Weirdly - Teil 4

Autor: blue-haze
veröffentlicht am: 27.05.2014


4. Alle lieben Kenan

In Absprache mit meinen neuen Freundinnen, trage ich heute eine kurze Hose, und ein Top, das wir zusammen gekauft haben. Offenbar läuft das so unter Mädchen. Was man nicht alles tut um dazu zu gehören. Die Armstulpen, werden ihnen natürlich nicht gefallen, aber eine bessere Lösung habe ich nicht.
„Ist dir nicht viel zur warm damit?“, fragt Tessa.
Ich verneine. „Man gewöhnt sich daran.“
„Also ich finde das eklig.“
Danke, ich dich auch. Lächelnd wechsle ich das Thema, als mich ein seltsames Gefühl durchfährt. Mit einem Blick über die Schulter, sehe ich, wie Kenan seinen Blick wie beiläufig von mir abwendet.
Auch den Mädchen scheint das nicht entgangen zu sein. „Er hat hier rüber gesehen. Ich wette er steht auf eine von uns...“ Und da geht es wieder los. Unterdrück ein Seufzen, unterdrück ein Seufzen, mahne ich mich.

Heute Abend kochen wir mit meinem Dad. Ein Grund mehr Kenan zu hassen. Das ist Zeit, die ich früher mit ihm alleine verbracht habe. Diese Zeit mit einem Fremden teilen zu müssen ist für mich eine weitere Veränderung, die ich nicht gebrauchen kann.
Meinen Dad juckt das nicht. Gefühle die er nicht lesen kann, scheinen für ihn nicht existent zu sein. Kenan dagegen scheint sich unwohl zu fühlen und mein Dad ist deshalb umso mehr bestrebt, dafür zu sorgen, dass sich dies ändert.
Ob er lieber einen Sohn hätte?
Ist er deshalb all die Jahre nicht gekommen um mich zu suchen? Der Gedanke, dass er mich im Stich gelassen hat, breitet sich aus, unaufhörlich, tiefer, brennender, schmerzhafter, unerträglich.
Es ist mir nicht einmal aufgefallen, wie ich die Küche verlassen habe. Das Knallen meiner Tür dringt nur gedämpft zu mir durch und den Schlüssel drehe ich automatisch. Erst als ich an meinem Fenstersims sitze und über die Felder blicke, fällt mir auf, dass ich nicht weiß, wie ich hier her komme.

Erst am nächsten Morgen, stelle ich fest, dass mein Dad offenbar auch nicht gekommen ist, um nach mir zu sehen. Ich bin sitzend am Fenstersims eingeschlafen und friere nun.
Eine völlig neue Situation, die es mir schwer macht, mich zu entscheiden, wie ich als nächstes handeln soll. Also ziehe ich mich um, nehme meine Tasche und steige aus dem Fenster um zu Fuß zur Schule zu gehen.
Wenn ich gedacht habe, dass dieser Plan gut ist, scheint es dem Schicksal zu gefallen, mich eines besseren zu belehren. „Ich weiß, dass du mir folgst“, seufze ich. Kenan schließt zu mir auf. Er scheint eine Frage stellen zu wollen, behält sie aber für sich. „Das war keine Einladung neben mir zu laufen, ich wollte nur klarstellen, dass du nicht so zu tun brauchst, als würde ich dich nicht sehen.“ Ohne Diskussion nimmt er Abstand. Ich glaube er ist ziemlich genervt, oder zumindest verunsichert.
In der Schule ist er sofort von meinen drei Freundinnen umringt. Ich würde ihm ja gerne sagen, dass er gefälligst aufhören soll, ständig zu mir rüber zu sehen, aber er ist keine Minute alleine. Das wiederum bedeutet, dass er mich weiter im Auge behält und meine Freundinnen denken, er würde etwas von mir wollen – was ihnen gar nicht gefällt.
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Ich war dreizehn, das war die Zeit, als ich bei meiner Mutter gelebt habe. Damals dachte ich, ich würde nie wieder glücklich werden. Aber es gab doch jemanden, der Hoffnung in mir geweckt hat. Ein Junge aus meiner Klasse war ziemlich nett zu mir. Dumm war nur, dass er ein Mädchenschwarm war und seine Nettigkeit den Zorn der Klasse auf uns beide gelenkt hat. Mit der Nettigkeit seinerseits war es dann schnell vorbei, weil es ihm wichtiger war, seinen Status nicht zu verlieren und so wurde ich nicht nur von meiner Mutter wie Dreck behandelt, sondern auch von meiner Klasse.
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Um es kurz zu halten, sind alle Männer Mistkerle und alle Frauen Hexen.
Trotzdem habe ich es satt schlecht behandelt zu werden. Ich will normal sein, also bemühe ich mich kein Freak zu sein.
„Ich will nichts von ihm. Ist das Thema damit endlich erledigt?“ Die drei lassen nicht locker – den ganzen Sportunterricht über.
„Sieh dich vor. Du weißt, wie toll wir ihn finden. Eine Freundin nimmt einem nicht den Schwarm weg. Verstanden?“
Bei Männern hört die Freundschaft auf. Verstanden.
Ich nicke.

In der nächsten Pause, schiebe ich Kenan unauffällig einen Zettel zu. Wenn er nicht aufhört mich so auffällig zu beobachten, ist er noch schuld, wenn ich in Gefahr komme – das habe ich natürlich nicht geschrieben. Mit „Lass das“ weiß er schon sehr genau was gemeint ist.
Sein Blick wandert zu den drei Mädchen, dann kurz zu mir, doch ich lasse mir nichts anmerken. Es geht ihn nichts an.
Nach dem Unterricht, bin ich wieder bestrebt, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen, bis ich von einer SMS abgelenkt werde. „Nana hat bald Geburtstag. Könntest du ein Geschenk für sie besorgen? Dad“
Was schenkt man denn einer alten Hexe? Das gleiche wird sich der Blödmann auch gedacht haben und wälzt die Arbeit jetzt auf mich ab. Na super.
Wir sind weit genug von der Schule entfernt, also wagt Kenan es jetzt sich mit fragendem Blick an meine Seite zu stellen.
„Ich gehe Einkaufen. Und wer hat dir gesagt, du sollst mir auf die Pelle rücken?“
Ich muss wie eine Zicke klingen, aber er nimmt Abstand.
Vielleicht sollte es mir leid tun.
Aber um ehrlich zu sein, bade ich zu sehr in meinem Selbstmitleid. Mal ehrlich. Mein Leben ist auch ein Haufen Müll. So gesehen, kann ich die Gelegenheit auch nutzen um das Geld meines Vaters aus dem Fenster zu schmeißen, nur um Frust abzubauen.





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