Das Leben und andere Rätsel - Teil 3

Autor: Becky
veröffentlicht am: 09.06.2012


Automatisch laufe ich nach rechts und schleife dabei meinen Koffer mühselig hinter mir her.
Die Tür meines Zimmers steht offen. Das Sonnenlicht strahlt durch das Fenster in der Dachschräge bis in den Flur. Ich genieße den Augenblick sehr, ein komplett aufgeräumtes und geputztes Zimmer zu betreten – in diesen Genuss komme ich eher selten.
Ich schiebe meine Tasche an die kleine Holzkommode neben meinem Bett und lasse mich auf meinen Sessel fallen.
Nachdem ich eine Weile überlegt habe, entschließe ich mich, der Sache mit Milan selbst auf den Grund zu gehen. Ich werde einfach selbst nachsehen, ob er da ist.
Ich versuche die Treppen möglichst leise hinunter zu schleichen und gehe an einigen Räumen vorbei. Da ist sie – die Tür zu Milans Zimmer.
Ich klopfe vorsichtig. Einmal, dann noch einmal. Doch nichts.
Ich höre Dorinas Stimme aus der Küche und entscheide mich einfach die Tür zu öffnen und hineinzugehen, bevor sie mich sieht.
Das Zimmer erscheint mir sofort ungewöhnlich leer und ordentlich. Es liegt nirgendwo etwas herum und das Bett ist penibel zusammengelegt.
Milan ist nie unordentlich oder chaotisch gewesen, das ist es nicht, jedoch wirkt der Raum unheimlich still – ja, geradezu verlassen und wie ausgestorben.
Ich beginne sinnlos umher zu laufen. Ich weiß nicht warum, aber ich bin nervös. Vielleicht sollte ich einen Blick in den Schrank werfen, denke ich mir.
Nachdenklich starre ich hinein. Er ist leer. Nur ein vereinsamter Pullover hängt an einem Kleiderbügel. Scheinbar ist er ausgezogen. Auch wenn ich es nicht möchte, bin ich unheimlich enttäuscht. Ich lasse mich auf das Bett fallen und sehe an die Decke.
Manchmal haben wir bis in die Nacht auf seinem Bett gelegen, Dorinas Pralinen gegessen und Milan hat Gitarre gespielt. Als wir im letzten Jahr hier waren, hat er ein deutsches Liederbuch herausgeholt und für mich gesungen, auch wenn er selbst nicht verstanden hat, was er singt, war es einfach schön ihm zu zuhören.
„Schluss jetzt“, flüstere ich vor mich hin und beschließe mit dem Jammern aufzuhören. Die Zeit war schön, aber sie ist vorbei. Immerhin ist er achtzehn und kann selbst entscheiden wo er wohnt.
Ich will das Zimmer gerade verlassen, als ich einen Briefumschlag entdecke, der neben dem Papierkorb unter dem Schreibtisch liegt. Dad hat mir oft erzählt, wie wichtig es ist, nicht neugierig zu sein, jedoch hat er auch gesagt, dass er immer für mich da sein wird und das hatte auch keine Bedeutung.
Ich hebe ihn auf und öffne ihn vorsichtig. Ungarisch. Darauf hätte ich auch früher kommen können. Jedoch interessiert mich sehr, was darin steht, denn er ist an Dorina gerichtet und liegt dennoch in Milans verlassenem Zimmer.
Mir kommt eine Idee – ich habe mir ein Wörterbuch gekauft und sogar daran gedacht, es mit zu nehmen.
Schnell stopfe ich den Brief unter mein Shirt und schleiche mich zurück, die Treppen hinauf, in unsere Wohnung.

Wort für Wort schlage ich nach. Nachdem ich den Betreff übersetzt habe, schließe ich den Umschlag und starre schockiert auf das Wörterbuch.
Beerdigung und Trauerfeier am 10. Juli...






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