Glück im Unglück Teil 12

Autor: Dani
veröffentlicht am: 20.04.2008




Das Bild, was sich Sebastian bot, als er das Krankenzimmer seiner Schwester betrat war niederschmetternd.
Victoria lag verstört in dem großen Bett. Sie wirkte regelrecht verloren darin. Neben dem Bett standen zwei Ärzte, die nach den piependen und rauschenden Geräten sahen, an denen Victoria offenbar angeschlossen war. Auf der anderen Seite des Raumes standen sein Vater und seine Mutter. Er hörte Nina leise schluchzen.
Sebastian konnte sich keinen Reim darauf machen und fühlte sich wie ein kleiner Schuljunge. Erfüllt von einer beklemmenden Angst und einer nie gekannten Unsicherheit bewegte er sich auf Victorias Bett zu. Sie sah schon viel besser aus, als noch vor wenigen Stunden, dennoch war sie sehr blass und ihr Gesicht wirkte fahl und eingefallen. Doch was Sebastian am meisten erschreckte, waren ihre Augen. Victoria war immer lebensfroh gewesen und ihre Augen hatten stets schalkhaft geblitzt, doch davon war nicht mehr ein winziger Funken übrig geblieben. Stumpf und teilnahmslos schauten die großen blauen Augen aus dunklen Höhlen, die von tiefen Ringen gekennzeichnet waren. Die Schrammen, die sie im Gesicht erlitten hatte, waren mit einer dunklen Salbe abgedeckt worden, die Victorias Blässe noch mehr hervor hob.
Verzweifelt suchte Sebastian den Augenkontakt zu seiner Schwester. Er war maßlos enttäuscht, als er erkannte, dass sie nicht mehr die Victoria war, die er vor dem Unfall gekannt hatte.
'Victoria?', fragte er vorsichtig und mit brüchiger Stimme.
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und wieder versetze ihm der stumpfe Ausdruck in ihren Augen einen Stich mitten ins Herz.
'Meinst du mich?', fragte sie ihn und er meinte seinen Ohren nicht zu trauen. Natürlich meinte er sie, wen denn sonst?
Er setzte gerade zu einer Antwort an, als er die Hand seines Vaters auf seiner Schulter spürte, die ihn einige Meter von Victorias Bett wegzog.
'Vater, was ist mit ihr? Erkennt sie mich nicht? Und warum weiß sie nicht, wie sie heißt?', wollte er wissen.
'Mein Sohn, Victoria leidet unter Gedächnisverlust. Sie erkennt niemanden mehr und kann sich an nichts erinnern. Sie weiß nicht einmal ihren Namen.'
'Was? Aber… aber, das geht doch vorüber, oder nicht? Sie wird sich wieder erinnern können?' Leise Panik schwang in Sebastians Stimme mit und als er sah, wie sein Vater den Kopf schüttelte, legte sich eine kalte Hand um sein Herz.
'Die Ärzte sagen, dass es wohl unwahrscheinlich ist, dass ihre Erinnerung wieder zurück kommt. Ihre Kopfverletzungen waren erheblich. Wir können uns glücklich schätzen, dass nichts Schlimmeres geschehen ist.'
'Nichts Schlimmeres…', flüsterte Sebastian. Für ihn war es schlimm genug. Seine Schwester kannte ihn nicht mehr.
Juliane hatte sich die ganze Zeit über im Hintergrund gehalten, doch nun machte sie sich mit einem leisen Räuspern bemerkbar. Es dauerte kaum zwei Sekunden, als Nina ihr auch schon um den Hals fiel. Sie hatte Juliane schon immer sehr gemocht und hatte die Trennung der beiden vor zwei Jahren sehr bedauert. Auch Richard umarmte sie kurz.
Victoria hatte die Augen wieder geschlossen. Es war alles so verwirrend. Innerhalb weniger Stunden hatte sie ihre Eltern und ihren Bruder 'kennen gelernt' und trotzdem fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut. Sie verspürte keinerlei Bindung zu ihrer Familie und das erschreckte sie.
'Ich denke es wäre besser, Victoria nun ein wenig Ruhe zu gönnen. Warum fahren Sie nicht nach Hause und tun es ihr gleich?', schlug einer der Ärzte vor und die Schäfers sahen ein, dass sie hier nicht viel tun konnten.
Sie verließen mit einem letzten Blick auf Victoria das Zimmer und stiegen auf dem Parkplatz des Krankenhauses in Sebastians Auto ein.
Endlich zu Hause angekommen, versammelten sich alle in der gemütlichen Küche, um einen Kaffee zu trinken. Niemand traute sich, das Thema 'Victoria' anzusprechen, bis sich Nina ein Herz griff.
'Ich habe immer gesagt, dass die Reiterei zu gefährlich für meine Victoria ist!'
Richard suchte sie zu beruhigen. 'Aber Nina, es war ein Unfall, ein schrecklicher Unfall. Das hätte immer und überall passieren können!'
'Nein, Richard! Mein Entschluss steht fest! Wir verkaufen diese Satansbraten und Victoria wird nie wieder auf ein Pferd steigen.'
'Mutter, wie kannst du so etwas sagen?', schaltete sich nun Sebastian ein.
'Sebastian, Victoria ist meine Tochter. Ich will nicht, dass ihr noch einmal etwas Ähnliches zustößt! Sobald sie das Krankenhaus verlassen kann, wird sie auf ein Internat in der Schweiz gehen.'
'Aber Victoria liebt ihre Pferde! Du kannst sie ihr doch nicht einfach weg nehmen!' 'Falsch, Sebastian, Victoria hat Pferde geliebt… sie kann sich an nichts erinnern, was heißt auch nicht an ihre Pferde. Sie wird sie nicht vermissen!'
'Wie kannst du nur so eiskalt sein???', schrie Sebastian seiner Mutter entgegen. Er konnte es nicht glauben. Victoria hatte einen schweren Unfall, sie hatte ihr Gedächtnis verloren und seine Mutter hatte nichts anderes zu tun, als sie sofort auf ein Internat zu stecken! Sie brauchte doch ihre Familie, wie sonst sollte sie ihre Erinnerung jemals zurück bekommen?
'Sebastian, rede nicht so mit deiner Mutter! Entschuldige dich!', verlangte Richard von seinem Sohn. Doch auch er hatte bei den harten Worten seiner Frau schlucken müssen.'Einen Teufel werde ich tun!', brüllte Sebastian, ehe er aus der Küche stürmte und aus der Haustür heraus. Entschuldigend lächelte Juliane Richard und Nina an. 'Ich werde mich um ihn kümmern, machen Sie sich keine Sorgen!', versicherte sie.
Auch sie verließ die Küche und machte sich auf die Suche nach Sebastian.
Erschöpft ließ Nina sich auf einen der Küchenstühle sinken.
'Meinst du wirklich, dass das das Richtige ist?', fragte Richard seine Frau sanft um sie nicht wieder aufzuregen.
'Natürlich bin ich mir sicher! Sie wird dieses Internat besuchen und anschließend ihre Modellkariere beginnen, so wie ich es immer gesagt habe. Du warst es doch, der ihr diesen Pferdefloh ins Ohr gesetzt hat! Du bist Schuld… du bist Schuld!', ihre Stimme hob sich mit jedem Wort.
Beruhigend strich Richard mit seiner Hand über Ninas Rücken. Er wusste, dass sie es nicht so meinte, wie sie es sagte. Zwar gefiel ihm die Idee, seine talentierte Tochter von Pferden fern zuhalten, nicht sonderlich gut, aber solange es seine geliebte Frau glücklich machte, würde er nichts dagegen sagen.
Juliane hatte Sebastian in der Zwischenzeit gefunden. Er war in Wonders Box und streichelte das große Tier. Juliane hörte ihn leise flüstern.
'Warum Wonder, warum musste das nur geschehen? Ist es nicht unglaublich, was ein Unfall anrichten kann? Victorias ganzes Leben wird sich von jetzt auf gleich verändern und sie kann nichts dagegen tun. Wie auch, ohne jegliche Erinnerungen an dich, an mich, an alles hier…'Juliane schluckte bei seinen Worten. Er musste wirklich sehr unter dieser Situation leiden und sie entschuldigte sich innerlich schon jetzt dafür, was sie ihm antun musste.







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