Drachenherz

Autor: Sting
veröffentlicht am: 08.10.2014


Bist du dir auch sicher, dass du das schaffst?, die tiefe Stimme ihres Bruders hallte in Liliths Kopf. Sie blies Luft durch ihre Nüstern aus, schüttelte sich einmal.
Natürlich!, war ihre Antwort, ebenso nur gedacht. Drachen unterhielten sich telepathisch, für normale Menschen nicht wahrnehmbar. Und selbst wenn sie es hören sollten, verstehen könnten sie ihre Sprache noch immer nicht.
Pass auf dich auf., Cylian war ihr bis auf den Berg gefolgt, obwohl er im Moment nicht fliegen konnte. Für Drachen war das Laufen verdammt anstrengend und so ein Ungetüm wie er hatte es auch nicht leicht, zu klettern. Aber Lilith musste diese, durchaus sehr gefährliche Reise an seiner Stelle aufnehmen. Deswegen war es das mindeste, fand er zumindest. Schon seit einiger Zeit ging bei den Drachen diese Krankheit um, die sie flugunfähig machte. Drachen, die nicht fliegen konnten, waren auf kurz oder lang zum Sterben verurteilt. Das gesamte Geschlecht könnte dahingerafft werden, wenn nicht schleunigst ein Heilmittel gefunden werden würde. Cylian, der älteste Prinz und nächster in der Thronfolge war eigentlich mit dieser Aufgabe betraut worden. Doch dann hatte die Krankheit ihn selbst heimgesucht, deswegen war seine kleine Schwester, Prinzessin Lilith Vasila von Al?Gaar ihre letzte Hoffnung.
Sie reckte noch einmal den Hals, ehe sie ihre Schwingen ausbreitete. Ihre Schuppen glänzten Türkis, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Etwas, worauf sie sehr stolz war. Die meisten Drachen hatten dunkle Schuppen, Rot oder Violett, so wie Cylian. Aber ihre glänzten hell und strahlten in der Farbe des Ozeans. Nicht, dass sie ihn jemals wirklich gesehen hätte.
Nun aber ging sie mit den Hinterbeinen etwas zurück, erhob sich dann mit einem kräftigen Schwung in den Himmel. Ihre Flügel nahmen die Bewegung auf und schon bald waren der Berg, ebenso wie ihr Bruder nicht mehr zu sehen. Der Weg war lang, aber sie beschwerte sich nicht.
Das war ihre erste große, offizielle Aufgabe! Und ganz nebenbei war sie unglaublich neugierig auf die Menschenwelt. Auf die ganzen Dinge, die es dort gab. Sie wusste, dass Cylian damals einige Jahre in der Menschenwelt herum gereist war. Er hatte ihr viel erzählt, ihre Erwartungen ins unermessliche hochgeschraubt.
Die Barrieren von Al?Gaar, die das Drachenland von der Menschenwelt abschnitten kamen langsam in Sicht. Drachen konnten sie einfach durchfliegen, Menschen aber durften dieses Land nicht betreten. Wer dennoch versuchte, durch die Barrieren zu kommen, musste sterben.

Das Gebirge lag lange hinter ihr, ebenso wie die Barrieren. Ihr erstes Ziel war die Stadt Ashaan. Dort gab es angeblich eine umfangreiche Bibliothek, der beste Ort also, in dem sie erste Nachforschungen anstellen könnte. Ashaan war, ihrem Bruder nach, nur eine kleine Stadt. Die Stadttore wurden mäßig bewacht und im Grunde konnte sie jeder passieren. Lilith beschloss aber, ihre menschliche Gestalt bereits in den Wäldern kurz vor den Toren anzunehmen. Immerhin wollte sie dort niemanden erschrecken.
Auch, wenn dies eine Welt war, in der Magie zu den alltäglichen Dingen gehörte, einen echten Drachen bekam man dennoch nur sehr selten zu Gesicht.
Mauer kamen in Sicht, eine Burg, die in deren inneren pragte und viele Häuser drum herum. Geplapper drang an ihr Ohr. Selbst von hier oben konnte sie alles ganz genau betrachten, ganz genau verstehen, was die Leute sich erzählten. Die Sinne eines Drachen waren schließlich hundert Mal geschärfter, als die eines Menschen.
Trotz ihrer Größe glitt sie elegant zu Boden. Die Erde erzitterte einen Moment unter der gewaltigen Last, als ihre Beine aufsetzten. Nachdem sie sicher stand, begann der kleine, rote Stein an ihrem Hals zu leuchten. Kurz darauf erleuchtete auch ihr Körper, veränderte Größe und Form und schließlich wich das Ungetüm einem jungen Mädchen. Ihre langen, gelockten Haare leuchteten in demselben Türkis wie auch ihre Schuppen es zuvor getan hatten. Ihr kindlicher Körper war in ein Kleid gehüllt, welches einer Prinzessin würdig war.
Alles in Allem sah sie nicht viel älter aus als 16 Jahre. Der Stein, der ihr bei ihrer Verwandlung gedient hatte war nun in ein Lederhalsband eingearbeitet, noch immer schmückte es ihren Hals. Ungewöhnlich, aber zumindest nicht mehr bedrohlich aussehend ging sie nun den kleinen Waldweg entlang in Richtung der Stadtmauern.
Wie erwartet hielt sie niemand auf. Ein paar Männer, die sie sahen steckten die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln, aber Lilith schenkte ihnen keine Beachtung. Ihr Blick lag begeistert auf den Häusern, den vielen Menschen und den lachenden Kinder. Das war wirklich ein Unterschied zu Al?Gaar.
Aber der Flug hatte sie durstig gemacht. Von ihrem Bruder wusste sie, dass es Lokalitäten gab, die einem Essen und Trinken verkauften und er hatte ihr auch ein wenig Geld mitgegeben.
Nach ein wenig herumfragen fand sie tatsächlich eine Taverne.
Leise Musik wurde gespielt, der Rauch von Zigarren hing in der Luft. Lilith konnte nicht anders, als beim eintreten zu husten. Für jemanden, der sein ganzes Leben nur reine Bergluft geatmet hatte, war das hier das reinste Gift. Sie schritt langsam auf den Tresen zu, wo sich der Wirt mit einer dicklichen, stark geschminkten Frau unterhielt.
Lilith räusperte sich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Die beiden hielten inne und sahen auf sie hinab.
K-Könnte ich etwas Wasser haben?, fragte sie unsicher.
Wenn du Geld hast., war die Antwort des Wirtes. Lilith griff nach dem kleinen Beutelchen, das an ihrer Hüfte befestigt war und kippte einen ganzen Haufen Goldmünzen auf den Tresen.
Reicht das?
Bist du wahnsinnig? Du kannst hier doch nicht mit so viel Geld um dich schmeißen!, zischte der Wirt und schob es ihr wieder zu. Lilith sah ihn verwundert und mit großen Augen an, ehe er ihr einen Krug mit klarem Wasser vor die Nase stellte. Immernoch ein wenig verwirrt packte sie das Geld wieder ein und griff dann nach dem Trinken, als mit einem Mal leises Lachen neben ihr ertönte.
Du bist wohl nicht von hier, hm?, fragte ein Mann, der nur einen Stuhl weiter saß und sie von oben herab begutachtete. Sie schüttelte nur den Kopf.
Nein, ich komme aus? von weit weg., fing sie sich im letzten Moment. Die Tatsache, dass sie ein Drache war, war nichts, womit sie unbedingt um sich schmeißen sollte. Der Mann wandte sich seinem eigenen Krug zu und nahm einen großen Schluck. Er hatte rotbraunes, verstrubbeltes Haar. Außerdem trug er Schoner an den Handgelenken und den Schienbeinen. Das auffälligste an ihm aber war wohl seine Größe. Er überragte sogar den stämmigen Wirt um gut einen Kopf.
Hab ich mir gedacht., sprach er, ehe er den Krug wieder sinken ließ. Nun wandte er sich ihr zu. Er hatte blaue Augen, genau wie sie, und ein freundliches Gesicht. Jetzt fiel Lilith auch auf, dass er ziemlich muskulös war.
In dieser Stadt gibt es eine Menge Diebe. Wenn du so offensichtlich mit dem ganzen Geld rum hantierst, werden viele auf die Idee kommen, dich auszurauben., erklärte er, während sein Blick auf ihr ruhte.
Du hast schöne Haare. So eine Farbe hab ich noch nie gesehen. Haben das alle, da, wo du herkommst? N-Nein, nicht viele..., antwortete Lilith. Er lachte wieder, leise und rau. Dann stand er auf und schob dem Wirt ein paar Münzen hin.
Naja, ich hab noch zu tun. Man sieht sich, Mädchen mit den schönen Haaren., bei dem Letzten zwinkerte er ihr kurz zu, ehe er die Hände in seinen Hosentaschen verschwinden ließ und durch die Tür nach draußen trat. Lilith blickte ihm noch einen Moment hinterher, dann sah sie wieder auf ihren Krug. Irgendwie ein seltsamer Mann.









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