In my Life - Teil 7

Autor: MarieCurie
veröffentlicht am: 09.04.2014


Zu Hause drehe ich meine Musik laut auf und schalte meine Konsole an. Es ist 13 Uhr.
Im Moment spiele ich Far Cry 2. Wie ich zum Zocken gekommen bin? Durch Steve. In der ersten Woche, die wir uns kannten, gab er mir Nachhilfe in Chemie. Statt Chemie hat er mit mir dann aber doch die Maps von Left4Dead unsicher gemacht. So kam ich ans Zocken.

Nach gerade mal einer Stunde vibriert mein Handy und ich schalte kurz auf Pause. Whatsapp. Wie ich diese Erfindung hasse.

- Yooooo, Luce, Jani hat mir erzählt was gestern los war. Ich hab's dir ja gesagt, dass das nix bringt einfach abzuhauen. Naja egal. Jani's Eltern sind heute Abend und Morgen weg. Wir machen eine Party bei Jani. Wir wissen auch, dass du kein Bock hast, aber das lenkt dich ab. Also man sieht sich dann um 9 bei jani m/ -

Super. Eine Party ist nicht gerade mein Fall. Besonders dann nicht, wenn dort 50 betrunkene Vollspackos zu grauenhafter Musik rumtanzen und mit Bier um sich herum schmeißen.

Ich gehe erst einmal in die Küche und mache mir ein Sandwich. Damit gehe ich zu meiner Konsole zurück und vertiefe mich wieder in mein Spiel.
Nach zahlreichen Spielstunden, Achievements wie „Dawa ya moto ni moto“ und 4 Sandwiches schaue ich auf die Uhr und schalte die Konsole aus. 19 Uhr. Ja wenn ich anfange zu spielen, höre ich nicht so schnell auf. Da gehen schon mal 6 Stunden ins Land.

Ich beschließe in mein Musikzimmer zu gehen. Ich setze mich an den Flügel und beginne einfach so den Anfang von „I Giorni“ von Ludovico Enaudi zu spielen.
Unwillkürlich muss ich an meine Mam denken. Sie war schon klasse. Sie hat mir viel beigebracht. Schon seid längerem frage ich mich, wieso ich bei dem Gedanken an ihren Tod in den letzten Jahren nicht eine einzige Träne vergossen habe.
Ich weiß es nicht. Ich habe noch nie großartig Gefühle gezeigt. Ich kenne das Gefühl der Trauer nicht. Es war nie vorhanden. Vielleicht, weil gerade meine Mutter mir immer gesagt hat, dass nur starke Frauen im Leben weiter kommen. Vielleicht hab ich es damals nur falsch verstanden.

Aber mir gefällt das so. So ist meine Einstellung. Ich brauche keine Gefühle.
Unbewusst stimme ich schon das nächste Lied ein. Meine Mutter hat es geschrieben. Es heißt „Symphony of pain“. Es klingt düster und deswegen ist es für mich einfach nur wunderschön.
Mein Körper gehorcht mir beim spielen nicht mehr. Alles funktioniert automatisch und mein Gehirn setzt aus. Ich spiele das dritte Lied und dann das Vierte. Ich vergesse die Zeit. Meine Hände fliegen Fast über die Tasten und es ist ein gutes Gefühl.
Mein Körper bewegt sich im Takt der sanften Melodien und nach einem weiterem Lied merke ich, dass sich meine Hände verkrampfen. Ich spiele Ludovico Enaudi's „Oltremare“ zu ende und sacke dann kurz darauf in mich zusammen. Das lange aufrecht Sitzen tut meinem Rücken gar nicht gut.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nun halb 8 ist. Ich gehe in die Küche, füttere Lou und will mich gerade ins Wohnzimmer setzen und Fernsehen, als es an der Tür klingelt.
Murrend drehe ich um und öffne die Tür. Janine. Ach Scheiße die Party. Ich schmeiße die Tür zu, doch Janine stellt ihren Fuß in die Tür. „Los komm schon. Wir stylen dich schön und dann machen wir Party!“ Sie lacht und jubelt und tut alles das, was ich in so einer Situation nicht tun würde.

Sie kommt rein und zieht mich mit in mein Zimmer. Dort stürzt sie sich wie ein wild gewordenes Tier auf meinen Kleiderschrank und muss dann ernüchternd feststellen, dass dieser nur Schwarzes mit leichten Grünakzenten enthält. Kapuzenpullis, schwarze Röhrenjeans, schwarze Boots, noch mehr schwarze Boots, noch mehr Kapuzenpullis usw..
„Du kommst mit zu mir, ich leihe dir etwas.“ Oh Gott, hol mich hier weg, bitte.
„Nein, das wirst du nicht. Ich werde einfach eine Jeans anziehen und....das hier..“ Ich krame in meinem Schrank und hole mein grünes Holzfällerhemd heraus.
„Nein, nein, nein, du brauchst etwas Richtiges.“ Sie lächelt mich an.

Ich kann nicht mal die Definition von „etwas Richtigem“ hinterfragen, so sitze ich schon auf Janines Bett und betrachte die Kleider, die sie für mich heraus gekramt hat. Eine schwarze Röhrenjeans, mit einem grünen, etwas weiter geschnittenem Top und diese Jesus-/ Römerlatschen, die heute fast jede Frau trägt. Ist in Ordnung. Ich werde es überleben.
Das hebt sich total von meinem bisherigen Kleidungsstil ab.

Ich gehe zum Spiegel.
Ich sehe ein Mädchen. Sie lächelt nicht, aber traurig sieht sie auch nicht aus.
Sie hat knallrote Haare und zwei dürre, voll tätowierte Arme. Es ist eine Rosenranke mit Dornen. Sie beginnt an meiner rechten Seite auf dem Rücken. Sie zieht sich bis in meinen rechten Arm – zum Handgelenk. Irgendwo dort wo das Schulterblatt beginnt spaltet sich der Stängel und zieht sich über meine linke Schulter über den ganzen linken Arm. Natürlich ist das Tatoo schwarz, bunt steht mir eben nicht.
Meine Augen drücken nichts aus. Sie starren mein Spiegelbild an. Immer wieder muss ich feststellen, dass ich kein bisschen hübsch aussehe. Das liegt nicht einmal an meinem Gesicht. Ich sehe genau aus wie meine Mutter und sie war eine wunderschöne Frau. Es ist mein Gesichtsausdruck. Denn selbst wenn ich lache ist er einfach eiskalt.
Das fällt mir aber sonst nicht auf, da ich nicht sehr oft in den Spiegel schaue. Im Badezimmer hänge ich ihn manchmal ab, damit ich mich selbst nicht anschauen muss.
Jetzt stehe ich hier in Kleidern, in denen ich mich nicht wohlfühle. Stehe vor einem Spiegel, obwohl ich es hasse mich ansehen zu müssen.
Ich blicke tief in den Spiegel. Meine Augen sind fast schwarz. Ich versuche meinen Gesichtsausdruck zu lockern. Zu lächeln, doch kann ich jetzt nicht einfach lächeln. Auch wenn ich es hasse Schwäche zu zeigen, so muss ich leider zugeben, dass mich der ganze Vater- Anstalts- Mist doch mitnimmt.

Janine kommt mit bester Laune rein, knufft mich in die Seite und stellt sich neben mich. Sie betrachtet mich lächelnd. „Du bist so hübsch.“ Das sagt sie immer. Ich weiß nicht ob sie es sagt, damit es mir besser geht, oder ob sie es ernst meint.
Wenn ich mich so betrachte könnte ich locker als Schlägerbraut der Hells Angels durchgehen. Hey, wenn das mit der Ausbildung nicht klappt, kann ich das in Erwägung ziehen und kleinen Kindern ihr Essensgeld klauen.

Ich könnte mich jetzt bei Janine bedanken, so wie man es normalerweise tut, aber ich bin nicht normal. Ich zucke nur mit den Schultern.
Janine kennt meine Ansichten und lächelt weiter. Sie geht zu ihrer Kommode. Sie holt etwas, aber ich sehe nicht was es ist.
Als sie sich dann umdreht, seufze ich. „Nope, auf keinen Fall. Du machst aus mir nur wieder eine Barbie.“
Es ist wirklich nicht so, als hätte ich mich noch nie geschminkt, aber Janine übertreibt einfach immer maßlos.
„Tu nicht so als würde ich dich in einen Clown verwandeln. Komm schon, nur ein bisschen Kajal und Mascara.“
„Gib her, ich mach es selbst.“, brumme ich. Ich reiße ihr das Todeszeug aus der Hand und schminke mich ganz dezent. Selbst die jetzt betonten Augen, machen mich nicht hübscher. Es ist mir aber auch egal.

Es ist 10 Uhr und mittlerweile laufen hier Menschen herum, denen man Nachts nicht begegnen will. Janines Eltern haben eine Bar im Garten stehen, an der ich mich selbst bediene. Ich will nur eins, den Abend ohne dumme Gespräche überstehen. Ich lasse meinen Blick über die lachende, feiernde Menschenmenge schweifen. Ich kenne fast Niemanden.
Ich widme mich wieder meinem Bier und stelle mir vor wie ich in meinem Musikzimmer sitze und Gitarre spiele. Stattdessen bin ich hier. Von Janine und Steve keine Spur. Super mich herbestellen und dann allein lassen.

„Luce.“, eine männliche Stimme. Ich drehe mich um und sehe Tommy. Tommy Klein. Ich habe ihm nie übel genommen, dass er sich in ein anderes Mädchen verliebt hat. Er hat es mir erzählt und das was ich darauf sagte war: Ich wünsch dir viel Glück.
Normale Mädchen hätten geheult oder ihn geschlagen oder einfach nur geschrien. Ich habe damals nichts davon getan. Wieso auch? Menschen kommen und gehen...und sterben.

„Tommy , hey.“ Er will mich umarmen, doch ich gebe ihm zu verstehen, dass ich das nicht möchte.
Egal wie vertraut ich mal mit ihm war, so ist das jetzt 2 Jahre her.
Er lächelt. „Du siehst gut aus. Du hast ja immer noch rote Haare.“

„Sieht ganz so aus.“ Ich lächle nicht, aber er ist das gewohnt. Ich habe ihm damals alles erzählt. Den Tod meiner Mam, die Vernachlässigung meines Vaters und so weiter. Die Info, das ich wahrscheinlich nicht fähig bin tiefgehende Gefühle zu entwickeln, hat ihm den Rest gegeben.
„Bist du eigentlich immer noch mit Diane zusammen?“
Ok diese Frage klingt komisch, wenn man bedenkt, dass ich seine „betrogene“ Ex-Freundin bin.
Ach was, wir waren 17. Mit 17 kann man keine Liebe empfinden.
„Nein wir haben uns vor drei Monaten getrennt.“ Er schaut etwas traurig.
„Was ist passiert?“ Lucy, das geht dich nichts an. Rede einfach über was Anderes.
„Wir haben nur noch gestritten. Sie hat mir sogar mal eine Vase gegen den Kopf werfen wollen.“
Und ohne es zu wollen lache ich los.
„Was?“, fragt er mich mit hochgezogener Augenbraue.
Was soll ich jetzt sagen? Ich freue mich weder darüber, dass es nicht mehr mit Diane zusammen ist, noch darüber, dass er aussieht wie ein Häufchen Elend. Es ist einfach die Vorstellen, dass sie sich „Mitten im Leben“- Mäßig mit irgendwelchen Sachen bewerfen.
„Kannst dich ja bei RTL melden, die suchen immer Familien im Brennpunkt.“
Ich lächele jetzt aber doch, um zu zeigen, dass ich ihn aufmuntern will. Das ist meine Art.
Tatsächlich, seine Mundwinkel verziehen sich zu einem kleinen Lächeln.
Wir schweigen eine kleine Weile.
„Wie geht es dir, Luce?“. Er lächelt plötzlich nicht mehr.
„Gut, wieso?“ Ich bin verwirrt.
„Du hast Augenringe.“ Er fährt mit dem Daumen unter meinem rechten Auge entlang.
Ich schrecke vor der Berührung zurück.
„Tschuldigung.“, murmelt er und zieht seine Hand wieder zurück.
Ich hasse Berührungen. Besonders im Gesicht. Und er sollte es wissen. Ich starre ihn wütend an und setze mich in Bewegung.
„Es tut mir Leid.“, ruft er noch einmal hinterher. Keine Ahnung warum ich jetzt genau abgezischt bin, aber mein Gehirn hält es für in Ordnung und überaus begründet.

Steve sieht mich, dann Tommy und kommt auf mich zu. Er legt seine Hand auf meinen Rücken.
Wieso haben heute bloß alle den drang mich berühren zu müssen? Aber bei Steve ist es nur halb so schlimm. „Was wollte er?“, fragt Steve mich flüsternd. Ich schüttele nur den Kopf und gehe mit ihm zu Janine, die auf der Veranda mit zwei anderen Mädchen sitzt. Auch sie stellt mir fragen, wendet sich aber dann wieder zu Steve und ihrer Gefolgschaft und ich lasse sie allein.

Ich hab Lust auf ein weiteres Bier.
Ich gehe in Richtung Keller, da an der Bar immer noch Tommy patrulliert. Im Keller stehen bestimmt noch Bierkästen. Ich ziehen an der großen Holztür und gehe die Treppen nach unten. Es ist fast dunkel und ich bin froh als ich unten ankomme. Ich gehe noch ein Stück und knalle gegen etwas großes.
„Was zum..“, sagt eine männliche Stimme verärgert. Derweil reibe ich mir die Nase.
„Wer zum Teufel bist du und was tust du hier unten im Dunkeln? Kampierst du hier oder was? “, frage ich die Person.
„Könnte ich dich wohl genauso fragen. Dazu kommt noch das du in mich rein gelaufen bist.“
Die Stimme klingt verärgert. Ich verdrehe die Augen. Die Person vor mir kann es natürlich nicht sehen.
„Es ist stock duster hier drin? Waschlappen, jetzt reg dich ab.“, ich kann richtig ätzend sein.
Ich hör es kurz rascheln, im nächsten Moment sehe ich ein kleines Licht. Ein Handydisplay. Kurz darauf sehe ich einen viel zu grellen Lichtstrahl. Ich verdecke meine Augen mit beiden Armen.
„Du?“ Die Stimme klingt verwundert. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das Licht. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich mehr als nur Umrisse zu erkennen.
Schwarzköpfchen.
„Ja ich, jetzt dreh mal das Licht etwas von mir weg, oder willst du das ich erblinde?“ Tatsächlich dreht er sein Handy mit der Blitzseite etwas weg.
„Danke.“

Ich will ein Bier, deswegen bin ich hier. Ich war schon oft hier im Keller, daher weiß ich, dass er sehr klein ist. Um an mein Getränk der Göttlichkeit zu kommen, muss ich mich irgendwie an Darius vorbei drängeln, doch überall stehen Kisten, sodass er mit seinem breiten Rücken den Weg versperrt.
„Gib mir mal ein Bier.“
„Wie heißt das?“, er klingt belustigt.
„Aber zack-Zack. Ich verdurste gleich.“ Und das ist mein voller Ernst. Meine Kehle ist verdammt trocken.
Er lacht kurz und gibt mir dann ein Bier. Ohne an die Gesundheit meiner Zähne zu denken, mache ich mit ihnen die Flasche auf.
Darius sieht mich an, als hätte er einen Geist gesehen.
Ich nehme einen großen Schluck.
„Was? Wie machst du sonst deine Flasche auf?“
„Mit einem Feuerzeug oder einer anderen Flasche? Aber doch nicht mit den Zähnen.“
Schwarzköpfen lacht wieder mal. Mehr verwirrt als belustigt.
„Jetzt mal im Ernst, wieso stehst du hier so im Dunkeln herum?“ Und es interessiert mich tatsächlich.
„Ich bin Steves Botenjunge und soll Bier hochschleppen.“
„Achso.“
Er zuckt nur mit den Schultern.
„Naja ich geh dann mal wieder. Fröhliches schleppen.“ damit drehe ich mich um und gehe die Treppen hoch.

Janine kommt zu mir und zieht sich mit sich.
Im laufe des Abends stellt sie mir mehrere Menschen vor, die aber anscheinend keine Lust haben mich kennen zu lernen. Besser so für sie. Es sind alles nur Jungs und Mädchen mit einem IQ von einem umgefallenen Sack Kartoffeln, mehr nicht.

Danke für die bisherigen Kommentare :)
Lg MarieCurie





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