Erinnerungen am Wasserfall - Teil 3

Autor: dreamy
veröffentlicht am: 07.04.2014


Als erstes ließ ich mich in mein Bett fallen. Erst da merkte ich, wie erschöpft ich eigentlich war. Ich schnaubte tief und ließ den bisherigen Tag Revue passieren. Ich hab’s geschafft, ich hab alle Prüfungen gut abgelegt und konnte mich jetzt entspannen. In den großen Ferien hatte ich mit Elvira einen Trip nach Kroatien ans Meer geplant. Und am Wochenende ist in einem Schuppen etwas außerhalb der Stadt noch eine Party unseres Jahrgangs geplant. Wie schnell das alles ging. Wieder dachte ich an meine Kindheit. Alles war so unbeschwert und einfach und alles war gut. Und jetzt bin ich so gut wie erwachsen. Plötzlich fiel mir ein Fotoalbum ein, in dem noch Kinderbilder sein müssten. Ich stand auf und kramte in meinem Schrank. Ganz oben lag die gesuchte Kiste. Ich nahm sie runter und machte sie auf. Dann erblickte ich das Fotoalbum. Ich hatte es schon lange nicht mehr in den Händen. Ich setzte mich auf den Boden und nahm es behutsam hoch, denn es war schon ziemlich ausgefranst. Auf der ersten Seite sah ich ein Bild von unserer „Gang“. Mir wurde plötzlich warm ums Herz. Ich sah in jedes Gesicht und am längsten blieb ich bei Timo stehen. Dann blätterte ich weiter. Bilder von Ausflügen oder Campingnächten erschienen und die Erinnerungen kamen wieder hoch. Auch ein paar aufgeklebte Sachen, wie kleine Freundschaftsarmbänder oder Muscheln kamen vor. Dann, auf der letzten Seite, erblickte ich die Unterschrift von jedem einzelnen. Die Seite war ziemlich bunt und manche Namen waren kaum zu entziffern. Waren ja auch Handschriften von Kindern. Jeder von uns hatte so ein Buch und jedes war individuell gestaltet. Ich sah es noch mal ganz genau an und war dabei tief in Gedanken versunken. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Räuspern. Ich erschrak und drehte mich abrupt um. Dann blickte ich in das Gesicht von Timo. Er stand mit verschränkten Armen angelehnt am Türrahmen. So gut es ging versteckte ich das Buch hinter mir. Dann endlich konnte ich etwas sagen.
„Ehm… was gibs denn?“
Nervös blickte ich ihn an, doch von ihm kam nur ein freches Grinsen. Dann lachte er kurz auf, schaute dabei auf dem Boden und dann mir in die Augen. Trotz des paar Meters die zwischen uns lagen, fühlte ich mich wie elektritisiert.
„Ich wollte mit dir reden. Wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen.“
Er wollte reden. Das hatte ich jetzt gar nicht erwartet. Ich hörte zum ersten Mal seit Jahren so richtig seine Stimme. Sie war natürlich tiefer, aber sehr angenehm. Noch etwas unsicher stammelte ich etwas.
„Ok, und worüber willst du reden?“
Jetzt richtete er sich auf, so dass er mir gerade gegenüber stand. Auch ich stand auf, weil das auf dem Boden sitzen und quatschen mir lächerlich vorkam.
„Über alte Zeiten, was du jetzt machst, wie es dir geht?“
Das war mir dann zuviel.
„Moment, eins nach dem anderen….“
Seine Anwesenheit brachte mich völlig aus dem Konzept und dann auch noch seine Fragen.
Jetzt kam er ein paar Schritte auf mich zu und hatte dabei lässig seine Hände in den Hosentaschen vergraben.
„Dann sag mir, wie’s dir geht.“
Er schaute mir jetzt wieder in die Augen. In ihnen konnte man sich verlieren, so schön waren sie.
„Mir geht’s gut. Ich bin verwirrt… warum die Frage?“
Ich runzelte die Stirn und wartete auf seine Antwort.
„Darf man denn nicht fragen? Nach so vielen Jahren kann man sich doch nach dem anderen erkundigen.“
Er zog einen Mundwinkel hoch und wirkte ziemlich selbstsicher. Das konnte man von mir nicht behaupten.
„Ja, schon… ok ist jetzt egal. Wie geht’s dir denn?“
Jetzt lachte er wieder auf . Was sollte das denn? Sollte das irgendein Spiel sein?
„Interessiert dich das wirklich oder bist du nur höflich?“
Was sollte man denn darauf nur antworten. Ich versuchte fieberhaft zu überlegen, was er mit diesem Gespräch bezwecken wollte, bis ich gedanklich abschaltete und einfach drauf losredete.
„Du hast mich gefragt und mich interessiert es auch, wie es dir geht.“
Verblüffung war in seinem Gesichtsausdruck zu sehen. Dann lächelte er wieder.
„Mir geht’s sehr gut… Übrigens die anderen rufen schon nach dir. Es wird darüber diskutiert ob wir noch einen Spaziergang machen sollen oder im Wohnzimmer weitergeplaudert wird.“
Ich machte ihm deutlich, dass ich gleich runterkommen würde und er ging wieder zu Tür. Dann blieb er aber noch kurz stehen und drehte sich um.
„Schön, dich wieder zu sehen.“
Bevor ich eine Antwort geben konnte, war er schon weg. Ein wenig blieb ich noch verwirrt auf dem Boden sitzen, stand dann aber auf, packte das Buch weg und ging ebenfalls nach unten.
Die anderen haben tatsächlich schon auf mich gewartet. Tine sagte als Erste etwas.
„Ah Selina, da bist du ja. Komm wir gehen ein bisschen nach draußen und plaudern ein wenig.“
Anscheinend hat ein Kompromiss stattgefunden, dass die, die bleiben wollten, blieben und die anderen raus gingen. Ich hatte eh nichts anderes zu tun, also ging ich mit. Außerdem wollte ich wissen, was Tine so zu erzählen hatte, da ich sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ich zog eine Weste an und wir gingen nach draußen. Hinter uns liefen noch ein paar Nachbarn von mir. Als wir aber in einen Feldweg einbogen, waren wir allein. Die Sonne schien kräftig, es war aber dennoch angenehm. Stumm liefen wir nebeneinander her, bis Tine endlich etwas sagte.
„Was sind denn deine Pläne für die Ferien?“
Ferien? Ich dachte jetzt kommt eine Frage zu meinen Zukunftsplänen, aber diese Frage war mir wesentlich angenehmer.
„Ich habe vor mit Elvira ein paar Tage in Kroatien zu verbringen. Und vielleicht mache ich noch ein Praktikum.“
Sie schaute mich an und lächelte dabei.
„Elvira? Ach wie schön, ihr seid immer noch miteinander befreundet. Hat sie denn jetzt auch ihr Abi?“
Ich nickte.
„Ja, erst müssen zwar die Prüfungsergebnisse noch verkündet werden, aber so wie es scheint, hat sie bestanden.“
„Freut mich. Und dann fliegt ihr alleine in den Urlaub. Man begreift gar nicht, wie erwachsen ihr schon seid.“
Sie hat schon einiges mit meiner Mutter gemeinsam. Beide sind ziemlich euphorisch.
Wir liefen noch eine Weile und lauschten den Geräuschen der Natur. Bevor es zu spät wurde, machten wir aber kehrt und gingen wieder zum Haus.
Einige Nachbarn verabschiedeten sich schon. Beim vorbeigehen wünschten sie mir noch alles Gute und ich bedankte mich. Dann gingen wir hinein. Im Wohnzimmer sah ich, dass meine Mutter auf der Couch saß und telefonierte.
Ich ging zu ihr hin und erhaschte ein paar Wortfetzen.
„Ja, alle waren da…ach, da kommt sie ja schon wieder. Moment, ich geb sie dir mal.“
Sie reichte mir das Telefon und ich schaute sie verwirrt an. Mit einer Handgeste gab sie mir zu Verstehen, ich solle rangehen. Vorsichtig hielt ich den Hörer an mein Ohr.
„Hallo?“
„Hallo Schätzchen. Ich bin ja so froh, dass du’s geschafft hast. Alles Gute dir.“
Es war mein Vater. Überglücklich schaute ich meine Mutter an, die mich ebenfalls anlächelte.
„Danke Papa. Wann kommst du denn genau an?“
„Am Freitagabend. Die genaue Uhrzeit weiß ich noch nicht. Man weiß ja nicht wegen dem Verkehr… aber erzähl doch lieber, was ihr heute denn schönes gemacht habt?“
Ich erzählte von heute Mittag, dem Spaziergang mit Tine und noch von anderen Sachen. Nach ein paar Minuten verabschiedeten wir uns und ich legte auf. Das Telefon gab ich wieder meiner Mutter und setzte mich zu ihr. Dann kam Tine ins Wohnzimmer.
„Also, wir machen uns dann auch mal auf dem Weg. War sehr nett und vor allem toll euch alle wieder zu sehen.“
Etwas enttäuscht begleitete ich sie mit meiner Mutter zur Tür. Die Zeit geht so schnell rum.
Im Flur warteten schon Klaus und Timo. Als Tine fertig mit Jacke und Schuhe war, wollte sie mir noch etwas sagen.
„Achja Selina, wenn du Lust hast, kannst du uns morgen besuchen kommen und mit zu Mittag essen. Wir haben schon einige Sachen ins neue Haus gebracht und wollen morgen im Garten grillen.“
Ich sah zu meiner Mutter, die am nächsten Tag zu dieser Zeit arbeiten musste. Sie war aber einverstanden, also sagte ich zu. Zum Abschied umarmte mich noch jeder, auch Timo. Ich wurde wieder nervös, aber er lächelte nur und ging dann mit seinen Eltern nach draußen. Meine Mutter machte die Tür zu und schnaubte tief aus. Sie war sichtlich erschöpft, aber auch glücklich. Dann schaute sie mich an.
„So, jetzt geht’s an den Abwasch.“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz