Gestern, heute, morgen - Eine Liebe für die Ewigkeit - Teil 2

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 02.11.2012


Als ich über die Schwelle der Tür nach draußen trat, strömte kalte Luft mir entgegen und ich saugte sie gierig auf, fühlte meine Lungen damit und atmete wieder aus. Für einen kurzen Augenblick schloss ich meine Augen und öffnete sie wieder, nachdem ich meine Gedanken etwas sortieren und jeweils in die richtigen Schubladen -nach Dringlichkeit sortiert- in meinem Gehirn einordnen konnte. Ich beschloss die Schule heute sausen zu lassen. Es nützte eher nichts, wenn Sean in meiner Näher war und mich pausenlos daran erinnerte, dass ich bald sterben würde und … er auch, auch wenn er bis jetzt noch nichts davon ahnte.
Im Eifer der Gefechts hatte ich meine Tasche und meine gesamten Schulsachen auf meinem Tisch liegen lassen und ich schrieb an Mila, dass sie sie doch bitte nach Unterrichtsschluss mitnehmen und bei mir zuhause vorbeibringen sollte. Aber dorthin wollte ich jetzt nicht. Denn dann müsste ich meiner Mutter erklären müssen, warum ich nicht in der Schule war und sie würde sich dann Sorgen machen und das wollte ich vermeiden.
Also irrte ich ziellos durch die Straßen und richtete meine Augen starr auf den grauen Asphalt, übersät mit Zigarettenstummeln und eingestampften Kaugummis in verschiedenen Farben und Formen.
Es war schwer für mich diese Last, die mein Schicksal aufgebürgt hatte zu stemmen und niemanden davon war erzählen zu können. Na ja, eigentlich könnte ich es jedem erzählen, doch es würde mir keiner Glauben schenken. Zu verrückt hörte sich mein Geschichte an, sogar für mich. Aber bevor ich durchdrehte, müsste ich meine Sorgen mit jemandem Teilen und da kam mir nur ein einziger Mensch in den Sinn, der nicht sofort im Irrenhaus für mich ein Platz reservieren würde, nachdem er mich angehört hat.

“Abbigail?” - das Gesicht meiner Großmutter erschien in dem Türspalt, den sie gemacht hatte, um nachzusehen, wer bei ihr an der Tür sturmklingelte.
“Hallo Nana.” - begrüßte ich sie und zwang ein Lächeln in mein Gesicht. “Wie geht`s?” - sage ich, um kein Schweigen aufkommen zu lassen.
“Was machst du denn hier?” - sie öffnete mir dir Tür und drückte mich an sich. Nana strahlte so eine beruhigende Wärme aus, dass es mir augenblicklich besser ging. “Hast du nicht eigentlich Schule?” - fuhr sie mit ihrer Fragerei fort, aber auch diese Frage ignorierte ich.
“Hast du was Warmes zu Trinken. Es ist echt kalt draußen.” - sagte ich und rieb mir die Handflächen aneinander.
“Aber sicher. Geh in die Küche.” - Nana eilte hinter mir her und setzte den Wasserkocher auf. “Setzt dich doch.” - schlug sie vor und zeigte auf einen Stuhl am Küchentisch. Ich nahm platz und sie setzte sich mir gegenüber. Wieder ignorierte ich ihren fragenden Blick.
“Wie geht es dir so?” - wollte ich wissen, obwohl es mich im Moment nur wenig interessiert und ich am liebsten sofort mit meiner Geschichte rausgeplatzt wäre, doch zuerst wollte ich mir noch meine Wort zurecht legen.
“Gut.” - kam ihre knappe Antwort. “Was machst du denn hier um diese Uhrzeit?” - fragte sie dann direkt und die Tonlage ihrer Stimme ließ kein Ausflüchte mehr zu.
“Ich wollte mit dir reden.” - fing ich an und mein Kehle fühlte sich auf einmal so trocken an. “Es ist so, dass ich dir war erzählen möchte.” - ich räusperte mich.
Der Wasserkochen pfiff auf dem Herd und Nana erhob sich, um uns zwei Tassen Tee einzugießen.
“Danke.” - sagte ich und umschloss die Tasse mit meinen eiskalten Handflächen. Die Flüssigkeit brannte in meiner Kehle und wärmte mich von Innen.
“Was wolltest du mir denn erzählen?” - wollte Nana dann wissen.
“Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.” - verriet ich ihr. “Es hört sich alles sehr verrückt an.”
“Abby, du kannst mir alles erzählen.” - sie sah mich mit diesem speziellen Blick an, der die Zunge lockerte.
“Ich hatte heute Nacht einen Traum.” - fing ich an. “Aber es war kein Traum, es war eher eine Erinnerung an …früher.” - ich sah in ihr Gesicht. Doch zu meiner Erleichterung zeichnete sich darin keine Häme aus, nur ein Ausdruck von Verständnis und Angst. “Es ist einfach absurd.” - gab ich dann zu und nahm einen weiteren Schluck aus meiner Tasse.
“Erzähl weiter.” - forderte sie mich auf.
“Also eigentlich war es ein Traum, doch als ich dann wach war, konnte ich mich genau an diesen Traum erinnern und auch an viele andere Details, die darin gar nicht vorkamen. Wie gesagt, es war so ein Gefühl …” - mir fehlten einfach die Worte um das zu umschreiben, was in mir vorging.
“Es war ein Gefühl als hättest du es erlebt. Es war wie ein Erinnerung.” - beendete Nana für mich meinen Gedankengang und ich starrte sie nur an.
“Genau.” - flog mir nur über die Lippen. “Woher weißt du das?”
“Mir ging es genauso.” - sie lächelte mich an. “Du kannst dich an deine vorherigen Leben erinnern.”
“Ja.” - gab ich zu. “Es war alles so deutlich, als ob ich es erst gestern durchlebt hätte.” - ich ließ meine Augen auf meine Tasse sinken und Tränen traten mir in die Augen. Auch meine Großmutter fing an zu weinen.
“Oh mein Liebling.” - sie stand von ihren Stuhl auf und nahm mich in den Arm. “Mein armes, armes Mädchen.” - weinte sie und drückte mich nur noch fester an sich.
“Ich will nicht sterben.” - schluchzte ich. “Ich bin nicht bereit. Ich bin erst 17 Jahre alt.”
“Ich weiß.” - pflichtete meine Großmutter mir zu. “Ich weiß.”
Als ich mich ausgeweint hatte und das Gefühl verspürte, keine Tränen mehr zu haben, befreite ich mich aus Nanas Umarmung und wusch mein Gesicht mit dem Taschentuch an, was sie mir anbot.
“Hast du schon …” - fing sie an und ich nickte nur.
“Sein Name ist Sean und er ist heute als neuer Schüler in meine Klasse gekommen.” - antwortete ich und seufzte traurig. “Das Schicksal hat es diesmal ganz besonders eilig.” - meinte ich nur und lächelte bitter.
“Nun ja.” - sagte Nana nur dazu und nahm meine Hand.
“Das letzte Mal war ich wenigsten 25 und hatte etwas von meinem Leben gehabt.” - fuhr ich fort. “Davor schaffte ich es bis 30.” - ich entzog ihr meine Hand.
“Es tut mir leid.” - sagte sie nur.
“Warum jetzt?” - wollte ich verärgert wissen.
“Ich weiß es nicht.” - gab meiner Großmutter zu. “Manchmal hat man mehr Zeit und manchmal auch etwas weniger.”
“Ich bin mal gespannt, welchen Tod es für mich diesmal parat hält. Letztens wurde ich vergewaltigt und erstochen, und davor erschossen.” - meine Wut konnte ich nicht mehr zügeln und sprang auf, um im Zimmer auf und ab zu tigern.
“Aber du musst dich dem Schicksal nicht beugen.” - Nana sprang ebenfalls auf und ein Funken Hoffnung leuchtete in ihren grauen milchigen Augen. “Du kannst dem Schicksal trotzen und dein Leben selbst formen.”
“Wie?” - fragte ich ratlos, aber von ihrem aufkommenden Optimismus mitgerissen.
“Du musst Sean aus dem Weg gehen.” - sagte sie dann und meine Euphorie verklang.
“Nana, ich bin mit ihm für die Ewigkeit verbunden und ich liebe ihn. Wie soll ich ihm aus dem Weg gehen?”
“Abby, ich habe es geschafft, oder warum denkst du, stehe ich heute vor dir.” - sie legte ihre Hände auf meine Schultern. “Du bist stark und du schaffst das.” - redete sie mir gut zu.
“Du bist deinem Schicksal entgangen?” - wollte ich wissen und sah sie mit großen Augen an.
“Entgegen kann man nicht, aber immer wieder ausweichen.” - berichtigte sie mich. “Es wird dir diesen Sean immer wieder in den Weg stellen, aber du musst dich gegen ihn entscheiden.” - sagte sie und drückte meine Schultern leicht.
“Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.”
“Denk daran, dass auch Seans Leben von deinen Entscheidungen abhängt.” - erinnerte sie mich und ich biss mir auf die Unterlippe. “Tu es für ihn.”
“Du hast recht.” - jetzt war ich frohen Mutes.
“Aber du darfst ihn auch nie berühren, nicht mal zufällig.” - warnte mich Nana und ich sah sie fragend an. “Eine Berührung und auch seine Erinnerung kommt wieder und auch seine Liebe zu dir und dann kannst du dem Schicksal nicht mehr ausweichen.” - sagte sie dann.

Drei weitere Stunden unterhielten ich mich noch mit Nana und wir tauschten unsere Erinnerungen aus, die sich nicht so viel voneinander unterschieden. Man hatte diese Erinnerungen, traf diesen einen Menschen und dann war man tot.
Ich befand mich jetzt im letzten Stadium und ich hatte nicht vor, machtlos dabei zuzusehen, wie mein Leben sich langsam dem Ende zuneigte.
Ich wollte kämpfen, ich wollte leben und das Wichtigste war, dass ich wollte, dass Sean an Leben blieb.

Fortsetzung folgt ...





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