Hineingeschlittert

Autor: Steffi
veröffentlicht am: 28.09.2006




Mir kam es vor wie ein Märchen, wir trafen uns am Ball haben getanzt. Danach war er verschwunden. Er ging mir nicht mehr aus den Kopf.
Als ich wieder einmal wahllos durchs Internet surfte, traute ich kaum meinen Augen da war seine Homepage ich konnte es kaum glauben, voll mit Partybilder und Festen. Sofort meldete ich mich bei ihm. Ab dann schrieben wir regelmäßig. Ein paar Wochen später trafen wir uns wieder aber ich sah ihn nicht aus der Nähe sondern nur von weitem, leider kannte er mich nicht mehr.
Er war so wunderschön. Egal ob er weit weg war, ich spürte ihn ganz nah, ganz nah hier bei mir und obwohl ich eine kleine Sehschwäche habe und in der Schule in der Zweiten Reihe nichts auf der Tafel entziffern konnte, seine Augen strahlten bis zu mir und ich fand es wunderschön.
Manchmal fragte er mich um Rat bei einem Mädchen, das ihm gefällt und ich gab ihm meine besten Ratschläge. Ob es funktionierte? Das weiß ich nicht genau, aber ich kam mir danach irgendwie blöd vor.
Er wirkte immerzu perfekt und ich wusste ich hatte keine Chance. Ich finde mich hässlich, potthässlich. Ich hasse meine Figur, ich fühle mich zu dick. Ich hasse meinen Busen ich finde ihn viel zu groß. Ich hasse meine Haare, sie sind dünn und zersaust. Am meisten hasse ich mein Gesicht, seit Monaten quälen mich Pickel im Gesicht, ich bin von Narben gezeichnet, meine Sommersprossen sind viel zu groß und viel zu viel. Ich hasse einfach alles an mir. Ich ertrage den Blick in den Spiegel nicht.
Darum sollte er nicht unglücklicher Single sein, er sollte glücklich vergeben sein. Auch wenn der Gedanke an ihm Unsinn war konnte ich es nicht lassen.
Er hat mir einmal ein Bild von ihm geschickt das ich mir jeden Tag ansah, er ist einfach wunderschön.
Wenn ich an ihn dachte, musste ich oft weinen. Ohne dass ich es wollte brach ich in Tränen aus, aber sagen konnte ich es ihm nicht.
Wenn wir schrieben, schrieben wir meistens über Party's und Drogen. Er war ein totaler Drogenfanatiker, er wusste eine Menge darüber und das wurde mir unheimlich.

Einmal auf einem Fest haben wir uns wieder einmal kurz gesehen, dieses mal ganz von der Nähe. Er war so vollgesoffen, dass er mich nicht kannte. Ich sah in ganz genau an, ich starrte ihn an. Und obwohl er betrunken war, war er trotzdem wunderschön. Als wir uns so nah waren, hätte ich ihn am liebsten geküsst, aber das tat ich natürlich nicht. Er erinnerte mich an meinen Teddybär, den ich früher immer dabei hatte, ich hatte ihn oft stundenlang angestarrt, aber er redete nicht mit mir. Das störte mich nicht, ich mochte ihn trotzdem. Wir waren stumme Freunde. Wir gingen durch dick und dünn.
Auf diesem Fest besoff ich mich dann auch, ich dachte ich konnte ihn vergessen. Das geschah auch, das war gut für diesen Moment doch meine Mutter fand dass gar nicht so toll, dass ich mit 15 Jahren schon meinen ersten Rausch hatte.
Ich bekam ein Monat Hausarrest. Das war mir aber egal.
Ich schrieb immer weniger mit ihm. Doch eines Tages schrieb er mich wieder an und wir redeten stundenlang bis er mir beichtete das er Drogenabhängig gewesen war. Ich wusste es und das war das erste was mir nicht an ihm gefiel. Aber er schien ja wieder ganz heil zu sein und Drogen heißen nicht immer süchteln und abstürzen, manche Leute nehmen nur auf manchen Partys eine und sind ganz normal. Sie waren nicht abhängig es kommt ganz darauf an weswegen man es nimmt und wieviel, das habe ich alles von ihm gelernt.
Danach liebte ich ihn irgendwie noch mehr, seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit machte ihn noch mehr sympathischer für mich. Wenn ich sein Foto betrachtete, wurde mir jedes mal warm ums Herz und ich weinte. Jeden Tag weinte ich. Seine mittelblonden Haare die bis zum Kinn reichten, seine schönen strahlenden Augen, seinen schmalen Mund, denn ich gerne mal küssen würde. Auf diesem Foto schaut er ganz ernst, aber ich war mir sicher er lachte gerne und viel. Er war bestimmt Humorvoll. Er würde mich immer zum Lachen bringen und mich immer aufmuntern können. Er würde mich unendlich glücklich machen. Manchmal wenn ich im Bett lag und nachdachte überlegte ich ob er mich haben wolle wenn mein Gesicht rein wäre und ich dünn. In meinen Vorstellungen machte ich mich immer schön und ich machte, dass er sich in mich verliebte. Das waren schöne Vorstellungen.

Von Heute auf morgen kam ich auf die Idee meinen Traum zu leben und ich beschloss nichts mehr zu essen, zumindest nur wenig.
In der Schule wurde ich besser weil ich für ihn lernte, ich war mir sicher, dass er nur Mädchen mit Krips mag. Ich war geradezu besessen von ihm. Ich nahm einige Tabletten gegen meine Gesichtsunreinheiten und hatte eine Menge Geld für Kosmetik Artikel ausgegeben.

Irgendwann als ich mich sicher genug fühlte mit 6kg weniger und neuer Kleidung fragte ich ihn endlich ob er mit mir ausgehen möchte. Zuerst war er überrascht aber dann stimmte er zu.Wir gingen etwas trinken. Es war ein Freitagnachmittag.
Die Zeit verging wie im Flug und es war schon spätabends. Es war sehr schön mit ihm zusammen zu sein.
Ich war besonders überrascht, dass er mich fragte ob ich noch mit ihm und seinen Freunden mitgehen würde. Aus unerfindlichen Gründen sagte ich ab.
Ich sagte nur dass ich mich nächstes Wochenende mit ihm wieder treffen will und er willigte ein.

Unter der Woche hatte ich mit meinen Eltern heftigen Streit weil meine Leistungen in der Schule sanken und ich nur Zeit vorm Computer verbrachte.
Ich schrieb mit Sebastian. Er sagte er hätte für nächstes Mal eine Überraschung geplant.Ich war heilfroh als es Freitag war und ich ihn sehen konnte.

Er band mir die Augen zu und ließ mich in ein Auto steigen. Er fuhr mit mir ungefähr eine halbe Stunde lang.
Als wir ankamen durfte ich die Augenbinde abnehmen. Wir standen auf einer Landstraße irgendwo im Nirgendwo.
Dann nahm er stumm meine Hand und wir durchquerten ein Weizenfeld, gingen durch einen Wald und gingen so lange bis wir vor einem Abgrund standen. Ich sah ein riedengroßes Lichtermeer. Es war eine Stadt eine große Stadt. Es war wunderschön. Er verschwand kurz und tauchte dann wieder auf. Er hatte zwei Sektgläser in der Hand und sagte: 'Heute trinken wir einmal wo anders'. und lächelte dabei.
Er machte Bilder von mir. Und wir lachten und redeten.
Aber irgendetwas war komisch, sehr komisch. Ich fühlte mich auf einmal so frei. Ich tanzte und lachte, aber das komischste war ich wusste nicht warum. Ich redete Schwachsinn. Das alles war nicht typisch für mich und trotzdem tat ich es. Spätabends schliefen wir Arm in Arm ein und ich wachte erst wieder am Morgen auf.
Mein Schädel brummte. Ich sah schnell auf die Uhr und sah, dass es bereits 10:00 Uhr Vormittags war und ich hatte unglaubliche 236 Anrufe in Abwesenheit. Mama, Mama, Mama, Mama, Papa, Mama, Mama, Papa …. las ich.
Schleunigst weckte ich Sebastian auf und sagte dass wir fahren müssen.
Ich rief meine Mutter an und sagte, dass alles in Ordnung sei und dass ich gleich kommen würde. Ich merkte an ihrer Stimme, dass sie geweint hatte.
Ich zitterte am ganzen Körper und ich wollte nicht nach Hause.
Sebastian kam auf die Idee dass ich bei ihm wohnen könnte wenn mir die Luft zu dick wurde, aber ich sagte ab.

Ich kam nach Hause. Meine Mutter stand unter Tränen vor mir, mein Vater schüttelte nur den Kopf und meine kleinen Brüder standen mit verschränkten Armen vor mir und schüttelten ebenfalls den Kopf.

Sie sind Zwillinge Lukas und Leon sie sind sechs Jahre alt und Nerven mich jeden Tag immer mehr.
Ich sah ihre Gesichter, die Gesichter von allen Vieren und ich wusste ich hatte hier nichts mehr verloren.
Ich ging in mein Zimmer versuchte alle meine Sachen zusammen zu packen und wollte abhauen. Meine Mutter wollte mich hindern, die schrie mich an einmal hatte sich mich aus lauter Verzweiflung geschlagen, aber ich packte meine Sachen weiter zusammen.

Ich habe keine Freunde, ich habe keine Familie ich habe nur Sebastian. Das war das einzige was ich dachte. Er konnte mich glücklich machen, er war der einzige Mensch der das konnte.Meine Mutter wollte mich nicht gehen lassen, aber ich ging einfach. Ich hörte ihr nicht zu, ich war einfach nicht da.
Das einzige was ich hört war ihr weinen und ihr Gejammer.

Sebastian hatte seine eigene Wohnung. Er hatte einen sicheren Beruf und noch dazu bekam er monatlich 1000€ von seinen Großeltern die stinkreich waren.
Mit 18 Jahren finde ich war er sehr selbstständig.
Seine Wohnung war klein aber groß genug für zwei Personen.

Zuerst lebte ich ein paar Wochen bei ihm und ich hörte von meinen Eltern keinen Ton bis eines Tages die Fürsorge an unserer Haustür klopfte, sie durchsuchten die Wohnung und stellten fest das alles in Ordnung wäre und sie haben beschlossen das ich bei Sebastian leben durfte.
Gott sei dank hatten sie die Pillen nicht entdeckt die wir jeden Tag einnahmen. Wir fühlten uns leichter und wohler und mir tat nichts mehr weh.
Jeden Tag nahmen wir sie.
Irgendwann habe ich beschlossen nicht mehr in die Schule zu gehen und zuhause zu bleiben. Hausarbeit zu machen und solche Sachen ich wollte mir einen Beruf suchen, den ich dann auch fand. Ich durfte bei einem Gasthaus als Kellnerin arbeiten. Ich war sehr stolz auf mich, dass ich endlich etwas geschafft habe ohne fremde Hilfe.
Die Tage vergingen und ich nahm immer mehr Tabletten und ich fühlte mich langsam gar nicht mehr wohl. Ich litt an Warnvorstellungen und Depressionen.
Sebastian meinte es ginge wieder vorbei aber nach einem halben Jahr dachte ich nicht mehr daran.
Ich fühlte mich dreckig und scheußlich wenn ich keine Pille mehr nahm. Ich sah die Welt immer so fröhlich wenn ich sie eingenommen habe. Ich konnte die Gäste davon überzeugen, meine Kollegen und Sebastian. Irgendwie stimmte aber trotzdem etwas nicht.

Wir waren nun 2 Jahre zusammen und ich war mit meinen Kräften am Ende angekommen, aber ich hielt durch.
Zwischen mir und meinen Eltern war totale Funkstille. Einmal sah ich sie einkaufen, sie schienen glücklich zu sein, denn sie lachten. Ich versteckte mich hinter den Regalen und beobachtete sie ein wenig und wartete ab bis sie weg waren.

Ich hatte niemanden mehr ich hatte keine Freunde und keine Familie ich hatte nur Sebastian.Das war mein einziger Gedanke den ich hatte wenn ich nicht high war.
Es kam wie es kommen musste. Sebastian kam eines Tag nicht nach Hause. Ich war krank vor Sorge. nach 2 Tagen kam er dann endlich einmal angekrochen. Er kam nicht alleine er kam mit einer Frau. Sie gingen Hand in Hand.
Ich stand da, wünschte es sei nur ein Traum, aber es war leider kein Traum.
Er wollte mich verlassen wegen einer Frau. Er sagte er hätte endlich seine große Liebe gefunden. Er sagte ich könnte noch 2 Wochen bei ihm bleiben und er würde inzwischen bei Katharina bleiben. Er packte das notwendigste zusammen und warf die Pillen weg. Nun stand ich da. Ich hatte keine Freunde, keine Familie und ich hatte keinen Sebastian mehr. Ich hatte gar nichts mehr. Plötzlich spürte ich mich selber wieder langsam. Tag für Tag fühlte ich die schmerzen immer mehr. Ich Schnitt mich absichtlich. Ich vergass irgendwie meinen Schmerz in Herzen wenn das Messer mich an Armen und Beinen verletzte.
Eine Woche danach hatte ich entgültig die Nase gestrichen voll. Ich wollte nicht mehr leiden. Ich kaufte mir jede Menge Alkohol.
Ich trank und trank, ich nahm das Küchenmesser stach auf mich ein bis zur Bewusstlosigkeit.Ich wachte auf das Blut floss überall und ich hörte wie sich die Türe öffnete Sebastian stand vor mir rief den Krankenwagen. Das alles bekam ich mit aber ich sagte kein Wort ich schwieg. Ich schwieg sehr lange. Ich schwieg als meine Familie mich besuchte und ich schwieg als Sebastian hier war. Ich schwieg einfach nur.

Ich wollte nicht zu meinen Eltern zurück und darum kam ich ins Heim.
Dort bin ich nun 4 Wochen. Ich fühle mich nicht besser.
Ich habe meine Tabletten nicht geschluckt ich habe sie wieder ausgespuckt und sie gesammelt.
Morgen nehme ich alle auf einmal, ich binde mir einen Plastiksack über den Kopf steche mir tausendmal ins Leib und springe von der Brücke in den unendlichen Fluss. So das ich nie wieder aufwachen muss, so das mein Tot garantiert ist.
Ich habe verspielt. Ich hasse das Leben ich hasse meine Schmerzen ich hasse die Liebe, Ich hasse die Sehnsucht, besonders die Sehnsucht nach Zufriedenheit. Was ich am meisten hasse das bin ich selber. Wie konnte ich nur so abstürzen. Ich habe es von Anfang an gewusst ich bin zu allem unfähig. Ich hasse, mich ich, hasse mich ……

Abschiedsbrief von Mila L.. (1987 - 2005)









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