White Night - Teil 2

Autor: SUNEstar
veröffentlicht am: 25.06.2012


Kapitel 2

Rabea erwachte in einem merkwürdig aussehendem Zimmer. Sie lag auf einem alten weichen Sofa mit Lamellen im Bezug. Der Parkettboden war dunkel und die Wände waren mit beiger Tapete überzogen. In den Ecken waren teilweise Flecken und Unreinheiten zu erkennen. An einer Wand hing eine riesige Karte, die eine Gebirge und ihre Stadt darstellte. Dort wurden Höhen und Tiefen, Städte und Straßen und einige markierte Orte angezeigt. An der Decke hing ein kleiner Beamer dessen Linse auf eine weiße leere Wand zeigte. Ansonsten waren noch Regale mit Büchern zu entdecken, ein Tisch mit sechs Stühlen und ein kleiner Beistelltisch. Cheyenne saß auf einem der Stühle und beobachtete Rabea genauestens.
„Was ist passiert?“, fragte das noch benommene Mädchen.
„Das kann ich dir nicht sagen. Du fielst nur in Ohnmacht.“
Rabeas Gedanken versuchten die letzten Erinnerungen vor ihrem Schlaf zu erfassen, aber nur Carlos Gesicht schwebte ihr im Kopf hervor.
„Kann ich gehen?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein. Erst muss ich dir einiges erklären.“
Cheyenne stand auf, legte ihre langen schwarzen Haare zurück und lief zur Karte.
„Was du vielleicht noch nicht weißt, ist, dass du nun eine an-gehende Jägerin bist, ein Schützling. Ab sofort bist du ein Mit-glied unserer Organisation. Es gibt kein Entkommen für dich, das solltest du wissen. Sobald du versuchst auszusteigen, finden wir dich und du wirst getötet.“
Rabea schrak zurück. So brutal sind sie also? Was ist denn so unglaublich geheim hier? Treiben sie illegale Sachen?
„Ihr wollt mich umbringen?“
Mit kalter Mimik blickte Cheyenne sie beängstigend an.
„Carlos würde nicht einmal zögern. Diese Organisation hängt auch von seinem Leben ab.“
Rabea rümpfte die Nase.
„Ich gehe mal davon aus, dass seines natürlich wichtiger ist als meines.“
Cheyenne nickte entschlossen. Ihr Finger glitt auf der Karte und damit markierte sie mit einem großen Kreis das gesamte Gebirge.
„Dort ist unser Jagdgebiet.“, erklärte sie.
„Und was jagen wir genau? Wilde Tiere?“, fragte Rabea neu-gierig. Cheyenne schüttelte den Kopf.
„Dazu gibt es später Einzelheiten.“
Ihre Schritte folgten den Raum entlang zu einer Fernbedienung. Cheyenne nahm sie in die Hand und schaltete somit den Beamer an. Auf dem Bildschirm erschien in großer Überschrift: Weiße Nacht. Mit verblüffter Mimik starrten ihre Augen weiterhin auf den Bildschirm. Als nächstes erschien das Thema: Schutz. Eine Reihe von verschiedensten Waffenarten zeigte sich auf dem Bildschirm. Noch nie im Leben hatte Rabea so viele auf einmal gesehen. Manche sahen richtig harmlos aus, aber andere waren zum Fürchten. Mit solchen Waffen erschießt man doch keine Tiere. Es sei denn sie waren auf Giganten aus. Ihr Gedächtnis prägte sich jedes einzelne Detail ein.
„Diese Waffen sind zum Jagen. Du wirst im Schießen gelehrt, deine Ausdauer wird auf die Probe gestellt und deine Jagdkünste auch. Es gibt drei Prüfungen. Meisterst du alle, bist du ein Jäger.“
„Was ist die Erste?“, fragte Rabea neugierig.
Cheyennes Augen funkelten und ein vergnügtes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. Ihre Fingerspitzen kreisten auf der Fläche der Fernbedienung.
„Bestehe alle Aufgaben des theoretischen Tests. Die Zweite lautet erledige alle Aufgaben, die dir gestellt werden. Und die Dritte und letzte Prüfung...“ Ihr Kinn sank sachte auf die Brust und die Lider schlossen sich für einen Moment. Cheyennes Gedanken kreisten sich um eine Entscheidung. Nach wenigen Sekunden erhob sich ihr Kopf blitzartig. Ihre stechenden Augen durchdrangen Rabea. „Davon wirst du erst erfahren, wenn du so weit bist.“
Rabea nickte schluckend.
„Jedenfalls, wirst du morgen zum ersten Mal mit auf eine Jagd gehen. Deine Eltern dürfen nichts davon erfahren, keine Freunde, keine Verwandten, niemand. Ansonsten sterben sie oder müssen der Organisation beitreten. Doch diese Entschei-dung liegt meistens beim Chef. Sei vorsichtig, mit dem was du in den Mund holst.“
Bevor Cheyenne weiter erzählen wollte, klopfte es an der Tür. Iven trat ein.
„Carlos meint, dass jetzt erst einmal Schluss ist.“
Sie nickte und Rabea stand auf.
„Wann soll ich morgen wieder erscheinen?“
„Direkt nach deiner Schule.“
Mit einem vorsichtigen Nicken verließ sie den Raum und Iven begleitete sie aus dem alten Gebäude.
Er hielt Rabea noch für einen Moment auf. Sein Kopf lehnte sich an den Türrahmen und er verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Also...ich glaube dir.“, sagte er beschämend und fuhr sich durch seine Haare.
„Danke. Und wieso?“, fragte Rabea.
„Du klangst ziemlich überzeugend. Carlos ist zwar immer noch misstrauisch dir gegenüber, da damals dasselbe schon einmal passierte und er hereingelegt wurde. Das hätte ihn fast das Leben gekostet. Deshalb ist er ziemlich hart. Jaden, der Asiate, glaubt auch, dass du kein Spion wärst.“
„Das ist beruhigend. Aber trotzdem habe ich keine andere Wahl. Carlos lässt mich töten, wenn ich mich weigere. Alles ist für mich noch sehr...beängstigend und unglaubwürdig. Vielleicht wird es mir morgen besser gehen.“
„Das war es am Anfang bei uns auch. Morgen wird es noch härter. Du musst dich schon mal auf das Unglaublichste gefasst machen. Etwas das du niemals im Leben glauben würdest. Aber schlaf erst einmal aus. Weißt du den Weg zurück?“
Rabea nickte und verließ die Gasse in die richtige Richtung. Gegen halb zwölf kam sie an und ihre Mutter saß auf dem Sofa. Das Telefon zitternd in der Hand mit einer feuchten Wange.
„Mom?“, meldete sich Rabea flüsternd.
„Rabea?“, rief ihre Mutter laut und stand von ihrem Sofa auf. Mit Freudentränen in den Augen lief sie auf ihre Tochter zu, umschlang ihren zierlichen Körper und schluchzte.
„Wo zum Teufel warst du, Fräulein?“, fragte sie wütend und drückte sich von ihrer Tochter ab.
„Es wurde doch etwas später und zum Schluss verlief ich mich.“, log Rabea.
„Mach das nie wieder! Ich hatte mir schreckliche Sorgen gemacht und schon die Polizei benachrichtigt. Du warst zwei Stunden lang verschwunden. Jetzt geh auf dein Zimmer!“
Rabea zog ihre Augenbrauen zusammen. Wenn ihre Mutter wüsste, was sie durchmachen musste. Aber sie musste wegen ihrem Leben schweigen. Denn schon morgen könnte sie sonst tot sein. Beleidigt stieg Rabea stampfend die Treppen nach oben.
In ihrem Zimmer landeten Tasche und Jacke polternd auf dem Boden. Wütend ballte Rabea die Fäuste. War ja klar, dass ihre Mutter sauer werden würde. Das Beste wäre jetzt zu schlafen.
Müde legte sie sich ins Bett und ihre Gedanken kreisten um den heutigen Vorfall. Was ist die Weiße Nacht und welche Tiere musste Rabea zur Strecke bringen? Eigentlich war sie überhaupt nicht gemacht, irgendetwas zu töten. Egal wie klein es war. Hoffentlich war es nur ein böser Traum. Alles in ihrem Kopf drehte sich um Fragen und je mehr sie daran dachte, umso extremer verwirrte die Geschichte ihr Gewissen.
Seufzend drehte ihr Körper sich zur Seite. Ermüdet schlossen sich ihre Lider und ihre Decke schob sich bis zu ihrer Brust hoch. Nach wenigen Minuten schlief sie ein.
Am nächsten Morgen weckte ihre Mutter Rabea. Knatschend und gähnend öffneten sich ihre Augen. Juliettes blasses Gesicht schimmerte im Sonnenschein. Ihre blauen Augen kamen durch das lange gelockte blonde Haar gut zur Geltung.
„Aufstehen! Schule!“
„Ja, ja.“, nörgelte Rabea. Jeder Morgen war genauso wie jeder andere. So normal. Trotzdem brannte sich das Geschehen von gestern in ihren Kopf ein. Das Erlebnis verkraftete ihr Gewissen nur schlecht und verdrängte die Erinnerung. Es kam Rabea wie ein Traum vor und deshalb bekümmerte sie die Lage überhaupt nicht. Unten gab es leckeres Frühstück. Juliette machte sich für die Arbeit bereit und verabschiedete sich anschließend von ihrer Tochter.
„Bis heute Abend!“, rief sie und verschwand aus der Tür.
Rabea konnte mit vollem Mund keine Antwort geben. Jedoch war ihr nicht zumute. Ihre Laune war heute merkwürdig drü-ckend, als ob sie etwas stören würde. Kann der Albtraum daran schuld sein? War es überhaupt ein Traum? Allein diese Frage verwirrte das Mädchen mehr denn je.
In der Schule traf Rabea auf ihre beste Freundin Celine.
„Na? Gestern noch gut nach Hause gekommen?“
Rabeas Erinnerungen kehrten wieder. Schluckend blieb ihr Körper ruckartig stehen. Ein Schweißausbruch machte sich in ihr breit. Angst stieg in ihr auf und schnürte den Hals zu. Kälte trat ein und Rabea wusste genau, das alles war kein Traum. Nach ihrem Nachhauseweg verirrte sie sich und gelang zu diesen seltsamen Personen. Was in aller Welt hatte sie bloß getan? Erst jetzt wurde ihr Fehler bewusst und am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen. Für immer an Leute gebunden, die ihr nicht bekannt waren. Alles hing davon ab, Familie, Freunde, selbst ihr Leben. Ihre Hände fingen an zu zittern.
„Hey Rabea, alles in Ordnung?“, fragte Celine schockiert und fasste ihren Arm an, der völlig heiß wurde. „Fühlst du dich nicht gut?“
Celine wirkte immer panischer. Ihre Freundin war in eine Art Trance. Die Schulglocke klingelte und jeder lief in seine Klassen. Celine zog Rabea in die Toilette und stellte sich vor das angewurzelte Mädchen.
„Rabea!“, kreischte sie und hielt ihr Gesicht fest.
Mit einem kräftigen Atemzug kam sie wieder in ihre Welt zurück.
„Was war das denn?“, fragte Celine besorgt.
„Ich hatte mich nur an etwas erinnert und dann...“ Rabea schüttelte ihren Kopf. „Nicht so wichtig! Komm, wir müssen zum Unterricht.“
Mit Celine an der Hand sprinteten sie zu ihrer Klasse los. Rabea konnte bis zur Pause ihre Gedanken nicht einfach abschütteln. Ständig träumte sie im Unterricht, worauf auch der Lehrer aufmerksam wurde.
„Rabea, alles in Ordnung? Du passt überhaupt nicht auf. Kon-zentrier dich mal!“, meckerte Herr Kenny.
Ihre dumpfes Nicken war kaum zu sehen, aber für die nächsten paar Minuten konzentrierte ihr Kopf sich nur auf den Unterricht. Nach zehn Minuten war sie erneut gedankenverloren. Durch Celines ständiges Stupsen in die Hüfte, wachte die Schlafende immer wieder auf.
In der Pause aßen die beiden gemütlich auf dem Hof. Der Baum hinter ihnen brachte Schatten, sodass eine kühle Atmosphäre herrschte, die Rabea etwas beruhigte. Es war schwer solch ein Erlebnis zu akzeptieren.
„Ok, was ist bloß los mit dir? Du tust so, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen? Rede doch schon!“
„Ich verspreche dir, Celine, mit mir ist alles in Ordnung.“
Ein misstrauischer Blick drang in sie ein. „Ja, ja. Ich seh´s.“
„Ok, ich hatte gestern einen Streit mit meiner Mutter. Das macht mir eben Sorgen.“, log Rabea und musste die Wahrheit vor ihr verschweigen.
„Heftig?“
Rabea nickte und tat so, als ob sie deswegen traurig wäre. Aber eigentlich wütete Angst und Unsicherheit in ihr. Celine umschlang ihren Körper und versuchte ihr Trost zu schenken.
„Das wird wieder.“
Es wäre zu schön gewesen. Aber an diese Organisation hatte sie ihre Seele verkauft. So ein Mist!
Nach der Schule wollte Rabea eigentlich nach Hause gehen, aber Cheyenne fing sie ab.
„Da bist du ja. Habe die ganze Zeit auf dich gewartet.“
Ungläubig betrachtete Rabea die elegante Lady. Ihr Blick verriet Cheyenne, dass sie ihr fremd vorkam.
„Du erinnerst dich doch noch an gestern, oder?“
Ihr Kopf bewegte sich kurz zögernd nach unten. Rabea folgte der Frau und bog in unzählige Straßen und Gassen ab. Ihr Weg führte zum gleichen Eingang wie gestern. Drinnen setzte sie sich auf das Sofa und betrachtete den Bildschirm. Cheyenne schob eine CD in den Rekorder und ein Film startete. Dieses Mal war die Überschrift: Karl Nacht.
Zu Beginn des Films war ein Bild eines alten Wissenschaftlers zu sehen, der Karl Nacht hieß. Er hatte auf dem Kopf eine Glatze, aber dünnes graues Haar zeigte sich entlang seiner Schläfen. Er trug eine Brille und einen weißen Kittel. Danach begann der Erzähler mit seiner Geschichte.
„Karl Nacht war ein Wissenschaftler. Er war 1853 geboren und starb 1925. Sein Lebenswerk war die Menschheit. Er wollte unbedingt die Physik in Frage stellen. Deshalb versuchte er dem Menschen das Fliegen beizubringen. Flugmobile, Ballons und andere Geräte hatten nie wirklich funktioniert, da kam er auf die Idee, den Vogel mit dem Menschen zu verbinden. Heimlich experimentierte er mit Embryos und gab ihnen die Gene eines Vogels. Daraus wurden hässliche und abscheuliche Wesen, die er unter der Oberfläche eingesperrt wurden. 1905 machte er die Entdeckung. Eines seiner Embryos verarbeitete die Gene so gut, dass er zuerst als normaler Mensch auf die Welt kam. Mit fünf Jahren riss an seinen Schulterblättern die Haut auf und es wuchsen ihm Knochen. Allmählich wurden daraus richtige Schwanenflüge, die er ganz eng an seinen Rücken anlegen konnte.“
Auf dem Bildschirm wurde ein Abbild eines solchen Geschöpfs gezeigt. Die Statur war ganz normal wie bei jedem anderen Menschen. Allerdings waren an seinem Rücken riesige Flügel gefestigt. Rabea konnte es nicht fassen, das so etwas tatsächlich existiert und auch noch lebendig seien sollte. Das war der beste wissenschaftliche Fund den es jemals gäbe. Die Menschen könnten wirklich fliegen.
„Diese Kreaturen werden White Nights genannt. Wegen der weißen Flügel und dem Nachnamen von Karl Nacht bekamen sie ihren Namen. Karl pflanzte in fünf weitere Embryos diese Gene und auch sie wuchsen normal heran. Als er sechs dieser Geschöpfe groß zog und dem Ältesten alles Wichtige beige-bracht wurde, näherte sich das Ende. Am 29. Dezember 1925 fand man Karl Night tot in seinem Institut. Er starb durch einen Kopfschuss. Die misslungen Experimente wurden alle vernichtet und nur die außergewöhnlichen sechs Kinder wurden nie wieder gesehen. Es gab eine kurze Zeit danach noch Anhaltspunkte, aber die wurde auch nie nachgewiesen.“
„Das ist ja jetzt schon achtundachtzig Jahre her.“, fiel Rabea auf und ihre Augen konnten sich nicht schließen. Ein Schock nach dem anderen. Menschen mit Flügeln? So etwas gibt es auf dieser Welt? Das musste ja eine unglaubliche Entdeckung sein. Solch ein Geschöpf einmal in Wirklichkeit zu sehen, wäre wahnsinnig aufregend.
„Das sind die Geschöpfe die wir jagen.“, sagte Cheyenne und wartete bis sich Rabea von ihrem Schock erholte. So schnell würde sie nichts mehr erschüttern.
„Ok. Aber es sind doch auch nur Menschen. Außerdem dürfte es nicht viele von ihnen geben.“
„Das denkst auch nur du. Denk daran, Rabea, es sind auch Tiere. Durch ihre genetische Fehlentwicklung legen diese Kreaturen Eier.“
„Was?“, erschrak sie.
Cheyenne nickte zustimmend. „Es ist nicht leicht so etwas zu glauben, das konnte ich am Anfang auch nicht. Aber es ist die pure Wahrheit. Diese Federn sind noch mehr wert als Gold. Ihre Stabilität und Einzigartigkeit kostet ein Vermögen. Im Kiel der Feder befindet sich eine unerklärliche Substanz die das Rohöl ersetzen kann. Außerdem ist es ein hervorragender Verbrennungsstoff. Wie du siehst, ist es also absolut wichtig das wir den Ort dieser Kreaturen für uns behalten, ansonsten könnten wir starke Konkurrenz bekommen.“
Rabea nickte einverstanden.
„Macht dich schon einmal fertig. Iven und Jaden warten schon im Transporter. Wir werden eine kleine Verfolgungsjagd machen und versuchen einen Night zu fangen.“
Rabea zog ihre Augenbraue hoch und ihr war ein wenig schwindelig bei dem Gedanken. Ihre Schneidezähne umfassten die Unterlippe.
„Eine Jagd? Also mit Waffen und gefährlichem Zeug, oder?“, schluckte sie ängstlich. Cheyenne nickte aufgeregt. Es kam so schnell, das Rabea schon in den Transporter geladen worden war und sich dort in einen bequemen Sessel setzte.
„Du wirst allerdings nicht jagen. Das machen heute nur wir. Deine Aufgabe wird sein, uns bei der Arbeit zu zuschauen.“,
beschrieb Iven und prüfte auf dem Fahrersitz alle Instrumente.
„Allerdings,...“, schlug Jaden an und zog verunsichert eine Au-genbraue hoch. „wird es für dich ein Schock sein zum ersten Mal einen Night zu sehen.“
Rabeas Haut vibrierte und eine Gänsehaut zog über ihr hinweg. Aber diese Wesen sahen doch nicht viel anders aus, als Engel von Geschichten oder Mythen. Warum sollte es für sie ein Wunder sein? Vielleicht lag es an der Tatsache, dass es solche Phänomene wirklich gab. Natürlich zog sich ihr Magen zusammen und ihre Hände zitterten bei dem Gedanken eine eigentlich nicht existierende Kreatur zu sehen. Fast so, als ob Rabea in einen Film hineinspringen würde.
„Aber falls es dich trösten sollte, wir alle mussten solch eine Tour erdulden und bis zur Prüfung durchhalten.“, sagte Jaden und ein munteres Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
„Ok, Schluss mit lustig. Jetzt wird es ernst!“, rief Cheyenne beim Einsteigen und schloss hinter sich die Schiebetür. Nach dem lauten Knall, der ein Signalton für Iven darstellte, brauste der Transporter los und schoss aus dem Tor in die Stadt.
Die Fahrt sollte nicht lange dauern, nach den Angaben von Jaden, jedoch fuhren die Vier schon eine gute viertel Stunde. Rabea wurde ungeduldig.
„Sagt mal, wie lange arbeitet ihr schon?“, fragte sie.
„Mit Prüfung und erst wenn man ein Jäger geworden ist?“, rief Iven und schaute kurz nach hinten.
„Ab der Prüfung.“
„Also ich arbeite seit fast drei Jahren hier. Für mich eine elend lange Zeit. Was ist mit dir Jaden? Die Frage würde mich auch mal interessieren.“
„Das weißt du doch! Unglaublich, dass du auch noch fragst.“, beschwerte sich Jaden und hob klagend eine Faust hoch. „Und so etwas nennt man Freundschaft.“
Beleidigt verschränkte der Asiate seine Arme vor der Brust und zog eine schmollende Mimik.
„Ach, komm schon Jaden! Natürlich weiß ich, das ich schon vor dir da war, nur du warst mit der Prüfung schneller durch, als ob ich mir dann merken würde, wann du uns beigetreten bist.“ Für einen Moment herrschte Stille. Jaden stellte sich noch immer quer und zog eine enttäuschte Mimik, Cheyenne hingegen brachte keinen einzigen Ton hervor. Genau das wollte Rabea eigentlich bewirken. „Ja, ich schätze dann vielleicht dass du sechs Monate nach mir ankamst.“
Jaden rümpfte seine Nase.
„Zwei Jahre, fünf Monate und zweiundzwanzig Tage, um genau zu sein.“, verbesserte er.
„Ich war nah dran.“
Da niemand anderes daran dachte, das Cheyenne noch nichts dazu sagte, stupste Rabea sie mit ihrem durchdringlichen Blick an. Die Lady lächelte ihr nur eiskalt zurück und richtete ihren Blick auf die Fahrbahn. Warum schwieg sie denn? Was war denn so schlimm zu fragen? Ob sie ein dunkles Geheimnis verbarg? Rabeas Neugierde wurde geweckt.
„Noch zwei Minuten und wir sind da.“, teilte Iven mit und bog in eine sehr schlecht erkennbare Einfahrt, die mit viel Gestrüpp und Blättern zugewachsen war. Durch das hochgewachsene Gras, hätte man nie denken können, das man dort tatsächlich einfahren kann. Rabea wurde mulmig bei dem Gefühl.
„Sind wir hier richtig?“, fragte sie misstrauisch.
Cheyenne schmunzelte.
„Natürlich! Wenn du wüsstest wie oft wir hier durchgefahren sind.“
„Ist der Eingang mit Absicht so bewachsen?“
„Natürlich, das ist unser Privatparkplatz. Deswegen jetzt gut festhalten. Es wird holprig.“
In dem Moment wurde die Fahrbahnoberfläche weich und sehr uneben. Es entstanden viele Wölbungen und dadurch rüttelte der Transporter kräftig. Rabea hielt sich mit samt ihrer Kraft an der Stange fest. Cheyenne hingegen tat so, als sie wüsste wann jeder harte Ruck kam, sodass sie locker auf dem Sitz saß und sich beinahe ohne viel Kraft festhielt. Rabea fand es erstaunlich. Ihre Muskeln verkrampften sich nach wenigen Sekunden, da sie mit viel Kraft und Ausdauer den Erschütterungen standhalten musste. Als die aktionsreiche Runde endlich vorbei war, atmete sie lange aus und ihr Kopf sank in die Rücklehne ihres Sitzes. Das waren die anstrengendsten zwei Minuten meines Lebens, kreiste in ihrem Kopf. Wie sollte sie das nur ständig durchhalten, wenn sie immer hier hin fahren. Der Parkplatz war in dem Sinne nichts Besonderes, nur eine geglättete, befahrene Wiese. Cheyenne öffnete die Tür und Jaden stieg als Erster aus. Er saugte genussvoll die idyllische Luft ein und schaute in den Himmel.
„Die Sonne ist schon am Untergehen. Perfekt!“
„Jaden! Hör auf das Wetter zu genießen und pack mal mit an.“, rief Iven, der auf seiner Schulter ein Gerät trug. In seiner anderen Hand befand sich eine kleine Satellitenschüssel. Jaden drehte sich um und nahm ihn das Gerüst ab. Einige Meter entfernt vom Standort des Fahrzeugs, bauten beide den Ständer mit der Schüssel auf. Ein langes Kabel verband die beiden Teile mit dem Transporter. Rabea schaute den beiden genauestens zu.
„Was machen die beiden da?“, fragte sie neugierig.
„Jaden ist für die Technik zuständig. Heißt er scannt die Gegend ab auf Lebewesen, Veränderungen, Bewegungen und hört einen Funk ab, falls die Polizei in der Nähe einen Einsatz haben sollte. Mit ihm sind wir auch per Headset verbunden. Hier, das ist für dich!“, erklärte sie rasch und drückte Rabea kleine Ohrstöpsel mit Minimikrophon in die Hand.
„Was ist wenn wir uns verlieren?“
„Jaden wird uns orten und die Koordinaten durchgeben, sodass es fast unmöglich ist, das wir uns verlieren könnten.“
An Cheyennes Handgelenk befand sich eine Uhr, die ziemlich funktionstüchtig war. Sie konnte nicht nur die Zeit sagen, sondern auch den Abstand zu den jeweiligen Kontaktpersonen. Außerdem gab sie auch die Richtung an, fast wie ein Kompass. An ihrem oberen Arm war ein Pulsgerät, das ständig Messwerte ausrechnete und prüfte. Die Ausrüstung der Drei war auch anders. Sie hatten extra geformte Anzüge an mit denen sie sich besser bewegen konnten. Außerdem bot er Schutz vor Kälte und verhinderte das Erleiden von Schürfwunden oder Kratzspuren. An ihren Hüften war ein Gürtel befestigt, an dem Waffen und andere kleine Dinge verstaut wurden. Cheyennes Anzug war schwarz-rot. Ihr Shirt, dessen Ärmel bis zu den Händen verliefen, war in Dunkel getaucht. Ihre Hose nahm eher ein bordeauxrot an und lag hauch eng am Körper. Ihre Stiefel hatten die gleiche Farbe wie ihr Shirt und verliefen bis zu den Knien. Das Material bestand aus Polyester und ihre Schuhe waren mit Lack verziert. Der Absatz war dick und nicht allzu hoch. Die Jungs trugen zwar auch Polyesterartige Kleidung, durften aber eine normale Hose tragen. Für Jaden war es unnötig, ihm eine angenehme Kleidung zu kaufen, die er doch nicht wirklich einsetzen kann. Immerhin saß er jedes Mal im Transporter und machte sich leichte Arbeit. Nach einer fünfzehn Minuten Vorbereitung setzten die restlichen Drei ihre Jagd fort. Als Rabea schon eine knappe halbe Stunde auf den Beinen war, kamen sie am Gebirge an. Der Fußweg wurde immer schlimmer. Nun ging es Berg auf und Rabeas Beine waren nun einmal nicht so durchtrainiert, wie die der anderen beiden. Krämpfe tauchten auf, die sie einfach unterdrückte und Blasen entstanden an ihren Füßen. Nach weiteren eineinhalb Stunden wandern, musste Rabea eine dringende Pause einlegen und setzte sich auf einen Stein.
„Ich kann nicht mehr, Leute.“
„Ayeieiei...“, quiekte Iven und kniete sich zu dem erschöpften Mädchen hinunter.
„Deine Ausdauer ist wohl nicht die beste, oder?“
Ich bin doch nur eine Tänzerin und keine Abenteurerin. Au-ßerdem habe ich Blasen und Krämpfe. Das ist zu viel für mich.“, jammerte Rabea und atmete erschöpft aus.
„Dann weißt du nun was dich in der Prüfung erwartet.“
„Was? Ist das dein Ernst?“, fragte Rabea erschrocken.
„Tja. Wir mussten alle durch. Deine Prüfung wird wahrscheinlich ein halbes Jahr andauern, so wie es aussieht.“
Rabea rümpfte die Nase. Ihre Augen durchdrangen den ernsten Blick von Cheyenne.
„Wie es aussieht muss ich allein auf die Jagd.“, sagte sie und lief einfach weiter.
„Bist du verrückt? Erste Regel: Niemals allein auf die Jagd ge-hen!“, rief Iven ihr nach.
„Paragraph eins, Absatz zwei; unter ungewöhnlichen Umstän-den darf der Jäger ohne weitere Gruppenmitglieder allein ja-gen.“, konterte Cheyenne. Iven fiel nichts mehr ein.
„Nennst du das einen ungewöhnlichen Umstand?“, fragte er verärgert.
„Willst du mit leeren Händen zurückkehren, Iven?“
Er schnaubte. Diese Frau verdrehte einem die Wörter im Mund. Trotz ihrer Entscheidung konnte er Rabea nicht zurücklassen. Sie kannte sich überhaupt nicht hier aus. Bald würde es auch dunkel werden, es dämmerte schon und die Sonne war hinter den Bergen verschwunden.
„Kannst du noch gehen? Ich meine, wegen deiner Blasen und Krämpfe?“, fragte er besorgt und sie nickte. Nach wenigen Metern aber stützte sie sich an einem Baum ab und Jaden sprach durch den Funksender.
„Alles klar bei euch? Wieso seid ihr getrennt? Was ist los?“, regierte er panisch und Iven hob seinen Stöpsel etwas an, damit seine Ohren nicht schmerzten wegen des lauten Tons.
„Komm mal runter, Jaden. Rabea hat Blasen und Krämpfe im Bein und wir konnten nicht weiterlaufen. Also meinte Cheyenne sie müsste auf eigne Faust jagen gehen. Aber mir ist etwas unwohl dabei, immerhin ist es schon fast dunkel und die Nights werden aktiv. Gegen mehrere von ihnen hat sie keine Chance.“
„Rabea wird es allein zurück schaffen. Cheyenne ist in Gefahr.“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz