White Night - Teil 6

Autor: SUNEstar
veröffentlicht am: 17.10.2012


Kapitel 6

Rabea schlief bis halb zwei aus. Machte sich gemütlich fertig und lief hinunter zur zerstörten Kantine. Einige halfen aufzu-räumen und andere genossen ihr Essen. Iven kam bestürzt auf sie zu gerannt.
„Oh, dir geht es gut. Spinnst du eigentlich? Cheyenne hat sich große Sorgen gemacht. Wo warst du gestern?“, rief er panisch.
„Im Wald und hab‘ euch gesucht.“, bestätigte Rabea, auch wenn das nur der kleinste Teil der Geschichte war. Ihre Lippen tauchten in ihren Mund, da es ihr unangenehm war etwas zu verschweigen.
„Also gut, Hauptsache dir ist nichts geschehen. Komm, wir haben eine wichtige Besprechung mit Carlos.“
Rabea zückte eine Auenbraue.
„Aber ich bin kein Jäger.“
„Ein Ausnahmefall.“
Iven griff nach ihrer Hand und führte sie hinunter in den Keller, dessen Untergeschoss weitere fünf Stöcke hatte. Mit dem Fahrstuhl fuhren beide zum letzten Stockwerk des gesamten Hauses. Er konnte nur mit einem speziellen Schlüssel befahren werden.
Unten angekommen lief Rabea durch einen langen Gang, der nur drei Türen beherbergte. Iven klopfte an der Ersten an. Eine Stimme ertönte und beide betraten den Raum. Es war ein großer Sitzungssaal, dessen Boden aus braunem Teppich bestand und die Wände waren mit hellen Holzmaserungen verziert. Der Tisch hatte ungefähr eine Länge von fünf Metern. Auf den vielen Stühlen saßen noch andere Jäger, die einen klein und zierlich, die anderen groß und muskulös. Carlos saß am oberen Ende des Tisches, begleitet von Cheyenne und Jaden. Neben den Zweien waren weitere Sitzplätze frei, die dann von Iven und Rabea besetzt wurden.
„Also gut, fangen wir von vorne an!“, seufzte Carlos.
„Wir haben ein riesiges Problem. Die Wächter kamen auf merkwürdige Weise in den Besitz der Lebensbereiche der Nights. Dazu gehören einige Waffen, sowie Transporter, Computer und weitere wichtige Dingen. Ich habe es langsam satt, das diese verdammten Bastarde jedes Mal hierher ein-dringen und uns überfallen. Die Wächter müssen endlich zu-rückgedrängt werden und ich bin dafür, dass wir einen Angriff auf ihr Versteck wagen. Wir konnten durch einen Zufall einen von ihnen gefangen nehmen und mithilfe einer speziellen Methode wichtige Daten in Erfahrung bringen. Deshalb bitte ich alle Hüter mit ihren Jägern eine Abmachung zu treffen, sodass wir genug Leute sind für einen Gegenangriff.“
Rabea dachte kurzeitig nach, was Carlos mit einer speziellen Methode meinte. Doch wohl nicht Folter, oder? Was war au-ßerdem ein Hüter? Cheyenne und viele andere hoben die Hand. Rabea fühlte sich angesprochen und meldete sich, al-lerdings drückte Jaden ihre Hand hinunter und schüttelte mit dem Kopf.
„Das freut mich, dass so viele bereit sind.“, sagte er und wandte seinen Blick dann zu Cheyenne. „Bist du dir sicher, dass du einen Schützling mitnehmen möchtest?“
„Nein, Rabea wird hier bleiben. Nur mein Jäger-Team wird mich begleiten. Für die paar Tagen wird sich bestimmt einen Ersatz finden lassen.“
Carlos nickte einverstanden.
„Eine weitere Diskussion findet nur mit den Hütern statt. Ich bitte euch daher inständig sobald wie möglich um einen Plan und eure Vorschläge interessieren mich am meisten. Es muss schnell gehen. Die Karten der Night-Gebiete haben äußerste Prioritäten.“
Alle nickten einverstanden und einige von ihnen standen auf. Iven und Jaden wanken Rabea zu sich, die sitzen bleiben woll-te, da es Cheyenne sich nicht bewegte. Mindestens fünfzehn weitere Personen blieben sitzen. Ein weiteres Mal griff Jaden nach Rabeas Hand und zog sie aus dem Saal hinaus.
„Wieso müssen wir aufstehen?“, fragte sie draußen unwis-send.
„Weil wir keine Hüter sind.“
„Wer sind die denn?“
„Gruppenanführer. Cheyenne ist unsere, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.“
„Das wusste ich gar nicht.“
Jaden seufzte und musste grinsen.
„Komm! Lass uns was essen gehen.“

Im Sitzungssaal führte Carlos das Gespräch weiter.
„Also, was tun wir? Irgendwelche Vorschläge?“
Einige schüttelten den Kopf und schwiegen. Carlos Augen durchdrangen jeden einzelnen von ihnen, ob nicht doch je-mand etwas sagen wollte. Da meldete sich ein Kerl mit muskulösem Körper, einer Narbe im Gesicht und kleinwüchsigen Stoppeln. Seine dunklen Augen jagten einem Angst ein.
„Wir könnten die Abwasserkanäle benutzen. Denn laut ihrer Koordinaten, gibt es dort einen Weg mitten ins Gebäude zu gelangen. Es wäre ein perfekter Überraschungsangriff.“
„Das hört sich gut an, aber was ist wenn dort Kameras instal-liert sind. Sie würden uns sofort erkennen. Denk daran, die Wächter sind meiner Meinung nach, manchmal cleverer als wir.“, seufzte Carlos zum Schluss und jeder schien sich ange-sprochen zu fühlen, wodurch grimmige Blick durch den Raum flogen.
„Sonst noch jemand?“
„Ein Frontalangriff?“, rief ein anderer, dessen Erscheinung nicht besonders schlau wirkte. In seinem Gesicht entdeckte man diesen gewissen dumpfen Blick.
„Weil wir ja auch Barbaren sind.“
Der Junge zog seine Mundwinkel nach unten.
„Noch eine Idee?“
Cheyenne überlegte einen Moment lang. Es musste doch noch andere Möglichkeiten geben, etwas, worauf die Wächter nicht vorbereitet waren.
„Wie viel Zeit haben wir bis zu einem Angriff?“, fragte sie.
„Ich gebe euch höchstens drei Tage zum Überlegen, länger nicht, sonst könnten unsere Daten mehrfach kopiert worden sein. Wenn sie wirklich gute Hecker haben, sind die Passwör-ter nicht länger sicher.“
„Das könnten wir tatsächlich schaffen, wenn wir alle zusam-men arbeiten.“, meinte Cheyenne und erhob sich vom Stuhl.
„Ich habe nämlich die genialste Idee überhaupt!“
Carlos und die anderen spitzten ihre Ohren. „Der Wächter, der in unserer Gefangenschaft ist, trägt eine ganz bestimmte Kleidung. Sie ist praktisch die Eintrittskarte zu ihrem Versteck. Wenn wir diesen Anzug mehrfach kopieren, dann könnten wir unbemerkt eindringen. Wir bestellen einige Transporter und fahren gemütlich in das Gebäude ein. Die Taktik wäre fast wie bei den Trojanern.“
„Dem stimme ich zu! Wer ist noch dabei?“
„Dazu brauchen wir noch einiges an Material, das wir sofort Bestellen, den Rest finden wir auch in unserer Umgebung.“
„Und du bist dir sicher, dass wir es schaffen in drei Tagen?“, fragte Carlos.
Cheyenne nickte. „Mit unserer Technik und Zusammenarbeit auf jeden Fall.“, bestätigte die willensstarke Lady und teilte die ersten Schritte ein. „Am besten arbeiten immer zwei Hüter mit ihren Jägern zusammen, so schaffen wir Ordnung.“
„Die Schützlinge könnten die nötigen Rohstoffe besorgen.“, meldete sich ein anderer.
„Gute Idee! Die Chemiker und Physiker machen sich ans Werk für die Anzüge.“
Alle nickten, standen auf und verließen ohne eine Anweisung des Bosses den Saal.
„Du denkst das klappt?“, fragte ihr Boss zum Schluss misstrauisch.
„Ich hoffe es, Carlos.“
Nachdem Mittagessen klopfte Cheyenne an Rabeas Tür.
„Es gibt eine Aufgabe für dich.“, sagte sie und schloss hinter sich den Raum.
„Welche?“
„Du wirst mit anderen Schützlingen in den Wald gehen, beziehungsweise ins Gebirge und dort spezielle Pflanzen sammeln. Keine aufregende Arbeit, aber immerhin tust du etwas anderes, als Hindernisparcours zu durchkämpfen oder zweistündig zu laufen. Hier kannst du Talent zeigen.“
Cheyenne nahm aus ihrer Westentaschen ein Bild und eine Baumwolltasche.
„Hier gibt es ein Bild davon, darauf stehen auch alle Merkmale, sodass ein verwechseln unmöglich ist. In die Tasche fügst du die Pflanzen ein. Sammle alles voll.“
Rabea nickte und freute sich über eine neue Aufgabe.
Auf dem Gelände traf sie auf alle anderen Schützlinge, die schon aufgeregt vor zwei Hütern herumsprangen. Sie warte-ten auf den Rest und würden den Start angeben. Rabea stellte sich in die Menge, als der andere Hüter alle durchzählte.
„Ok, ihr Pappnasen!“, brüllte ein kleiner, aber ziemlich muskulöser Mann, der graue kurze Haare hatte und einen ernsten Blick aufsetzte. Mit dem möchte ich aber nicht zusammenarbeiten, dachte sie sich. „Mein Name ist General Cayne. Jetzt wird alles gegeben. Ihr habt bis zum Abend Zeit. Sprich acht Uhr ist Ankunftszeit, sonst hau‘ ich euch die Hucke voll, alles klar?“, brüllte er.
Alle nickten verängstigt und warteten auf den Startschuss. Der Mann hielt die Pistole nach oben, wartete noch einen Augenblick und drückte ab. Jeder lief los und Rabea wurde mit der Menge mitgerissen. Neben ihr befand sich Chace und grinste.
„Wer als Erster mit einem vollen Sack zurückkommt.“, forder-te er Rabea zu einer Wette auf.
„Warum sollte ich mit dir wetten? Das hier muss ordentlich gemacht werden.“, meinte sie und ließ sich erst gar nicht auf die Verlockung ein.
„Na gut, du Schnecke, dann sehen wir uns wohl erst morgen früh.“, lachte er dreckig und sprintete weit nach vorne, als der Startschuss fiel.
„Das werde wir ja sehen!“, schrie Rabea hinterher. Chace lachte spottend und Rabea wurde wütend. Durch diese niederträchtige Herausforderung fühlte sie sich gezwungen, den Kampf zu gewinnen. Verbissen knirschten ihre Zähne.
Irgendwann wurde die Gruppe immer kleiner, bis schließlich nur noch Rabea allein herumirrte. Cheyenne meinte im Gebir-ge selbst würden viele wachsen. Durfte sie sich überhaupt so weit vom Gelände entfernen? Man kam dann ins Night-Gebiet. Welche Ironie, zuerst streunte Keith in der Nähe der Jäger herum und nun war es genau umgekehrt. Rabea seufzte unzufrieden. Die Aufgabe könnte auch mal wieder gefährlich werden. Ob ihr Keith über den Weg laufen würde? Auf uner-klärliche Weise freute sie sich auf ein Wiedersehen mit ihm. Vielleicht weil er einfach interessant war oder fühlte sie etwas wie Freundschaft? Bei dem Gedanken drehte sich ihr Magen um.
Als es nur noch bergauf verlief, kletterte Rabea an Steinen hoch und landete irgendwann vor einer senkrechten Wand. Ihr Augen schauten dem Verlauf nach. Es war mindestens zehn Meter hoch.
In ihrem Rucksack, den Cheyenne ihr mitgab, befanden sich tatsächlich Bohrhaken, Klemmkeile, Felshaken und ein Klet-terseil. Rabea hatte keine Ahnung in welcher Kombination sie es verwenden sollte, aber sie stach einige Bohrhaken in gewissen Abständen in die Wand, zog das Seil durch eine Öse und kletterte mit den Felshaken weiter nach oben. Irgendwann kam sie am oberen Ende an und legte sich völlig fertig auf den Rücken. Ihre Beine zitterten vor Anstrengung und ihr Atem hechelte. Noch bevor sie weiter nach den Blumen suchte, kettete sie gut ihr Seil fest, sodass ein späteres hinunter gleiten einfach war.
Es dauerte nur wenige Schritte und hinter einem großen Fel-sen war eine riesige Wiese mit den Blumen die sie suchte. Ra-bea sprang vor Freude in die Luft.
„Ich gewinn‘ die Wette!“, war zurzeit der einzige Gedanken in ihrem Kopf. Bevor Rabea mit dem Messer werkte, las sie sich ordentlich und in Ruhe die Beschreibung der Pflanze durch. Man durfte die Wurzel auf keinen Fall herausschneiden son-dern nur unten am Stiel, damit nächstes Jahr eine neue wach-sen konnte. Es war fast die gleiche Umgangsform, wie bei Pilzen.
Nach zwei Stunden tat ihr der Rücken weh und der riesige Sack war gerade mal nur zu einem Viertel gefüllt. Aufgebend legte sich ihr Rücken in die weiche Wiesen, dessen Gras ihre Haut kühlte und es an den Füßen kitzelte und der Duft eine angenehme Atmosphäre bat. Der blaue Himmel über ihr ließ Rabea ein Lächeln ins Gesicht setzen und die Sonne wärmte ihre Haut. Am liebsten wäre sie den ganzen Tag so liegen ge-blieben, vergas alles um sie herum und sollten doch die ande-ren sich um die Blumen scheren. Der Augenblick war dafür zu genüsslich.
Rabea schlief jedoch ein und wachte am späten Nachmittag auf. Ihr Entsetzen war groß, als sie bemerkte, das sie drei ganze Stunde geschlafen hatte und es kurz vor fünf Uhr war. Ihre Beine sprangen blitzartig auf und ihre Hände schnitten mit dem Messer weiter die Blumen ab. Bei ihrem momentanen Tempo würde der Sack schon in einer Stunde voll sein. Aber es hielt nicht lang, denn ihr Rücken begann von dem ganzen Bücken zu schmerzen. Also legte ihr Körper eine kurze Ruhepause ein. Am liebsten hätte sie weitergeschlafen, aber allein die surrenden und lauten Wortes des Hüters, der den Schützlingen den Startschuss gab, ließ ihr eine Gänsehaut über ihren Körper streifen. Seufzend blickte sie in den Himmel.
Plötzlich war im Augenwinkel hinter einem Berg ein Night zu sehen. Er war ziemlich klein und fast übersehbar und Rabea legte sich beobachtend ins Gras. Er landete nicht allzu weit von ihr auf der Wiese. Es war ein kleines Mädchen, gerade mal acht Jahre. In ihrem Arm eingehakt befand sich ein geflochtener Korb und sie trug ein blaues Sommerkleidchen. Ihre Schuhe waren weiße Sandalen. Das braune gelockte Haar und die weißen kleinen Flügel ließen das Mädchen ganz friedlich und putzig wirken. Rabea wollte nicht, das sie sie entdeckt, sonst flöge das Mädchen aus Angst davon. Es war amüsierend der Kleinen beim Blumen pflücken zuzuschauen. Doch mit der Zeit näherte sich sie sich und Rabea presste ihren Körper immer mehr nach unten. Als es nur noch ungefähre drei Meter waren und das Mädchen ihr den Rücken kehrte, erhob sie sich aus der Wiese und wollte wegschleichen, aber hinter ihr ertönte ein ängstlicher Schrei. Rabea hielt sich die Ohren zu und drehte ihren Kopf vorsichtig um. Das Mädchen war vor Schreck auf ihr Hinterteil gefallen und verzog eine ängstliche Mimik. Ihr kleiner Körper zitterte und der Korb voller Blumen lag vor Rabeas Füßen. Das leise Wimmern veranlasste Rabea den Korb aufzuheben und die Blumen wieder einzusortieren. Ganz langsam setzte sie den Korb neben das Mädchen und ging langsam einige Schritte zurück. Das Objekt wurde von beiden Seiten lange angestarrt, als ob die Zwei auf eine Reaktion von ihm warteten. Das Mädchen griff nach dem Henkel, stand auf und rannte davon. Rabea seufzte ent-täuscht. Sie war richtig niedlich gewesen. Nach wenigen Minuten machte sie sich weiterhin an die Arbeit und dabei stand das Mädchen wieder neben ihr. Vor Schreck stolperte Rabea über ihren fast gefüllten Sack und fiel zu Boden. Für einen Moment fand sie es lustig und grinste. Das Mädchen kicherte unerwartet.
„Tja, jetzt ist jeder von uns beiden einmal hingefallen.“, lächelte Rabea und das Mädchen hielt beschämend ihre Hände ins Gesicht.
„Bist du ein Jäger?“, fragte die Kleine schüchtern und trug noch eine Spur Angst in sich. Rabea schüttelte den Kopf.
„Nein. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“
„Aber wieso riechst du dann nach ihnen?“, fragte die Kleine und kam einen Schritt näher.
„Weil ich nur ein unbedeutender Schützling bin.“
„Was ist das?“
Rabea wollte ihr nicht sagen, dass sie in einem halbem Jahr zum richtigen Jäger würde, also verlief ihre Antwort um den heißen Brei.
„Praktisch zurzeit ein kleiner Helfer, der nur Kräuter und Blu-men pflückt.“
„Ich pflücke für meine Oma Blumen. Sie wird bald achtun-dachtzig Jahre alt.“, sagte die Kleine und setzte sich gegen-über von Rabea hin. Etwas klingelte in ihrem Kopf. Die Zahl sagte ihr etwas. Hatte Cheyenne nicht einmal erwähnt, dass die Flucht der Nights vor achtundachtzig Jahren war? Dann musste diese alte Dame wohl eine Urnight sein. Der Ursprung aller Nights.
„Pflückst du auch Blumen für deine Oma?“
„Nein, ich habe nur noch meine Mutter und meinen Vater.“, antwortete Rabea mit abgesenkter Stimme.
„Und deine Schwester und dein Bruder?“
„Ich bin ein Einzelkind.“
„Das geht bei uns gar nicht. Ich habe nämlich dreizehn Schwestern und acht Brüder.“
Rabea hustete los, da sie sich verschluckte, als ihre Stimme etwas sagen wollte und dabei Speichel in ihren Rachen geriet.
„Dann sind das ja zusammen einundzwanzig Geschwister.“, bemerkte Rabea. Die Kleine nickte.
„Wie heißt du?“, fragte sie sofort.
„Rabea, du?“
„Kirsche.“
„Das ist aber ein schöner Name.“
„Meine Mami sagt, dort bin ich geboren worden.“, erzählte sie.
„Unter...einer Kirsche?“, fragte Rabea sicherheitshalber nach.
„Nein, unter einem Kirschbaum.“
Ihre Augen musterten Rabeas Gesicht. Die Kleine verstand noch nicht genau den Krieg zwischen Nights und Jägern son-dern wusste nur, dass sie eine Gefahr darstellten. Kirsches Mutter war nämlich damals von einem der Jäger entführt worden. Seitdem hatte niemand jemals etwas von ihr gehört. Die Kleine und ihre Geschwister wünschten sich nichts Sehnlicheres als die Rückkehr ihrer geliebten Mutter.
„Ist deine Mami hier in der Nähe?“, fragte Rabea verängstigt.
„Nein, meine Mami ist weg.“
„Ist sie unterwegs?“
„Die Jäger haben sie mitgenommen vor zwei Jahren.“
In Kirsches Gesicht spiegelte sich eine unempfindsame Trauer aus. Rabea hatte Mitleid mit der Kleinen. In ihrer Westentasche tätschelte ihre Hand nach der schwarzen Feder und zog sie heraus.
„Schau mal, das hat mir ein Freund gegeben.“, sagte Rabea, um die Kleine auf andere Gedanken zu bringen. Kirsche sprang erschrocken auf, lief einige Schritte zurück und verzog ein beängstigendes Gesicht.
„Geh weg von mir!“, schrie sie und blickte Rabea mit tränengefüllten Augen an.
„Was hast du denn?“
„Du hast gelogen, du bist eine Jägerin! Aaron hat mir gesagt du seist ganz böse und würdest viele Nights töten.“
„Was? Aber das stimmt doch gar nicht.“, widerrief Rabea ent-setzt. Was musste Aaron seinem Stamm erzählt haben, das nun alle Rabea hassten und verachteten, nur weil Keith ihr half. Was war bloß aus ihrem geflügelten Freund geworden?
„Doch, ich rieche Keiths Geruch! Diese Feder gehört ihm. Du hast ihm wehgetan und nun muss er dafür im Untergrund als Strafe sitzen.“
„Kirsche, ich schwöre dir, ich habe nichts getan. Weder einem Night noch einem anderen habe ich jemals etwas getan. Frag Keith! Ich bin unschuldig.“
Kirsche schrie und lief davon. Ihre Flügel waren noch jung und deshalb war ein Startflug furchtbar schwer. Sie rannte und rannte, aber nichts hob sich in die Luft. Rabea lief ihr nach.
Von oben näherten sich ein Night mit schwarzen Flügeln. Zu-erst hoffte Rabea, das es Keith seien könnte, aber er flog ge-radewegs auf sie zu. Als er immer näher kam, erkannte Rabea den älteren Bruder Aaron. Sie wusste, dass er einen Groll auf sie hegte und deshalb nicht gerade begeistert war von der eskalierten Situation. Kirsche rannte in Sicherheit und Aaron flog immer weiter auf Rabea zu, die schützend ihre Hände vor sich hielt. Dennoch landete er mit einem starken Windzug vor ihr und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Du schon wieder! Du machst nur Ärger! Jetzt wirst du dafür bezahlen.“, drohte er ihr und griff nach ihrem Handgelenk. Hinter seinem Rücken zog er eine Spritze heraus und stach ihr mit Wucht in den Hals. Es fühlte sich wie ein kurzer Messerstich an, der langsam in ihren Nacken weiter hinunter rutschte. Rabea schrie auf, blickte in die düsteren Augen und merkte wie ihre Beine weich wurden.
„Aaron!“, rief Kirsche, da es vor den Augen eines noch kleinen Mädchen ziemlich brutal aussah.
„Geh weg, Kirsche!“, warnte er. „Hier ist es nicht sicher!“
Rabea fiel auf die Knie und endlich zog Aaron auch die Spritze aus ihrem Hals. Die Lider wurden träge und ihr kompletter unterer Körper war gelähmt. Schließlich schlossen sich ihre Augen und Dunkelheit sowie Stille kehrte ein.

Gegen acht Uhr kamen alle Schützlinge wieder zurück. Mit vollen Säcken und zufriedenen Gesichtern. Chace schaute sich nach Rabea um, die nicht auftauchte. Der Hüter zählte alle durch und tatsächlich fehlte nur eine Person.
„Welcher Waschlappen hat es nicht geschafft?“, brüllte der General und sein deutlicher gezügelter Ton war wie aus einer Armee nachgeahmt. Diese Leute schrien tagtäglich ihre Be-satzungsmitglieder an.
„Rabea fehlt!“, rief Chace und auch wenn er sie als seine Kon-kurrenz nur betrachtete, machte er sich um einen zukünftigen Jäger, der vielleicht irgendwann in seinem Team sein würde, sorgen.
Cheyenne hörte die Worte und drängte sich zu Chace durch, der vor dem Hüter Meldung berichtete.
„Was? Rabea ist nicht da?“, fragte Cheyenne panisch und blickte in die Menge der Schützling, ob sie doch nur übersehen wurde.
„Weiß niemand wo sie ist?“, rief sie zu allen und jeder schaute um sich. Cheyennes Herz pochte. Das war nicht Rabeas Art. Wo konnte das Kind nur wieder stecken? Sie wusste es von Anfang an, dafür war das Mädchen zu jung. Seit dem Vorfall mit dem Schlüssel war Rabea auch seltsam gegenüber ihrem Team und klang bei den meisten Fragen sehr unsicher. Ob sie etwas verheimlichte?
„Hüter Cheyenne! Ist das ihr Schützling?“
Sie nickte.
„Ich werde umgehend Boss Carlos informieren.“, bestätigte er und befahl allen den Abmarsch in die Zimmer.
Cheyenne rannte ins Gebäude hinein, in den dritten Stock und klopfte wild bei Jaden an. Der öffnete seine Tür und mit bestürztem Gesichtsausdruck erkannte er seine Hüterin.
„Was ist passiert?“
„Rabea kehrte nicht zurück!“, rief sie und trat gedankenverlo-ren ins Zimmer. „Kannst du versuchen ihr GPS-Signal aufzu-nehmen?“
Jaden setzte sich an seinen Computer und tippte in unglaubli-cher Geschwindigkeit einige Buchstaben und Zahlen ein.
„Verdammt! Ich glaube die Nights haben sie. Ihr GPS-Signal kommt aus dem Funkstrudel. Es ist also unmöglich ihren Standort zu orten.“, verzweifelte Jaden und fasste sich an seinen Kopf.
„Nein...Ich werde nicht nochmal jemanden verlieren.“, biss Cheyenne wütend auf die Zähne. Ihre Arme rissen Jadens Waffenschrank auf und an ihrem Gürtel besetzten immer mehr feindliche Instrumente ihre Ausrüstung.
„Was hast du vor?“, fragte er.
„Ich werde mitten in den Strudel gehen und Rabea befreien. Noch einmal verliere ich niemanden von ihnen.“
„Spinnst du? Das musst du erst mit dem Boss klären!“, sagte Jaden und drehte sich in seinem Stuhl um.
„Versprich mir, dass du niemanden etwas sagst. Ich will nicht das unnötig Panik ausbricht.“
Jaden schluckte. Er wollte nicht anfangen zu lügen.
„Cheyenne, sei vernünftig.“, bat er flehend.
„Jaden! Versprich es mir!“, schrie sie und er nickte zögernd.
„Na gut. Du lässt mir keine Wahl!“
Cheyenne sprang mit einem Satz aus seinem Zimmer in den Fahrstuhl und verschwand nach draußen im Gelände. Im Wald lief sie ohne eine Pause durch den Wald. Ihr Ziel war der Funkstrudel, der gefährlichste Ort für einen Jäger.

Rabeas Lider öffneten sich langsam und ein kurzer Schmerz durchfuhr ihren Hals. Der Boden war kalt und aus nassen har-ten Fliesen. Ihr Kopf brummte ein wenig, ihr war schlecht, wahrscheinlich von der Spritze. Über ihr war eine Decke, die undicht war, weswegen auch der Boden Pfützen hatte. Vor ihr waren Stangen und sonst starke massive Steinwände. Außer ihr befanden sich noch mehrere Gefangene in dem Raum. Sie ächzte und rappelte sich auf. Zunächst legte sie ihren gefrorenen Körper auf eine Trage, damit ihr wieder einigermaßen warm wurde. Ihre Ohren lauschten dem Klagen, Jammern und Heulen der leidenden Personen.
„Tag achthundertvierunddreißig.“, murmelte jemand wieder-holend neben ihr. Sein Wimmern klang schon psychisch de-formiert. Dann gab es noch jemand der mit sich selbst sprach. Er erzählte über seine Träume und das sein größter Wunsch es sei hier herauszukommen. Ein anderer sagte dasselbe, aber er sprach nicht von seinen Wünschen.
„Zuerst die Peitsche, dann das tobende Rad, die roten Augen und der düstere Blick. Zuerst die Peitsche, dann das...“, mur-melte er stammelnd und krallte seine Hände an das Gitter.
Rabea stand auf und schlenderte an die Stäbe, sie versuchte ihren Kopf so gut es ging durchzustecken, kam jedoch nur bis zum Ansatz der Schläfen. Es gab einen einzigen Ausgang, den zwei Wachen in Anzügen bewachten. In ihren Händen hielten sie ein Maschinengewehr. Rabea seufzte. Ihr Hintern landete wieder auf der Trage und ihre Hand fuhr über den Einstich der Spritze. Er schmerzte. Aaron musste dabei eine Arterie getroffen haben, die jetzt blau anlief. Ihr Kopf fiel ins Genick und der Rücken schmerzten, da er die ganze Zeit auf den harten Fliesen lag. Was war bloß passiert? Würde sie auch hier in Elend versinken, wie die anderen gefangenen Jäger? Vielleicht verurteilte das White Castle Rabea zum Tode. Allein der Gedanke ließ eine Gänsehaut über ihren Körper kräuseln. Ein schauerlicher Gedanken von Nights umgebracht zu werden.
Nach wenigen Sekunden ertönte eine Knarren einer Holztür und das Stampfen zweier Füße.
„Ist sie dort?“
„Ja, Sir!“, sagten beide und Rabea erkannte die Stimme. Es war Keith! Hoffentlich befreiter er sie aus diesem elenden Ge-fängnis.
„Könntet ihr uns bitte allein lassen?“, bat er die zwei Wachen und Keith stand tatsächlich mit einem aufmunternden Lächeln an den Gitterstäben. Er öffnete die Tür und schloss sie hinter sich zu.
„Bin ich froh dich zu sehen!“, rief Rabea.
„Es gibt da nur ein Problem. Mein Vater hatte dich zum Tode verurteilt und mir eine harte Lektion erteilt. Er war wütend darauf, dass ich einem Jäger geholfen hatte.“
„Oh Gott!“, erschütterte es sie.
„Ich habe ihm gesagt, dass du niemanden etwas zu leide tust, aber er vertraut dir nicht. Ich versuche dich hier heraus zu bringen, ok?“
Rabea lächelte erleichtert und atmete erst einmal tief durch. Dabei vergaß er sie auf ein zweites Thema anzusprechen und setzte sich zu ihr auf die Trage.
„Da wäre noch etwas. Kennst du Kirsche?“, fragte er.
„Das kleine Nightmädchen?“
Er nickte. „Sie kam zu mir und sagte du hättest ihr erzählt, dass die Feder von mir wäre. Wo hast du sie denn getroffen?“
„Auf einer Wiese mit den seltenen blauen Blumen.“
„Was wolltest du denn da?“
„Man gab mir einen Auftrag. Ich sollte diesen Blüten sammeln und in einen Sack stecken und dabei traf ich auf Kirsche. Sie erschrak sich, als ich ihr die Feder zeigte. Dabei tauchte Aaron auf und hatte mal wieder alles kaputt gemacht. Die Kleine hasst mich.“, seufzte sie enttäuscht und durchfuhr ihre Haare.
„Eigentlich nicht. Sie meinte, du tätest ihr leid. Denn es zählte nicht was andere sagen sondern was man von einer Person selber hält.“
„Wow. Das klingt ziemlich nett.“
„Kirsche ist auch ein besonderes Mädchen. Sie ist die Enkelin von einem Urnight.“, bestätigte er.
„Ja, darüber hatten wir beide auch gesprochen.“
Wieder quietschte die Tür und kleine dumpfe Füße tänzelten über den Boden.
„Keith, wo bist du?“, rief eine junge Mädchenstimme. Rabeas Ohren spitzten sich.
„Hier!“, rief er und lief an das Gitter. Er öffnete die Tür und Kirsche trat zum Vorschein. Als sie Rabea entdeckte strahlte ihr Gesicht und freudig lief sie ihr in die Arme.
„Rabea!“, schrie sie. Sie setzte das kleine Mädchen auf ihren Schoss.
„Ich glaub dein Papi sucht nach dir, Keith.“
Er schreckte zurück, schnappte sich Kirsche und rannte aus der Zelle.
„Wir reden später weiter! Niemand darf von unserem Ge-spräch erfahren.“
Rabea nickte, zur Beruhigung hielt er ihre Hand und ver-schwand anschließend aus der Tür. Kirsche wank ihr noch nach und verflüchtigte sich ebenfalls mit einem traurigen Ge-sichtsausdruck.
Es vergingen Stunden und niemand betrat den Kerker. Wann würde ihre Hinrichtung stattfinden? Rabea seufzte verzwei-felt. Dem Tod entgegen zu schauen war das gleiche Gefühl, als ihr das Messer an die Kehle gelegt wurde. Diese Angst im nächsten Moment nicht mehr zu leben, da nur ein kleiner Schnitt reichte, war wie eine Leere in der sie Stück für Stück hineingesogen wurde. Das Jammern der anderen Gefangenen war eine Qual für ihre Ohren. Was war das bloß für ein Herrscher, der solche Leute auf das übelste behandelte. Der Mann, der ständig über die Folter sprach, wiederholte die Worte seit mehreren Stunden. Rabea setzte sich zu ihm ans Gatter.
„Entschuldigung.“, rief sie und sein Blick wandte sich zu dem durchquetschten Kopf. „Über was sprechen Sie da genau?“
„Über den schwarzen Wolf.“, sagte er stotternd und faltete seine Hände und betete auf einer anderen Sprache.
„Seit wann bist du hier?“, fragte Rabea und sie interessierte die Taten der Gefangenen.
„Sehr lange. Seit Peitsche.“
„Wurdest du damit geschlagen?“
Er nickte eifrig und betete weiter. Die Sprache klang Italieni-sches oder war etwas Lateinisches, Altes. Er kniff die Augen zusammen, wenn er mehrmals einen Satz wiederholte.
„Du bist doch ein Jäger, oder? Was war denn damals pas-siert?“, dramatisierte Rabea den schon eingeschüchterten Mann.
„Es war dunkel. Da waren ein Schatten und diese Frau. Ihre Haare waren so unglaublich schwarz und lang. Ihre Lippen so rot und blutig. D-Dann preschte eine Peitsche los. Dieser K-Klang.“, wimmerte er und ein Schaudern fuhr ihm über den Rücken.
„Vor wie vielen Jahren war das?“, fragte Rabea neugierig.
„E-Es sind jetzt schon vier Jahre, die ich hier verbringe. Immer arbeiten und dann diese Erinnerung. Sie macht mich wahnsinnig.“
„Ok, ganz ruhig. Erzähl weiter.“
Er rieb sich seine dreckigen Hände und schlotterte vor Angst. Seine Augen schlossen sich wieder. Das Wimmern wurde noch stärker.
„Dann das Feuer und die Kutsche mit dem tobenden R-Rad. Es war so schlimm! Es hatte fünf Speichen und war groß und aus Holz. Drinnen war sie dann. Die Bestie!“, kreischte er. Seine Augen tränten und liefen über seine Wange. Er kniete sich auf, umfasste mit seinen Finger die Gitterstäbe und schrie los.
„Lasst mich raus!“
Die Wachen wurde aufmerksam und zielten mit ihren Geweh-ren auf ihn. „Halte den Mund!“
„Nein! Ich will hier raus! Lasst mich raus!“, brüllte er heulend.
„Bitte! Erzähl mir was dann geschah.“, flehte Rabea ihn an und versuchte ihn dabei zu beruhigen.
„Sie ließ ihn raus. Diesen Wolf. Er war grau und düster. Seine Augen genauso blutrot wie die der Frau. Wieder erklang die Peitsche.“
Er glitt an den Stäben hinunter und fiel auf die Knie. Sein Hals streckte sich in die Höhe. All seine Erinnerungen quälten ihn, bis in die Knochen spürte er jeden Schmerz.
„Sie machten das Rad ab und banden mich daran fest. Der Wolf biss zu und diese Frau stand daneben mit ihrem düsteren Blick. Ich sage dir, die Wächter waren es!“
Er weinte laut und schrie ständig.
„Halt endlich dein Maul!“, brüllte die eine Wache und lief zu dem Kerl hin. Er trat ihm auf die Finger an den Stäben, aber der Gefangene ließ sie nicht los. Er schrie bei jedem Tritt auf und kannte keinen Halt.
„Hör auf und lass ihn doch jammern.“, sagte der andere und wollte dieses Theater so schnell wie möglich beenden. Er hielt sein Maschinengewehr in der Hand. Sein Finger ruhte auf dem Abzug. So gern würde er es mit einem Schuss beenden. Aber er hörte lieber auf seinen Kumpel und stellte sich wieder neben ihn. Der Gefangene jammerte weiter.
Es ging weitere Minuten so. Rabea saß mit zugedrückten Oh-ren auf ihrer Trage. Der Mann schrie und klagte weiter, wieder einmal dieselben Worte: Zuerst die Peitsche, dann das tobende Rad, die roten Augen und der düstere Blick. Der Klang wurde unerträglich. Da lief einer der Wachen hin und ohne zu zögern drückte den Abzug. In schnellen Schüssen durchbrachen die Kugel die Brust des Mannes. Rabea kniff die Augen zusammen. Stille. Einer der Wachen seufzte erleichtert und das nun neben ihr ein toter Mann lag, ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Rabea wusste, dass der Gefangene die Wachen provozierte, damit er endlich seine Freiheit hatte. Er war durch sein furchtbares Erlebnis und das jahrelang sitzen im Gefängnis wahnsinnig geworden. Der Tod war deshalb eine Erlösung. Zu Wissen, das eine lebloser Körper eine Zelle neben ihr lag und niemand in entfernte, ließ ein Schaudern über ihren Rücken laufen. Wie furchtbar. Der Mann hatte es absichtlich soweit kommen lassen, da er die eine Erinnerung nicht aus dem Kopf bekam. Was für eine brutale Art zu sterben. Im Fernsehen sah ich oft wie Menschen erschossen wurden, die meisten bekamen mehr als zwei Kugeln durch die Brust geschossen. Der arme Jäger. Er wäre niemals frei gelassen worden, vielleicht mit einer Gehirnwäsche oder einem Gedächtnisverlust, ansonsten wäre er hier verrottet. Der Tod muss eine Erlösung gewesen sein. Die Vorstellung dass ich auch so enden könnte, war grausam und unbedenklich.
Ihren Gedanken entrissen, trat jemand in die Tür ein. Geflüster schallte durch den Raum. Nach wenigen Sekunden zeigte sich ein sehr alter buckeliger Mann, der goldene Flügel hatte. Seine Augen waren so klein, das man sie für geschlossen hielt. Auf seinem Kopf gab es keine Haare mehr sondern vereinzelte in Höhe seiner Schläfen. Am Kind trug er einen grauen etwas längeren Bart. Er hatte einen alten Holzstock als Stütze in seiner linken Hand. Die verdorrten und alten Finger zeigten auf Rabea.
„Dieses Mädchen soll eine Gefahr darstellen?“, fragte er spot-tend. „Ich bin enttäuscht, Sohn.“
Aaron stellte sich hinter den alten Mann.
„Sie hat meinen Bruder beeinflusst.“
„Ich verstehe. Aber hat sie denn schon jemanden etwas zu leide getan?“, fragte er.
„Nein.“
„Dann kann sie auch nicht zum Tode verurteilt werden, dafür gibt es keinen Grund.“
„Aber Vater, sie wird weiter auf ihn eindringen und Chaos entsteht.“
Er hob die Hand und entfaltete seine Flügel.
„Jetzt ist es aber gut!“, rief er wütend. „Dieses Mädchen hat keinem Night geschadet und wird deshalb frei gelassen. So-lange niemand durch sie gefährdet wird, kann sie gehen.“
„Aber sie ist eine Jägerin!“
Der Mann drehte sich zu Aaron um und boxte ihm in den Bauch. Er krümmte sich und kniete sich zu Boden.
„Ich will, dass du mich nie wieder anlügst.“, knarrte die alte raue Stimme. Er winkte den beiden Wachen zu und die kamen in die Zelle gelaufen. Einer zückte wieder eine Spritze und Rabea hielt schon durch eine Vorahnung die Hände nach oben. Dennoch nahm der Night sanft ihr Handgelenk und stach die Nadel hinein. In wenigen Sekunden war ihr Bewusstsein erneut weg.






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