Das Leben und andere Rätsel - Teil 4

Autor: Becky
veröffentlicht am: 05.10.2012


Ich stehe hinter der verschlossenen Tür – ich bringe es einfach nicht fertig die Tür zu öffnen und Dorina zu fragen, was passiert ist. Wahrscheinlich fürchte ich mich viel zu sehr vor der Antwort.
Plötzlich öffnet sich die Tür und Mum steht vor mir. Hat sie geweint oder bilde ich mir das nur ein? Sie schließt die Tür hinter sich und zieht mich am Arm weiter in den Flur.
„Ich möchte nicht, dass du Dorina darauf ansprichst. Sie ist sehr instabil. Es macht sie vollkommen kaputt.“
Für mich scheint das Schlimmste jetzt bestätigt zu sein und mir schießen die Tränen in die Augen.
„Wie ist es passiert?“
„Sie wollte Dorina besuchen, war schon fast da. Ein LKW ist frontal in ihr Auto gefahren. Sie war sofort tot.“
„Wer?“
„Blanka.“
Milans Mutter? In diesem Moment steigt meine Verwirrung ins Unermessliche. Einerseits fällt mir ein Stein vom Herzen und auf der anderen Seite bin ich furchtbar schockiert. Blanka war Dorinas einzige Tochter. Ihr großer Stolz. Sie hatte vor einigen Jahren sich vor einigen Jahren mit ihrer eigenen Arztpraxis selbstständig gemacht, nachdem Milans Vater sie verlassen hatte.
„Das heißt Milan ist nicht tot?!“
„Das weiß Dorina nicht. Er ist gleich als die Nachricht von Blankas Tod kam gegangen, ohne sich zu verabschieden. Sie hat gehofft, dass er nach der Beerdigung zurückkommt. Er kam aber nicht zurück. Dorina lag zu der Zeit im Krankenhaus. Sie ist zusammengebrochen, als sie von dem Unfall gehört hat.“
Das erschüttert mich noch viel mehr.
„Das heißt, sie hat nichts unternommen, um ihn zu finden?“
„Wie sollte sie denn? Sie kann sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn irgendwelche Reisen unternehmen.“
Aber zum Telefon greifen und eine Vermisstenanzeige aufgeben, das hätte sie wohl gekonnt.“
Ich werfe meiner Mutter noch einen bösen Blick zu und verlasse das Haus.
Nachdem ich eine lange Zeit einfach nur umher gelaufen bin, bleibe ich vor einem heruntergekommenen Spielplatz stehen. Alles kommt mir auf einmal so furchtbar trostlos vor. Als ich gerade so auf die halb heruntergerissene Schaukel starre, kommt mir eine Idee.
Es gibt nur einen, der möglicherweise wissen könnte, was mit Milan ist. Oscar war früher so oft mit Milan unterwegs. Sie haben beinahe alles gemeinsam gemacht. Von ihm hat Milan auch in den letzten Jahren viel Deutsch gelernt, denn Oscars Mutter ist Deutsche.
Wir sind den Weg zu seinem Haus so oft gemeinsam gegangen, dass ich ihn inzwischen bestimmt im Schlaf gehen könnte.
Das Haus in dem Oscars Familie lebt hat mir schon immer gefallen. Es ist unheimlich groß und der Vorgarten blüht in allen Farben.
Als ich vor der großen glänzenden Doppeltür stehe, fühle ich mich wie immer irgendwie winzig.
„Hallo Johanna. Mensch, du wirst auch immer hübscher. Schön dich zu sehen.“
Oscars Mutter war eine etwas große schlanke Frau, die selbst in Jogginghosen elegant wirkte. Sie hatte Lockenwickler in den Haaren und lächelte mich freundlich an.
„Du möchtest bestimmt zu Oscar, nicht wahr?“
Ich nickte lächelnd.
„Geh ruhig nach oben. Er freut sich bestimmt dich zu sehen.“
„Danke.“

Die Treppe, die ins obere Stockwerk führt ist ziemlich breit, zweispurig sozusagen. Einen kurzen Moment muss ich überlegen, welche der Türen die richtige ist, doch dann erinnere ich mich.
Ich klopfe zuerst sehr zaghaft, dann etwas kräftiger, doch es rührt sich nichts. Nach einigen weiteren Versuchen beschließe ich einfach hineinzugehen.
Auf dem riesigen Bett liegen Kopfhörer, aus denen laute Musik zu hören ist. Aber Oscar ist nicht in seinem Zimmer. Ich gehe zum Fenster und sehe in den Garten hinaus. Der Rasen sieht aus, als hätte man ihn mit der Nagelschere geschnitten. Kein Grashalm steht schief. Eine perfekte tiefgrüne Fläche.
Plötzlich reißt mich ein Geräusch aus den Gedanken. Ich drehe mich um und mir bleibt für einen kurzen Moment das Herz stehen. Hinter mir steht Oscar. In Unterhose und mit einem Handtuch über den Schultern.
„Johanna?“
Er sieht mindestens genauso schockiert aus, wie ich mich fühle.
„Oh Gott, das tut mir leid. Ich wollte hier nicht einfach so hereinplatzen.“
Ich versuche krampfhaft nicht auf seinen Körper zu starren, der mir leider unheimlich gut gefällt.
Als er mich plötzlich ohne Vorwarnung in den Arm nimmt, kann ich mich nicht rühren und beobachte bloß wie das Handtuch von seinen Schultern rutscht und auf den Boden fällt.






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