Der Geheime Zirkel von Black Mount Castle - Teil 2

Autor: Gajiru
veröffentlicht am: 10.03.2014


Luna blickte noch einen Moment auf die Tür, hinter der Tracey geradeeben verschwunden war, ehe sie sich langsam wieder erhob und zurück an das Fenster setzte. Die Besuche wurden in letzter Zeit seltener, kürzer. Und dabei waren sie das einzige, was ihr ein wenig Abwechslung in ihren grauen Alltag brachte. Ihr Blick folgte den dicken Wassertropfen, die langsam das Glas der Scheibe hinunterliefen und auf dem Fenstersims zu einer kleinen Pfütze verschmolzen.
Die Tage hier zogen sich hin, verschwammen ineinander und Luna fragte sich zunehmends, ob sie jemals wieder hier raus kommen würde. Sie war aus einem bestimmten Grund hier. Sie war hier, weil sie Dinge konnte, die andere nicht konnten. Ihr Blick huschte in die Ecke des sterilen Zimmers, ein kleines, rotes Lämpchen blickte ihr entgegen. Sie dachten wirklich, Luna wusste nicht, dass sie sie beobachteten.
Die Tür wurde geöffnet, aber Luna drehte sich nicht um, um nachzusehen, wer sie da besuchen kam. Etwas wurde abgestellt, ein leises klirren ertönte. Schritte, dann fiel die Tür wieder in ihr undurchdringliches Schloss. Luna drehte sich auf ihrem Stuhl um. Auf dem kleinen Tischchen stand ein Tablett, darauf ein Laib Brot, eine Kanne mit klarem Wasser und ein Glas, außerdem eine dampfende Schüssel. Der Geruch des Inhaltes, offensichtlich eine Suppe, breitete sich in dem kleinen Raum aus. Ihr Mittagessen. Sie verengte die Augen zu Schlitzen.
Eigentlich müsste sie nichtmal aufstehen. Ein kleiner Gedanke würde genügen, und das Essen würde mit allem, was darauf war zu ihr herüber geschwebt kommen. Aber wenn sie diese Dinge nicht mehr tat, wenn sie sich ganz normal benahm… vielleicht dürfte sie dann irgendwann hier weg. Wenn sie dachten, dass sie diese Sachen nicht mehr konnte.
Also erhob sie sich langsam von ihrem Stuhl am Fenster und ging auf den Tisch zu. Das Brot war wohl schon etwas älter, stellte sie fest, während sie kleine Stücke davon abbrach und sie sich in den Mund schob. Manchmal tunkte sie das Brot auch kurz in die Suppe, damit es wenigstens etwas weicher wäre. Die Suppe war fad, geschmacklos. Aber was anderes bekam sie hier nunmal nicht.
Schon bald war die Schüssel geleert und das Brot aufgegessen. Auch die Kanne hatte sie ausgetrunken und alles zusammen beiseite gestellt. Irgendwann würde eine von diesen Frauen in den weißen Mänteln kommen, um die Sachen abzuholen. So wie jeden Tag.
Doch Luna wurde in ihren Gedanken gestört, als sich ihre Tür öffnete und ein Mann mit schwarzen Haaren eintrat. Auch er trug einen dieser Mäntel, außerdem ein Klemmbrett. Und er lächelte sie so seltsam an. Sie schluckte einen Moment.
Der Mann schloss die Tür hinter sich wieder und setzte sich ihr gegenüber.
„Mein Name ist Dr. Rade. Mir gehört diese Institution. Dieses Haus für besondere Kinder. Du bist auch ein besonderes Mädchen, Luna.“, sprach er leise, und noch immer hatte er dieses Lächeln aufgesetzt. Wahrscheinlich sollte es den Zweck haben, sie zu beruhigen, aber diesen verfehlte es ganz gewaltig. Nervös begann Luna, mit ihren Fingernägeln herumzuspielen. Was wollte dieser Kerl von ihr?
„Wie ich sehe, hast du schon aufgegessen? Die meisten brauchen etwas länger, anscheinend schmeckts dir?“, fragte Dr. Rade. Luna nickte, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Wem würde dieses Essen schon schmecken.
„Jedenfalls, wie du dir sicher denken kannst, bin ich aus einem bestimmten Grund hier.“, sprach er nun weiter.
„Du hast Tracey sehr gerne, nicht wahr?“
Nun horchte Luna doch auf und blickte Dr. Rade direkt an.
„Sie hat dich aus einem bestimmten Grund so oft besucht. Weißt du, sie ist von einer Schule. Einer besonderen Schule, wo du lernen kannst, mit deinen außergewöhnlichen Fähigkeiten umzugehen.“, erklärte er. Luna spürte, wie ihr Hals trocken wurde. Würde sie hier raus kommen? Würde Tracey sie mitnehmen, zu dieser Schule? Sonst würde dieser Mann ihr das doch nicht erzählen oder?
Ein Hoffnungsschimmer blitzte in ihren goldenen Augen auf. Mr. Rade schien es zu bemerken und lächelte, dieses Mal sanfter als geradeeben, nicht so aufgesetzt.
„Du kannst Dinge bewegen, ohne dass du sie berühren musst.“, sagte Dr. Rade. Es war mehr eine Feststellung, aber Luna nickte dennoch, sodass ihre schwarzen Locken nur so auf und ab wippten. Er nickte ebenfalls kurz, dann stand er wieder auf.
„Tracey wird dich Morgen früh abholen. Pack solang alles, was du mitnehmen willst.“, erklärte Dr. Rade noch, dann ließ er Luna zurück. Sie brauchte noch einige Momente, um zu verarbeiten, was er gerade gesagt hatte, dann strahlte sie übers ganze Gesicht. Sie würde hier weg kommen! Schon Morgen früh! Sie würde auf eine Schule gehen können, ganz normal, wie andere Kinder auch! Sie würde endlich ihr ganz normales Leben bekommen! Mehr oder weniger normal.
Gleich öffnete sie den Wandschrank, der in demselben Weiß gehalten war, wie alles andere in diesem Raum. Viel besaß sie nicht, nur ein paar Anziehsachen, eine kleine Spieluhr in Form eines Medaillons und ihre Bücher. Etwas unglaublich Wertvolles für sie. Sie und die Spieluhr waren das einzige, was sie an ihr Leben vor dieser Anstalt erinnerte, das einzige Andenken an…
Dafür war jetzt keine Zeit. Sie war so glücklich, das wollte sie sich nicht mit düsteren Gedanken an die Vergangenheit kaputt machen. Sie griff das Medaillon und hing es sich um den Hals, ließ das Ende unter ihrem Pulli verschwinden und schüttelte ihre langen, schwarzen Haare wieder auf.
Kurz darauf griff sie sich ihre Anziehsachen und die Bücher und legte sie sorgfältig zusammen. Sie hatte keinen Koffer oder dergleichen. Sie müsste wohl bis zum Morgen warten und darauf hoffen, dass Tracey irgendwas mitbrachte.
Bis zum Morgen… das kam ihr wie eine unglaublich lange Zeit vor, auch wenn sie schon Jahre hier verbracht hatte. Nervös setzte sie sich auf ihr Bett. Hier drin hatte sie absolut kein Zeitgefühl. War es schon Zeit zu schlafen? Schwer zu sagen, bei dem Regen war es immer dunkel. Luna ließ sich nach hinten fallen und sah an die Decke. Bald wäre dieser Alptraum hier zu Ende.






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