White Night - Teil 4

Autor: SUNEstar
veröffentlicht am: 09.07.2012


Kapitel 4

Auf dem Gelände wartete schon Cheyenne ungeduldig, da Rabea fast eine halbe Stunde vertrödelt hatte. Kopfschüttelnd begutachtete sie die Lady in ihrem lässigen Jogging-Outfit. Rabea zog eine Augenbraue hoch.
„Was tun wir nun?“
„Dein heutiger Tagesplan sieht wie folgt aus: Zuerst wird ein Marathonlauf gestartet. Halte einfach drei Stunden Laufen durch. Danach gehen wir wieder für ein paar Stunden an den Parcours. Mittagessen. Du hast ein bis zwei Stunden Pause, anschließend treffen wir uns im Wald und du wirst mit einem speziellen Gerät durch den Wald gejagt. Abendessen und du hast frei.“
„Das dritte verstehe ich nicht ganz. Wie funktioniert das?“, fragte Rabea nach und hatte überhaupt keine Lust auf den heutigen Tagesplan, da ein Versagen schon vorausprogrammiert war.
„Das wirst du schon sehen.“
„Cheyenne, bitte sprich nicht immer in Rätseln.“, beklagte sie sich. Sie zog ernst ihre Augenbrauen zusammen und zeigte mit dem Finger auf die orange-weiß gestreiften Hütchen.
„Los! Lauf ihnen einfach nach. Drei Stunden lang, bei irgendeiner Klage werden fünf Minuten extra gelaufen.“
Rabea seufzte genervt.
„Drei Stunden und fünf Minuten, jetzt.“, rief Cheyenne ihr hinterher. Die erste Stunde Laufen ging noch, aber als es schon auf die zweite hinauszog, schlafften Rabeas Beine enorm. Ihr Muskelkater im Bauch, Hintern und in den Waden machte sich bemerkbar. Ihr ging die Puste aus und ihr Tempo wurde immer langsamer. Nach einigem lässigen Laufen, erholte sie sich wieder und zog das Tempo erneut an. Nach zwei Stunden lief die Zeit schon auf die dritte Stunde zu. Rabeas Lunge fühlte sich nicht mehr wie ein nasser Schwamm an, eher wie ein vertrocknetes Ahornblatt. Ihr Hals brannte, da ihr ein Wassermangel bevorstand und so langsam weichten ihre Knie, sodass ein weiterlaufen unmöglich wurde. Rabea musste gehen. Dabei schmerzten all ihre Gelenke, es war fast nicht zum Aushalten. Cheyenne hatte anscheinend keine Probleme damit, neben Rabea herzulaufen. Natürlich nicht, ich will gar nicht wissen, wie oft sie schon drei Stunden lang gelaufen ist, dachte sie.
Als endlich der Abpfiff kam, atmete Rabea lange aus und fiel samt mit ihren Knien zu Boden. Ihr Gesicht lag auf der kühlenden weichen Erde. Es war ein gutes Gefühl alle Muskeln locker zu lassen, fast wie eine Befreiung von einer allzu schmerzhaften Last.
„Komm Rabea, das war erst das Einlaufen. Jetzt machen wir am Parcours weiter.“, lachte Cheyenne und wank sie in die richtige Richtung.
„Bitte Cheyenne! Fünf Minuten! Ich brauch eine Pause.“
„Die hast du auch in der Zwischenzeit, wenn wir zu den Hindernissen gehen.“, rief sie und lief schon einmal vor. Mit viel Mühe und Kraft erhob sich Rabea vom Boden und klopfte ihre Hände ab. In einem ihrer langsamsten Geschwindigkeit ging sie zum Parcours. Nach totgeschlagenen zehn Minuten kamen sie an.
„Du brauchst aber lange zum Gehen.“, lachte Cheyenne.
„Sehr witzig. Ich habe eigentlich die Schnauze voll vom Rennen.“
Ihr Finger zeigte auf das erste Hindernis. „Und los!“
Ganze vier Stunde tobte sich Rabea an dem Parcours aus. Zwischendurch musste sie eine Pause von beinahe dreißig Minuten machen, dass ihre Muskeln verkrampften und ein Weitermachen unmöglich wurde. Abgesehen davon hatte sie eigentlich nur zwei Stunden wirklich trainiert. Das Getränk vom dem Cheyenne behauptet hatte es würde wirken, war wahrscheinlich reiner Schwindel und trug nur zu einer Aufmunterung bei. Gegen ein Uhr kündigte Cheyenne ihre Pause an und um drei träfen sich die beiden am Waldrand, um ihren Tagesplan zu vollenden.
„Gibt’s eigentlich auch mal einen freien Tag für mich?“
Cheyenne lachte bitter.
„Nur den Sonntag.“
„Wenigstens etwas...“, seufzte Rabea und setzte sich auf die Bank, da ihre Beine unfähig waren noch einen weiteren Schritt zu machen.
„Aber ich warne dich. Spätestens nächste Woche wirst du von allein, selbst am Sonntag, trainieren, weil du das Adrenalin benötigst. Du wirst süchtig vom Sport sein.“
„Niemals! Wahrscheinlich liege ich den ganzen Tag nur im Bett, um mich mal endlich zu erholen.“, bezweifelte Rabea es und könnte nicht einsehen, an einem freien Tag, dann auch noch zu üben. Aber Cheyenne musste es ja wissen. Wie viele Schützlinge hatte sie wohl schon trainiert?
Beim Mittagessen traf sie auf Iven und Jaden, die wieder einmal statt zu essen, lieber in sich hinein stopften.
„Hey Jungs!“, grüßte Rabea die beiden.
„Oh! Na wie war dein Tag?“, fragte Jaden und wischte sich den Mund ab.
„Furchtbar! Mir tun alle Knochen weh. Das Schlimmste war der dreistündige Marathon.“
„Du redest genau wie Lucia.“, sagte Iven und musste kurz Grinsen. Plötzlich trat Jaden Iven ins Bein, der dann aufblitzte und sich beschwerte. Aus ihren zuvor fröhlichen Gesichtern wurde ernste Mimik.
„Was habt ihr beiden?“, fragte Rabea verwundert.
„Nicht so wichtig. Iven nimmt nur den Mund wieder zu voll.“, fauchte er. Jaden stand auf und ließ den Blick von seinem Kumpel nicht los. Erst nachdem er immer noch Hunger hatte, ging er erneut ans Büffet. Rabea ging zum Angriff hinüber.
„Also, was hat er vorhin damit gemeint?“, fragte sie neugierig.
„Eigentlich redet niemand mehr darüber. Besonders nicht, wenn man mit Cheyenne zusammen arbeitet.“
„Was meinst du? Ich werde aus deinen Wörtern nicht schlau.“
Jaden kam wieder an und Iven schwieg weiterhin. Rabea verstand die Welt nicht mehr. Was war nun gemeint? Diese ständige Geheimniskrämerei mochte sie überhaupt nicht. Aber nun konnte sie gut nachvollziehen, wie es ihrer besten Freundin dabei ging. Nur zu schade, dass ihr der Mund verboten worden war, sonst würde sie ihren ganzen Kummer aussprechen.
Nachdem Jaden und Iven gehen mussten, da Carlos ihnen einen Auftrag gegeben hatte, aß Rabea gemütlich ihr Essen. Aus heiterem Himmel tauchte ein junger Kerl vor ihr auf, der ohne eine Bitte sich einfach zu ihr setzte. Rabea schaute um sich, ob er sich vielleicht geirrt haben könnte.
Der Gesichtsausdruck des Jungen war bitter und ließ Rabea ein Schaudern über den Rücken laufen. Erschrocken starrte sie ihn an. Er sagte auch kein Wort, sondern schaute ihr nur in die Augen, als ob sie dort etwas versteckt hielt.
„Entschuldigung? Kennen wir uns?“, fragte Rabea.
Der Junge räusperte sich und lehnte seinen Rücken an die Stuhllehne.
„Mein Name ist Chace. Chace Lamp.”
Sein Haar war blond und kurz geschnitten. Die grauen Augen hatten einzelne, kaum erkennbare Schatten in der Iris. Durch die Lichtreflexion wirkte das ganze wie eine bewegende Wolkendecke. Rabea verfing sich in dem Anblick und achtete nicht auf die anderen Details, wie die schmutzige blaue Hose und das befleckte graue Shirt. Seine Erscheinung ähnelte die eines Bauarbeiters.
„Und was genau willst du jetzt von mir?“, fragte sie misstrauisch und zog dabei eine Augenbraue hoch.
„Seit einigen Tagen beobachtete ich dich. Ich bin auch ein Schützling und ich wollte mir meine Konkurrenz anschauen.“
„Du spinnst doch. Was für eine Konkurrenz, bitte? Wir sind alle auf uns allein gestellt.“, lachte Rabea auf und dachte sie wüsste wo der Hase lief. Aber die nächste Wahrheit verpasst ihr einen Fehltritt ins Leere.
„Man merkt, dass du ein absoluter Anfänger bist. Hat dir denn niemand gesagt, was deine letzte Prüfung seien wird?“, fragte Chace verwundert.
„Nein. Das hatten sie mir verschwiegen.“
„Typisch! Pass auf, ich habe schon meine erste Prüfung hinter mir, nach drei harten Wochen. Jedenfalls wird die zweite auch simple sein, aber bei der dritten, kann nur einer bestehen.“
„Wie meinst du das?“
„Meistens sind es fünf Stück die gegeneinander antreten. Das Ziel ist einfach: Wer als Erster einen Night fängt gewinnt.“
„Aber doch nur fangen, ja?“
„Nein, auch töten.“
Rabea schluckte und fasste sich an ihren Hals. Sie musste eins dieser Geschöpfe töten? Dabei hatte sie doch so furchtbare Angst vor ihnen und eigentlich waren es auch einmal Menschen gewesen. Es fühlte sich so unrein an, fast so, als ob sie gegen jegliche Gesetze verstoßen würde.
„Also dann, Rabea, viel Glück. Vielleicht sieht man sich in der Prüfung.“, lachte er bitter und verließ ihren Tisch. Noch immer sträubte sich ihre Haut. Nur einer kann gewinnen? Was passiert denn mit denen, die es nicht schafften? Werden sie...getötet? Rabea bekam Panik und verschwand in ihr Zimmer. Gegen halb drei klopfte es an der Tür. Iven trat ein.
„Hey, Rabea.“, grüßte er beschämend und fuhr sich durch seine Haare.
„Was gibt’s, Iven?“
„Hör zu...“, seufzte er und schloss hinter sich die Tür. „Ich muss mit dir reden. Ich finde es dir nicht fair gegenüber, wenn man dir ständig Sachen verschweigt. Schließlich zählst du jetzt zu unserem Team.“
„Ok, dann setz dich erst einmal und erzähl mir alles in Ruhe.“
„Du hast Recht.“
Bevor er anfing, setzte er sich an den Rand, atmete tief ein und begann zu erzählen.
„Also, das in der Kantine tut mir Leid. Jaden hielt es für besser, wenn niemand davon weiß, aber ich bin da anderer Meinung. Bevor du kamst, war Cheyenne unsere Trainerin gewesen, vor der ersten Prüfung war ich allein mit ihr, aber dann kam Jaden dazu und anschließend noch jemand. Ihr Name war Lucia.“
„Ah, das Mädchen das du erwähnt hattest.“
„Ja, es ist mir herausgerutscht, weil du mich an sie in dem Moment erinnert hast. Sie war nett, ehrgeizig und immer hilfsbereit. Als die dritte Prüfung kam, von der eigentlich erst nach zweiten gesprochen wird, mussten wir drei gegeneinander antreten.“
„Ich habe herausgefunden, um was es bei der dritten Prüfung geht. Nur was danach geschieht, wenn man verliert, würde mich interessieren.“
Iven zog die Augenbrauen zusammen. Ihm gefiel es nicht, das jemand ihr schon davon erzählt hatte.
„Woher weißt du das?“
„Irgendjemand klärte mich auf.“
„Wie sah er aus?“
„Rote Haare, braune Augen und er war kräftig.“, log Rabea und wollte Chace nicht auffliegen lassen, auch wenn er ihr Konkurrent war.
„Das sagt mir jetzt nichts.“
„Egal, fahr fort.“, lenkte Rabea schnell vom Thema ab, bevor er herausfand, dass es ein Schwindel war.
„Jedenfalls, dauerte die Prüfung über Tage. Alles wurde überwacht und aufgeschrieben. Jeder Schritt wurde notiert und aufgenommen. Als aber Lucia es nicht länger abwarten konnte einen Night zu fangen, ging sie in den Funkstrudel hinein und jeder verlor augenblicklich den Kontakt zu ihr. Panik brach aus, da die Nights sie als Geisel nehmen konnten. Die Prüfung wurde sofort abgebrochen und Jaden und ich mussten auf die nächste warten. Drei Tage nach dem Geschehen fand Cheyenne morgens ein Paket vor ihrer Zimmertür. Es war leicht und sie hatte keine Ahnung was drinnen seien könnte. Als sie das Paket öffnete, erlitt sie den Schock ihres Lebens.“
Iven musste kurz nachdenken, wie er fortfuhr. Er seufzte.
„In dem Päckchen befanden sich sämtliche Haare von Lucia und sie waren mit Blut befleckt. Es lag ein Zettel drinnen, indem stand, das die Jäger sie endlich in Ruhe lassen sollten, sonst gäbe es demnächst Tote.“
„Das ist ja furchtbar!“
„Und deswegen brauchen wir mehr Jäger, damit wir uns endlich von dieser Plage befreien können. Außerdem starten sie manchmal Angriffe auf uns. Meistens gibt es Verletzte oder sogar Tote.“
„Das klingt grauenhaft.“
„Ich finde es furchtbar, dass Carlos dich in solch eine Lage gebracht hat. Dein komplettes Leben hatte sich auf den Kopf gestellt.“
Rabea sank traurig den Kopf.
„Was hatte ich denn für eine andere Wahl?“, schniefte sie, wenn sie daran dachte, zuvor ein bescheidenes einfaches Leben geführt zu haben. Sie durfte ihrer besten Freundin nichts anvertrauen und belog ihre Mutter ständig. Alles lief den Bach hinunter und mit niemanden konnte sie darüber sprechen. Ihr Gewissen plagte ihre Psyche, so sehr belastete es ihre Seele.
„Das wird wieder.“, sagte Iven mit aufmunternden Worten und umschlang ihren Körper tröstend. Als sich beide wieder losließen, verließ er das Zimmer und wünschte ihr noch einen erfolgreichen Tag.
Gegen drei Uhr kam Rabea angeschlagen am Waldrand an. Cheyenne begrüßte sie mit einem vergnügten Grinsen.
„Alles klar?“, fragte sie prüfend und Rabea nickte zögernd.
„Also, deine Aufgabe besteht darin, dich vor einem Sensor in Acht zu nehmen. Er wird dir auflauern und dich verfolgen. Sobald er dich berührt, ist das Spiel aus, alles verstanden?“, fragte Cheyenne. Rabea nickte und ein kleines fliegendes Gerät tauchte hinter ihrem Rücken auf. Am Kopf hatte es einen kleinen Propeller und der restliche Körper ähnelte dem eines metallischen Eies. Der nachfolgende Ablauf war nach sieben Sekunden beendet, als der Roboter Rabea sofort berührte.
„Hey, das ist nicht fair! Ich brauche einen Vorsprung.“, beklagte sie sich. Cheyenne lachte spottend.
„Was denn? Denkst du ein Night gewährt dir im Ernstfall auch Vorsprung?“
Rabea rümpfte die Nase.
„Gehen wir einfach davon aus, dass ich schon Vorsprung habe.“, rief Rabea und rannte schon mal los. Das kleine Gerät folgte ihr. Dadurch dass Cheyenne ihr einen kleinen Sensor an die Brust geheftet hatte, konnte das Gerät sie andauernd auffinden. Aber Rabea war der Meinung, dass es dann kein richtiges Spiel wäre, wenn sie den Sensor abmachen würde und wegwerfen könnte. Nur worauf sie nicht kam, war, dass keine Regeln genannt wurden. Das bedeutete...
Nach fast jeder fünfter Minute war es zu Ende und Rabea glaubte, sogar dem Roboter wurde es zu langweilig.
„Streng dich ein bisschen an. Noch zehn Minuten, dann haben wir sechs Uhr und du kannst Feierabend machen.“
Genau nach diesen Minuten hatte der Roboter Rabea ein weiteres Mal oder besser gesagt zum vierzigsten Mal gefunden. Es war wirklich unglaublich anstrengend.
Nach dem Abendessen legte sich Rabea sofort ins Bett und schlief erschöpft ein. Cheyenne kam hinein und sah das tiefschlafende Mädchen. Sie war so kaputt gewesen, das sie ihre Kleider noch trug und sich nicht zugedeckt hatte. Ein Lächeln fuhr übers Cheyennes Lippen.
„Genau wie du, Lucia.“, hauchte sie und eine winzige Träne taute sich in ihren Augen oder war es doch nur eine Spieglung im Auge? Cheyenne verließ den Raum und ließ Rabea in Ruhe schlafen.
Der Morgen war spät. Erst gegen neun Uhr wurde Rabea geweckt.
„Aufstehen! So ein Langschläfer.“, weckte Iven sie.
Gähnend drehte sich ihr Körper zur Wand und ruhte weiter.
„Hey!“, beschwerte er sich und lachte dabei. „Es ist neun. Du hast fast über vierzehn Stunden geschlafen.“
„Ich mag nicht trainieren. Cheyenne macht mich voll fertig.“
„Warte mal ab bis wir uns übernächste Woche begegnen.“
„Ja, ja.“
Iven stemmte die Arme in die Hüfte und beugte sich leicht nach vorne.
„Wenn du frühstücken willst, würde ich dir empfehlen in einer halben Stunde in der Kantine zu sein, sonst gibt es keines mehr.“
Erschrocken wirbelte Rabea hoch und schmiss die Decke weg. Sie bemerkte, dass sie in ihren gestrigen Klamotten geschlafen hatte, lief deshalb blitzschnell ins Bad, wusch sich ihr Gesicht und kämmte die Haare, sodass sie noch unter zehn Sekunden hinter Iven nach unten zur Kantine verschwinden konnte.
„Was für ein Wirbelwind.“, murmelte er und schloss hinter sich die Tür.
Nach dem schnell hinein gestopften Frühstück suchte Rabea Cheyenne unten am Gelände. Wie schon vorausgeahnt entdeckte sie die Lady in ihrem erneut lässig aussehenden Outfit am Parcours. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hoch gebunden.
„Ich dachte, dass ich dich heute ein wenig länger schlafen lasse.“, meinte sie freundlich.
„Du erwartest bestimmt etwas im Gegenzug dafür, oder?“
„Ich möchte heute volle Power sehen.“
Rabea nickte zögernd. „Ich werde mein Bestes geben.“
Cheyenne lächelte zufrieden und warf ihr wieder die Flasche mit der grünen Flüssigkeit zu.
„Davon trinkst du häufiger etwas. Es wird dir gut tun und deine Schmerzen lindern. Trink davon am besten fünf Stück pro Tag.“
„Also eigentlich hatte ich nicht gestern gemerkt, dass es geholfen hat.“, zweifelte Rabea.
„Kein Wunder, es war ja auch nur eine Flasche. Das merkst du erst nach Tagen und wenn du wirklich fünf Stück pro Tag getrunken hast.“, versprach Cheyenne ihr und hob von der Bank ein Schreibbrett und eine Trillerpfeife hoch.
„Trink es in großen Schlücken aus und dann wird weiter gearbeitet.“
Rabea rümpfte ihre Nase. „Kann man das auch gemütlich trinken?“
Cheyenne lachte laut. „Nein, im Eiltempo.“
Rabea gehorchte ihrer Trainerin und würgte die komplette halbe Liter Flasche hinunter. Es schmeckte leicht bitter, aber süß und hatte einen Waldmeistergeschmack. Vielleicht war es deswegen grün. Trotzdem würde Rabea gerne wissen, was dort alles hinein gemischt wurde.
„Komm schon!“, forderte Cheyenne und die Flasche flog in hohem Boden auf den Boden. Rabea rannte sofort los und versuchte dieses Mal unter ihre letzte Zeit zu kommen. Sie wollte von Tag zu Tag sich selber übertrumpfen, um am Schluss besser als Cheyenne zu sein. Das war ihr neues Ziel. In ihrem Kopf rotierte wieder der komplette Ablauf und fast wie bei einer Maschine kannte ihr Gewissen keinen Halt. Auch wenn alle Muskeln schmerzten, ihre Gelenke knacksten und ihre Haut zu schmelzen begann, lief ihr Körper weiter. Durch den Schweiß und die pure Hitze, gab ihr das Gefühl zu dampfen. Rabea gab hundert Prozent alles. Am Ziel stoppte Cheyenne die Zeit und blickte zu dem verschnauften und erschöpften Mädchen.
„Wow, nicht schlecht. Aber du sollst nicht alles geben, sondern deine Energie einteilen. Das ist auch wichtig. Jetzt bist du zu müde, um noch einen zweiten Durchgang zu wagen.“
„Ach, Mist! Welche Zeit hatte ich?“, fragte sie neugierig.
„Drei Minuten und einundvierzig Sekunden. Das ist nicht schlecht, aber ausnahmsweise darfst du eine Pause einlegen, da du nun gar nicht mehr weiterlaufen kannst. Zehn Minuten und dann geht es weiter.“
Rabea nickte einverstanden und ließ sich in den Matsch fallen. Mittlerweile war ihr der Dreck egal geworden. Die nasse Erde kühlte ihren Körper und ihre Muskeln lockerten sich ein wenig.
Die Pause war schnell vorbei und Rabea stürzte sich erneut auf den Parcours. Der Gedanke, dass sie bei einem Versagen der Prüfung abgestoßen werden könnte, ließ sie noch weiter antreiben. In ihr ergoss sich ein ganz neues Gefühl, ein weiteres Ziel: Rabea wollte eine Jägerin sein. Aber nicht irgendeine, sondern die Beste. Wenn andere zu ihr hinaufschauten, bewunderten, bejubelten, das wäre ihr neuer Traum. Zu Cheyenne schauten auch sehr viele auf, besonders Carlos, der Boss hielt viel von ihr. Es wäre ein wunderschönes Gefühl, wenn andere Leute Rabea bewundern und sie als ihr Vorbild betrachten. Dafür kämpfte ihr Ehrgeiz.
Nach drei Stunden hartem Training fühlte sich Rabea schon wieder furchtbar und trank beim Mittagessen eine weitere Flasche mit grüner Flüssigkeit. Iven und Jaden gesellten sich mit ihrem gefüllten Tablett zu ihr.
„Ah du trinkst ab sofort Ex-Juice. Glaub mir, irgendwann hast du die Nase voll von dem Zeug, aber kannst nicht ohne es leben. Spätestens erst nach der Prüfung wirst du wieder normal leben und essen können.“, sagte Iven und trank gemütlich seinen frisch gepressten Orangensaft. Es war praktisch eine Verlockung für Rabea.
„Ja, Cheyenne sagte ich muss fünf Stück am Tag trinken.“
„Jap, ist auch richtig so.“, stimmte Jaden zu.
Ivens Augen begutachteten die anderen Leute, die gemütlich und zufrieden speisten. Er hatte diese Kantine nach drei Jahren satt. Das Einzige was ihn ein wenig erfreute, war Rabea der Neuzugang und das sie später zu ihnen als Teammitglied dazuzählte. Aber Lucia würde sie nie ersetzen können.
Auch Rabeas Augen blickten in den Raum. Eigentlich interessierte sie die anderen nicht, aber etwas stimmte nicht. In den Ecken und Wänden liefen viele Jäger umher, als ob sie etwas bewachen würden. Das war mehr als verdächtig. Cheyenne würde es mir bestimmt nicht sagen, sondern einfach wie immer vom Thema ablenken. Jaden blockte ab und schwieg geheimnisvoll, aber Iven plauderte gerne etwas aus. Sobald Jaden verschwindet und sich Nachschub holt, spreche ich Iven darauf an, plante Rabea.
Genau wie ihr Entschluss im Kopf zusammengestellt worden war, geschah es auch. Jaden stand auf und stellte sich hungrig ans Büffet.
„Iven? Sind dir die vielen Jäger hier auch schon aufgefallen?“
Er schluckte sein gekautes Essen hinunter und blickte hinter sich zu Jaden. Erst als sicher war, dass er nicht zurückblickte, nickte er zögernd.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Rabea und rückte mit ihrem Stuhl noch ein Stückchen näher.
„Das geht nur Jäger etwas an.“
Rabea setzte ihre Unterlippe nach vorne und zog große, runde Augen. Ihr entzückendes Starren zu Iven ließ ihn doch weich werden.
„Carlos wurde ein Anschlag auf sein Unternehmen angekündigt. Wir gehen alle davon aus, dass die Wächter einen Angriff starten. Diese kleinen miesen...“, fluchte er zum Schluss und biss wütend auf seine Zähne.
„Wer sind die?“, fragte Rabea.
Noch einen letzten Rückblick zu Jaden, der sich nicht zwischen zwei Soßen entscheiden konnte.
„Die Wächter sind nicht wie in Filmen oder Geschichte die Guten sondern einfache Diebe, die nichts anderes können als Klauen. Sie rauben von anderen Unternehmen wertvolles Material und sind in ihrer Aufgabe ziemlich flink. Warum sie dennoch immer ihr Vorhaben ankündigen, verstehe ich bis heute nicht. Aber niemand sollte sich deshalb beklagen, besser so, als anders.“
„Denkst du sie kommen tatsächlich?“
Iven nickte. „Noch nie gab es eine Ankündigung ohne ein Geschehen.“
Rabea lehnte sich zurück in ihren Stuhl und blickte erneut zu all den streifenden Jägern. Ob die Wächter gefährlich sind oder sogar tödlich? In Rabeas Kopf tauchten einige weitere Fragen auf, die sie Iven noch stellen wollte, aber Jaden setzte sich wieder zu den beiden.
„Ok, das ist wirklich der letzte Teller.“, versicherte der Asiate ihnen. Beide mussten grinsen.
Nach dem Mittagsessen traf Rabea sich mit Cheyenne auf dem Gelände. Erneut standen die Hütchen dort.
„Dieses Mal nur zwei Stunden und dann ist wieder Feierabend.“, kündigte die Lady an.
„Alles klar.“
Rabea setzte sofort einen Fuß vor den anderen ohne weitere Klagen. Tatsächlich war es ihr möglich zwei Stunden ohne ein Gehen oder eine Pause durchzuhalten. Das machte sie sehr stolz.
„Ok, Kleines, morgen hast du Pause. Ich würde dir empfehlen dich ein wenig hier umzuschauen und deine Konkurrenz kennen zu lernen.“
„Ja, werde ich machen. Was machst du denn morgen? Hast du auch frei?“
„Nein, leider nicht. Carlos hat einen neuen Auftrag für mich. Wir zwei müssen uns auf eine Spezial-Jagd machen.“
„Wow...!“, murmelte Rabea neidisch.
„Also dann, wir sehen uns am Montag wieder gegen neun Uhr auf dem Parcours. Erhol dich gut und trink immer fleißig den Ex-Juice.“
Rabea nickte entschlossen. Cheyenne verschwand durch eine Tür und die Sonne schien sich rot zu färben. Der Himmel war in ein wunderschönes rosa-gelb getaucht und der Anblick ließ Rabeas Augen funkeln. Die warme Luft streichelte ihre Haut und durchfuhr sanft ihre Haare. Genüsslich schlossen sich ihre Lider und ihr Körper wärmte sich im Schein der Sonne. Als Rabea das plötzliche Gefühl überkam beobachtet zu werden, öffneten sich ihre Augen schlagartig. Am Waldrand hinter einem Baum zeigte sich ein Kopf, der sie anstarrte. Sofort setzten sich ihre Beine in Bewegung und verließen das Gelände. Rabea blickte sicherheitshalber zurück. Ob es klug wäre der Person ohne Begleitung zu folgen? Ein Jäger durfte niemals allein auf die Jagd gehen es sei denn gewisse Umständen erlauben es. Rabea senkte ihren Kopf. „Das ist ein gewisser Umstand.“ Hinter den Bäumen war ihre Gestalt außer Sichtweite.
Der Wald war zwar noch gut erkennbar, aber immer noch dunkler als auf dem freien Gelände. Die Bäume und Büsche waren dicht und nur mit einem guten Auge erkannte man den Unterschied zwischen Gestrüpp und Lebewesen. Dennoch war niemand hier. Das Gefühl beobachtet zu werden, verschwand dennoch nicht. Auf einem engen Feldweg drehte sie sich um ihre eigene Achse. Ihr Herz pochte und die Hände wurden nervös. Ungeduldig schaute sie auf die Uhr. Um vier Uhr setzte Cheyenne ihr Training fort und um sechs war es beendet. Es war seitdem schon eine knappe halbe Stunde vergangen. Wenn es dunkel werden würde, wäre es besser den Rückzug anzutreten und die Person zu ignorieren. Vielleicht war es auch ein Wächter. Bei dem Gedanken erstarrte ihr kompletter Körper. Diese Leute könnten ernst zu nehmende Gegner sein.
Rabea wollte solch ein Risiko auf keinen Fall eingehen und drehte sich um. Noch nicht einmal hatte sie einen Schritt getan, als hinter ihr ein Ast knackste. Hinter ihr war jemand. Sollte sie das Geräusch ignorieren und weitergehen oder sich besser umdrehen und sich der Gefahr stellen? Kurz gesagt, Feigling oder Kämpfer? Rabea atmete lange aus und wandte ihren Körper zu dem Geräusch. Diese Gestalt hätte sie nie im Leben erwartet.






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