Der Typ von neben an

Autor: Theresa Gretzler
veröffentlicht am: 02.01.2011


Seufzend stand ich vor unserem neuen Haus in der Ulmenstraße 15. Das Haus war einfach perfekt. Das Dach, die Hauswand, die große weiße Tür und die prachtvolle goldene 15. Doch nicht nur dieses Haus war perfekt. Nein. Die ganze Straße war perfekt. Jeder Rasen sauber gemäht, jedes Laub gehakt und jeder Zaun gestrichen. Wie mich das alles ankotzt. Dieser unwirkliche Schein von Zufriedenheit. Genervt spuckte ich auf den Boden um das neue perfekte Haus würdig einzuweihen. Doch meine Mutter schaute mich an, als hätte ich ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
„Was denn?“, fragte ich genervt. Meine Mutter, eine Hausfrau wie man sie aus dem Fernsehen kennt, hob energisch den Zeigefinger. Sie öffnete den Mund doch dann klappte sie ihn, zu meiner vollkommenen Zufriedenheit wieder zu. Ich hatte echt keine Lust auf das alles. Ich wollte wieder zurück nach Berlin. In mein kleines dunkles Zimmer und zu meinen Freunden die mich verstanden. Doch wenn man hier, so wie ich, als Gothik mit Lippenpiercing und Nietenhalsband durch die Gegend lief, wurde man sofort angestarrt und verurteilt. Wir sind umgezogen weil meine Eltern, nennen wir es mal einen Nachbarschaftsstreit, hatten. Und nun wollten sie mit ihrem kleinen Mustersohn und ihrem Problemkind ein neues Leben anfangen.
„Gehen wir nun rein oder was ist?“ Meine Mutter warf mir einen bösen Blick zu. Doch als sie sprach klang ihre Stimme Honigsüß. „Alles mit der Zeit mein Schatz.“ Ein süffisantes Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit. Das brachte den Vulkan in mir zum explodieren. „Ich will nicht in dieses Scheißhaus, in dieser Scheißgegend in dieser Scheißstadt wohnen.“ Nervös schaute meine Mutter zu den anderen Häusern. „Kichi, so geht es nicht! Benimm dich. Du weißt doch wie einem die Nachbarn das Leben zur Hölle machen können und ich habe keine Lust es mir hier schon am ersten Tag mit den guten Leuten zu vermiesen. Wenn sie nur wüsste wie spießig und arrogant sie sich anhörte. Meinem kleinen Bruder Toby schien das allerdings sehr zu amüsieren, denn er bekam das grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.
„Nun gut, lasst uns unser neues Heim willkommen heißen“, trällerte meine Mutter.
Sie schob den Schlüssel in das Schloss und drehte in um bis ein lautes Klacken ertönte. Dann stieß sie die Tür auf. Mir schlug ein leicht säuerlicher Duft entgegen und ich rümpfte angewidert die Nase. Das Treppenhaus war klein, doch es erschien gemütlich. Mein Bruder und ich schauten uns an, ehe wir wie wild die Treppe hinauf stürmten. Ich verließ mich auf meinen guten Instinkt und öffnete die erste Tür die ich zu fassen bekam. Ich stand für einige Sekunden da und starrte es an. Es war klein und dunkel. Es war... perfekt! Außerdem besaß einen schwarzen, ja er war tatsächlich schwarz, Schreibtisch der perfekt zu meinem Computer passen würde. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich betrat das Zimmer und in mir breitete sich ein Glücksgefühl aus, nein, es war vielmehr ein Erfolgsgefühl.
Ich sah nach was Toby für ein Zimmer bekommen hatte. Es war groß und hell. Dir Sonne schien geradewegs herein. Die Farben, waren es nun Wände oder Möbel, leuchteten hell und freundlich. Ich musste lachen. „Tja, da hast du wohl Pech gehabt.“
Als es klingelte zuckte ich zusammen. Nun lachte Toby. „Du bist ein echter Hasenfuß, Kichi.“
Wir gingen nach unten um zu sehen wer und belästigte.. äh, ich meine natürlich wer uns in unserem bescheidenen Heim beehrte.
Die Tür war geschlossen, doch wir hörten unsere Mutter in einem der Zimmer reden. Wir folgten dem aufgeregten Stimmengewirr. Toby ging zu erst durch die Tür, die anscheinend ins Wohnzimmer führte. „Oh wie reizend“, quiekte eine fremde Frauenstimme. Dann trat ich durch die Tür und ihr lächeln erstarb augenblicklich. „Oh wie reizend“, wiederholte ich sarkastisch. „Äh... das sind meine Kinder. Kinder, stellt euch vor“, sagte meine Mutter scheinbar ziemlich verunsichert. Toby ging zu der Frau hin und gab ihr seine kleine Hand. „Ich bin Tobias Funke. Ich bin neun Jahre alt und gehe in die dritte Klasse.“ „Wie entzückend du bist mein Lieber. Ich bin Frau Roskohl und wohne gleich neben an.“ Ich musste lachen. Roskohl? Will die uns verschaukeln? Ein Mensch kann doch nie und nimmer Roskohl heißen. Verärgert schaute die Frau mich an, doch ich ging mit großen Schritten und einem breiten grinsen auf sie zu. Ich ergriff ihre kleine Hand und sie starrte geschockt meine schwarz lackierten Fingernägel und meine Nietenarmbänder an. „Ich bin Kichi Funke und bin letzten Monat 16 geworden.Ich gehe in die neunte Klasse und liebe Esoterik.“ Herausfordernd schaute ich sie an. Ihr kleinen Schweineäuglein funkelten mich an. Ihr Griff war eisern und hart. Dann endlich ließ sie meinen Blick und schließlich meine Hand los. Und lächelte meine Mutter an. Das lächeln war so schmierig wie diese kleine Frau selbst. „Bezaubernde Kinder hast du, Lynette.“ Meine Mutter schaute mich böse an und mein Vater der sich im Hintergrund hielt grunzte nur. Auf dem Wohnzimmertisch stand ein kleiner Presentkorb mit Muffins. Genau so durchtrieben und neugierig stellte ich mir die Leute vor, die hier in dieser Umgebung wohnten, vor. „Also Lynette“, redete die kleine Frau weiter „kommt ihr nun zum Abendessen oder nicht? Wir würden uns sehr freuen.“ Wie man nur so lügen konnte, ohne rot zu werden.
„Oh das würde uns sehr freuen. Heute um um acht?“ Um acht? War sie nun vollkommen verrückt geworden. Wenn man so spät isst wir man doch dick. Und bei mir suchen die Pfunde nur einen Grund um sich bei mir, im wahrsten Sinne des Wortes, breit zu machen. „Acht Uhr klinkt gut.“ Frau Roskohl lächelte mich triumphierend an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Dann werde ich mal gehen“, sagte sie fröhlich und strich Toby liebevoll durchs Haar. Hals sie an mir vorbei lief schaute sie mich bloß bösartig an. Sie trug einen Duft hinter sich her, der nach Lavendel und Rosmarin duftete. Ich musste husten. Wie kann sich ein Mensch freiwillig mit so einem Duft verpesten? Naja, okay. Ich meine wer Roskohl heißt, kann das natürlich.
Nachdem sie die große, weiße Haustür hinter sich zuzog schrie ich meine Mutter an. „Mam, du weißt genau das ich so spät nichts esse. Wie konntest du nur? Du respektierst einfach nie das was ich sage oder mache. Ich werde nicht mitkommen!“ Beleidigt und zornig zugleich schaute ich sie an. Doch sie antwortete mir mit einer leisen, resignierten Stimme. „Kichi, du wirst mitkommen. Keine wider rede. Hast du das verstanden?“ Die letzten Worte betonte sie drohend. Das war zu viel. Der Vulkan brodelte und spuckte Lava in alle Richtungen und genau das tat ich auch. Ich stellte mich einfach hin und fing an zu schreien. Ich schrie und schrie und schrie bis meine Mutter mich unsanft am Arm fasste und mir die Hand auf den Mund presste. „Du kommst mit! Sonst siehst du deinen Computer nie wieder.“ Ich starrte sie mit offenem Mund an. Sie erpresst mich? „Du erpresst mich?“ „Nein, ich sehe es eher als eine Maßnahme dich zu kontrollieren und deine Erziehung positive zu beeinflussen, solange es noch geht, mein Schatz.“ Sie erpresst mich! Meine eigene Mutter. „Ahhh“, schrie ich und stampfte demonstrativ so laut es ging nach oben. Okay, jetzt bloß nicht durchdrehen. Doch so schräg es sich anhört, ich liebe meinen Computer und für den würde ich fast alles tun. Doch von der einen ahnungslosen Sekunde zur anderen brillante Sekunden kam mir plötzlich die Idee. Ich rannt zu meinem Koffer und riss den Reißverschluss wild auf. Wo, wo... ah, da ist es ja. Ich zog mein Prachtstück heraus. Ein schwarzes Kleid das durch mein Talent mordsmäßig aufgepimpt wurde. Ketten, schwarze Steinchen und löcher an diversen Stellen verzierten das ach so süße Kleidchen. Die Uhr unten im Wohnzimmer schlug sieben Uhr. Perfekt! Noch eine Stunde Zeit. Ich wechselte meinen silbernen Lippenpiercing gegen einen schwarzen Lippenpiercing aus, den ich mir stolz von meinem hart erarbeiteten Geld letzten Sommer gekauft hatte. Als ich eines Tags mit einem Lippenpiercing nach Hause kam, rastete meine Mutter völlig aus. Sie sagte ich dürfte nie wieder nach meinem Onkel Jay. Doch den Piercing konnte sie nun mal nicht rückgängig machen und sie hatte sich auch stets geweigert mir einen neuen Piercing zu kaufen. Ich schminkte meine Augen neu, zog mein wundervolles Kleid an und toupierte meine Haare. Perfekt. So wie alles in dieser Straße. Mit einem Seufzer setzte ich mich auf die breite Fensterbank und schaute nach draußen. Es war nun endgültig Herbst. Es regnete und die Bäume verloren all ihre bunten Blätter. Dieser Oktober war lange warm gewesen dafür würde der Winter bitterkalt werden. Doch das beste war: Morgen ist Halloween. Dieser Tag war wie für mich geschaffen.







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