Insel des Vergessens - Teil 3

Autor: Jana
veröffentlicht am: 20.05.2011


Hallo!
Hier ein weiterer Teil meiner Geschichte. Ich hoffe ihr kommentiert und kritisiert ein bisschen, bin mir nämlich ein bisschen unsicher mit diesem Teil, ob er in Ordnung ist:)

Drittes Kapitel
Verschlossenes Ich,
Es wird von Tag zu Tag schwerer mich zu beherrschen.
Ich weiß nicht wohin das führen soll. Was ist, wenn ich das, was in mir ist, bald nicht mehr beherrschen kann? Wird es mich schließlich vollkommen einnehmen? Werde ich überhaupt noch ich selbst sein?
Das braune Mal an meinem Handgelenk wird mit jeder Woche größer und dunkler. Ich glaube, mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich habe Angst davor, was mich erwartet, wenn es soweit ist. Es ist ein Fluch.
Und ich weiß nicht, wie ich diesen Fluch brechen soll. Es gibt niemanden, der mir helfen kann.

Seit zwei Tagen haben wir wieder einen neuen Mitbewohner. Ich weiß nicht, warum mir mein Bruder das antut. Er weiß, dass ich mich nur schwer beherrschen kann und fremde Menschen in unserem Haus hasse. Hier ist der einzige Ort, an dem ich nicht ständig kontrolliert sein muss. Warum tut er das?
William – so heißt der Neue – hat sich seit dem ersten Tag nicht sehen lassen.
Ich bin froh darüber. Ich will ihm nicht über den Weg laufen, er ist mir unheimlich.
Ich wäre froh, wenn ich mir sicher sein könnte, dass ich in einigen Wochen immer noch ich selbst sein werde. Es nagt an mir, es bedrückt mich und es jagt mir vor allem eine ungeheure Furcht ein. Ja, ich fürchte mich. Schrecklich. Wenn ich könnte, würde ich davon laufen. Wie ein feiger Hase.
Catherine.

Sie schlug das dicke, in Leder gebundene Buch zu und legte die weiße Gänsefeder zur Seite. Ihr Tagebuch war der Träger all ihrer Geheimnisse. Auf den dicken Pergamentseiten standen all die Dinge, die sie selbst ihrem Bruder nicht anvertrauen konnte. Sie würde ihm niemals diese fürchterliche Angst in ihr anvertrauen können. Es würde ihn umbringen vor Sorge um sie. Wenn er wüsste, wie schwach sie sich eigentlich fühlte, würde er Amok laufen.
Geschmeidig schob sie den hölzernen Stuhl zurück und erhob sich. Sie schlenderte durch ihr geräumiges Zimmer zu ihrem Regal, in dem mehrere alte Bücher standen. Vorsichtig strich sie mit den Fingern über die dicke Einbände und überflog die Titel. Wie viele Wochen hatte sie damit verbracht, all diese Bücher nach irgendwelchen Hinweisen abzusuchen? Wie oft hatte sie enttäuscht um vier Uhr morgens das Licht gelöscht und hatte versucht, endlich einzuschlafen? Schon tausende Male hätte sie die Bücher am liebsten gegen die Wand geschmissen, hätte geschrien, geflucht und wäre ausgerastet. Doch sie hatte sich jedes Mal beherrscht.
Die Bücher konnten nichts dafür.
Sie fing an zu summen und warf einen Blick aus dem Fenster. Es dämmerte bereits. Obwohl der Frühling bereits begonnen hatte, war der Tag noch kurz. Ab achtzehn Uhr konnte man mit der Dunkelheit der Nacht rechnen.
Es wurde Zeit für den Sommer. Catherine brauchte den Tag und die Sonne mehr als alles andere.
Am Ende des Bücherregals angelangt, ließ sie den Arm sinken und blieb eine Weile gedankenverloren stehen. Sie wusste, dass sie diese Nacht, wie die anderen beiden zuvor auch, keine Ruhe finden würde. Sie würde sich unruhig in ihrem Bett hin und her wälzen, würde die Decke zusammenknüllen, in eine Ecke werfen und anschließend nervös in ihrem Zimmer auf und ab tigern, bis sie sich schließlich mit der Stirn an die Scheibe des Fensters lehnen und die nächtliche Landschaft beobachten würde. Der Drang, nach draußen zu gehen, würde dabei von Sekunde zu Sekunde immer stärker werden, doch ihre Vernunft würde sie daran hintern, diesem nachzugeben.
Denn es war zu gefährlich in der Nacht. Nicht nur die Wesen, die tagsüber unter den Menschen wandelten, würden dort draußen herumlungern und auf der Jagd sein. Auch die Anderen, die Nachtwesen, würden aus ihren Erdlöchern und Höhlen kriechen, um sich an anderen zu vergreifen.
Sie waren widerwärtige Wesen. Sie waren auf Gewalt und Verderben aus, hatten keine Gefühle und nahmen daher auch keine Rücksicht. Sie nährten sich von der Angst und dem Schmerz anderer, und da dies ihre einzige Energie- und Lebensquelle war, sorgten sie stets dafür, dass niemals Frieden in die Herzen der Menschen einkehrte.
Catherine seufzte traurig. Und als sie schließlich ihr Zimmer bis hin zu dem großen Fenster durchquerte und einen Blick auf das weit entfernte, unter ihr liegende Meer erhaschte, wusste sie, dass sie diese Nacht nicht in ihrem Zimmer bleiben würde. Sie konnte nicht. Sie hatte sich schon viel zu lange daran gehindert, sich zusammen gerissen. Der Drang, durch die Nacht zu laufen, war so stark, dass es sie schon fast schmerzte. Sie musste nach draußen.
Also wartete sie, bis sie die Anwesenheit ihres Bruder im Nachbarzimmer erspürte, alle Geräusche und Lichter erloschen waren und der Mond die Sonne gefressen hatte. Dann schob sie mit einer leisen Bewegung das Fenster nach oben, kletterte über das Fensterbrett nach draußen und ließ sich auf die vier Meter unter ihr liegende Erde fallen. Geschmeidig kam sie auf den Füßen auf und blieb einen kurzen Moment mucksmäuschenstill stehen. Mit gespitzten Ohren lauschte sie in die Nacht hinein und spannte ihre Muskeln, bereit für einen Feind.
Doch es blieb still. Sie konnte nur das Rascheln einer kleinen Maus erkennen, die durch das hohe Gras ihre Höhle aufsuchte und nach ihren Artgenossen piepste. In der Nähe war ein Uhu auf der Lauer, doch sie konnte ihn aufgrund seines leisen, kurzen Atems erkennen. Sonst war alles still. Kein Wind wehte, keine Vögel sangen, denn sie waren bereits alle in ihre Nester geflüchtet.
Also entspannte Catherine ihren Körper und entledigte sich ihrer Kleider. Vorsichtig verstaute sie sie in einem kleinen Spalt des Hauses, wie sie es schon so viele Male getan hatte. Dann kauerte sie sich auf den Boden und erstreckte ihren Geist in ihrem Körper. Mit tastenden Fingern suchte sie das, was sie täglich zu verbannen versuchte, und als sie es fand, zog sie es hervor. Sie spürte die Kälte in sich, ein dunkler Nebel der sich um ihren Verstand legte und sie aus ihrem eigenen Kopf verbannte. Sie spürte das zunächst fast sanfte Brennen ihre Muskeln, das vergleichbar mit dem Brennen von Muskeln und Gliedern nach einem langen Lauf war, bis es zu einem nicht auszublendenden Schmerz wurde. Sie versuchte sich zu entspannen, sich nicht zu verkrampfen, denn sonst würde es nur noch schlimmer werden. Vor ihre Innere Augen trat ein gewaltiger Wolf, schwarz wie die Nacht, die Zähne unheilvoll gebleckt.
Und dann setzte das Zerreißen ihrer Haut ein. Nach und nach war ihr Körper über und über mit tiefen Rissen versehen. Knochen brachen, verschoben sich und fügten sich neu zusammen. Ihre Muskeln verkrampften sich, entspannten und bewegten sich, änderten ihre Form und Position. Die feine Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, wuchsen zu schwarzem, dichten Fell, bis ihr ganzer Körper damit bedeckt war. Ihre Kopfform veränderte sich, Krallen wuchsen zwischen ihren Zehen und Fingern hervor, spitze Fangzähne bohrten sich in das empfindliche Fleisch ihres Mundes. Ihr Körper war ein einziges Bündel aus Schmerz. Stechende, pochende, beißende Schmerzen, die rauf und runter jagten, die sie zum Erzittern brachten.
Und dann stand sie auf vier Pfoten.
Die Veränderung vom menschlichen Körper zu der Gestalt eines Wolfes hatte nicht einmal eine Sekunde gedauert. Für jeden anderen wären die Vorgänge, die nach und nach zu einer Verwandlung geführt hatten, nicht einmal zu erahnen gewesen. Sie waren für Augen unsichtbar.
Catherine selbst war in dem hintersten Teil im Kopfe des Wolfes eingesperrt. Sie hatte noch genug Macht über das Biest, um es steuern zu können, ihm befehlen zu können, was es zu tun hatte.
Doch wenn der Wolf, der ein Teil ihrer eigene Natur war, irgendwann stärker als sie sein würde, dann würde er sich ihr entbinden und seinen eigenen Willen durchsetzen.
Und dann war Catherine sich nicht mehr sicher, dass wenn es einmal soweit sein würde, ob sie sich dann jemals wieder in einen Menschen zurückverwandeln könnte. Wenn das Andere in ihr, erst einmal die Kontrolle hatte, war sie Gefangene in diesem Körper, nur noch ein Zuschauer.
Der Wolf knurrte, als er ihren Gedanken lauschte. Sie spürte die Freude des Körpers, in den sie sich verwandelt hatte. Und es war unendlich schwer, diese Freude nicht als die ihre zu interpretieren.
So war es mit allen anderen Emotionen, die sie in ihrem verwandelten Zustand erfuhr. Empfand sie Mordlust, so war es die, des Wolfes. Empfand sie den Drang, sich nicht mehr zurückverwandeln zu wollen, war es der, des Wolfes. Es war ein ewiger Kampf gegen die Gefühle, die sie verspürte, doch die nicht ihre eigene waren. Es war auch nicht ihr eigener Körper, auch wenn es sich so anfühlte. Es war der Wolf, der sie denken, spüren, riechen und sehen ließ.
Das einzige was sie im Moment noch kontrollieren konnte, waren ihre Gedanken und ihre Vernunft. Doch irgendwann würde der Wolf sie vollkommen einnehmen, und dann gab es kein Zurück mehr. Kein Zurück in ihren eigenen Körper.
Doch das alles hatte auch einen entscheidenden Vorteil. In der Gestalt des schwarzen Tieres gab es kein Platz für ihre menschliche Seite und somit auch keinen Platz für den menschlichen Teil ihrer Emotionen. Sie konnte in ihrem Wolf jeden Schmerz, jeden Verlust, jede Trauer und jede Furcht vergessen. Nichts jagte ihr Angst ein, nichts konnte sie verunsichern, schwächen.
Mit ihrem Wolf war sie in vollkommener Harmonie. Sie musste gegen nichts ankämpfen, außer gegen die Gefahr der Vergessenheit. Sie durfte niemals vergessen, dass die Emotionen, die Bedürfnisse die sie in diesem Zustand spürte, niemals ihre eigene waren und sie ihnen daher niemals nachgeben durfte.
Nachdem sie noch einen kurzen Blick hinauf zu ihrem Zimmer geworfen hatte, wirbelte sie herum und rannte hinunter zu dem Wald, der zwischen ihrem Haus und dem Meer lag.





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