Nell - Teil 4

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 03.06.2013


Der Uhrzeiger in der Küche schwang elegant auf die Zwölf. Jacks Apartment war penibel sauber und topmodern eingerichtet. Die meisten Räume, insgesamt drei, waren in einem tristen Grau gestrichen was optisch mit den Einrichtungsgegenständen harmonierte, die man zwar als Möbel identifizieren konnte, mehr aber aussahen wie skurrile Designerstücke aus irgendeinem Nobelhotel. Für ersteres war Silvia verantwortlich, die als seine Putzfrau ständig dafür sorgte, dass es ordentlich blieb. Häufig mehr als Jack lieb war. Ob seine Wohnung gelegentlich zu einem Handgranatenwurfplatz mutierte machte ihm wenig. Jack hatte schon immer ein chaotisches Wesen, damit kannte er sich aus, deshalb war er auch so erfolgreich in seinem Job. Hin und wieder träumte er davon, wie ruhig es wohl wäre, würde er Silvia endlich rausschmeißen. Der Gedanke an ihre Kinder bremste ihn bisher, pünktlich, wenn er wieder kurz davor war diesen bösen bösen Gedanken umzusetzten. Für den Rest und den Stil seiner Wohnung schien die teure Hand eines Raumausstatters verantwortlich zu sein. Einfach alles passte aufeinander und zu einander, was wiederrum nicht zu Jack passte, der als männlicher Single weder etwas von Putzen verstand, noch von diesen Möbeln, die man Schränke nannte und die dazu dienten Geschirr und Sonstiges aufzubewahren.

Als Jack die Beifahrertür seines Dienstwagens aufhält weigert Nell sich einzusteigen. Kaum zu glauben, dass sie überhaupt hier stand, mit Sonne im Gesicht, die sie blendete. Nach 16 Jahren war dass das erste mal, dass sie nicht Nachts, dann wenn kaum Menschen auf den Straßen zusehen waren, rausgegangen war. Und jetzt verlangte er auch noch, dass sie in ein Auto stieg? Nüchtern? Ohne den Einfluss irgendwelcher Beruhigungspillen. Den Gefallen konnte sie ihm nicht tun, auch wenn er ihr in den vier Tagen, die sie nun bei ihm war, bewiesen hatte dass man ihm vertrauen konnte. Ihre Eigene Wohnung lag in trümmern, die Kerle, die sie bei einem Mord beobachtete, in jener Nacht, fanden sie schnell und wäre Jack nicht dort gewesen wäre Nell vermutlich bereits tot.

Noch konnte Jack den Ernst in ihren Augen nicht ergründen. Dass es ihn frustrierte wollte er allerdings nicht zugeben, ebensowenig wie die Tatsache dass er dieses Mädchen wirklich mochte. Es war eine vollkommen neue Erfahrung für den Beamten der Kommunikation in Form von Wörtern gewohnt war. „Was denn jetzt schon wieder?“ Nörgelte er. „Nun steig schon ein, sonst kommen wir noch zu spät.“ Keine Chance. Jack wusste das. Er wusste dass er sie nicht dazu bekommen würde. Dazu bedarf es keiner Worte, oder einem akademischen Abschluß.
„Na schön, dann fahren wir eben mit dem Bus.“ Quengelte er, schlug die Autotür ins Schloss und stampfte richtung Haltestelle, die sich in sichtweite neben dem Wohnhaus befand. Dort angekommen, fühlte sich Nell wie in einer fremdartigen Welt, der sie geschafft hatte lange Zeit zu entkommen und die sie jetzt wieder und voller intensivität einholte. Nicht nur vor dem anrollenden Bus türmten sich unzählige Menschen, sondern auch der Bus selbst war so vollgestopft, dass es den Anschein machte als wäre dieses motorbetriebende Gefährt ein Menschenfressendes Monster, das sie verschlingen wollte. „Wochin?“ „Zwei mal Stadtzentrum,“ antwortete Jack dem schlaksigen Busfahrer mit russischem Akzent und legte ihm einen zusammengeknüllten Fünf Euro Schein hin. Doch er hatte die Rechnung ohne Nell gemacht, die sich auf dem Absatz umdrehte und die geflasterte Straße hinunterstolperte ohne dass er etwas davon bemerkte. Übrig blieb ein Mann, dessen Blick noch frei von Panik war. Jack nahm die Fahrkarten entgegen und steckte das Wechselgeld in die Hosentasche.„Hier, nim....“ Für den Bruchteil einer Sekunde stockte ihm der Atem. Fast wäre er umgeknickt und die Treppe rückwärts aus dem Bus gefallen. „Nell?“ Rief er vewirrt und stolperte aus dem Bus vorbei an wartenden Fahrgästen. „NELL!?“ Schrie er jetzt panisch. „Fuck! Pass doch auf!“ Maulte einer der Fahrgäste, als Jack ihn unsanft anrempelte und dieser sich daraufhin mit dem Inhalt seines Kaffeebechers bekleckerte.

Sie war schon ein ganzes Stück die Straße hinunter gelaufen und weiss Gott wohin sie wollte, Jack wusste es nicht. „Sag mal spinnst du? Du kannst doch nicht einfach abhauen ohne etwas zusagen.“ Maulte er verägert und immer noch sichtlich erschrocken. Ihr Blick war überrascht von der Härte seiner Worte.

Über seinen letzten Satz musste Jack zweimal nachdenken. „Ich meine, dann gib mir wenigstens ein Zeichen, oder so.“ Verbesserte er sich schnell und hielt sich die Seite. Nell runzelte ungläubig die Stirn. „Ach vergiss es einfach. Was machst du überhaupt hier? Ich dachte du wolltest mit dem Bus fahren!?“ Die unschuldigen Bambiaugen deuteten nach rechts auf den schwarzen VW Passat. Erst jetzt bemerkte Jack, dass sie wieder vor seiner Haustür standen. „Du willst mit dem Auto fahren?“ Zu seiner und auch ihrer Überraschung machte sie die Andeutung eines Nickens. Jack schüttelte den Kopf. Er verstand sie einfach nicht, und genau DAS machte ihn wahnsinnig.

„Bist du nicht etwas zu alt für ein Kuscheltier?“ Fragte der Polizist hinter dem Empfangstresen und zupfte seine Brille zurecht, die ihm ständig von der Nasenspitze rutschte. „Wie kann man denn zu alt dafür sein?“ Konterte Jack, den Blick auf Nell gerichtet, die sich beleidigt umgedreht hatte. Er selbst hielt dem Beamten seinen Schlüsselbund hin und verzog seine Lippen zu einem Grinsen. Ein schwarzer Stoffbär in marineblauer Uniform mit der Aufschrift: I am Ted, baumelte daran. Der Mann verdrehte die Augen, räusperte sich hämisch und ließ den Blick wieder auf die Unterlagen vor sich fallen.

Nell konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Hey, du lächelst!“ Verunsichert fasste sie sich an den Mund, als könne sie es selbst nicht glauben. Ein anderer Beamte kreuzte ihren Weg.
Sie glaubte den Mann im Korridor schon mal gesehen zu haben. Auch er schien sie zu erkennen, oder wenigstens irgendetwas in ihr zusehen, das ihn dazu brachte sich nach ihr umzudrehen und die Augen zu schmälern, die dunkel und hellmondig in den Höhlen glänzten. „Kennst du den Mann?“ Fragte Jack, dem natürlich nichts entging. Nell schüttelte den Kopf, wirkte gleichzeitig unsicher. „Gut, ist nämlich ein Arschloch.“ Wahrscheinlich sah er nur aus, wie jemand, den sie glaubte zu kennen, dachte sie und vergaß den Gedanken wieder. Nach einer Weile bogen sie in einen farblosen Raum ab, in dem nur ein Tisch stand. Man konnte durch eine transparente Scheibe in einen anderen Raum sehen, der gegenüber lag.

„Okay Nell,“ ein weiterer Beamter kam in der Raum, der offensichtlich mit allen Details vertraut schien. „Wir werden sie gleich hineinschicken. Alles was du tun musst, ist mit dem Finger auf die Personen zu zeigen, die du gesehen hast, lass dir dabei soviel Zeit wie du benötigst.“ Wies sie der Mann mit rauchiger Stimme an.
Das Licht flackerte trüb und dunstig auf. Fünf Männer wurden von einem Polizisten in das Zimmer geführt. Man kennt dieses Bild aus Filmen. Jeder von ihnen hielt eine Nummer hoch. Einer von ihnen schaute sich die Beschaffenheit seiner Fingernägel an und ein anderer drehte hektisch seinen Kopf von rechts nach links, bis ihn der Polizist an der Tür anwies still zu halten. Nell erkannte zwei der Männer sofort und war froh sehr darüber, dass sie hier waren. „Bist du ganz sicher?“ Fragte Jack, als Nell erst auf die Nummer drei, einen Mann mit fettigen, langen Haaren und markanter Nase deutete und anschließend auf die Fünf, einen kleinen Mann mit Glubschaugen und Glatze. Sie nickte und schaute nervös auf ihre Fußspitzen.
„Okay, wir haben sie. Gut gemacht Nell, wir kümmern uns um den Rest.“ Sagte der freundliche Beamte vom Anfang und schüttelte zum Abschied ihre Hand.







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