White Night - Teil 3

Autor: SUNEstar
veröffentlicht am: 03.07.2012


Kapitel 3


Iven richtete seinen Blick auf Rabea, die sich inzwischen er-schöpft an den Baum lehnte und ihre Haut ins Moos tauchte. Es kühlte ihre erhitzten Hände und die überforderten Waden. Ein kühler nächtlicher Windzug fuhr durch ihre Haare und strich sanft über die Wangen.
„Rabea, was soll ich tun?“, fragte Iven sie, da er in einer Zwickmühle saß. Mit müden Lidern riss sie ihre Augen auf und schaute ihn an. Die Frage konnte sie selber nicht beantworten, aber Cheyenne könnte tatsächlich in Gefahr sein. Außerdem war es nicht mehr so weit von Jaden entfernt. Allein war Rabea auch nicht, Jaden sprach per Funk mit ihr. Im Moment jedoch war sie zu müde, um zu gehen.
Iven legte seine Hand auf ihren Kopf.
„Wenn es gar nicht geht, warte hier. Cheyenne und ich sind bald zurück.“, sagte er und verschwand mit einem Sprint hoch ins Gebirge.
Rabea schaute ihm nach und Jaden unterhielt sie ein wenig.
„Oh Mann! Verdammt! Die beiden rennen in den Funkstrudel.“, rief er panisch.
„Was heißt das?“
„Der Funkstrudel verzerrt und verschluckt alle Wellen. Ich weiß nicht wie er zustande gekommen ist, aber in dieses Gebiet dürfen sie nicht hineingehen, dort darf kein Jäger hinein, denn sonst haben sie keinen Kontakt mehr zu mir.“
„Oh nein! Was nun?“, fragte Rabea.
Jaden lehnte sich angespannt in seinem Sessel zurück und starrte auf das verzerrte Sensorbild. Die roten Punkte ver-schwanden und er konnte nichts erkennen.
„Sitzen und abwarten!“, seufzte er.
Nach wenigen Sekunden höre Rabea ein Rauschen in ihren Ohren. Die Verbindung war nicht mehr so gut.
„Jaden? Kannst du mich hören?“, fragte sie und nur sehr ver-zerrt, kaum verständlich kam eine Stimme zurück. Es klang panisch. Rabea versuchte noch ein paar Mal etwas zu sagen, aber dann hörte sie nichts mehr. Irgendwann surrte ein grelles Geräusch in ihrem Ohr und sofort zog sie die Stöpsel heraus. Schmerzend hielt ihre Hand das Ohr zu. Fluchend blickten ihre Augen in die Gegend. Hier war jemand. Das konnte sie bis unter ihre Haut spüren. Die Dunkelheit war sehr extrem durch die dichten Bäume, die Büsche und die Felsen. Ihre Arme zitterten und neben ihr spürte Rabea einen Luftzug. Erschrocken drehte ihr Kopf sich nach rechts, aber niemand war zu sehen. Der Luftzug trat ein zweites Mal ein, doch dieses Mal über ihr. Rabea stellte sich auf und drückte sich ängstlich an den Baumstamm. Ihre Augen achteten auf das kleinste Detail. Ihre Fingernägel bohrten sich tief in die Rinde des Baumes. Ihr Körper bebte, sodass ein stilles leises Stehen unmöglich war. Das Gefühl allein zu sein ließ Rabea schaudern. Ihr Gewissen sagte, dass sie so weit weg rennen sollte wie sie konnte, aber ihre Beine weigerten sich auch nur einen Schritt vor den anderen zu tun. Als ein erneuter Luftzug an ihren linke Seite vorbeistreifte, drehte sich Rabea ruckartig um und sah in den dunklen Wald hinein. Es war nichts zu sehen. Vielleicht bildete sie sich das auch alles ein und es gab dafür eine harmlose Erklärung. Ihre Schritte setzen zurück und plötzlich prallte ihr Körper gegen etwas Weiches. Rabea wusste im ersten Moment das es ein Menschenkörper war und ihre komplette Statur hemmte. Die Wärme desjenigen taute ihren vereisten Körper auf. Mit einer sehr vorsichtigen und langsamen Kopfdrehung wandte sie sich zu der Gestalt die hinter ihr stand. Es war ein Kerl, durch die Dunkelheit konnte Rabea nur grobe Umrisse erkennen, aber er hatte dunkles fast schwarzes Haar. Seine Augen erschienen ihr ebenfalls düster. Zuerst sah er wie ein Mensch aus, aber im nächsten Moment zückte der Kerl riesige schwarze Flügel hinter seinem Rücken hervor. Rabeas Atem stoppte, als ob ihr etwas im Hals stecken geblieben wäre. Ängstlich japste sie nach Luft, bekam aber keine und ihr Kopf begann sich zu drehen. Die Umrisse des Kerls verschwommen und fingen an zu verzerren, das Bild wurde unscharf. Der Junge zog seine Augenbraue hoch, als er merkte das Rabea schwankte. Ihr Körper konnte kein Gleichgewicht mehr halten, da ihr vollkommen schwindelig wurde. Im letzten Moment, bevor Rabea in Bewusstlosigkeit fiel, fing der Junge sie auf. Gekniet auf dem Boden und in seinen Armen hielt er den zierlichen Kopf des Mädchens und er blickte sie verwundert an.
„Ein ziemlich instabiler Jäger.“, spottete er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In seinem Kopf kreiste der Gedanke, das Mädchen als Geisel zu nehmen, um damit die anderen Jäger zu erpressen, aber als er in ihr Gesicht blickte, brachte er es nicht übers Herz sie mitzunehmen. Durch die dichten Bäume tropften dicke Wasserperlen hinunter, die auf Rabeas Gesicht zersprangen. Der junge Mann hob sie deshalb hoch und suchte einen geeigneten Platz, damit das Mädchen nicht fror. Nach wenigen Metern entdeckte er einen gefallenen Baumstamm, der durch einen kleinen Hang ein Dach bildete. Dort legte er sie ins Trockene und zog seine Lederjacke, die am Rücken bizarr geschnitten war, aus. Vorsichtig umschlang er das Mädchen mit ihr und richtete ihren Kopf in eine Mulde, sodass es als Kopflehne diente. Bevor er jedoch verschwinden wollte, spürte er eine Gegenwart hinter sich. Er ballte seine Fäuste und ohne zu zögern, schlug er hinter sich, in einer blitzschnellen Bewegung, ein. Allerdings wich die Person aus und tritt mit einem geschickten Zug auf ihn ein. Der junge Mann wehrte den Angriff ab und hielt das Fußgelenk fest. Durch einen sehr leichten Lichtschein erkannte man Cheyenne. Bevor sie aber reagieren konnte, schleuderte der Kerl sie um seine eigene Achse und ließ ihr Fußgelenk los, sodass Cheyenne gegen einen Baumstamm prallte und ebenfalls bewusstlos wurde. Aus der Ferne beobachtete Iven das ganze Geschehen und er wäre naiv, wenn er jetzt auch angreifen würde. Wer auch immer dieser junge Mann war, man durfte ihn nicht unterschätzen. Durch sein Hemd drückten sich Muskeln und durch seine Größe wirkte er sehr schlank. Er hatte einen sehr muskulösen Körper und seine Flügel waren groß. Nach wenigen Sekunden, hob er sich durch einen kräftigen Flügelschlag in die Luft und verschwand zwischen den Bäumen.
Nach wenigen Minuten kam Iven aus seinem Versteck und versicherte sich ein letztes Mal, dass der Night wirklich weg war. Er lief zu Rabea und strich über ihre Haare.
„Was hat er dir nur angetan?“, murmelte Iven seufzend. Cheyenne erhob sich nach wenigen Sekunden und fluchte wild um sich. Ihr Kopf brannte und hatte vielleicht sogar eine Wunde.
„Verdammter Night! Ich bring sie alle noch um!“, schrie sie.
„Jetzt beruhig dich mal und hilf mir mit Rabea. Die Kleine ist auf seltsame Weise in Ohnmacht gefallen. Leider weiß ich nicht, was er mit ihr angestellt hat.“
Cheyenne hatte sich durch einen langen Atemzug wieder gefasst und kniete zu ihr hinunter.
„Du wirst sie tragen.“, befahl die Dame und versuchte mit Jaden Funkkontakt aufzunehmen.
„Oh mein Gott! Leute! Was war los? Plötzlich seid ihr vom Radar verschwunden und auch der Funk wurde gekappt.“
„Ein Night hat uns angegriffen! Rabea ist bewusstlos und hat seltsamerweise keine Wunden, aber ich glaube, ich habe eine Wunde am Kopf. Iven hatte sich wie ein Feigling versteckt.“, berichtete Cheyenne aus ihrer Sicht.
„Hey! Das war keine Feigheit, sondern einfach nur clever. Was hätte mir es gebracht mich in den Kampf einzumischen. Ich glaube, ich habe einen Verdacht wer das seien könnte und gegen ihn kommen wir nur mit mindestens sieben Mann an.“
„Blödsinn! Es war nur ein normaler Night.“
„Der dich in weniger als drei Sekunden geschlagen hatte.“, bemerkte Iven kichernd. Cheyenne knurrte.
„Das war pures Glück!“
„Cheyenne, ich bin mir sicher, dass er es war. Der Kerl hat Tricks drauf gegen die wir einfach nicht ankommen. Besonders nachts ist er gefährlich.“
„Iven! Halt einfach den Mund. Dieser Night war nicht anders, als alle anderen. Bilde dir darauf nichts ein.“
Er schnaubte und hob Rabea auf seinen Arm.
„Zurück?“, fragte er.
Cheyenne nickte.
„Jaden wartetet nicht allzu weit von hier auf uns.“
Entschlossen liefen beide so schnell wie möglich aus dem Wald hinaus. Es dauerte nur wenige zehn Minuten bis sie endlich am Transporter ankamen. Drinnen versuchte Iven auf sanfte Art Rabea wach zu rütteln. Es dauerte nicht lange und schon öffnete sie ihre Augen. Die letzten paar Sekunden kreisten in ihrem Kopf herum und erschrocken rückte sie mit dem Oberkörper zurück. Rabea atmete erleichtert auf, als sie Cheyenne und Iven erkannte.
„Was ist passiert?“, fragte sie benommen.
„Wir haben dich im Wald gefunden. Cheyenne hat gegen einen Night gekämpft und verloren...“, erzählte Iven und dabei bekam er zur Unterbrechungen ein Stoß mit dem Ellenbogen in den Bauch. „...was aber nicht meine Schuld war, sondern die des Feiglings neben mir.“, ergänzte Cheyenne störrisch.
„Aber ihr habt das alle drei gut gemacht und wenn Iven Recht behält, dann haben wir einen sehr ernsten Feind.“
Cheyenne lachte auf und setzte sich in ihren Sitz. Ihre Arme verschränkte sie vor der Brust und senkte ihren Blick.
„Was meinst du?“, fragte Rabea neugierig und verstand im ersten Moment gar nichts. Iven erläuterte die Situation.
„Wie soll ich dir das am besten erklären? Also, bei uns gibt es ja Polizisten, Bürgermeister und Oberbürgermeister und so weiter. Die Nights haben auch ihre Ordner, allerdings wegen den Jägern etwa so wie ein Stamm. Ganz oben gibt es das Oberhaupt, sie nennen ihn White Castle. Dann gibt es zwei seiner engsten Diener, die Schlüssel. Sie beschützen den Stamm und sorgen dafür, dass kein Jäger eines ihrer Mitglieder in die Hände bekommt. Unter ihnen gibt es dann andere kleine Gruppen, die für rechtliche Ordnung sorgen. Da diese Geschöpfe Eier legen, beziehungsweise natürlich nur die Weiblichen, vermehren sie sich jedes Jahr um das Dreifache. Noch nie hat jemand den Stamm entdeckt und je näher man ihm gekommen ist, umso eher kam derjenige nie wieder. Deshalb kann man nur abschätzen und bis jetzt schätzt man, dass dort über neunhundert Nights leben. Natürlich ist das nur eine Vermutung. Es wurde nie bewiesen.“
Rabea ließ sich Ivens Wörter noch einmal durch den Kopf gehen, um auch alles richtig verstanden zu haben.
„Dieser Night war ein Schlüssel, richtig?“
Iven nickte. „Sie sind unglaublich stark und fast unbezwingbar. Man erkennt sie an ihren schwarzen Flügeln.“
„Wie viele habt ihr bis jetzt von ihnen gefangen?“, fragte Rabea.
„Nur einen einzigen.“
Ihre Augen weiteten sich.
„Denn schwarze Federn sind zu selten und kostbar, deswegen wären sie ein Vermögen wert. Ein schwarzer Flügel kostet um die knappen fünfzigtausend Euro, wenn es hoch kommt.“
„Wer kauft denn schon so etwas?“, fragte Rabea misstrauisch.
„Reiche Leute, die Sammler sind oder sich solche Flügel als Trophäen an die Wand setzen.“
„Aber dann wissen sie doch, dass es solche Menschen gibt.“, sagte sie.
„Nicht ganz. Man behauptet von einem riesigen Vogel, den noch keiner zu Gesicht bekam. Praktisch, die Maske der Nights.“
„Und das glauben die euch?“
„Ja klar! Der Flügel ist ja auch echt. Erfahrene Sammler erkennen den Unterschied zwischen künstlich und echt.“
„Kommen da keine Fragen auf?“
Iven seufzte. „Du stellst auch ziemlich viele Fragen. Ich denke für heute ist Schluss mit der Arbeit. Wann hast du denn Som-merferien?“
„Nächste Woche.“, bestätigte Rabea. „Sechs Wochen lang.“
„Gut. Wir sorgen dafür, dass deine Eltern einen Brief bekommen und man dich für ein vierwöchiges Camp einladen.“
„Aber stattdessen soll ich trainieren, richtig?“, fragte Rabea.
Iven nickte. „Pass nur auf, dass dich tagsüber keiner sieht. Auf dem Übungsplatz werden wir ein paar Parcours durchziehen und du wirst in Theorie studiert.“
Rabea rollte die Augen hoch. „Von wegen Ferien.“
Iven lachte. „Da musst du durch.“
Die Drei ließen Rabea vor ihrer Haustür gegen zehn Uhr aus dem Transporter. Sie winkte den anderen noch zu und ver-schwand anschließend in ihr Haus. Ihre Mutter saß entflammt auf dem Sofa.
„Schon wieder so spät! Sag mal, spinnst du?“, brüllte sie.
„Morgen gibt es kein Training und du wirst nach der Schule sofort Heim kommen.“
„Nein, ich kann nicht. Ich habe noch Mathenachhilfe.“, sagte Rabea.
„Von wegen! Du kommst Heim!“
Wütend stampfte sie hoch in ihre Zimmer und beabsichtigte mit dem jedem Schritt, den Boden unter ihren Füßen einzureißen.
Im Bett drehte sie sich ein paar Mal hin und her und schlief an-schließend ein.

Am Morgen schrieb Rabea Cheyenne eine SMS. Sie musste ihr mitteilen, dass sie heute nicht kommen konnte, da ihre Mutter ihr Hausarrest gegeben hatte. Es kam nur eine Kurznachricht zurück:

Lass das meine Sorge sein.

Mit geschütteltem Kopf machte Rabea sich auf den Weg zur Schule. Am Spint traf sie auf Celine.
„Du siehst aber fertig aus.“, bemerkte ihre beste Freundin.
„Es war gestern etwas spät geworden.“, sagte Rabea.
„Schon wieder?“, erschrak Celine. „Ist auch wirklich alles ok? Langsam mache ich mir Sorgen um dich.“
Wie sehr ich dir die Wahrheit sagen würde. Und ja, mit mir stimmt wirklich etwas nicht, dachte Rabea in demselben Au-genblick.
„Ja, ich schaue zu lange fernsehen.“
Celine lachte auf. „Das glaubst du ja wohl selber nicht.“
Rabea seufzte und wandte sich zu ihrem jetzigen Klassensaal.
Nach der gelungenen Mathearbeit war es wie immer vor den Ferien langweilig und alle Schüler schauten die ganzen sechs Stunden nur Filme. Nach der Schule begleitete Celine ihre Freundin nach Hause. Dabei versuchte sie endlich die Wahrheit aus ihr heraus zu bekommen, aber Rabea blockte so gut es ging ab.
„Ich sagte doch schon, Celinchen, mir geht es wirklich gut. Das ist einfach das zu lange Aufbleiben. Ich werde es die nächste Zeit reduzieren, versprochen.“
Misstrauisch begutachtete sie Rabea und glaubte ihr selbst-verständlich kein Wort.
„Also gut, dann bis bald.“
Beide wanken sich noch zu und vor ihrer Haustür blieb Rabea stehen. Zögernd musste sie klingeln, da sie ihren Schlüssel heute Morgen vergessen hatte. Ihre Mutter öffnete ihr mit einem strahlenden Lächeln die Tür.
„Komm schnell rein.“, forderte Juliette ihre Tochter auf. „Hier ist jemand der ladet dich in ein vierwöchiges Camp ein, wo du als Pfadfinder ausgebildet wirst. Ist das nicht aufregend? Nicht jeder bekommt solch eine Chance.“
„Am Tisch saß Cheyenne in der völlig anderen Kleidung. Sie trug dicke Wanderstiefel, fast wie bei einem Soldaten, eine lässige beige weite Hose, ein bemustertes braun-schwarzes Hemd und ihre Haare waren zusammen gebunden. Auf dem Tisch war ein hellbrauner runder Hut, der fast wie der eines Wanderers aussah. Ihre Gestalt wirkte schmutzig und gleichzeitig abenteuerlich.
„Ah! Das ist ja super.“, jubelte Rabea und reichte Cheyenne schauspielerisch die Hand.
„Rabea.“
„Margret.“
Am Tisch besprach die Familie, das Rabea ihren letzten Schultag, da es so oder so nur drei Stunden gab, ausfallen lassen sollte. Wenn sie ihre Sachen packen würde, nehme Margret sie sofort mit in den verlassenen Wald zu einem Ort der auf der Karte nicht zu finden war. Margret schrieb eine Adresse auf die nicht einmal existierte und meinte, das Camp wäre absolut kostenlos und in vier Wochen wäre Rabea wieder da. Die restlichen Daten, wie Telefonnummer waren alle gefälscht. Cheyenne machte so etwas nicht zum ersten Mal. Falls ihre Mutter tatsächlich anrufen würde, ging Jaden oder Iven ans Telefon und gaben sich als welche aus dem Camp aus. Schnell packte sie ihre Tasche und nahm alles Mögliche mit. Es dauerte eine knappe halbe Stunde und draußen stand ein Jeep von Cheyenne. Sie hatten tatsächlich alles bis ins letzte Detail geplant. Juliette drückte ihrer Tochter noch einen kleinen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich von ihr. Damals träumte ihre Mutter von einem Pfandfindercamp, das war das Aufregendste und Begehrteste was es für sie gab. Es freute sie, dass ihre Tochter nun ihren Traum leben durfte.
Nach fünf Minuten bog Cheyenne ins Gelände und stellte dort ihren Jeep ab.
„Furchtbare Klamotten!“, beschwerte sich Cheyenne und zog ihren Hut aus. Das Auto sperrte sie per Knopfdruck zu und zeigte Rabea ihr Zimmer, das einige Stockwerke weiter oben angebracht war. Durch einen Fahrstuhl gelangen die beiden drei Etagen höher und ihr Zimmer war in einem Hotel, das die Maske der kompletten Organisation war. Es gab ein Doppelbett, einen großen Schrank, ein Badezimmer und ein kleines Zimmer mit Schreibtisch und Fernseher.
„Ein luxuriöser Raum, da du nun einer von uns bist.“, sagte Cheyenne und deutet mir ihrer Hand ins Zimmer.
„Unglaublich schön. Danke!“, sagte Rabea und stürzte sich sofort auf das Bett.
„Gegen vierzehn Uhr gibt es in der Kantine Essen. Lass deine Koffer liegen und räume später aus. Wir werden hinunter ge-hen.“
Rabea folgte Cheyenne und unten in der Kantine speisten nicht nur die Mitglieder von Carlos, sondern auch einige Hotelgäste. Die Zwei gesellten sich zu Iven und Jaden, die kräftig ihr Essen ins sich hineinschlangen.
„Hey Rabea, das ging aber schnell.“, schmatzte Iven mit vollem Mund.
„Ja, es war ein Notfall. Jetzt haben wir ein paar Tage mehr Zeit Rabea zu Trainieren. Ich denke wir teilen uns die Arbeit auf. Nach diesen vier Wochen sollte sie mindestens die erste Prüfung bestehen.“
„Der theoretische Test ist immer der kniffeligste. Da werden dir Fragen gestellt über die Nights, welche Taktiken du wählen kannst, du musst alle Waffen kennen und wie du mit ihnen umgehst, deshalb kommt nach der Theorie der Schießtest.“, klärte Jaden sie auf.
„Was? Ich muss eine Pistole in die Hand nehmen?“, fragte Rabea ängstlich.
„Es führt kein Weg dran vorbei. Carlos wird in der letzten Woche dein Selbstbewusstsein stärken. Das wird dir wahrscheinlich überhaupt nicht gefallen. Du wirst ein wenig...abgehärtet sein.“
Rabea schüttelte missverstanden den Kopf. Was meinte er damit?
„Die Waffe wird schlimmer sein.“
„Das bezweifle ich, aber es ist deine Meinung und das ent-scheidest du lieber selbst, nach den vier Wochen.“, sagte Cheyenne und zeigte mit dem Finger auf die kleine Schlange vor dem Büffet.
„Dort kannst du dir was nehmen.“, sagte sie und Rabea stand hungrig auf. Am Büffet nahm sie sich jede Menge Salat, Püree, und dazu eine pikante Soße. Jaden und Iven öffneten vor Er-staunen ihren Mund.
„Das ist alles? Wo ist das Fleisch? Das eigentliche Essen? Das da sieht ja eher aus wie eine Vorspeise.“, staunte Jaden.
„Bei mir passt eben nicht viel hinein und außerdem esse ich nicht so gerne Fleisch.“, kicherte Rabea.
Nachdem alle satt waren, wollte Rabea wieder in ihr Zimmer, aber Cheyenne zog sie auf das Übungsgelände. Der Boden war aus weicher Erde und einige Stellen waren matschig und nass. Der Parcours verlief in einem Zick-Zack-Verlauf. Die erste Übung war einfach, über kniehohe Stangen springen. Die zweite Option war ein Gerüst bei dem man mit einem Seil hinauf klettern musste und anschließend mit einer Stange hinunter gleiten sollte. Danach kam eine Hängebrücke, die elendig lange war. Es folgte ein Tunnel in den man hineinkriechen musste. Rabea rollte die Augen hoch. Nach dieser Aktion befand sich ein meterhohes Klettergerüst, das bestiegen werden musste, vor ihrer Nase. Statt einer Mauer mit Stelzen, an denen man sich festhalten sollte, gab es Seile die wie bei einem Schachbrett gesponnen waren. Das sah nicht einfach aus. Das letzte Hindernis war ein aneinanderhängendes Gerüst mit mehreren Optionen. Zu Beginn sprang man von einer Schräge auf eine etwas höher liegende Ebene, wodurch man sich mit dem Körper nach oben ziehen musste. Mit einem Seil musste man sich über Pfützen schwingen auf die andere Seite. Dort kletterte man durch eine Wand mit Stelzen hinunter auf den Boden und musste durch eine weitere Schräge hinauf kommen. Der Winkel betrug circa sechzig Grad. Als letztes kam ein Absprung von ungefähren zwei Meter Höhe in den Matsch. Das Ziel war es auf beiden Beinen aufzukommen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
Cheyenne machte die Übungen vor. Rabea wollte neben ihr hergehen, aber sie war so unglaublich geschickt und schnell, das nur ein Mitlaufen möglich war. In spätestens drei Minuten war sie am Ziel.
„Wow, das war unglaublich.“, jubelte Rabea.
„So, jetzt versuch du dein Glück.“
Es schien schon von vorne herein klar zu sein. Beim Springen über die kniehohen Hindernisse, stieß Rabea eines davon weg. Das Zweite dauerte auch eine Zeit lang, bis sie das Seil hinauf-gestiegen ist. Auf dem Gerüst verschnaufte sie einige Sekunden.
„Bis jetzt sind es eine Minute und dreißig Sekunden.“
Rabea seufzte.
„Das ist super anstrengend.“, protestierte sie.
„Los, weiter!“
Die Stange nach unten zu gleiten, war regelrecht locker, aber anschließend auch noch die lange Händebrücke zu durchlaufen, da sie jedes Mal schrecklich wackelte und Rabea Panik bekam, dauerte das eine weitere Minute. Der Tunnel war leicht, aber sie war im Kriechen sehr langsam. Beim Aussteigen beschmutzte sie ihre Leggins wegen des weichen Bodens. Anstatt weiter zu laufen, wischte sie erstmals den Fleck weg.
„Rabea! Was tust du da? Lauf weiter!“, schimpfte Cheyenne und erschrocken rannte das schon erschöpfte Mädchen zur nächsten Station. Die Kletterwand dauerte weitere zwei Minuten und ihre Muskeln schmerzten vor Überanstrengung. Ihre Luft blieb weg und bei so etwas Anspruchsvollem merkte man die schwache Kondition. Rabea schämte sich für ihr schlechtes Talent und versuchte trotzdem das Beste daraus zu machen.
Das letzte Hindernis, dachte sie sich und gab noch ein letztes Mal Gas. Ihre Muskeln übersäuerten zwar jetzt schon, aber Rabea versuchte es zu ignorieren und kämpfte lieber für die letzten paar Meter. Ihre Beine trugen sie schnell die Schräge hoch und in einem hohen Bogen krallte sie sich am Holzblock feste, um den ganzen Körper mit Kraft hochzuziehen. Mit einem schnellen Satz schwang sie sich an das Seil und ließ es los, sobald ihre Füße über dem Boden baumelten. Anstatt hinunter zu klettern, sprang sie auf der Hälfte des Weges einfach hinunter. Der letzte Schritt war schwer, dass sie mit viel Schwung hinauf klettern musste, um sich oben an den zwei Griffeln festhalten zu können. Allerdings brauchte sie einen zweiten Versuch und auch wenn ihr Magen sich zusammen zog und Schweißperlen sich auf ihrer Stirn bildeten, rotierte sie wie eine überhitzte Maschine weiter. Mit einem kleinen Sprung kam sie auf zwei Füßen auf, jedoch nicht lange, denn die Anstrengung ließ sie zusammenbrechen und ihre Knie sanken in den Schlamm.
„Wie war ich?“, fragte Rabea hechelnd.
„Gut. Aber nur zum Schluss. Am Anfang hast du dir fast keine Mühe gegeben. Das letzte Hindernis war das Beste. Wir werden weiter üben. Noch eine Runde. Du hast sehr viel Ehrgeiz und das ist wichtig.“
„Was denn...noch einmal?“
Cheyenne nickte.
Rabea klagte und jammerte, da all ihre Muskeln wie gelähmt und ausgelaugt waren.
Sie atmete vor dem Beginn noch einmal kräftig durch und startete einen erneuten Versuch. Ihre Muskeln taten schrecklich weh und ohne zu zögern, rotierte ihr Körper immer härter und schnell. Die Beine zitterten, der Schweiß lief an ihren Schläfen hinunter und ihr Gesichtsausdruck wurde immer verbissener. Manchmal stieß sie sich ihren Kopf, das Knie, ihre Arme oder andere Körperteile, aber das pulsieren gegen die Membran störte sie auch nicht. Erst am Abend, als Rabea endlich zu Bett gehen konnte, fühlte sie den Schmerz. All die Muskeln brannten und die blauen Flecken pochten durch die völlige Übersäuerung. Rabea krümmte sich vor Schmerzen und legte sich in ihr Bett. Cheyenne betrat den Raum mit einem Getränk in der Hand.
„Damit wird es dir besser gehen.“, rief Cheyenne und warf ihr die Flasche zu mit der grünen Flüssigkeit.
„Was ist das?“, fragte sie misstrauisch.
„Etwas das deine Schmerzen lindern wird. Morgen geht es weiter.“
Rabea stöhnte erschöpft auf und ließ ihren Kopf ins Kissen fallen.
„Ich weiß wie es dir geht.“, sagte Cheyenne und setzte sich zu ihr auf das Bett.“
„Ach, ja?“
„Ich habe vier Wochen lang kämpfen müssen und am Ende hatte ich es geschafft.“
Rabea lächelte zufrieden. Sie dachte schon, sie wäre allein mit dieser Qual.
„Wie lange dauert es, bis ich so gut wie du bin?“, fragte sie neugierig.
„Mindestens ein halbes Jahr.“
„Du hast gar nicht erzählt wie lange du schon hier bist.“, sprach Rabea sie erneut auf das Thema an. Cheyenne lächelte kurz auf und erhob sich vom Bett.
„Schlaf jetzt besser. Morgen wird ein harter Tag für dich.“, be-endete sie das Gespräch und verschwand aus dem Zimmer. In Rabeas Kopf kreisten tausend von Fragen. Was mag sie vor ihr verbergen? Warum war es denn so schlimm zu wissen, wie lang sie schon hier arbeitete? Seufzend deckte sie ihren Körper zu und schlief erschöpft ein.
„Aufstehen!“, rief Cheyenne und riss ihr die Decke vom Leib.
„Was? Schon? Wie spät ist es denn?“, gähnte Rabea.
„Fünf Uhr.“
Erschrocken sprang sie aus dem Bett. „Was?“
„Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Warte erst einmal ab, bis Jaden dich anfängt zu trainieren. Das wird hart.“
„Der trainiert mich auch noch?“
„Aber erst in der dritten Woche.“
Rabea stöhnte resigniert. Wer weiß was er vorhatte. Sie sah schon die schlimmsten Wochen vor ihren Augen. Vielleicht wird sogar die vierte die härteste, wenn erst Carlos am Zug ist. Es war erst fünf Uhr morgens und Rabea hatte jetzt schon ein schlechtes Gefühl. Das wird ein sehr langer Tag werden.






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