Insel des Vergessens - Teil 5

Autor: Jana
veröffentlicht am: 13.06.2011


Tut mir leid, dass es diesmal etwas länger gedauert hat. Irgendwie komm ich nicht mehr richtig dazu, in Ruhe zu schreiben und dann brauch ich immer eeeewig, weil ich nie mit meinen Sätzen zufrieden bin und alles tausend Mal umänder.
Ich hoffe der Teil ist in Ordnung, ich selbst bin nicht sonderlich zufrieden damit, der nächste wird hoffentlich besser und etwas spannender!:D
Kommentare wären schön:)
Lg

Fünftes Kapitel
„Jetzt halt schon still. Wenn du herumzappelst wie ein Irrer, brennt es nur noch mehr, weil ich dir quasi meinen Finger ins Fleisch bohre. Und das willst du doch nicht, oder?“
Kopfschüttelnd beantwortete Freddy Catherines Frage. Er saß vor ihr auf ihrem hölzernen Schreibtisch, in der hintersten Ecke des Zimmers. Sein kleiner Arm blutete aus einer tiefen Bisswunde. Er wirkte blasser und zerbrechlicher als noch vor einigen Minuten, denn der Blutverlust machte dem kleinen Mann schwerlich zu schaffen.
Verbissen machte sich Catherine daran, eine grünlich, streng riechende Salbe in den Wunden zu verteilen.
An ihr nagte das schlechte Gewissen. Der Wolf hatte sich von seinen Ketten befreit, hatte sich auf den Zwerg gestürzt und seinen Arm zu fassen bekommen. Er hatte ohne zu zögern herzhaft zugebissen. Ein Wunder, dass es nur eine Fleischwunde war und die Knochen keinen Schaden genommen hatten. Hätte der Wolf das Blut geschmeckt, hätte Catherine ihn nicht mehr rechtzeitig unter Kontrolle bringen können. Doch bevor er den eisernen Geschmack des dickflüssig roten Saftes hatte wahrnehmen können, hatte Catherine ihn schon wieder gezügelt.
Sie wollte sich nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn der Wolf seinen Instinkten, seinen Trieben weiter gefolgt wäre.
„Catherine?“
Erschrocken fuhr das Mädchen herum. Jason hatte sich unbemerkt an sie herangeschlichen und stand dicht hinter ihr. Seine Gesichtszüge sprachen Bände, als er den Zwerg und dessen Wunde entdeckte, die unverkennbar von einem Wolf stammen musste. Sie konnte all die Emotionen in seinem Gesicht lesen, die sie selbst verspürte: Wut auf sich selbst, die Verzweiflung, dass sie dem Drang, sich zu verwandeln und als Wolf durch die Gegend zu streunen, ein weiteres Mal nachgegeben hatte, Angst um sich selbst, Angst, was die Zukunft bringen mochte, wenn es so weiter ginge.
Nur das Mitgefühl, das sich in seiner gesamten Haltung widerspiegelte, war ihr vollkommen unverständlich. In ihr lebte ein Monster, ein Biest, das sich nicht kontrollieren lassen wollte. Es machte aus ihr eine unberechenbare Person. Eine Person, der man nicht vertrauen sollte und die vor allem kein Mitgefühl verdiente.
„Catherine...“, setzte ihr Bruder an. Doch sie unterbrach ihn mit einem schwachen Kopfschütteln: „Nicht, Jason. Ich will deine Worte nicht hören. Ich weiß, was du zu sagen hast. Es hilft mir nichts, wenn du es ein weiteres Mal aussprichst.“
Jason erwiderte ihren Blick. Schwach hob er seine Schultern an und ließ sie schließlich wieder ratlos sinken. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er klappte ihn gleich darauf wieder zu. Einen Moment schien er noch über etwas nachzudenken, doch dann streckte er seine Hände nach seiner Schwester aus, zog sie zu sich und nahm sie stillschweigend in die Arme.
Gesten sagten mehr als Worte.
Sobald Catherine den vertrauten Geruch ihres Bruders in der gesamten Nase hatte, erwiderte sie seine Umarmung und drückte ihr Gesicht an seine Brust.
Erst als Freddy sich räusperte, löste sich Catherine aus den vertrauten Armen ihres Bruders, die sie schon so oft tröstend festgehalten hatten, und wandte sich dem verletzten, kleinen Mann zu. Schweigend griff sie nach dem Verband, den sie bereits gerichtet hatte und versuchte ihn umständlich um den winzigen Arm zu wickeln. Jason lugte ihr kopfschüttelnd über die Schulter und nahm ihr schließlich den weißen Stoffband aus der Hand. „Lass mich das machen.“
Bereitwillig trat Catherine zurück und beobachtete ihren Bruder dabei, wie er geschickt und mit flinken Bewegungen den Verband wickelte.
Als er fertig war, wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und verließ das Zimmer.
„War das dein Freund?“, fragte der Zwerg neugierig, ohne sich von der düsteren Atmosphäre im Raum bedrücken zu lassen. Trotz den Schmerzen, die er immer noch haben musste, strahlte er eine Fröhlichkeit aus, die hinsichtlich der Lage, in der er sich befunden hatte, schon fast unheimlich war.
„Nein“, entgegnete Catherine langsam. „Er ist mein Bruder.“
„Er ist nicht wie du, ist er?“
„Er?“, sie lachte bitter auf und schüttelte mit geschlossen Augen den Kopf. Erst als sie den Blick wieder hob, sagte sie: „Nein, mein Bruder ist nicht wie ich.“ Ohne ihre Antwort genauer zu erläutern und ohne dem Zwerg eine Chance zu geben, weiter nachzuhaken, wechselte sie das Thema. „Du solltest jetzt gehen.“
„Du willst mich rauswerfen? Jetzt? Jetzt rauswerfen?“
„Es dämmert bereits und ich muss bald zur Schule. Ich möchte dich nicht alleine in meinem Zimmer lassen.“
„Du vertraust mir nicht“, stellte er fest. „Ich bin nur hier, um zu danken. Ich möchte dir nichts Böses. Nur danken.“
Stirnrunzelnd musterte Catherine Freddy. Ob sich alle Zwergen so seltsam ausdrückten, immer viele Fragen stellten und alles tausendmal wiederholten? Der kleine Mann vor ihr war wirklich sehr eigenartig. Normalerweise müsste er sich vor ihr fürchten. Doch das tat er nicht. Nicht mehr und nicht im geringsten.
Das war seltsam. Müde strich sie mit ihrem Zeige- und Mittelfinger kreisend über ihre Schläfe. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen. Der wenige Schlaf in letzter Zeit, die häufigen Verwandlungen... das alles machte ihrem menschlichen Körper sehr zu schaffen. Sie brauchte Ruhe.
„Warum vertraust du Freddy nicht?“, fragte der Zwerg, als sie ihm nicht antwortete. Sie gab sich einen Ruck und entgegnete: „Ich habe nicht besonders positive Dinge über dich und Deinesgleichen gelesen. Ihr sollt verlogen und gierig sein, euch an anderen Menschen's Wertsachen vergreifen und anderen als Spionen dienen. Sag mir, Zwerg, wie soll ich dir da vertrauen?“
„Ich bin hier, um dir zu danken, nicht um dich zu berauben. Zu danken! Nicht zu berauben, zu...“
„Schon gut, schon gut!“, fuhr Catherine unsanft dazwischen. „Hör auf immer alles fünftausendmal zu wiederholen, das macht mich verrückt!“
Mit diesen Worten schwieg der Zwerg und schien niedergeschlagen in sich zusammenzusinken. Er senkte den Blick und faltete seine Hände im Schoß zusammen. Abwesend fuhr er mit dem Daumen auf und ab und schob schmollend eine Unterlippe vor.
Genervt seufzte Catherine und hob ratlos die Hände. „Dann sag mir, wie du mir danken möchtest“, gab sie nach.
Als sie dies sagte, leuchteten seine Augen auf und er sprang voller Elan von der hohen Tischplatte hinunter auf den Boden. „Lass mich bei dir bleiben! Lass mich dir dienen! Lass mich dir...“
„NEIN!“, unterbrach sie ihn ein weiteres Mal. Der Gedanke, den Zwerg Tag für Tag an ihrer Seite zu haben, sich seine nervtötende Stimme anzutun, machte sie verrückt. Sie brauchte ihre Ruhe, wenigstens fünf Minuten am Tag. Und die würde sie nicht finden, wenn der kleine Mann mit seinen kurzen Beinen ständig um sie herumwuseln und sie bequatschen würde. „Nein“, wiederholte sie, diesmal ein wenig ruhiger. „Ich möchte, dass du zu deiner Familie zurückkehrst. Ich möchte, dass du unverzüglich wieder durch den Wald irrst. Danke mir, indem du mir diesen einen Wunsch erfüllst.“
„Ich kann nicht. Ich...“
„Du kannst“, berichtigte sie ihn. „Du willst mir danken, so tue es auf diese Weise. Kehre dorthin zurück, wo du hergekommen bist, wo auch immer das sein mag. Dort bist du besser aufgehoben, dort hast du eine Familie, deine Freunde, deine Artgenossen. Hier ist nicht der richtige Platz für dich, hier bist du ständig in Gefahr. Und ich kann dich hier nicht gebrauchen, ehrlich nicht.“
„Ich kann nicht“, wiederholte er.
„Warum kannst du nicht?!“, Catherine raufte sich verzweifelt die Haare und tigerte auf und ab. Ihre Nerven waren zum zerreißen gespannt, ihre Muskeln verkrampft und ihr Nacken verspannt. „Was ist daran so schwer? Hast du vielleicht keine Heimat, oder was? Hast du keine Familie? Keine Freunde? Hm?“, sie lachte bei dem Gedanken auf.
„Ja“, entgegnete er.
Verwirrt hielt sie mit dem Auf und Ab inne. „Was ja?“
„Ich habe nichts. Keine Familie, keine Freunde. Ich bin alleine. Ich habe nichts.“
Catherine brauchte einen Moment, um die Botschaft zu verstehen. Doch als sie bis zu ihrem Verstand hindurch gedrungen war, überflutete sie ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sie fühlte sich elend. Hundsmiserabel elend.
„Oh... oh Gott, das tut mir leid. Wirklich... Ich wusste nicht...“, stotterte sie.
„Du konntest es nicht wissen. Ich bin nicht sauer. Ich will dir dienen. Ich will nicht zurück in den kalten Wald.“
„Aber...“, setzte sie an, doch sie unterbrach sich selbst. Was war bloß los mit ihr? Hatte sich das Biest in ihr schon so weit ausgebreitet, dass sie einen heimatlosen Zwerg auf die Straße setzen wollte? Aus Gründen, die unverständlich waren? Was war so schlimm daran, wenn er hier, bei ihr bleiben würde? Irgendwie würde sie ihm zum schweigen bringen können. Irgendwie würde sie auch mit ihm ihre fünf ruhigen Minuten am Tag bekommen.
„In Ordnung“, sagte sie schließlich. „Du kannst hier bleiben, solange du dich an meine Regeln hältst.“
Die azurblauen Augen des Zwergen leuchteten auf, sodass Catherine glaubte, in ihnen die Sonne zu sehen. Übermütig vor Freude taumelte er auf sie zu und umarmte sie – besser gesagt, umarmte er ihr Bein, indem er sich auf ihren Fuß stellte und seine Arme um ihr Schien- und Wadenbein schlang – und fragte: „Die Regeln? Was sind das für Regeln? An welche Regeln soll sich Freddy halten?“
„Für dich gelten dieselben Regeln wie für ihren Bruder und mich auch“, ertönte eine tiefe Stimme, einige Meter hinter Catherine. Überrascht wandte sie sich um und starrte mit offenem Mund William an, der mit verschränkten Armen – und zugegeben äußerst sexy – im Türrahmen lehnte, den Zwerg und das Mädchen interessiert musterte, und Catherine mit einem verschmitzten Lächeln zitierte: „Ihr Zimmer ist Tabu für dich. Du darfst es nur nach Klopfen und nach ihrer Erlaubnis betreten. Solange sie nicht darin ist und dich niemand hereinbittet, ist es mehr als ein strenges Verbot. Es ist ihre Privatsphäre und wenn du diese störst, hast du ein Problem mit ihr.“ Dabei verschwand der verschmitzte Ausdruck auf seinem Gesicht und ein gefährliches Lachen umspielte seine Mundwinkel. „Den letzten Teil ihrer Begrüßungsrede lasse ich ausnahmsweise im Angesicht dieser Situation fort. Aus deinem Verband zu schließen, scheinst du schon irgendwelche Probleme mit ihr gehabt zu haben. Also scheint es mir sinnlos, diesen Part zu wiederholen.“
Catherine brauchte einen Moment um sich zu fangen, und auch der Zwerg schien von dem ungewöhnlichen Auftritt William's, der mit seiner großen, muskulösen Gestalt fast den gesamten Türrahmen ausfüllte, überrascht zu sein.
Bevor einer der Beiden etwas erwidern konnte, stieß sich William von der Wand ab und meinte: „Aber das geht mich natürlich nichts an.“ Dabei entblößte er seine unnatürlich weiße Zähne und verschwand mit geschmeidigen Schritten aus Catherines Sichtfeld.
Völlig überrumpelt starrte sie ins Leere und versuchte das gerade erlebte auf sich wirken zu lassen. Sie schloss die Augen, atmete tief durch, versuchte ihre verkrampften Gliedmaßen zu lockern und ihren Gedanken freien lauf zu lassen.
„Äh... wer war das?“
Typisch. Mit einem Zwerg an der Backe war es unmöglich seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, weil dieser nicht dazu in der Lage war, nur einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Augenblick seine Schnute zu halten.
Catherine knirschte mit den Zähnen und senkte den Kopf, um Freddy zu betrachten. „Unser Mitbewohner.“ Sie hob die Augenbrauen und musterte ihn kritisch. „Und könntest du jetzt bitte mein Bein... loslassen?“ Freddy's Blick huschte auf – für ihn – Normalperspektive und erkannte das Bein, das er immer noch umklammerte.
„Oh“, meinte er, löste langsam seine Hände und sprang von ihrem Fuß, auf dem er gestanden hatte, damit er überhaupt ihr gesamtes unteres Bein hatte umschlingen können.
„Danke“, meinte sie und tigerte zu ihrem Bett. „Er hatte Recht mit den Regeln. Ich brauche meine Privatsphäre, vor allem nachts. Also werde ich dir einen Platz im Haus suchen, an dem du schlafen kannst.“
Dagegen hatte der Zwerg ausnahmsweise nichts einzuwenden. Er nickte und schwieg.





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