßen zu meiner heimlichen Freude, nicht übernommen. Seitdem habe ich mich so durchgeschlaucht, hier mal für zwei Monate, da mal ein paar Wochen – nie eine Festanstellung und auch irgendwie nie das, was mich ansprach.
Ich war einfach zu anspruchsvoll, die Arbeit hat mich schnell genervt und ich konnte mich schlecht unterordnen. So nen richtiges, regelmäßiges Einkommen hatte ich irgendwie noch nie.
War ja auch alles garnicht so dramatisch. Nach Chris seinem Durchbruch hat er an einem Wochenende schnell mal so viel verdient, wie eine Edelhure auf der Reeperbahn. Davon konnten wir super leben und ich hatte nie Druck mich ernsthaft nach ner einer Stelle umzusehen.

Jetzt sah die Welt allerdings ganz anders aus.
Denn auf einmal stand ich mit Nichts da! Kein Einkommen, kein neureicher Freund und plötzlich auch keine Wohnung mehr.
Was blieb mir da anderes übrig, als mich an meine Eltern zu wenden?
Auch diese sind wohlhabend und haben mich viel zu lange verwöhnt. Jetzt soll damit Schluss sein.
Sie boten mir ihre volle Unterstützung nach der Trennung an, doch nur unter einer Bedingung:
Ich sollte wieder hier her ziehen, mir einen Job suchen und endlich mal lernen auf eigenen Füßen zu stehen!
Die Wohnung finanzieren sie mir momentan noch, genauso wie meinen auf eine beachtliche Weise gekürzten Lebensstandard.
Doch lange geht das nicht mehr gut und deshalb muss ich jetzt auch mal die Backen zusammen kneifen und Bewerbungen schreiben, statt hier vor mich hinzuträumen und der Vergangenheit nachzutrauern.

Als erstes logge ich mich bei Facebook ein.
Da war ich auch schon länger nicht mehr unterwegs. Früher war ich süchtig danach. Das soziale Netzwerk war sowas wie das Sprungbrett für Chris Karriere gewesen, unglaublich wie viele Leute innerhalb von kürzester Zeit so auf ihn aufmerksam geworden sind. Ich hatte mich immer um die Fanseite gekümmert, nun waren mir sämtliche administrativen Rechte entzogen wurden.
Mein Profilbild ist auch veraltet, stelle ich fest. Ich muss dringend ein neues hochladen.
Auf diesem stehe ich Arm in Arm mit meinem Exfreund.
Ganz schön erbärmlich, schießt es mir durch den Kopf. Wir sind bereits seit sechs Wochen offiziell getrennt!
Schnell suche ich auf meinem Laptop nach einer unverfänglicheren Alternative und werde auch prompt fündig. Ein Kumpel hat damals Promobilder von Chris gemacht, er war so begeistert von meinem Gesicht, dass er auch ein paar Aufnahmen von mir geschossen hat.
Ich habe das Glück mit einer beneidenswert reinen Haut gesegnet zu sein und da mein Vater eine bulgarische Mutter hat, wurde mir dazu noch ein schöner dunkler Teint vererbt.
Das Bild, welches ich für mein Profil suche, wurde in einer verlassenen Fabrik aufgenommen und verbreitet eine ziemlich coole Atmosphäre.
Auf Anhieb finde ich es.
Die Aufnahme zeigt lediglich meinen Oberkörper, im Hintergrund sind verrottete Ziegeln und eine eingefallene Mauer. Der Fokus liegt auf meinem Gesicht. Ich finde meine Züge ganz nett, meine Brauen sind von Natur aus schön geschwungen und betonen meine braunen Augen. Gerade Nase, voller Mund, etwas zu schmale Wangen und die Stirn könnte niedriger sein, ansonsten recht passabel. Durchschnitt eben.
Meine Haare sind seit ich Denken kann schwarz gefärbt und wellen sich über meine Schultern bis knapp unter die Brust. Ist schon ne kleine Löwenmähne, die ich wie irre hege und pflege.
Doch das Highlight dieses Fotos ist ganz klar unterhalb meines Kopfes.
Und das ist auch das raffinierte an der Aufnahme. Alles ist schwarz-weiß, bis auf meinen Arm – der ist nämlich kunterbunt. Und das sogar in echt.
Von der Schulter bis zum Handgelenk findet man kaum noch meine originale Hautfarbe.
Es war unglaublich schmerzhaft, hat mir mehr gekostet, als ich jemals wieder verdienen werde und ich würde mir die Tattoos momentan ganz gern von den Knochen reißen. Obwohl ich ja eigentlich ziemlich stolz auf sie bin.
Aber jedes einzelne Symbol hat irgendwie, irgendwas mit Chris zu tun.
So auch das in einschlägigen Kreisen bekannte Logo von blackkorgs, die Notenschlüssel drumherum und letztendlich sogar sein beschissener Name in schnörkeliegen Buchstaben.
Damals dachte ich wahrhaftig, das mit uns uns wird ewig halten.

Und dieser Gedanke führt mich zurück zu meiner verlobten Kirchenmaus.
Ich habe mir nur Chris seinen Namen für die Ewigkeit auf meine Haut stechen lassen, sie will ihren Hippie-Johann gleich ernsthaft heiraten! Das kann nicht gut gehen! Niemals.
Wobei ich mir eingestehen muss, dass ich so gut wie nix über ihren heiligen Hengst weiß. Okay, er riecht nach Kerzenwachs, wirkt ziemlich ungepflegt und läuft in Jesuslatschen durch die Stadt. Und als wäre das nicht schon abschreckend genug, so hat er sogar einen Bart. Einen BART!
Zugegebenermaßen bin ich mal wieder recht oberflächlich. Das wollte ich mir eigentlich abgewöhnen. Vielleicht sollte ich mich tatsächlich überwinden und den Versuch starten, den Zukünftigen meiner Freundin besser kennenzulernen.
Und was wäre da nicht geeigneter, als ein gepflegtes Wochenende zusammen im Kirchenkreis in einem unheimlichen Wald nahe eines ehemaligen Konzentrationslagers.
Ich lache über meine Selbstironie. Nie im Leben!
Das war früher schon gruselig, irgendwie abartig und ganz schön schräg. In meinem jetzigen Zustand kann ein solches Unterfangen ernsthafte, bleibende Schäden verrichten.
Ich stelle es mir bildlich vor. Ich, die tätowierte Ungläubige, inzwischen dieser Messdiener, die versuchen mich zu bekehren und dazu Pfarrer Kasperski mit seiner Gitarre.
An dieser Stelle stoppt mein Kopfkino.
Was hatte Caro gesagt? Noah hätte nach mir gefragt.
Mhm? Noah Kasperski war immer ziemlich merkwürdig. Der Sohn des Pfarrers, ein Kind, das ohne Fernseher aufwachsen musste. Ein Außenseiter.
Ich habe ihn nie groß beachtet. Um ehrlich habe ich seit der zehnten Klasse kaum jemanden beachtet. Ich hatte immer nur Augen für Chris.
Jetzt bin ich dennoch neugierig, da ich mich entsinne, dass Noah zwar etwas lotterig daher kam, trotzdem aber ganz ansehnlich war, eventuell und nur mit der einen oder anderen Veränderung an seinem Erscheinungsbild.
Ich gebe seinen Namen in die Suchzeile ein. Keine Vorschläge. Ich klicke auf die kleine Lupe. Es erscheinen ein paar Ergebnisse, doch keiner davon ist der Noah, an den ich mich noch vage erinnern kann.
Sofort verwerfe ich sämtliche Gedanken an ihn. Ich habe wichtigeres zu tun!
Ich schließe den Laptop und beginne meine Sachen für das Festival zu packen.
Morgen früh geht es los!





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