Die Gefährtin - Teil 2

Autor: Lilly
veröffentlicht am: 24.09.2011


Die Fahrt auf dem Highway 95 Richtung Norden war lang, über Stunden waren sie nun schon unterwegs und als sie dann auf die 295 fuhren meinte ihr Großvater:“ Bald sind wir da, Jacksonville wird dir gefallen und du wirst sehen, in absehbarer Zeit wirst du nicht einmal mehr seinen Namen wissen.“
Louis reagierte nicht, sie blickte stumm auf das Wasser über das sie gerade fuhren. Die Brücke war sehr tief gebaut und nur eine hohe „Welle“ über die sie fuhren lies zu, das Schiffe auf die andere Seite fahren konnten.
Nach einer Weile verließen sie dann den dann Highway auf die 103. Straße, Richtung Norden. Louis betrachtete sich die unzähligen Geschäfte auf beiden Seiten, die riesigen Autos, mit ihren getönten Scheiben und den anscheinend immer telefonierenden Menschen darin.
Es schien ihr, als würden sie ewig diese Straßen entlang fahren, doch endlich setzte ihr Großvater den Blinker und sie bogen links ab. Ihre Nachbarschaft nannte sich Creek Court, es lag direkt an einem Golfplatz. Wunderschöne Häuser umrahmten die spielenden Golfer und alle hatten diesen typisch gepflegten Vorgarten und vor jeder Garage standen mindestens zwei Autos. Nach einer Weile, des Abbiegens und entlang Fahrens – sie würde hier her und heraus wohl niemals alleine finden – hielten sie vor einem blau / weiß gestrichenem Haus an.
„Wir sind da“, sagte ihre Großmutter und verließ etwas schwerfällig das Auto. Diese kleine Seitenstraße nannte sich Otter Creek Court und endete in einem Wendehammer. Ein älterer Nachbar putzte gerade stark schäumend seinen Wagen. Louis dachte mal wieder an die arme Umwelt und wie unbedacht diese Menschen hier doch damit umgingen.
Mit seinem nassen und riesigen Schwamm rief winkend ihrem Großvater zu:“ Heute Abend, Joe, vergiss es nicht“, und dieser rief zurück:“ Ich doch niemals.“
Dabei öffnete er den Kofferraum seines Hundays und zog einen der drei Koffer von Louis heraus. Schwer Schnauffend stellte er ihn ab und fragte:“ Gott Kind, was hast du da drin, Steine?“
Louis trat neben ihn und meinte etwas verlegen:“ Nein, schlichtweg Kleidung Grandpa und du weißt doch wie wir sind, es können niemals genug sein.“
„Herrjeh, gehörst du nun auch schon zu diesen undurchschaubaren Frauen?“
Er wartete keine Antwort ab, denn er war höchst zufrieden mit sich, das er ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht zaubern konnte und so meinte er noch, in der Vergangenheit schwelgend:
„Was die Zeit vergeht… Ich weiß noch genau, wie du dich am liebsten im Dreck gewälzt hast und wenn deine einmal Mutter von dir verlangte das du ein Kleid anziehen sollst, kam das in deinen Augen einer Kriegserklärung gleich. Und jetzt sieh dich an, du bist eine so wunderschöne junge Frau geworden, mit Koffer so schwer, als wären Ziegelsteine darin und du trägst sogar ein Kleid. Und es würde mich wundern, wenn deine Mutter dich dazu gezwungen hätte.“
Louis lachte leise auf und umarmte ihn auf einmal ohne jegliche Vorwarnung. Verwundert schloss er seine Arme um ihren zierlichen Körper und drückte sie fest an sich.
„Ich bin so froh, dass ich gekommen bin, Grandpa“; flüsterte sie ihm entgegen und küsste sacht seine in leichte Falten geschlagene Wange.
„Und wir sind froh, dass du da bist.“
Erwiderte er mit sanfter Stimme, während er sich über ihre Umarmung unendlich freute. Seine Frau stand in der Tür und sah den beiden gerührt zu, denn sie wusste wie sehr er seine Enkelin vermisst hatte und wie eng ihre Bindung doch immer war, wenn sie sich einmal trafen.
Im Haus zeigten sie Louis ihr Zimmer. Es war im hinteren Teil und sie hatte sogar ihr eigenes Badezimmer. Ihre beiden Fenster gingen zum Garten hin und sie konnte, wenn sie wollte, den Golfern beim Spielen zu schauen. Doch das würde wohl nie geschehen, denn Rentner beobachten die mit einem Schläger einen Ball über ein grünes Feld schlugen und das auch noch in den seltsamsten Shorts, war nicht gerade ihr Ding. Also zog sie als erste Amtshandlung in ihrem neuen Zimmer, die Shalosien zu.
„So“, sagte er, nachdem er ihren letzten Koffer in ihr Zimmer gehievt hatte:“ Wir lassen dich jetzt erst einmal auspacken und wenn du möchtest kannst du dich etwas ausruhen. Wir lassen dich bis zum Abendessen in Ruhe, doch schlafe nicht, sonst bringt dich der Jetlag heute Nacht um den Verstand.“
Louis nickte und er ging, leise verschloss er die Tür hinter sich.
Gedankenverloren schaute sie auf ihre Koffer, die neben dem großen weißen Wandschrank standen und sackte auf ihr Kingsize Bett. In diesem riesigen Bett, hätte eine ganze Familie Platz, dachte Louis, während sie langsam in die viel zu weiche Matratze einsackte. Sie war zu müde um sich dagegen zu wehren und schlief ein, nachdem sie zwei Minuten gelegen hatte.
Sie träumte einen fürchterlichen Traum. Es ging um ihren Ex - Freund und um ihre ehemals beste Freundin. Sie sah beide, wie sie sich küssten und immer wieder über ihre Dummheit lachten. Sie sah, wie er sie berührte, sie liebkoste und zu ihr Dinge sagte, die noch nicht einmal sie zu hören bekam. Selbst im Traum spürte sie, wie schwer ihr Herz wurde und Tränen schossen ihr in die Augen, doch dabei war sie so unbeschreiblich wütend. Wütend auf ihn, das er ihr so etwas antun konnte, wütend auf ihre Freundin, die ihr einmal schwor, das sich niemals ein Mann zwischen sie stellen könnte und am meisten verachtete sie sich selbst, das sie so dumm war und nichts bemerkte, das sie seinen Lügen glaubte und das er mit seinen Ausreden und Entschuldigungen immer davon kam.
„Louis?“
Ein flüstern riss sie aus der Ferne in die Wirklichkeit zurück und sie schlug langsam ihre Augen auf.
„Himmel, hast du etwa geweint?“
Es war ihre Großmutter und erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Augen wirklich schwammen und ihre Wangen feucht waren, von den Tränen im Schlaf.
Hastig wusch sie diese weg und zog ihre Nase etwas hoch, während sie sich aufsetzte.
„Nein…“, log sie ungeschickt:“ Ich meine… ich weiß es nicht, ich habe geschlafen.“
Zärtlich streichelte sie über ihre feuchte Wange ihrer Enkelin und sagte:“ Das Essen ist fertig, ich habe geklopft, aber du hast mich nicht gehört… ich hoffe du bist nicht böse das ich einfach so herein gekommen bin.“
Verwundert legte ihre Enkelin die Stirn kraus und sagte:“ Das ist euer Haus, ich kann euch doch nicht verbieten in eurem Haus herumzugehen.“
Ein schmunzeln durchzog das mit milden Falten durchzogene Gesicht und Louis wurde wieder bewusst, das ihre Großmutter einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein musste, denn auch jetzt noch, mit fast siebzig Jahren, sah man ihr das Alter kaum an und ihre ganzen Gesichtszüge hatten etwas liebliches und zeitloses.
„Dies ist nun dein Zimmer, dein Reich und wir nehmen auf deine Privatsphäre Rücksicht. Du sollst dich hier wohl fühlen, denn… denn wir wollen das du… vielleicht bleibst.“
Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Sie wollte einige Monate bleiben und sich einen Aushilfsjob nehmen, bevor sie wieder zurück nach Deutschland ging um ihr Studium endlich zu beginnen. Sie war zwar halb Amerikanerin,hatte einen deutschen und einen amerikanischen Pass, da sie hier geboren wurde, doch hatte sie nie daran gedacht hier zu leben.
„Du kannst auch hier Studieren, Liebes“, konnte sie etwa ihre Gedanken lesen:“ Unsere Colleges sind um einiges besser, was den Bereich der Medizin angeht und vielleicht bringt es dir Vorteile, falls du wieder zurück möchtest. Ich weiß, das ich dich damit überfalle, aber lasse es dir noch einmal durch den Kopf gehen“, auf einmal wurde ihre eben noch so euphorische Stimme leise und eine seltsame Traurigkeit klang darin, als sie Louis Hand in die ihre nahm und weiter sprach:“ Weißt du, all unsere Kinder leben auf der Welt zerstreut, wir sind alleine. Leider lässt es sich langsam nicht mehr leugnen das wir alt werden und bald sterben müssen.“
Louis hielt vor Schreck den Atem an. Natürlich war ihr bewusst, dass jeder einmal sterben muss, doch dachte sie daran niemals an ihre Großeltern und schon gar nicht an ihre Eltern. Sie waren doch noch gar nicht so alt, sie schienen beide doch noch so agil zu sein, wie konnten sie dann darüber sprechen, als wäre es etwas ganz banales?
„Wir wollen nicht alleine sein, verstehst du das? Wir haben Angst davor, wenn einer von uns diese irdische Welt verlässt, dass der andere vor Einsamkeit vergeht. Ich weiß, das ich dich unter Druck setze und du sollst mir wirklich glauben, wenn ich dir sage, das wir es auch verstehen und dir niemals einen Vorwurf daraus machen würden, wenn du dies nicht auf dich laden möchtest… Doch haben wir immer nur an dich gedacht, wenn wir darüber sprachen, denn du bist der einzige Mensch, der uns nie vergisst.“
Jetzt schwieg sie und schien auf eine Antwort zu warten. Louis war geschockt, doch versuchte sie die Dinge sachlich zu sehen, wie immer.
„Oh Granny, ich liebe euch unendlich, doch weiß ich nicht ob ich hier leben möchte und damit meine ich nicht hier bei euch, sondern hier in den Staaten“, kurz schwieg sie, bevor sie beschwichtigend meinte:“ Aber ich werde darüber nach denken, in Ordnung? Ich werde abwiegen und es in Betracht ziehen und mich dann entscheiden.“
„Das es mehr als wir uns erhofft haben“, sagte ihre Großmutter mit dünner Stimme, bevor sie ihre Enkelin umarmte.Ihre erste Nacht war kurz und von Schlaflosigkeit durchsetzt. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass ihre Müdigkeit am Abend zuvor gewonnen hatte und so verliefen die ersten Stunden ihres neuen Lebens, nicht so wie sie es sich erhofft hatte. Müde lag sie auf der schwarzen Ledercouch, während ihre Großeltern einkaufen waren und zappte sich durch das Programm. Doch trotz der über 200 Kanäle, fand Louis nichts, was es sich lohnte anzusehen und die ständigen Werbeunterbrechungen gaben ihr den Rest. Entnervt schaltete sie den Fernseher aus und rollte sich auf ihren Rücken. Starr blickte sie an die weiße Decke und hörte nur noch das leise Brummen der Klimaanlage. Ihre Augenlider wurden immer schwerer und fast schon hatten sie gesiegt, da ertönte die Türklingel und Louis fuhr erschrocken zusammen. Atemlos faste sie sich an ihre Brust und versuchte sich etwas zu beruhigen, bevor ein weiteres Klingeln sie zur Tür blicken lies. Mühsam erhob sie sich von der kühlen Couch und schlurfte durch das große Wohnzimmer, über den kurzen Flur und drehte den Türknopf. Müde blickte sie nach draußen und war von soviel Lächeln, das von einem einzigen Gesicht stammte, überrumpelt. Vor ihr stand ein hübsches Mädchen, etwa in ihrem Alter. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem lässigen Zopf zusammen gebunden und die einzeln verloren gegangen Strähnen wehten sacht im heißen Wind der Juni Sonne. Ihre Zähne waren offensichtlich künstlich gebleicht und ihre blauen Augen groß, vielleicht im ersten Augenblick zu groß. Sie war etwas größer als Louis und trug nur ein dünnes, fast unscheinbares weißes Sommerkleidchen, das ihre unnatürlich gebräunte Haut noch dunkler wirken lies.
„Hallo Louis“, begann sie unvermittelt und übermäßig freundlich:“ Ich bin Shelly, ich wohne dort drüben“, und sie zeigte nach rechts auf die andere Straßenseite auf ein rosé gestrichenes Haus, bevor sie hastig weiter sprach:“ Dein Grandpa bat mich darum, mich etwas um die zu kümmern und ich freue mich schon darauf dir das langweile Jacksonville schmackhaft zu machen“, ein kichern unterbrach ihren Redeschwall nur viel zu kurz und so konnte Louis noch nicht einmal Luft holen um etwas zu sagen, sie sprach einfach weiter:“ Oh, ich hoffe ich habe dich nicht geweckt, du siehst so müde aus. Ja, ja… der Jetlag, damit hatte ich auch mit zu kämpfen als ich meine Tante in Australien besucht habe, doch ich sage dir, das beste dagegen ist, etwas zu unternehmen um den Tag nicht zu verschlafen und deshalb wollte ich dich fragen, ob du mit mir vielleicht nach Orange Park fahren willst? Ich treffe mich dort ein paar Freunden, wir wollen im Einkaufscenter etwas Essen und natürlich bereden was wir am Wochenende machen wollen.“
Jetzt endlich schwieg sie und sah Louis erwartungsvoll an, doch die starrte sie nur ungläubig zurück. So durchzog wieder dieses übertrieben breite Lächeln Shellys zartes Gesicht und sie schob sich einfach an ihr vorbei ins Haus, packte ihr Handgelenk und zog sie hinter sich her. Nur mühsam konnte Louis die Tür noch schnell zuwerfen und lies sich durch das Haus schleifen. Es schien als wüsste Shelly genau wo sich ihr Zimmer befand und verschwand mit ihr darin.
„Komm, zieh dich an.“
Jetzt wurde Louis endlich wach und rieb sich einmal kurz über ihre Augen. Etwas verwirrt fragte sie:“ Wie war dein Name noch einmal?“
„Shelly, ich heiße Shelly.“
Jetzt stemmte Louis ihre Hände in die Hüften und meinte leicht gereizt:“ Du hast mich ganz schön überfallen, ich hatte fast schon geschlafen als du kamst. Und dann hast du gerade so schnell geredet, dass ich gar nicht mehr weiß, was du überhaupt wolltest… Holst du eigentlich ab und zu auch mal Luft beim Reden?“
Shelly blickte ihr gegenüber verwundert an und entschuldigte sich:“ Oh… das tut mir leid… ich wollte dich nicht wecken und ja ab und zu Atme ich, sonst würde ich ja tot umfallen, aber oft nicht, nein. Ich denke zu schnell und habe den unwahrscheinlichen Drang, all das was in meinem Kopf ist, raus zu lassen und das bevor ich es vergesse, oder ein anderer mir ins Wort fällt, weil er glaubt es sei unwichtig was ich zu sagen habe!“
Sie tat es schon wieder und Louis schüttelte verwundert ihren Kopf, was Shelly zum Lachen brachte, anscheinend war sie nicht wütend über ihre harten Worte. Sie winkte ab und meinte noch:“ Dein Grandpa meinte, das du wohl etwas antrieb brauchst, er sagte etwas davon, das du zur Zeit nicht so glücklich bist.“
Louis verdrehte ihre Augen und meinte auf einmal nachsichtig:“ Ist schon in Ordnung… er macht sich einfach zu viele Sorgen um mich“, sie schnaufte schwerfällig und sagte dann:
„Hallo Shelly, es freut mich dich kennen zu lernen und ich würde mich freuen, wenn ich dich begleiten dürfte.“
„Super“, rief ihre wohl neu gewonnene Freundin aus, während sie erfreut in ihre Hände klatschte.
„Ich warte im Wohnzimmer auf dich“, meinte sie noch hastig, bevor sie das Zimmer verließ. Louis atmete tief durch und ging zu ihrem Schrank. Noch in der Nacht räumte sie ihn ein und jetzt zog sie einen nicht allzu kurzen Jeansrock hervor und ein schlichtes weißes Trägertop. Sie zog sich an, bevor sie im Badezimmer verschwand. Schnell putzte sie sich ihre, im Vergleich zu Shellys, gelben Zähne, tuschte sich ihre, in ihren Augen viel zu langen Wimpern und cremte sich etwas ein. Ihre rotblonden Locken, band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen und schlüpfte zum Abschluss in ihre Flipflops. Noch einmal betrachtete sie sich in dem großen Spiegel, der in ihrem Bad hing und eigentlich war sie nicht zufrieden, doch sie zuckte belanglos mit ihren Schultern und ging hinaus. Das aussehen, was für andere oftmals etwas von Kult hatte, war für sie nichts weiteres als eine Verrichtung die man machen musste, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Natürlich machte sie sich auch manchmal richtig hübsch und es gefiel ihr dann auch, doch am liebsten war sie praktisch veranlagt: Jeans, T-Shirt, Turnschuhe und wenn es gar nicht anders ging, ein schlichtes Baumwollkleid.






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